Gruß vom Krampus - Christine Neudecker (2018) [Doku]

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Gruß vom Krampus - Christine Neudecker (2018) [Doku]

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Krampus.jpeg
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Originaltitel: Gruß vom Krampus

Produktionsland: Österreich 2018

Regie: Christine Neudecker

Cast: Krampusse und Perchten aus der Alpenrepublik


Dinge, mit denen ich mein derzeitiges Krampus-Fieber zu lindern versuche: 1) Obskure Dungeon-Synth-Projekte mit Krampus-Thematik auf Bandcamp suchen und finden; 2) mein Umfeld mit verstörenden und/oder verzückenden Motiven von Vintage-Krampus-Postkarten zuballern, 3) einen Dokumentarfilm namens GRUSS VOM KRAMPUS aus dem Jahre 2018 streamen, in dem die Salzburger Regisseurin Gabriele Neudecker dem Phänomen eineinhalb Stunden lang auf den Grund zu gehen versucht.

Neudeckers Ansatz ist der einer konventionellen Talking-Heads-Reportage: Zahllose Menschen, die auf unterschiedlichste Weise mit Krampussen verbandelt sind, bittet Neudecker vor ihre Kamera, um sie von ihrer Beziehung zu der Schreckgestalt berichten zu lassen, die sowohl in Österreich wie Bayern, aber auch Teilen Osteuropas traditionellerweise den Heiligen Nikolaus begleitet, um denjenigen Kindern, die es aufgrund ihres Betragens nicht verdient haben, dass man sie beschenkt, die Ohren langzuziehen. Oral History betreiben in GRUSS VOM KRAMPUS natürlich zuallererst Mitglieder sogenannter „Passen“, das heißt, Vereinen, die Krampus- und Perchtenläufe organisieren; aber auch eine Historikerin kommt zu Wort, die die heutige Figur des Krampus auf drei unterschiedliche Ursprünge zurückführt, nämlich a) Mittelalterliche Nikolausspiele, b) den Venezianischen Karneval und c) die mythische Frau Percht, eine janusgesichtige Dame, die die Vorhandensein von hellen und dunklen Elementen in jeder Menschenseele verkörpern soll; ebenso darf eine Handvoll Krampuslaufbesucher und -besucherinnen von ihren nicht selten traumatischen Kindheitserfahrungen mit dem langzungigen, bocksbeinigen, hornbewehrten Unhold erzählen, wenn ihre jüngeren Ich's allein vom sich nähernden Glocken- und Schellengeläut der Monstren um den Schlaf gebracht worden sind.

GRUSS VOM KRAMPUS möchte dabei so viele verschiedene Positionen und Aspekte des Themas wie möglich vereinen, wobei sich die Sichtweisen der interviewten und begleiteten Personen mitunter diametral gegenüberstehen: Während beispielweise eine Dame vom Schock berichtet, den sie als junges Mädchen beim Anblick eines als Krampus verkleideten Erwachsenen empfunden habe, konstatiert ein anderer Herr, dass man es als Kind einfach mal brauche, von derartigen Horrorspektakeln in den Grundfesten erschüttert zu werden, quasi als erzieherische Maßnahme zur Eindämmung etwaig vorhandener kriminellen Enerigen; während in progressiveren Passen inzwischen auch längst, was in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten undenkbar gewesen wäre, Frauen in Krampuskostüme schlüpfen dürfen, mokiert sich ein Greis, der noch im fortgeschrittenen Alter als zottelige Bestie umherzieht, darüber, dass mancher Krampusverein mittlerweile auch dem weiblichen Geschlecht offenstehe, wo doch eigentlich nur ledige, das heißt, unverheiratete und kinderlose, Mannsbild die Verwandlung in einen Krampus erlaubt sei; während mancher größere Krampuslauf einem modernen Effektspektakel, einer kunterbunten Zirkus- und Pyro-Show gleicht, zu dem internationale Gäste aus der Tschechei und gar aus Florida anreisen, widmen sich kleinere Ortsgrüppchen ihrem Freizeitvertreib noch ganz im Stil ihrer Vorfahren, schnitzen ihre Masken selbst, legen Kuhschwänze in Salz ein, um besonders haukräftige Ruten zu generieren, sorgen dafür, dass die Ziegenhäute, aus denen ihre Kostüme bestehen, einen kräftigen Stall-Odeur ausströmen, und lehnen es grundheraus ab, dass zeitgenössische Krampuskostüme über Augen verfügen, die mittels bunter LED-Lichter blinken, (wobei derartige modische Auswüchse von den Reformfeinden auch gar nicht mehr als Kramperl, sondern despektierlich als „Orks“ abgekanzelt werden.)

