Otmar Bauer Zeigt - Otmar Bauer (1969)

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Salvatore Baccaro
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Otmar Bauer Zeigt - Otmar Bauer (1969)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Otmar Bauer zeigt

Produktionsland: Österreich 1969

Regie: Otmar Bauer

Darsteller: Otmar Bauer
Kürzlich, als ich am Vorabend einer langen Reise, von der ich wusste, dass sie selbst dann stressig werden wird, wenn alle insgesamt sechs Anschlüsse nahtlos ineinandergreifen würden – was sie dann natürlich nicht taten, und stattdessen ein ICE gleich komplett ausfiel -, beschloss, mich einfach erst gar nicht schlafenzulegen, sondern auf gepackten Koffern die Morgensonne abzuwarten, entdeckte ich auf Youtube einen Kanal, der mich sofort faszinierte, irritierte, amüsierte. Gegründet wurde er am 22.September 2013 noch unter dem Namen „Style Dein Bart“. Im Grunde enthält der bereits alles, was man seinerzeit über den Inhalt wissen musste: Said, wie der Kanalbetreiber heißt, erklärt in kurzen, technisch wenig aufwendigen Videos, wie man sich als Mann eine stylische Bartfrisur zulegt, angefangen von „Streifen Style“ über „Zickzack Style“ bis hin zu „Batman Style.“ Im Juni 2014 erfolgt dann ein jäher Bruch in diesem bewährten Rezept: Der gebürtige Afghane ändert seinen Youtube-Namen zu „Said Challenge“ und erklärt in der Kanalbeschreibung in seinem typisch drolligen Deutsch (bzw. Englisch): „Liebe Freunde ich mache Komödie Challenges & Parnks Videos, ich hoffe ist gefällt euch, sie können mir habe auch noch Uhren Vorschlage schreiben was ich auch noch Parnks & Challenges Videos machen kann.“ Während am 15.Juni sein allerletztes Bart-Video online gestellt wird („mein schnurbart“), fährt er schon am 24.Juni mit einem Video fort, das programmatisch auf den Namen „Die 10 Stücken bananen und sprite challenge“ hört. Genau das, was im Titel steht, erprobt Said darin exemplarisch anhand seines eigenen Körpers: Er verschlingt zehn ganze Bananen und versucht danach zumindest, eineinhalb Liter Sprite in sich hineinbekommen, was, wie für ihn und den Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits abzusehen ist, dazu führt, dass er vor laufender Kamera erbrechen muss. Said, der im Übrigen mehrfach darauf hinweist, dass er diese Challenge einzig und allein für seine Zuschauer auf sich nehme, und der regelrecht darum fleht, ihm in der Kommentarsektion unterhalb des Videos weitere Aufgaben zu stellen, die er dann meistern muss, erweist sich aber als echter Kerl und trinkt die Sprite tapfer aus – selbst wenn jeder Schluck bedeutet, dass er ihn kurz darauf, vermischt mit Bananenbrei, wieder oral ausscheidet.

Das Prinzip ist natürlich nicht neu: Youtuber wie Shoenice (Plattform-Beitritt 2008), der dafür bekannt ist, literweise hochpro-zentigen Alkohol sekundenschnell in sich hineinschütten zu können und dann gerne auch die Nachwirkungen solcher Mutpro-ben dokumentiert, oder skippy62able (Plattform-Beitritt 2010), bekannt als L.A. Beast und dafür, ohne mit der Wimper zu zucken seinem Magen Bleistifte, Kakteen und Tabasco-Ströme einzuverleiben, haben den Trend der Challenge-Videos zu diesem Zeitpunkt längst in den USA begründet, und per Netz eine, an den Zugriffszahlen und Kommentaren gemessen, gar nicht mal kleine Fan-Base um sich geschart, die wohl in einer Mixtur aus Abscheu, Amüsement und Anerkennung darauf wartet, was die jeweiligen Protagonisten sich in ihrem neusten Streich an (kulinarischen) Grenzerfahrungen zumuten werden. Noch bekannter dürften gerade den älteren Semestern die US-amerikanische Fernsehserie JACKASS sein, die von 2000 bis 2002 auf MTV läuft, und quasi en nuce viele später auf sozialen Plattformen (weiter-)entwickelte