Everyday Rebellion - Arash und Arman T. Riahi (2013)

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Everyday Rebellion - Arash und Arman T. Riahi (2013)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Everyday Rebellion

Herstellungsland: Österreich / Schweiz (2013)

Regie: Arash und Arman T. Riahi

[BBvideo 425,350][/BBvideo]
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Everyday Rebellion - Arash und Arman T. Riahi (2013)

Beitrag von buxtebrawler »

Die in Österreich lebenden Exil-Iraner Arash („Nerven Bruch Zusammen“) und Arman T. Riahi („Schwarzkopf“) sind Brüder und mussten in den 1980ern mit ihren Eltern aus dem Iran fliehen, weil diese es gewagt hatten, sich an Protesten gegen die Regierung zu beteiligen. Als erwachsene Filmemacher begaben sie sich, inspiriert von den zahlreichen Protestbewegungen der jüngsten Zeit gerade auch in arabischen Ländern, für ihren als Teil eines Crossmedia-Projekts angelegten Dokumentarfilm „Everyday Rebellion“ in die verschiedensten Orte der Welt, um die unterschiedlichsten Formen friedlichen Widerstands und zivilen Ungehorsams zu dokumentieren und zu einer inspirierenden Collage zusammenzufügen. Der Film wurde in österreichisch-schweizerischer Koproduktion realisiert, 2013 veröffentlicht und erfuhr im Spätsommer 2014 seine Deutschlandpremiere.

Laut eigenem Bekunden hatten die Riahis um ein Vielfaches über das übliche Maß hinausgehendes Filmmaterial angesammelt, das es auszuwerten, zu sortieren und zu schneiden galt – mit dem Ergebnis, dass der erste Rohschnitt noch immer über fünf Stunden ging. So musste für das rund zweistündige Endergebnis weiter radikal aussortiert und gekürzt werden, um es auf kinotaugliche Länge zu trimmen. Herausgekommen ist ein Film voller faszinierender Originalaufnahmen, der mit aus dem Off geflüsterten Auszügen aus dem spanischen „Manifest 15M“ beginnt und fortan zwischen den verschiedensten Orten und Bewegungen pendelt. Angefangen bei den spanischen „Indignados“, die sich u.a. gegenseitig dafür einsetzen, Zwangsräumungen etc. zu verhindern, über die „Occupy Wallstreet“-Bewegung in den USA und die feministischen „Femen“-Aktivistinnen bis hin zu den Protesten im Iran und in Syrien sowie dem arabischen Frühling. Ausschlaggebend für die Berücksichtigung war, dass der kleinste gemeinsame Nenner all dieser Rebellionen letztlich die Achtung der Menschenrechte ist und auf Gewalttätigkeit verzichtet wird. Dieser pazifistische Ansatz zieht sich durch den gesamten Film. Kreative, gewaltlose Protestformen werden hervorgehoben und auch in ihrer Planung und Vorbereitung gezeigt, wobei auch allen Umständen zum Trotz der Humor sowohl der Macher hinter den Aktionen als auch der Aktionen selbst nicht zu kurz kommt, was sämtliche Vorstellungen knochentrockener politischer Materie oder hasserfüllter Straßenkämpfer Lügen straft. „Everyday Rebellion“ konzentriert sich dabei i.d.R. auf einzelne Protagonisten und begleitet diese über einen gewissen Zeitraum, kommt nach seinen Schauplatzwechseln immer wieder auf sie zurück, springt zwischen den verschiedenen Orten. So erfährt der Zuschauer beispielsweise, wie der Kampf um die Wohnung eines armen Spaniers ausging, wird aber auch Zeuge, wie die ukrainische „Femen“-Aktivistin Inna Schewtschenko sich schließlich gezwungen sieht, ihre Heimat gen Paris zu verlassen, wo sie jedoch weitere Mitstreiterinnen rekrutiert und trainiert.

