Italian Horror Cinema - Stefano Baschiera, Russ Hunter (Hg.) - 2006

Stoff für Leseratten

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3069
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Italian Horror Cinema - Stefano Baschiera, Russ Hunter (Hg.) - 2006

Beitrag von Salvatore Baccaro »

9781474419680.jpg
9781474419680.jpg (44.88 KiB) 426 mal betrachtet

Endlich habe ich mir nun auch den Sammelband ITALIAN HORROR CINEMA zu Gemüte geführt, der 2016 von Stefano Baschiera und Ross Hunter bei der Edinburgh University Press herausgegeben worden ist.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wollen die dreizehn beteiligten Film- und Medienwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen einige in der akademischen Forschung bislang vernachlässigte Aspekte des italienischen Genrekinos beleuchten, wobei, wie bei solchen Publikationen üblich, die Bandbreite der Beiträge freilich von höchstinteressanten, mir neue Blickwinkel erschließenden Artikeln bis hin zu kaum goutierbaren, hochtrabenden Elfenbeinturm-Tiraden reicht.

Letztere sind indes glücklicherweise bei Weitem in der Minderzahl, und im Grunde haben mir nur zwei Beiträge ernsthafte Magenkrämpfe bereitet. Beide sind bezeichnenderweise Dario Argento gewidmet, dem damit, wenig verwunderlich, der Löwenanteil an Beachtung zufällt. In „The Argento Syndrome“ unternimmt Marcia Landry den (meiner Meinung nach) wenig geglückten Versuch, Argentos „Aesthetics of Horror“ in intellektualistischster Weise mit divergenten Theoretikern wie Antonio Gramsci, Jean Vigo oder Antonin Artaud in Bezug zu setzen, wobei das Ergebnis eher wie eine Aneinanderreihung von runtergebrochenen, (im Falle Artauds auch reichlich verkürzten), Theoriebausteinen wirkt, die viel zu kursorisch ausfallen und viel zu lose mit dem Oeuvre Argentos verbunden sind, sodass sich mir teilweise gar nicht erschlossen hat, worauf die Autorin eigentlich gerade konkret hinausmöchte. Noch schlimmer steht’s um den Text „Scrap Metals, Stains, Clogged Drains: Argento’s Refuse and its Refusals“ von Karl Schoonover, den man als ein Paradebeispiel für verkopfte Wissenschaftsprosa heranziehen könnte, die sich durch komplexe Satzstrukturen, Fachtermini-Overkill und krude Argumentationslinie selbst ein Unverständlichkeitsbein stellt. Nichts gegen blumige Ausflüge und wildes Plündern im Fundus lebensferner Theoriemodelle, (wessen ich mich ja selbst oft genug schuldig mache), - doch einige von Schoonhoves Thesen zum „Moment der Verschwendung“ in ausgewählten Argento-Filmen lauten beispielweise: „Waste in Argento is not a passageway to a modernist abandonment of representation“ oder „Waste is not about excess in any typical fashion in Argento. Its presence in the image denotes neither a surfeit of style nor an overindulgent aestheticism" oder "Argento's waste image isn't a critique of consumerism's apocalyptic aftermath but of its central gestures of acquisition and accumulation, such as owning, needing, monetising and hoarding." Ehm, okay…

Ansonsten aber bietet das 220 Seiten starke Bändchen einen hübschen Panoramablick über den Italo-Horror von der Stummfilmzeit bis hin zu Filmen des 21. Jahrhunderts à la AMER, die ein Revival des Genres betreiben. Russ Hunter beispielweise begibt sich in „Preferisco L’Inferno“ auf Spurensuche nach einer verschollenen italienischen FRANKENSTEIN-Verfilmung aus den 20ern, von der heute nur noch ein paar Presseinformationen und Standphotos erhalten sind; Craig Hatch nähert sich aus musikwissenschaftlicher Sicht dem „Horror of progressive rock“ in Goblin-Soundtracks der 70er; Leon Hunt erschloss mir in „Kings of Terror, Genuisses of Crime“ ganz neue Facetten des Konnex zwischen horrorlastigen Erwachsenen-Comics (aka Fumetti Neri) und den Gialli der 60er.

Besonders gelungen empfand ich Beiträge wie Francesco Di Chiaras Schlaglicht auf die „Modes of Production of the 1960s Italian Horror Film“, worin der Autor luzide herausstellt, inwieweit der Italo-Gothic-Horror der 60er primär für den ausländischen Markt produziert worden ist; oder Stefano Baschieras Auseinandersetzung mit der Krise, die den italienischen Genre-Film in den späten 80ern befällt, und zu einem „Italian Horror Cinema of Imitation“ führt, das seine Originalität endgültig gegen Pastichen von erfolgreichen US-Filmen eintauscht; oder Adam Lowensteins wunderbare Feinanalyse von Mario Bavas ECOLOGIA DEL DELITTO und dem ersten FRIDAY-THE-13TH-Teil unter dem Oberbegriff einer „Subtractive Spectatorship“, wobei er in sehr klugen Passagen sowohl auf einen politisch/filmhistorischen Subtext in Bavas Proto-Slasher eingeht wie auch relativ sinnfällig die Mimikry-Theorie Robert Caillois' einbindet. Paolo Noto wiederum gräbt in „Italian Horror Cinema and Italian Film Journals of the 1970s” einige wahrhaft aufsehenerregende Kritiken zu Werken von Bava, Margheriti oder Fulci aus, die in politisch motivierten, (zumeist linken bis neo-marxistischen), Filmzeitschriften publiziert worden sind und allesamt mit den behandelten Filmen wenig positiv ins Gericht gehen, und Mark Bernard verschreibt sich einem meiner persönlichen Leib-und-Magen-Themen, wenn er in „Animal Cruelty and Death in Italian Cannibal Films“ den Mondo-Sensibilitäten dieses verpönten Subgenres anhand von Tier-Snuff-Szenen nachspürt, (und mir damit einige hilfreiche Handreichungen zu einem diesem Thema zugestandenen Kapitel in meiner eigenen Dissertation geben konnte.)

Alles in allem eine anregende Lektüre, und für ein Akademie-Buch zu einem solchen Orchideenthema tatsächlich vergleichsweise preisgünstig zu erstehen...
Antworten