Entertainment-Genres antizipiert: Stunts, Pranks, und eben Ekel-Wettbewerbe bildeten die Grundlage, auf der sich die aus der Skater-Community stammenden Akteure wie Johnny Knoxville, Steve O, Bam Margera oder Chris Pontius bedrohlichen, beschämenden oder einfach nur bizarren Situationen aus-setzen. Berühmt-berüchtigt ist das Spanische Omelette, das sich Dave England in der ersten Episode der dritten Staffel zubereitet, indem er die erforderlichen Zutaten wie frische Tomaten, Butter, Käse zunächst im Rohzustand zu sich nimmt, dann in eine Pfanne würgt und das so entstandene „Vomit Omelette“ anschließend verzehrt, nur um sich davon erneut übergeben zu müssen. Während solche – kann man das noch „Sketche“ nennen? – im JACKASS-Format gewissermaßen eingebettet sind in eine, wenn auch noch so rudimentäre, Narration – jede Figur verkörpert einen eigenständigen Charakter mit gewissen Eigenschaften, es gibt fortlaufende running gags, Querverweise zu früheren Schandtaten, wiederkehrende Gastauftritte bekannter Skateboard-Profis usw. -, sind sie im Kontext der zeitgenössischen Videoplattformen auf ihr Wesentlichstes reduziert. Als One-Man-Show sitzen L.A. Beast, Shoenice oder eben Said vor einer starren Kamera und offerieren ihrem Publikum nichts anderes als das, was man schon im Titel ihrer Videos lesen kann: Sie essen besonders scharfe, besonders widerliche, besonders ungewöhnliche Dinge, tragen ihre gesundheitlich zumeist sehr bedenklichen Körperreaktionen zur Schau, und enden ihre Selbstexperimente in er-bärmlichster (physischer) Verfassung.

Said Challenge ist dabei wohl der extremste mir bekannte deutsche Youtuber dieses Schlages. Allein ein oberflächlicher Blick in die Kommentare zu seinen seit Juni 2014 konstant hochgeladenen Wettstreit-Videos macht die Ambivalenz deutlich, die seine Aktionen bei einem scheinbar bunt zusammengewürfelten Publikum auslösen. Zu Saids Ganzleistungen gehört bisher bei-spielweise: (1) Der Verzehr eines ganzen, lediglich gehäuteten, Schafskopfes mitsamt Augen, Zunge und Gehirn, bloß die Knochen bleiben übrig, (2) Der Verzehr einer Büchse Dosentomaten, in der, wie uns in Großaufnahme gezeigt wird, schon die Würmer wuseln, (3) Der Verzehr eines abgelaufenen Dill-Heringsfilets aus der Plastikschale, (4) Der Verzehr einer noch brennenden Kerze, die ihm scheinbar gehörig den Gaumen versengt, und (5) ein „Pukeshake“, bei dem er zwei Schokoladentafeln, einen Liter Milch und Butterschmalz zu einem Cocktail zusammenmixt, diesen trinkt, und, wie seinerzeit Dave England, wieder erbricht, um ihn dann erneut zu trinken – deshalb auch der klingende englische Name. Aber seltsam ambivalent ist auch Saids Auftreten selbst: Einerseits bettelt er seine Zuseher unermüdlich darum an, doch ja ein Like unter seinem Video dazulassen, seine Videos zu teilen, per Kommentar mit ihm ins Zwiegespräch zu treten, andererseits stattet er jedes der, wie gesagt, mit einer vergleichsweise billigen Kamera aufgenommenen, nahezu schnittlosen und tontechnisch suboptimalen Videos mit einer Rahmung aus, die für mich schon fast den Geschmack der Selbstironie trägt. Zu Beginn jeder Challenge sitzt Said irgendwo in seiner Wohnung, guckt in der Luft herum, als wisse er gar nicht, dass da gerade eine Kamera auf ihn gerichtet ist, nur um schließlich förmlich in deren Linse zu springen und den immer gleichen überzogen fröhlichen Satz zu brüllen: „Hey Leute, ich hoffe, es geht euch gut!“, und sich danach, vom Wortlaut her ebenfalls immer ähnlich, erstmal langwierig bei seinen angeblich internationalen Freunden und Unterstützern zu bedanken, oft inklusive Handküssen, die irgendwie so gar nicht zu den nicht selten mehrheitlich beleidigenden User-Äußerungen im Kommentarsektor passen mögen.