Am beeindruckendsten sind wohl die Bilder aus arabischen Staaten, wo trotz aller Gefahren gutgelaunte Protestler auf die originellsten Ideen kommen, dem Regime ein Schnippchen zu schlagen, sei es durch beschriftete Tischtennisbälle, die zu Hunderten plötzlich durch die Städte springen, oder Luftballons, die beim Zerplatzen Flugblätter herniederregnen lassen. Selbst in abgelegenen Flüchtlingscamps gelingt es, kämpferische Bilder einzufangen. Diese positive Energie und Aufbruchsstimmung ist einer der roten Fäden des Films und exakt diese möchten die Riahis vermitteln. Als Zuschauer fällt es schwer, sich dem zu entziehen. „Everyday Rebellion“ funktioniert in erster Linie über die (nicht wertend gemeinte) Manipulation des Zuschauers in emotionaler Hinsicht, weniger als politische Faktensammlung. So werden immer wieder bewusst berührende Bilder eingestreut, werden Stimmungen musikalisch unterstrichen etc. Die genauen Hintergründe der einzelnen Protestbewegungen, ihre Anlässe, Motive und Ziele, werden allzu oft als entweder bereits bekannt vorausgesetzt oder sollen vom durch den Film interessierten Zuschauer selbst recherchiert werden. Für eine nüchterne, differenzierte Betrachtung der einzelnen Gruppen bleibt ebenso keinerlei Raum wie für eine kritische Auseinandersetzung – für die sich extrem polarisierende Gruppen wie „Femen“ geradezu anbieten würden, wenn die Frage im Raum steht, wieviel Hang zur Selbstdarstellung bei den Damen eigentlich eine Rolle spielt. Und auch, wie schnell sich bei aller Niedrigschwellig- und Hierarchielosigkeit der Protestbewegungen einzelne Führungspersönlichkeiten herauskristallisieren, denen andere im wahrsten Sinne hinterherrennen oder Vorgegebenes papageienartig wiederholen, wäre zumindest einer kritischen Betrachtung wert gewesen – immerhin sind es diese Phänomene, die sicherlich nicht nur mir als Autoritätsskeptiker die Teilnahme an manch Aktion mit ernsthaften gesellschaftspolitischen Zielen erschweren. Spätestens wenn gewagte, angeblich statistisch belegte Behauptungen hinsichtlich des Erfolgs bzw. Versagens friedlicher bzw. Gewalt nicht ausschließender Proteste aufgestellt werden oder gebildete Mittelschichtler sich dazu erkoren fühlen, für (vermeintlich?) unterprivilegierte Analpabeten eine Beschützerposition einzunehmen, wäre eine differenziertere Auseinandersetzung wünschenswert. Andererseits jedoch ist es Konzept des Films, ausschließlich Originalaussagen zu sammeln, ohne diese nachträglich zu kommentieren. Diese werden stets unsynchronisiert, jedoch untertitelt wiedergegeben, bleiben also im Zweifelsfall nachprüfbar.

Die angeratene Auseinandersetzung wiederum kann indes problemlos nachträglich durch den Zuschauer erfolgen, der „Everyday Rebellion“ nicht als sozialromantische Nabelschau selbsternannter Revoluzzer betrachten sollte, sondern dazu aufgerufen ist, gerade auch sein eigenes Potential zu erkennen, sein Bewusstsein für die Vorgänge in der Welt und die Möglichkeiten, ihnen zu begegnen, zu schärfen und eigene Fragen zu formulieren, nach Antworten zu suchen und (dadurch) interessante Perspektiven kennenzulernen. Unterm Strich ist „Everyday Rebellion“ eine beeindruckende Collage jüngster Protestbewegungen über kulturelle und ideologische Grenzen hinaus geworden, in die erkennbar nicht nur unfassbar viel Aufwand, sondern ebenso viel Herzblut geflossen ist, die ansprechend geschnitten wurde, dadurch über die volle Distanz spannend bleibt und den eigenen Horizont erweitert. Was ihr jedoch stets mitschwingt, ist die meines Erachtens etwas naive Vorstellung, durch gewaltlose Aktionen über kurz oder lang tatsächlich die Welt entscheidend ändern zu können – und daran hege ich in all meiner Desillusion dann doch so meine Zweifel, denn sollte es irgendwann tatsächlich hart auf hart kommen, rollen ganz schnell wieder die von den Reichen und Mächtigen finanzierten Panzer, unter die geraten einem all das politische Bewusstsein auch nicht mehr viel hilft.

Damit möchte ich das Engagement der Riahis aber keinesfalls geschmälert wissen, denen angesichts immer schneller stattfindender lokaler wie globaler Entwicklungen von vornherein bewusst war, wie schnell ihr eigener Film nicht mehr aktuell sein würde, weshalb sie innerhalb des Crossmedia-Konzepts die Möglichkeit schufen, auf http://www.everydayrebellion.net/wall/ weitere, aktuelle Informationen zu bekommen, zu teilen, zu kommentieren etc. Die Kinopremiere am rabattierten „Kinotag“ des Hamburger Abaton-Kinos nahmen beide zum Anlass, persönlich vor Ort zu sein und anschließend dem Publikum Rede und Antwort zu stehen – eine klasse Aktion, die auf viele offene Ohren stieß.
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