Wow, das war großartig! Den ganzen Abend war die Vorfreude selbstredend schon kaum auszuhalten und sie erreichte ihren Zenit, als ich auf meinem Platz in der Stadthalle saß und auf das Eintreffen von Maestro Ennio wartete. Das Programmheft hatte ich in der Hand: Wir konnten uns laut diesem auf einige tolle Nummern freuen. Daneben gab es auch einige, die mir nichts sagten und ein paar Hits werden sie wohl auslassen, unter anderem den großartigen Metti, una sera a cena, was mich sehr traurig stimmte.
Bevor es losgeht wird ein Interview mit Ennio auf einer Leinwand gezeigt, das ich ein wenig unnötig fand, weil ich mir Interviews mit Morricone genauso gut auf Youtube ansehen könnte, und dort sind sie dann 1. um 90€ billiger und 2. mit Thomas Gottschalk. Aber hey, geschadet hat‘s auch nicht und jetzt kommen nacheinander Chorleute und Musiker und bekommen halt allesamt den Standartapplaus, aber von Morricone ist noch nichts zu sehen. Dann kommt eine Art Manager auf die Bühne und beginnt einen Satz mit „Wir müssen Ihnen leider mittteilen, dass Ennio Morricone an Ischias-Beschwerden leidet und deshalb…“
Da ist natürlich die Sorge im Publikum extrem groß und alle überlegen sich schon, ob sie ihr Geld zurückbekommen können, wenn Ennio wegen seiner Gesundheit nicht kann. Aber der Maestro lässt sich von so einem Gebrechen doch kein Konzert entgehen! Der Manager erklärt, dass Ennio wohl kommt, aber halt im Sitzen dirigieren muss. Und kaum hat er das gesagt kommt auch schon Ennio und der Saal explodiert in Applaus!
Und es wird dunkel und Morricone beginnt: Der Starter ist The Untouchables, was den ganzen Saal gleich mal so richtig aufheizt, eine Hitze, die so stark ist, dass sie auch während dem langsameren aber großartigen Es war einmal in Amerika bestehen bleibt. Gefolgt wird dieses von einigen anderen ziemlich tollen Sachen, unter anderem Der Clan der Sizilianer.
Dann sollte laut Programmheft eine Filmmusik kommen, von der ich noch nie gehört habe, irgendwas namens Circle of Love!? Und auf der Leinwand neben der Bühne erscheint auch der Schriftzug Circle of Love. Und ich bin neugierig, weil ich von diesem Film noch nie gehört habe. Und Morricone hebt seinen Dirigentenstab. Und die ersten Musiker beginnen zu spielen. Und kaum höre ich die ersten Töne kommt die Erkenntnis: Das ist METTI, UNA SERA A CENA!!!
Circle of Love ist wohl der englische Titel oder so. Augenblicklich wich die Überraschung einfach nur purer Begeisterung, ich saß während der ganzen Nummer mit einem übertriebenen Dauergrinsen auf meinem Platz. Man könnte jetzt argumentieren, dass das Stück ohne Sängerin nicht ganz so ergreifend ist, aber den Text habe ich sowieso in meinem Kopf mitgesungen. Super!Nach dem tollen Maddalena kommt dann das, worauf schätzungsweise 85% der Anwesenden hauptsächlich gewartet haben, nämlich der Western-Block, beginnend mit dem Titel-Thema aus Zwei glorreiche Halunken. Das live zu hören war einfach atemberaubend, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sitze da, schau Ennio an und bin einfach glücklich. Irgendwann beginnt sich Ennio dann in ein Licht am Ende eines Tunnels zu verwandeln und mir fällt ein, dass ich aus Euphorie ganz vergessen habe zu atmen. Aber keine Sorge, ich hab’s dann gleich nachgeholt und deswegen lebe ich jetzt noch.