Genau dieser möglicherweise metadiskursive Gestus ist es gewesen, der mich letztendlich dazu gebracht hat, die Stunden bis zum Sonnenaufgang damit zuzubringen, mir alles anzuschauen, was Said in den letzten knapp zweieinhalb Jahren bei Youtube hochgeladen hat. Nicht so sehr hat mich interessiert, ob er es wirklich schafft, einen Döner wirklich in einer Minute nicht zu essen, sondern wortwörtlich hinunterzuschlingen, oder was es mit ihm macht, wenn er zehn der schärfsten Chilischoten der Welt mit Wasser zu einem Cocktail mixt, und den dann auf Ex kippt, oder ob man es wirklich überlebt, ein seit 18 Jahren überfälliges Bier zu trinken. Im Fokus meines Interesses stand eher die Frage: Gibt es da eine Stelle in irgendeinem seiner Videos, wo er das in seiner floskelhaften Begrüßungszeremonien oder seinen betont höflichen – und, was Rechtschreibung und Grammatik betrifft, abenteuerlichen – Antworten auf noch die übelsten Kommentare angelegte selbstreflexive Potential, ob nun bewusst oder unbe-wusst, weiter ausschöpft? Bei meiner Spurensuche bin ich dann immer öfter gedanklich abgeglitten, und hat meine Erinnerung vor allem bei zwei Experimentalfilmen haltgemacht, die – der eine mehr, der andere weniger – heute als Klassiker der modernen Kunst gelten, und die, noch deutlicher als die erwähnten JACKASS-Späße, in einem Bezug zu den Unternehmungen Saids stehen, den dieser sich selbst wohl nicht mal träumen lassen dürfte.

Der erste Film, den ich meine, stammt aus dem Jahre 1964. Im Atelier des US-amerikanischen Pop-Art-Künstlers Robert Indiana baut der befreundete Andy Warhol ein Kamerastativ auf, um den Gastgeber für insgesamt neun Filmrollen á drei Minuten dabei aufzuzeichnen, wie er etwas isst, das man im fertigen, ziemlich überbelichteten Ergebnis zwar nicht als einen solchen erkennen kann, das aber wohl tatsächlich ein besonders klobiger Speisepilz sein soll. Wesentlich mehr passiert in dem knapp vierzigminütigen EAT dann auch nicht, dessen Titel, wie später die Videos von Said, seinen reinen handlungsorientierten Inhalt völlig ohne doppelten Boden, ohne Geheimfalltüren mit sich führt. Indiana sitzt offenbar auf einem Schaukelstuhl, hat einen Hut mit ausladender Krempe auf dem Kopf. Im Hintergrund bildet eine Zimmerpflanze vor der weißen Wand mit ihren sich ab-zweigenden Blättern ein abstraktes Muster. Oft ist seine rechte Gesichtshälfte wegen der ungünstigen Lichtsituation in grelles Hell getaucht, nur seine linke deutlich sichtbar. Zwischendurch lernen wir auch mal Indianas Kätzchen kennen, das ihm auf die Schulter springt, von ihm gekrault wird, dann wieder aus dem Bildkader verschwindet. EAT ist, wie alle frühen Experimentalfilme Warhols, komplett ohne Ton gedreht. Der Wechsel einer Filmrolle zur andern ist dem Bild selbst eingeschrieben: Es beginnt zu knistern, bricht zusammen, wird ersetzt durch eine Schwarzblende bis Warhol die nächste Rolle eingelegt hat. Wie alle frühen Experimentalfilme Warhols ist auch EAT komplett zugeschnitten auf ein Ereignis, das eigentlich aufgrund seiner Alltäglichkeit ein Nicht-Ereignis ist: In SLEEP (1964) sehen wir eine halbe Stunde einen schlafenden Mann, den Beat-Poeten John Giorno, in HAIRCUT (1963) sehen wir eine halbe Stunde lang, immerhin mit von Filmrolle zu Filmrolle wechselnder Beleuchtung und wechselnder Kameraperspektive, wie sich die Factory-Mitglieder Billy Name, John Daley, Freddy Herko und James Waring gegenseitig die Haare schneiden, in BLOW JOB (1964) sehen wir eine halbe Stunde lang in Großaufnahme das Gesicht und den Oberkörper eines Mannes, der gerade von einem andern, nicht sichtbaren, weil unterhalb des Bildausschnitts befindlichen, Mann oral befriedigt wird.

