Nun habe ich das Werk an zwei verregneten Nachmittagen, die meine Nase zudem mit den Säften einer mittelschweren Erkältung vollstopften, durchgearbeitet, und bin, am seinem Ende angelangt, doch mehr positiv als negativ überrascht.
Vielleicht zunächst die Negativa: Meine oben genannten Befürchtungen, dass Doyle Greenes Material-Korpus sich primär (bzw. ausschließlich) aus den US-amerikanischen Synchronfassungen speist, die vor allem K. Gordon Murray Mexploitation-Filme der 50er bis 70er hat angedeihen lassen, bestätigt sich in vollem Umfang. Diverse Vermutungen darüber, wie denn diese oder jene Dialogzeile im Original gelautet haben mag, oder welche Szenen möglicherweise vom ausländischen Produzenten hinzugefügt oder entfernt wurden, lässt schon tief blicken. Dass Greene - immerhin im Jahre 2005! - nicht an die Originalfassungen der von ihm besprochenen Filme hätte herankommen können, kann ich irgendwie nicht glauben. Besonders schade ist das natürlich deswegen, weil sich K. Gordon Murray teilweise exzessive Eingriffe in das ihm zur Verfügung stehende Material erlaubt, und schon mal willkürlich Protagonisten-Namen verändert, Nebenplots der Schere opfert oder Dialoge sinnentfremdet - wobei Greene aber dennoch konsequent die Figuren bei denen ihnen von Murray zugeteilten Namen nennt, und genauso konsequent die englischsprachigen Dialoge zitiert. (Er weist darauf zwar zu Beginn hin, doch fragwürdig finde ich das bei einer mehr oder minder wissenschaftlichen Publikation natürlich schon.)
Mit seiner Fokussierung auf Filme, die es bis auf den US-Markt geschafft hat, geht natürlich auch eine unausweichliche Verengung einher. Mexploitation-Werke, die nicht in einer Exportfassung vorliegen, scheint Greene nur vom Hörensagen zu kennen, d.h. er erwähnt sie zwar, geht jedoch nicht weiter auf sie ein bzw. fasst ihre Plots derart knapp zusammen, dass davon auszugehen ist, er selbst hat sie nie zu Gesicht bekommen. Obwohl sein Text vorgibt, das gesamte Mexploitation-Spektrum von 1957 bis 1977 abzudecken, umfasst es einzig jenen Bruchteil von Filmen dieser zwei Dekaden, die Murray oder andere umtriebige Produzenten für würdig erachtet haben, sie ihrem eigenen Publikum vorzusetzen. Streng genommen ist Greenes Haltung damit keine objektiv-wissenschaftliche, sondern eine kulturell eingefärbte: Er beäugt diejenigen Auswüchse seines Studienobjekts, die Einlass in seine eigene Kultursphäre gefunden haben, und zwar durch die Brille genau jener Kultursphäre, was zwangsläufig dazu führt, dass sein (Sub-)Text andauernd die ethnographisch etwas schwierige Haltung einnimmt, aus einem hermetischen Kosmos A über einen hermetischen Kosmos B zu schreiben. Wenig verwundert da - was ich mir durchaus gewünscht hätte! -, dass Greene mit keinem Satz auf die Frühgeschichte des mexikanischen Horrorfilms in den 30ern und 40ern eingeht - (er kannte die fraglichen Filme, die es nicht in englischer Synchronisation gibt, wohl schlicht nicht) -, und einzig und allein englischsprachige Werke aus den Bereichen Kultur- und Filmwissenschaften als Gewährsmänner und -frauen bzw. Zitat- und Theorienlieferanten heranzieht.