Anyway, gefolgt wird diese phantastische Nummer von Spiel mir das Lied vom Tod, Todesmelodie und dem grandiosen The Ecstasy of Gold. Alles ganz großartig nur leider endet dann der Western-Block. Wenn ich an diesem jedoch etwas kritisieren muss, so wäre dies 1. zu kurz, 2. zu früh und 3. zu konzentriert. Ich meine, die Western-Melodien sind die, welche die meisten Leute kennen und da sprech ich nicht für mich, sondern auch für all jene, die ich nach der Vorstellung reden hörte und die meisten haben sich beschwert, dass Für eine Handvoll Dollar nicht gekommen ist. Davon abgesehen waren halt alle Western nacheinander und das gerade mal bei der Hälfte des Konzertes. Hey, Ennio, Corbucci-Filme existieren auch, bitte nicht vergessen.
Naja, aber grandios war’s trotzdem und Morricone lässt uns keine Zeit zur Trauer, dass jetzt die Western vorbei sind, denn gleich als nächstes kommt Chi Mai, das selbstverständlich total die Hütte rockt. Cinema Paradiso danach ist auch immer nett und nützlich um nach der Euphorie der Western und Chi Mai wieder etwas runterzukommen. Und dann beginnt endlich der Block, den sie mit Social Cinema betitelt haben:
Viele coole Sachen darin, besonders Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, der einfach immer ein Highlight ist und noch besonderer Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies, das mit seinen hämmernden Tönen einfach eine tausendmal ergreifendere Wirkung im live-Konzert hatte, als aus meinem MP3-Player kommend. Es war einfach nur grandios!
Dann wird es wieder ein wenig ruhiger: Zuerst die Tartarenwüste – okay – dann Richard III., der das Publikum sofort in einen hypnotischen Bann zieht und dann… ein Stück aus The Mission.
Hier ein paar Gedanken zum Soundtrack von The Mission: Er ist grandios und hätte den Oscar damals mehr als verdient. Zum Film ist er natürlich besonders atemberaubend, aber auch ohne geht er gut ins Ohr. Er ist ein wunderbares Kunstwerk, auch wenn man ihn mit anderen Meisterwerken Ennios vergleicht. Und er ist so ästhetisch, dass er auch bei leichter Müdigkeit noch ziemlich gut kommt. ABER wenn man ihn sowohl vom Film getrennt, als auch am Ende des Abends, wenn alle schon müde sind, als auch im direkten Vergleich zu solchen Megahits wie Zwei glorreiche Halunken oder Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies hört, kann er unter Umständen ein kleinwenig langweilig sein (genossen habe ich ihn trotzdem, aber beispielsweise ein Bekannter von mir, der auch da war, hat zehn Minuten nach dem Konzert nichts anderes gemacht, als über The Mission zu schimpfen).
Jedenfalls spielt Ennio dieses eine Thema aus The Mission und der Saal wird wieder etwas schläfrig. Aber das ist kein Problem, denn danach wird er sicher irgendwas Flottes spielen, was alle sofort wieder aufweckt. Was hatten wir noch nicht? Als die Frauen noch Schwänze hatten vielleicht? Oder wie wär’s mit Wenn du krepierst – lebe ich? Oder wenn diese Titel nicht konzerttauglich klingen, was hältst du dann von Von Angesicht zu Angesicht oder der Gehetzte der Sierra Madre? Nein, nein, nein und nein. Nach The Mission spielt er… eine zweite Nummer aus The Mission.
Okay, ich mein, ja, gute Nummer. Wenn er jetzt eher auf der langsamen Schiene fahren will, wie wär’s mit ein paar Giallo-Sachen als nächstes. Vielleicht Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, Das Geheimnis der grünen Stecknadel oder A Lizard in A Woman’s Skin? Nein, nein und nein. Nach den beiden Nummern aus The Mission spielt er… eine dritte Nummer aus The Mission.