Von all diesen mit Kino-Konventionen und der Erwartungshaltung des Publikums spielenden bzw. brechenden Filmen – gerade BLOW JOB finde ich in dem Zusammenhang immer noch großartig, wenn Warhol seinen eigentlichen Schauwert, den titel-gebenden Sexualakt, genau dort positioniert, wo wir mit unseren lüsternen Augen nicht hinkommen, und uns lediglich die Reak-tion der Aktion im zunehmend ekstatischen Gesicht seines namenlosen Jünglings anbietet, um uns an diesem wenigstens (ersatz-) zu befriedigen – ist EAT vielleicht Warhols witzigster. Das liegt vor allem an Robert Indianas unnachahmlicher Weise, einen Pilz zu verspeisen. In aller Langsamkeit, quasi jeden einzelnen Biss zelebrierend, verschwindet die Erdfrucht Stück für Stück in seinem Mund. Er legt Pausen ein, in denen seine Kiefer eine Weile stillstehen, und er besonnen-verträumt zur Seite schaut, so, als flüstere der Pilz zwischen seinen Zähnen ihm tiefe Weisheiten zu. Dann wieder beäugt er ihn irgendwie verliebt, irgendwie bedeutungsschwanger, dreht ihn in seiner Hand hin und her, bevor er zaghaft, zäh beinahe das nächste Minimalstückchen von ihm abrupft. Dabei geht es Warhol aber gar nicht so sehr darum, einen vollkommen alltäglichen Vorgang wie den des Essens, der für uns automatisch abläuft und über den wir uns normalerweise keine gesteigerten Gedanken machen – höchstens darum, was es denn sein soll, das wir essen werden -, als Studie präzisesten Naturalismus vorzuführen und damit sowas wie eine kinematographische Soziologie von Essenstechniken in der westlichen Gesellschaft der 60er Jahre zu entwickeln. Wer mitgerechnet hat, dem wird aufgefallen sein, dass da was nicht stimmen kann: Warhol hat also neun Filmrollen zu je drei Minuten vollbekommen, trotzdem dauert der Film final etwa vierzig Minuten? Tatsächlich wiederholen sich einige Szenen in EAT, stellt der Film die Möglichkeit der Montage, Zeiträume (sowie Zeiten und Räume) auszudehnen und zusammenzuziehen, offensiv aus. In EAT sehen wir nicht wie ein Mann in Echtzeit einen Pilz aufisst. Stattdessen sehen wir in EAT wie Aufnahmen eines Mannes, der einen Pilz isst, innerhalb der dem Kino immanenten Zeitstruktur in ihrer Chronologie aufgebrochen, neu justiert, schließlich zusammenmontiert werden, um damit einen Raum zu erzeugen, den man als primär filmischen bezeichnen muss. Der Witz – sofern man so etwas, wie ich, witzig findet – bleibt davon nicht nur unangetastet, sondern verstärkt sich noch: EAT ist nämlich beides zugleich, zum einen Illusionskino dadurch, dass er so tut, als würde er etwas einfach nur zeigen, - dabei ist schon die Geste des Zeigens von vorne bis hinten konstruiert - , zum andern Reminiszenz an das ganz frühe Kino des reinen Guckens, indem er sich damit begnügt, als Sujet einen essenden Mann zu wählen, und gar nicht versucht, da noch irgendeine noch so redundante Handlung, Dramaturgie, Tragik drum herum zu stricken.

EAT kann man, wie nahezu das gesamte filmische Oeuvre Andy Warhols, schon perfekt dazu einsetzen, einen Kinosaal zu leeren, doch natürlich ist es möglich, das dem Werk zugrundeliegende Konzept noch wesentlich radikaler zur Anwendung zu bringen. Genau das tut der österreichische Künstler Otmar Bauer 1969 in seinem Kurzfilm OTMAR BAUER ZEIGT mit überdeutlichem Bezug zu Warhols Kino im Allgemeinen und EAT im Speziellen. Bauer kommt aus der Studentenrevolte zum Wiener Aktionismus, schließt dort alsbald Freundschaft mit Otto Mühl und ist bis in die späten 80er Jahre Teil dessen Kommune Aktionsanalytische Organisation, die heute vor allem noch durch die gegen ihren Gründer erhobenen Kindesmissbrauchsvor-würfe eher berüchtigt als berühmt ist. OTMAR BAUER ZEIGT ist, wie EAT, komplett ohne Ton gedreht, und präsentiert seinen Protagonisten, eben Regisseur Bauer, frontal vor der Kamera an einem Tisch sitzend. Die Kulisse ist offenbar eine normale österrei-chische Einbauküche der späten 60er. Rechts vor dem im Anzug steckenden und auch sonst schick zurechtgemachten Bauer steht demonstrativ eine Flasche. Zunächst wirkt es, als wisse Bauer nicht, was mit sich anzufangen vor der ihn unerbittlich angaffenden Linse. Er wirkte