Womit Greene diese Defizite aber locker wieder wettmacht, das sind die Struktur und die glänzenden Feinanalysen, aus denen sich sein Buch hauptsächlich zusammensetzt. Abwechselnd präsentiert Greene eine ausführliche Besprechung ausgewählter Filme sowie zuvor ein Einleitungskapitel, in dem er auf bestimmte kulturelle/historische Eigenheiten Mexikos hinweist - zum Beispiel: ein sich wandelndes Frauenbild in den 50er Jahren, Modernisierungsprozesse seit den 40ern, politische Umbrüche Ende der 60er -, um deren Spuren dann in den Mexploitation-Filmen nachzuweisen. Sein Ansatz ist es, die von ihm behandelten Werke von ihrem Nimbus als debile Trash-Unterhaltung zu befreien, und sie argumentativ zu Spiegeln gesellschaftlicher Entwicklungen Mexikos zu machen. Ganz richtig liegt er damit, dass kein noch so billig produzierter Film außerhalb eines ihn überhaupt erst bedingenden Systems kultureller Zeichen existiert, und dass jeder altbackene Gothic-Spuk, jedes naives Santo-Abenteuer, jeder Affenmensch-Horror auch als Kondensat allgemeiner Tendenzen innerhalb der Gesellschaft, die ihn überhaupt erst hervorbringt, betrachtet werden sollte: Sei es nun in der Frage, wie die mexikanische Umbruchsgesellschaft ihre eigene kolonialhistorische bzw. indigene Vergangenheit aufarbeitet und bewältigt (oder eben nicht), wie sie sich zu Zeiten des Kalten Krieges zur kommunistischen Bedrohung stellt, wie sie beginnt, Frauen einerseits in die öffentliche Sphäre zu integrieren, sie dabei aber zugleich objektiviert und damit wieder exkludiert, wie sie Männerbilder entwickelt, die in Kontrast zu früheren Macho-Rollenschemata stehen - das alles, wie gesagt, untermauert von Filmen, deren Budget so groß ist wie mein Taschengeld früher, und in denen maskierte Wrestler weiblichen Dr. Frankensteins die Fresse polieren, entlaufene Affenmoster Frauenherzen klauen und gehirnfressende Monstren mit langen Penetrations-Zungen aus abgestürzten Kometen krabbeln.
Während diese kulturhistorischen Passagen vergleichsweise theorielastig sind, werden sie stets aufgelockert von mit feiner Ironie durchsetzten, absolut launig geschriebenen Analysen einer Handvoll Filme, die Greene für das jeweilige Phänomen besonders symptomatisch erscheinen: Der anbetungswürdige EL BARON DEL TERROR bekommt genauso eine teilweise Szene für Szene studierende Analyse wie der ebenso in den Rang einer Gottheit gehörende EL HORRIPILANTE BESTIA HUMANA sowie ein paar der unausweichlichen Santo-Vehikel. Klassischer Gothic Horror interessiert Greene weniger, dafür legt er viel Gewicht auf jene Hybriden, die Wrestling mit B-Movie-Versatzstücken kombinieren - (weshalb man auch sehr viel Informatives über die Rolle des sogenannten lucha libre in der mexikanischen Gesellschaft bzw. dessen Auftreten im Fernsehen oder in Comics erfährt.) Gerade in Greenes Feinanalysen ist es, als würde man sich mit ihm zusammen den fraglichen Film noch einmal anschauen - und man wird, wie in der vorzüglichen EL-BARON-DEL-TERROR-Besprechung, die für mich besonders herausgestochen hat, auf Details hingestoßen, die einem selbst bei der Erst-Sichtung entgangen sind. Greenes Stil ist dabei nie verkopft, verliert sich nie - wie meiner manchmal - in allzu abstrakten Gedankengängen, sondern ist konzentriert, auf den Punkt, dabei ab und zu genauso witzig wie die Filme, die er in Worte übersetzt, und, wie gesagt, problemlos dazu geeignet, flüssig an zwei Nachmittagen wie von selbst duch die Augen in den Kopf zu rauschen.
Alles in allem kann ich MEXPLOITATION CINEMA nur jedem empfehlen, der nach einem Grundlagentext zu dem Thema sucht. Es ist ein pointierter, stringenter, leicht bekömmlicher Einblick in die wunderschöne Welt des Genre-Kinos südlich der US-Grenze - nicht mehr, aber sicher auch nicht weniger.