Regisseur: Tulio Demicheli
Kamera: Mario Capriotti, Guglielmo Mancori
Musik:Angelo Francesco Lavagnino
Drehbuch: Tulio Demicheli, Guy Lionel, Gene Luotto, Chen Morrison, Giovanni Simonelli, Natividad Zaro, Italo Zingarelli
“When the legend becomes fact, print the legend!”, heißt es in einem 1967er Western von John Ford. Die Berliner Synchron GmbH - Wenzel Lüdecke bastelte daraus das nicht minder prägende Zitat: „Unsere Legenden wollen wir bewahren. Sie sind für uns wahr geworden.“ Christoph Schlingensief huldigte in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre den allgemeinen Legendenmodus, verfrachtete demgemäß die sechste Episode von Talk 2000 in die Kategorie „Leben mit Legenden“, stiftete mir auf diese Weise viel Vergnügen und Otto Normalverbraucher dito viel Verwirrung.
Wyatt Earp ist ebenfalls ein Typ, der eifrig Verwirrung stiftete. Er hatte eigentlich niemals das Zeug zur Legende, denn er war vorwiegend in belanglose Affären verwickelt, die von den Skandalblättern der jeweiligen Kuhstädte ausgeschlachtet wie dramatisiert wurden. Der angeblich so gewaltige Gunfight am OK-Corral war nicht mehr als eine von vielen Schießereien im längst nicht mehr so Wilden Westen. Wyatt war halt kein Billy the Kid sowie kein Jesse James, die zu den schillernden Symbolfiguren einer öffentlichen Haltung wurden. Wyatt Earp besaß eher das Zeug, um in der Rubrik „Schaumschläger des Wilden Westens“ gemeinsam mit Buffalo Bill und Wild Bill Hickok auf Gedeih und Verderb hochzustapeln. Wyatt ging dabei äußerst clever zu Werke, denn er wartete ab bis diverse Figuren das Zeitliche segneten, um sich ihrer Taten zu bemächtigen und anschließend einem begabten Autor zu stecken, auf das der auserwählte Schreiberling die angeblich so heldenhafte Geschichte des frontier-marshal unter selbiger Headline erzählen konnte. Jene von Stuart N. Lake verfasste Biografie wurde gar zu einem Bestseller, ein immer wieder neu aufgelegter Heiliger Gral, der spätere Autoren dazu bewegte, eifrig aus dem Buch abzuschreiben. Getreu dem Motto „Unsere Legenden wollen wir bewahren. Sie sind für uns wahr geworden.“
Die erste Verfilmung des Wyatt Earp-Stoffs kam 1932 unter dem Titel LAW AND ORDER in die amerikanischen Lichtspielhäuser. Als Vorlage diente der von W.R. Burnett verfasste Roman „Saint Johnson“. Anstatt Wyatt Earp und Doc Holiday hießen die beiden Hauptcharaktere Fram (Saint) Johnson und Ed Brandt. Der echte Wyatt Earp (der u. a. auch als Berater für Westernfilme tätig war) verpasste die Premiere der von den Kritikern gemeinhin gelobten Inszenierung gerade mal um 3 Jahre, da er 1929 in L.A. das Zeitliche segnete.
Doch nun zum Film (SCHNELLE COLTS FÜR JEANNIE LEE): Wir schreiben das Jahr 1885, der Shootout am OK-Corall liegt mittlerweile vier Jahre zurück. Wyatt Earp ist auf dem Weg nach Rio Bravo, um sich einer neuen Herausforderung (der italienische Originaltitel heißt zu Deutsch gar HERAUSFORDERUNG AM RIO BRAVO) zu stellen. Am Zielort angekommen, trifft Wyatt im hiesigen Saloon auf Jeannie Lee, die ihn nach Rio Bravo zitierte. Nach einem kurzen Gedankenaustausch macht sich Wyatt, der sich, um anonym zu bleiben, fortan Laramie nennt, auf den Weg zu Clementine Hewitt. Das Zusammentreffen wird mit dem Hinweis, dass Jeannie einen neuen Beschützer hat, umgehend dem Bösewicht Zack Williams gemeldet. Die Exposition ist demgemäß sehr flink abgeschlossen. Die Exposition einer italienisch-spanisch-französichen Westerngemeinschaftsarbeit, welche - wie viele der frühen Genrevertreter - die Mechanismen US-amerikanischer Westernproduktionen zueigen hat.