nervös, oder als leide er unter spastischen Zuckungen, spielt mit seinen Händen, die nichts zu tun haben, schaut gelangweilt, angespannt zur Seite. Allein in den ersten fünfundzwanzig Sekunden (von insgesamt knapp fünf Minuten, die der Film dauern wird) schneidet Bauer zweimal offenkundig, und mindestens einmal muss die Filmrolle zu ihrem Ende gekommen sein – auch das eine weitere klare Referenz an die Stilistik Warhols, die die (Selbst-)Inszenierung Otmar Bauers klar herausstreicht. Endlich nimmt er sich die ominöse Flasche, setzt zum beherzten Schluck an. Viel ändert das zunächst nicht. Nach einem weiteren Schnitt trommelt er erneut aufgeregt mit den Händen auf dem Tisch herum, schaut hilfesuchend um sich, als erwarte er weiterhin eine Erklärung von außerhalb für sein Hier-Sein. Ein neuerlicher Schnitt: Nun befindet sich die Flasche in seiner rechten Hand, und mit der Linken streicht er sich das ordentliche Haar noch ordentlicher zurecht. Dann aber das Malheur: Völlig unvermittelt – und zwar wegen der harten Montage, die das Bild des seine Frisur glattstreichenden Mannes mit dem gleichen Mann, der einen wahren Wasserfall an Erbrochenem mitten auf die Tischdecke speit – sind wir mitten drin in einer der für Akteure wie Zuschauer schonungslosen Aktionen des Wiener Kreises um Figuren wie Hermann Nitsch oder Otto Mühl, die gerade im Windschatten der 68er Revolte mit Exkrementen, Tierkadavern, Selbstverstümmelungen oder Körperflüssigkeiten jedweder Art nicht zimperlich umgehen. Wie in Mühls eigenen Kurzfilmen mit ahnungsvollen Titeln wie DER GEILE WOTAN (1971), SCHEISS-KERL (1969) oder SODOMA (1970) – eine typische Mühl-Aktion kann man übrigens auch in Dusan Makavejevs SWEET MOVIE (1974) bestaunen -, ist das primäre Anliegen von Otmar Bauers filmisch festgehaltener Kotzorgie die Konfrontation seines Publikums mit Dingen, die der Großteil von diesem wohl lieber nie gesehen hätte, und die es irgendwie in einen gesellschaftliche Zwänge, Normen und Konventionen transzendieren Zustand versetzen soll – über die Mittel des Ekels, des Abscheus, der Affizierung.

Wechsel zur Großaufnahme. Otmar Bauer trinkt. Was trinkt er da eigentlich? Offensichtlich ist es derart widerlich, dass sich sein Körper reflexartig der Aufnahme dieser Flüssigkeit widersetzt. Kein Schnitt, und trotzdem sprudelt ihm das Getrunkene sofort wieder aus dem Mund. (Ich muss an eine Anekdote zu Thierry Zénos transgressivem Meisterwerk VASE DE NOCES (1974) denken. Dort findet sich ja ebenfalls eine Szene, in der sich Hauptdarsteller Dominique Garny on-screen leidenschaftlich übergibt. Im Audiokommentar der (zufälligerweise) österreichischen DVD-Veröffentlichung des Films kolportieren die Filmemacher, Garny habe ein seit ewiger Zeit abgestandenes, faules Bier getrunken, um den beschriebenen Effekt zu erzielen – obwohl Zéno ihm angeboten habe, das Erbrechen könne auch gestellt werden.) Was auch immer in Bauers Fläschchen sein mag, es tut ihm nicht gut. Sein Gesicht verzerrt sich zur Grimasse. Er schnauft, während sein Mageninhalt ihm aus der Nase läuft. Vor ihm auf dem Tisch hat sich bereits eine Pfütze gebildet. Seine Krawatte, sein Anzug sind besudelt. Schön verreibt er alles noch auf der Tischdecke, hebt die beiden Hände dann zu seinem Mund – und leckt das Erbrochene von ihnen ab, um immer und immer wieder von Neuem wahre Ozeane aus sich herauszupressen. Mit zunehmender Laufzeit wird Bauers Gebaren stetig extremer: Er schmiert sich das Erbrochene in die Haare, er öffnet seinen Hemdkragen, um es sich in den Anzug hineinzuschütten, er verreibt es auf seinem entblößten Bauch. Sein Penis kommt hinzu, lächelnd aus dem Hosenstall befreit, und, sofern ich das bei der dürftigen Qualität der mir vorliegenden Fassung richtig erkenne, füllt Bauer sogar seine Vorhaut mit der Sudelei. Wer jetzt noch dabei ist, den dürfte es dann auch nicht mehr schocken, dass Bauer in hohem Bogen quer über den Tisch, quasi in Richtung Kamera, zu pinkeln anfängt, und noch weniger, dass er anschließend mit weit herausgestreckter Zunge sein Gesicht durch die Bescherung schiebt, und sie willig aufnehmen lässt, was ihr vor die Spitze kommt.