Ja, ich mein, verständlich, immerhin ist das sein Oscarfilm. Und die Nummern sind ja auch alle extrem cool. Aber vielleicht zum Abschluss wieder was euphorisierendes. Ein paar Corbucci-Western vielleicht? Ich mein, für Corbucci hat Ennio einige seiner coolsten Soundtracks geschrieben: Die Grausamen, Navajo Joe, Mercenario – Der Gefürchtete, Lasst uns töten, Companeros; irgendwas davon vielleicht? NEIN! Nach den drei Nummern aus The Mission spielt er… Nichts, weil das Konzert aus ist.
Da denken ich und ausnahmslos alle anderen Leute in der Stadthalle (ich kann Gedanken lesen, daher weiß ich das): Wow, das waren drei echt coole Nummern aus The Mission, aber trotzdem hätte ich mir als Abschluss irgendwas anderes gewünscht. Eins von seinen Evergreens. Ich klatsch jetzt ganz laut, vielleicht ist er so nett und spielt als Zugabe nochmal das Thema von Zwei glorreiche Halunken.
Und der ganze Saal klatscht ganz laut, gibt Standing Ovation. Und der Saal wird wieder dunkel und Ennio hebt seinen Dirigentenstab und er spielt… Chi Mai!
Cool, Chi Mai rockt wieder total die Hütte, ganz grandios. Ich sag’s ja immer: Geigen und Schlagzeug ist die beste Kombination, die man haben kann. Wegen dieser Kombination sind Leute wie Ennio Morricone oder Riz Ortolani heutzutage auch viel berühmter als frühere Maestros wie Mozart oder Beethoven. Anyway, alle freuen sich über Chi Mai. Aber trotzdem wär es doch nett, nochmal Zwei glorreiche Halunken zu hören. Also klatschen wieder alle ganz laut, geben Standing Ovation und tatsächlich: Das Licht geht aus, der Chor erhebt sich, Ennio hebt den Dirigentenstab, die ersten Töne klingen schon nach Western und er spielt…The Ecstasy of Gold. WUNDERBAR! Grandiose Nummer, hat mich sehr gefreut, die nochmal zu hören.
Das wird’s jetzt wahrscheinlich gewesen sein. Ennio ist ja auch schon betagt, da will man nach so einem Abend möglichst schnell zu seiner Tasse Kräutertee kommen. Toll, dass er seinem Ischias trotzend überhaupt zwei Zugaben gegeben hat. Eine dritte wird wohl nicht mehr kommen. Oder… ODER... Die Lichter gehen aus! Der Chor erhebt sich!!! Ennio hebt den Dirigentenstab!!!!!!! Könnte es sein, ist es möglich, darf ich doch noch mal Zwei glorreiche Halunken hören?!?!?!?!? Still wird’s im Saal, Ennio dirigiert und er spielt… THE MISSION.
Soviel zum Ablauf. Es war – trotz Mission-Overload – ein durch und durch grandioser Abend. Ganz phantastisch, einmalig und wunderbar. Nach den Nummern beim Applaus wurde Ennio immer groß auf die Leinwand-projiziert. Ob er das gemerkt hat oder nicht, weiß ich nicht, denn er hatte immer sein konzentriertes Grießgram-Gesicht drauf. Einzige Ausnahme war, als sich die hübsche Sopranistin von ihm verabschiedet hat, da hat er dann den Italiener in sich raushängen lassen. Nochmals auch ganz großes Lob, dass er trotz seines Alters (und Ischias) so wunderbar war, Ennio ist einfach supercool.
Und es gibt noch eine gute Nachricht: Weil ihn der Stadthallen-Manager gestern zu Mittag auf ein Wiener Schnitzel eingeladen hat und das ihm so gut geschmeckt hat, dass er unbedingt wiederkommen mag (offizielle Erklärung: Aufgrund der großen Nachfrage) wird das Konzert in einem Jahr wiederholt. Wer also nach extrem guten Ausreden für einen Wien-Urlaub sucht…