Weitere interessante Stationen dieser sehr dichten, aber auch sehr willkürlich von Lokalität zu Lokalität, von Szenario zu Szenario, von Materie zu Materie springenden Dokumentation sind Krampus-Angstseminare, bei denen die Opfer Schwarzer Pädagogik nachträglich von ihrer Krampus-Phobie geheilt werden sollen, beziehungsweise der Besuch mehrerer Passen-Mitglieder im örtlichen Kindergarten, wo den Kleinsten die Angst vor den Höllenviechern genommen werden soll, bevor diese sich überhaupt konstituieren kann, ("schau, da ist nur ein Mensch unter der Maske!"); des Weiteren wird auf die Ausschreitungen hingewiesen, die manchen Krampuslauf vor allem in früheren Zeiten begleiteten, und eine Truppe Ordner vorgestellt, die während der Läufe nicht etwa nur das Publikum vor etwaigen Krampusattacken schützen, sondern vor allem auch die Krampusse schadlos vor Übergriffen der Zuschauer halten sollen; aufschlussreich sind mehrere Brauchtums-Exkurse, die pointiert darüber aufklären, was denn eigentlich der genaue Unterschied zwischen Krampus und Perchten ist, oder dass Krampusläufe in der Vergangenheit für Bewohner entlegener Alpendörfer oftmals die erste und einzige Gelegenheit lieferten, im Korsett karnevalesken Treibens mit dem jeweils anderen Geschlecht auf Tuchfühlung gehen zu können; ein bisschen werden auch die biographischen und beruflichen Hintergründe einiger Krampusläufer aufgedeckt; wir dürfen bei einem Flohmarkt für Perchten- und Krampus-Garnituren reinschauen; wir erfahren, dass während der Rauhnächte die Tiere im Stall miteinander flüsternd Prophetien austauschen, die ihre menschlichen Besitzer betreffen; lauschen amüsanten Anekdoten wie derjenigen, die ein Herr davon zum Besten gibt, wie ein kleiner Bub bei seinem ersten Zusammentreffen mit einem Krampus freudig in dessen Fell gefasst und „Wau! Wau!“ gerufen habe.

Störend ist mir eigentlich nur aufgestoßen, dass Texteinblendungen gänzlich fehlen, die darüber informieren würden, wer das denn nun eigentlich gerade ist, die oder der zum Interview gebeten wird: Sicher, bei vielen Menschen erschließt sich das aus dem Kontext, doch gerade beim Wissenschaftspersonal hätte ich es doch begrüßt, über die Provenienz der jeweiligen Person aufgeklärt zu werden. Auch, dass einige Interviewgäste ihre Texte sichtlich von Tafeln außerhalb des Bildkaders ablesen, und dies in ihrem Sprachduktus nicht verhehlen wollen oder können, mag man als Manko anführen. Ansonsten ist GRUSS VOM KRAMPUS ein interessanter Einblick in sein Sujet, ein Panoramaschwenk über alle denkbaren und undenkbaren Dinge, die mit dem Alpendämon in Verbindung stehen, ein Füllhorn an Stimmen, Meinungen, Blickwinkeln, die zwar keinen Aspekt wirklich tiefschürfend erhellt, dafür aber so ziemlich alle Emotionen und Gedanken sammelt, die der Krampus in einem hervorrufen kann.
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Salvatore Baccaro
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Re: Gruß vom Krampus - Christine Neudecker (2018)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Die auf 45 Minuten zurechtgestutzte Fernsehfassung des ursprünglich fürs Kino produzierten Films kann man derzeit hier besehen:

https://www.servustv.com/volkskultur/v/aa-24bwqjh5h2112/
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