Halten wir hier einmal inne und unsere eigenen Gedärme zusammen. Offensichtlich zielt die Subversion von OTMAR BAUER ZEIGT auf zwei Zielscheiben. Die eine ist offensichtlich Warhols EAT bzw. alle mit diesem Film Ende der 60er verbundenen gesellschaftlichen, kunstpolitischen Implikationen. Warhol, längst anerkannter Kunstschaffender, Teil eines gewissen Chics, und eines, wenn man so will, elitären Snobismus, liefert nicht ansatzweise den Sprengstoff, nach dem es dem radikaleren Flügel der außerparlamentarischen Oppositon(en) Ende der 60er dürstet. Gekonnt übernimmt OTMAR BAUER ZEIGT deshalb ästhetische und strukturelle Paradigmen des Vorbilds – vor allem den scheinbar unmotivierten Montage-Rhythmus von EAT -, um sie ebenso gekonnt und vor allem gnadenlos zu unterminieren. Wo Warhols Ansatz es ist, etablierte Normen des Schauens aufzudecken – wieso finden wir diesen Vorgang auf einer Leinwand langweilig, und einen andern nicht?, was ist der Unterschied, ob wir etwas direkt sehen oder ob wir es nur indirekt ahnen?, wo genau sind die Fallstricke, mit denen die Montage uns übers Ohr haut, und uns Realismus vorgaukelt, wo doch nur Inszenierung lauert? -, da ist es Otmar Bauers Ansatz, uns zunächst einmal, sofern wir denn EAT kennen, auch auf dessen Fallstricke aufmerksam zu machen, die Stellen, an denen Warhol selbst so etwas wie eine eigene Ästhetik oder Poetologie postuliert, über deren Konvention er uns bestimmte Dinge vermitteln möchte. So wie EAT mehr ist als „nur“ ein Mann, der genüsslich einen Pilz verspeist, so ist natürlich aber auch OTMAR BAUER ZEIGT mehr als „nur“ ein Mann, der sich am laufenden Band übergibt. Die zweite Subversion – neben der Abrechnung mit der (neueren) Kunstgeschichte, dem Kunstmarkt, dem Kunstkonsum – ist nämlich ganz ordinärer Natur: Otmar Bauer möchte seinem potentiellen Publikum einfach einmal, im wahrsten Wortsinn, regelrecht ins Gesicht kotzen – eine Form von Schockästhetik, die einerseits gar nicht unverwandt ist mit zeitgenössischen Exploitation-Filmen, andererseits aber zugleich viel krasser dadurch, dass sie völlig ohne sie irgendwie abfederndes Beiwerk auf uns losgelassen wird. Besonders klar wird das spätestens dann, wenn es Bauer nicht einfach nur beim Reihen belässt, sondern unbedingt auch noch andere Tabubrüche hinzumüssen, die nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit seinem Erbrechen stehen, wie vor allem der enthüllte Penis und was er mit Bauers ehemaligen Mageninhalt anstellt und der wiederum mit ihm. Feststeht aber wohl, dass Bauer, Mühl und Konsorten seinerzeit ihre Feindbilder genau im Visier hatten, sprich: genau wussten, womit sie wem wie gehörig auf die Füße treten können. OTMAR BAUER ZEIGT soll nicht unterhalten, über keinen Mehrwehrt verfügen als den der Destruktion und des Eklats, zu nichts weiter führen als dazu, dass die Galeriebesucher, Kunstkritiker, Kunstsammler, die mit dieser Aktionsdokumentation in Berührung kommen, erschüttert Reißaus nehmen. Freilich lässt sich aber selbst noch in diese konsequente Verweigerungs- und Provokationshaltung Kluges hineininterpretieren, wie zum Beispiel der verdiente Förderer des experimentellen Films, Amos Vogel, in seinem Klassiker FILM AS SUBVERSIVE ART unter Beweis stellt, wo er OTMAR BAUER ZEIGT in einem Atemzug mit zahllosen anderen die (tabuisierte) prinzipielle Permeabilität von organischer zu anorganischer Materie – (sei es nun im Prozess der Verwesung, des Menstruierens oder des Kotens) – thematisierenden Filmen nennt, und, dezidiert in Bezug auf die Werke des Wiener Aktionismus, zum Fazit kommt, diese seien ernstzunehmende künstlerische Opponenten einer herrschenden Ordnung, „die Gewalt und Völkermord billigt, den Körper und seine Funktion jedoch verleugnet.“