Der bundesrepublikanische Titel SCHNELLE COLTS FÜR JEANNIE LEE besitzt eine emanzipatorische Ausstrahlung, die vermuten lässt, dass Jeannie Lee eifrig mit den Schießeisen jongliert und dito selbstbewusst wie Barbara Stanwyck den harten Westernern Paroli bietet. Weit gefehlt, denn es sind die schnellen Colts in den Händen des Wyatt Earp, die für Jeannie Lee und Clementine Hewitt (die nicht einmal ein Gewehr entsichern kann) manch tödliche Arie trällern. Apropos trällern, höre ich den Vornamen Clementine, so denke ich nicht an die Ariel-Klementine, sondern an die Folkballade "Oh My Darling, Clementine". Jene harmonische Tondichtung, die das ein ums andere Mal in Cecil B. DeMille´s UNION PACIFIC angestimmt wird. UNION PACIFIC ist übrigens ein überaus cooles Western-Epos mit Barbara Stanwyck und Joel McCrea. Babsi gibt die Tochter des Lokomotivführer Monahans und kann als selbstbewusstes Mädel mit losem Mundwerk und einem Herz aus Gold die Herzen zweier Männer sowie die des Publikums im Sturm erobern. Von derart erfolgreichen Zuschauereroberungen sind Madeleine Lebeau als Jeannie Lee und José Greci als Clementine Hewitt freilich weit entfernt. Wenngleich sie ihre Rollen sehr wohl passabel spielen. Wer sich die jeweiligen Filmografien der Mädels anschaut, der wird die ein oder andere Hausnummer entdecken. Der Name Clementine wie die Folkballade "Oh My Darling, Clementine" lassen notabene auch eine Linie zu John Fords FAUSTRECHT DER PRÄRIE ausmachen, der im Original MY DARLING CLEMENTINE firmiert und darüber hinaus einen Charakter namens Wyatt Earp zentralisiert.
Einen dito melodiösen Eindruck wie das Musikstück "Oh My Darling, Clementine" hinterlässt das von Angelo Francesco Lavagnino, einem emsigen Filmmusikschaffenden, der manch festlichen Ohrenschmaus kreierte, komponierte Leitmotiv, dass in SCHNELLE COLTS FÜR JEANNIE LEE seine stets wiederkehrenden Einsätze feiert. Eine Melodie mit beachtlichem Ohrwurmpotential.
Wenn der zentralisierte Schauplatz, das Westernstädtchen, schon den Namen Rio Bravo trägt, dann muss dort auch ein Sternenträger walten, der dem Whiskey nicht abgeneigt ist. In der Tat schaut Sheriff Leo Wynn mit Lust und Liebe tief und intensiv ins Glas sowie in die Flasche. Einen Grund hat er nicht. Er lässt sich halt gern vollaufen und erntet damit den Spott von Zack Williams und seinen Handlangern. Die deutsche Synchronisation lehrt uns, dass Leo gemeinsam mit Wyatt Earp im legendären Tombstone-Fight aktiv war.
Besagte Synchro wurde für Kabel 1, die den Film am 05.01.2001 um 2:25 Uhr ausstrahlten, erstellt. Wie ein Groß der späten Tonbearbeitungen kann auch diese von der Cinephon Filmproduktions GmbH erstellte Tonbearbeitung dem Film nicht gerecht werden. Es gibt zwar generell nichts gegen das Dialogbuch einzuwenden, aber die Stimmen von Joachim Tennstedt, Andreas Mannkopff und Co. wirken auf mich unmotiviert und können vermutlich nicht einmal ansatzweise das wiedergeben, was die Verantwortlichen des Aventin Filmstudio München einst unter Mitwirkung von Gert Günther Hoffmann, Arnold Marquis und Herbert Weicker bastelten. Leider durfte ich die Kinosynchronisation bisher nicht kennen lernen, weiß allerdings, dass sich dereinst ein verdienter Italo-Western-Fan eine 35mm Kopie, bei der leider ein Akt fehlt, zulegte.
Was bei der Kabel 1 Ausstrahlung genau gekürzt wurde, kann ich nicht beantworten. Neben den (mir nicht bekannten) fehlenden Szenen fehlt es der TV-Version leider auch am benötigten Nervenkitzel, denn irgendwie wird man nicht wirklich in den Film hineingezogen. Neben der rar gesäten Spannung ist allerdings auch ein eventuell wegen des deutschen Titels erwarteter Klamauk bzw. anstrengender Humor inexistent, was unter dem Strich freilich einer Erleichterung gleichkommt, denn es gibt in der Filmwelt kaum Schlimmeres, als italienische Western, die sich an schlechten Scherzen aufhängen.
Fazit: SCHNELLE COLTS FÜR JEANNIE LEE ist zweifelsohne am Vorbild zahlreicher amerikanischer Westerninszenierungen orientiert, trennt augenfällig zwischen Gut und Böse und ist fortwährend darauf aus, den ergrauten Himmel über Rio Bravo zu vertreiben und stattdessen die Sonne erstrahlen zu lassen. Was in Erinnerung bleibt, ist ein zahmer Vertreter aus der frühen Phase des italienischen Westernkinos, der keine Historie stattfinden lässt und den Namen Wyatt Earp lediglich als Aufmacher nutzt. Nicht wirklich spannend, aber trotzdem - zumindest für IW-Fans - nicht uninteressant.