Im Kern mag Vogels Einschätzung damit sogar mit der Selbsteinschätzung der Herren Otmar Bauer, Otto Mühl oder Gunter Brun übereinstimmen – und sich damit von der (Selbst-)Wahrnehmung einer Truppe wie der Bande um JACKASS scheiden, die offen einem hedonistischen Lebensideal verschrieben ist, bei dem man sich selbstverletzt, sich in halsbrecherischen Skateboard-Stunts verstrickt, sich den Hodensack an die Oberschenkel nähen lässt, einfach weil das, in welcher Form auch immer, irre genug ist, um Spaß zu machen. Genau das ist auch die Idee hinter einem Youtube-Kanal wie Said Challenge, wobei bei dem natürlich ein Aspekt hinzukommt, den ich nun noch etwas näher beleuchten möchte. Sei es nun Warhol, Otmar Bauer oder die Jungs von JACKASS – wenn diese jemanden beim Essen oder Erbrechen filmen oder vor laufender Kamera selbst essen und erbrechen, dann setzen sie damit Ideen um, die auf ihren eigenen Mist (oder den ihres unmittelbaren Umfelds) gewachsen sind. Anders im Zeitalter der sozialen Netzwerke: Wie bereits erwähnt fordert Said seine Zuschauer wortreich heraus, ihm doch Tipps für zukünftige Challenges zu posten – und wenn man, erneut, einen auch nur oberflächlichen Blick in die Kommentare unterhalb seiner Videos wirft, wird offensichtlich, dass es sich dabei nicht nur um ein Lippenbekenntnis handelt. In schöner Regelmäßigkeit werden ihm dort Vorschläge unterbreitet - im Stil von: dass er doch einmal rohen Teig probieren, dass er sich doch einmal mit echten Silvesterraketen beschießen lassen, dass er doch einmal eine ganze Dose Fertig-Eistee-Pulver pur essen solle -, und in schöner Regelmäßigkeit setzt Said dann diese Entwürfe mehr oder minder schrecklich anzuschauen in die Tat um. Ein Begriff, der in der gegenwärtigen Kunstvermittlung bzw. Kunstpädagogik ziemlich hoch im Kurs steht, ist der der sogenannten Partizipation. Der Rezipient, die Rezipientin sollen als handelnde Subjekt in die Entstehung und Realisierung eines Kunstwerks miteinbezogen, die Grenzen zwischen genialisch über den Dingen stehendem Künstler, der Kunst als abgeschlossenem, undurchlässigem Werk und dem Publikum als stummer Schafsschar verwischt werden. Eine Künstlerin verwirklicht in der Türkei mit Marktfrauen die Idee einer etliche Meter langen gestrickten Schlange, die dann, bei einer Frauenrechtskundgebung, durch die Straßen von Istanbul getragen, und anschließend in Deutschland in einem Museum ausgestellt wird. Wo genau ist nun die Kunst, was genau ist nun das Kunstwerk? Die Schlange selbst als museal archiviertes, gleichsam sakrales Objekt? Die Prozedur des Durch-Die-Straßen-Tragens der Schlange? Oder der Gesamtprozess, in dem die Künstlerin und die Marktfrauen sich fanden, sich auf ein Projekt einigten, es gemeinsam umsetzten? Ganz zu schweigen von der Frage: Wo fängt der Publikumsraum an, wo hört der der Kunstschaffenden auf? Wenn Said – ohne natürlich seine Videos per se als Kunst definieren zu wollen - seinem Publikum indes konkrete Handlungsanweisungen gibt (die Aufforderung, ihm neue Challenges zu stellen) -, dann ist die partizipative Mitwirken der späteren Rezipienten dort schon ansatzweise verwirklicht – jedenfalls mehr als bei den noch in den historisch bedingt analogen und diachronen vergleichbaren Vorgängerwerken wie Warhols EAT oder Otmar Bauers ZEIGT, deren ganzer Effekt darauf beruht, dass ihr Publikum nicht weiß, was auf es zukommt, dass es darauf wartet, was und ob überhaupt etwas passiert (EAT), dass es völlig unverhofft mit Anblicken konfrontiert wird, vor dem jeder gerne die Augen schließt (ZEIGT).

Daneben ist noch etwas anderes interessant: Wenn ich die Rezeptionsgeschichte von Filmen wie OTMAR BAUER ZEIGT oder auch Kurt Krens 16/67 20. SEPTEMBER (1967) oder Mühls SODOMA richtig lese, dann haben diese Werke bei ihrem Publikum genau das an Reaktionen erzielt, was sie beabsichtigten. Es gehört schon sehr viel intellektuelles und interpretatorisches Geschick dazu, einer Abfolge von Szenen, in denen Männer einander anpinkeln, gegenseitig ihre Exkremente verspeisen oder gar zur Gewalt gegenüber lebenden Tieren übergehen, in den späten 60ern, frühen 70ern noch das Etikett der Kunst anzuhängen. Bei Said, wo das Publikum dazu aufgerufen ist, mitzumischen, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, gibt es zwar pro Video auch etliche Daumen nach unten – manchmal sind es mehr als die, die nach oben zeigen -, trotzdem muss man konstatieren: Es scheint Menschen zu geben, die sehen wollen wie der irgendwie sympathische, irgendwie verstörend agierende Afghane sich mit jedem neuen Video neue derangierte Mutproben aufbürdet – und da möchte ich meine eigene Person nicht mal ausklammern. Sicher, auf Youtube gibt es Leitlinien, und damit verbundene Grenzen: Niemals wird Saids Penis zu sehen sein, niemals etwas, was sich zuvor in seinem Darm oder seiner Blase befunden hat – wieso aber ist eigentlich das Erbrechen auf Youtube nicht geahndet, dafür aber eine nackte Frauenbrust? Erneut stoßen wir vor in die merkwürdigen Gefilde von Tabus, die Georges Bataille in seinem lesenswerten theoretischen Essay L’EROTISME schön auf den archaischen Konnex zwischen Tod und Ökonomie zurückführt, und die uns von da ab, als unsere Vorfahren noch die Affenmenschen in Kubricks 2001 gewesen sind, derart in Fleisch und Blut übergingen, dass sie jetzt nicht mehr aus unserer Haut können. Ist das eine Art von Pornographie – keine des Todes, keine der Gewalt, sondern eine des Ekels? Hat das etwas damit zu tun, dass jeder Einzelne von uns, der regelmäßig ins Netz abtaucht – und nicht mal auf krude Darknet-Seiten -, inzwischen schon derart abgebrüht ist von all dem „Krassen“, das er dort gesehen hat – quantitativ wohl nicht mehr „Krasses“ als die Generationen zuvor, aber ein konsumierbar gemachtes „Krasses“ auf einem Bildschirm, ohne die körperliche Beteiligung, in der Sicherheit der eigenen vier Wänden -, dass er selbst, wenn die Möglichkeit sich ihm bietet, zum Mäzen solchen "Krasses" wird? Fördert jedes neue Medium bzw. jede neue Facette eines Mediums zunächst einmal die Thanatos-Regionen der menschlichen Psyche, und dann erst, wenn überhaupt, die etwas helleren – so wie Photographie und Film zuallererst eine Sache der Militärs waren, so wie das Internet zuallererst eine Sache der Geheimdienste gewesen ist? Brauchen wir einen Ersatz, irgendeinen, für den selbstvergessenen Rausch, die aufopferungsvolle Selbstveräußerung, das besinnungslose Übertreten von Grenzen, die, wie nicht nur Bataille vermutet, in archaischer Vorzeit integrale Bestandteile unseres Seins gewesen sind, und nun, wo es keine Luft mehr zum Atmen für sie gibt, dennoch in uns rumoren, kleingepresst zu Zwergen, denen es reicht, über ein Marktästhetiken rekapitulierendes Bild, eine konstruierte Video-Sequenz, einen normierten sexuellen Akt, einen inszenierten Moment der Gewalt wenigstens einen Hauch der Exzesse zu verspüren, der sie vor einer Ewigkeit mit Gebirgsketten hat jonglieren lassen?
Quellen:
Eat head of sheep challenge
Disgusting tomato Worms Challenge
Warnung Abgelaufen Fisch in Sahne Soße Challenge
Brennendes kerze challenge WARNUNG
The Pukeshake Challenge
Andy Warhol - Eat
Otmar Bauer Zeigt
Antworten