Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Alles, was nichts oder nur am Rande mit Film zu tun hat

Moderator: jogiwan

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Blap
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

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• Mörder ohne Gesicht (Henning Mankell, 1991)

In der Nähe von Ystad wird ein altes Ehepaar bestialisch ermordet. Kurt Wallander und seine Mitarbeiter sind Monate mit Fall beschäftigt, der bald weitere schwere Straftaten nach sich zieht ...

Mankells erstes Buch über den kantigen Ermittler Kurt Wallander, der später auch im Fernsehen eine beachtliche Karriere erleben sollte. Hier ist der Kriminalfall durchaus interessant, dennoch wird etwas mehr Wert auf die Zeichnung des Charakters Wallander gelegt. Wir lernen einen unglücklichen, manchmal regelrecht depressiven Menschen kennen. Einen Menschen, dessen Ehe gescheitert ist, der sich von seiner erwachsenen Tochter entfremdet hat, gern dem Alkohol zuspricht. Da passt es gut ins Bild, dass Wallander im Zuge seiner Nachforschungen auch körperlich einiges einstecken muss.

Mankell zeichnet Wallander darüber hinaus als teils eher konservativ. Als einen Mann in seinen frühen Vierzigern, der sich mit den ständigen Umbrüchen in seinem Umfeld schwertut. Die Sprache des Romans ist klar und einfach, versteht aber dennoch an den richtigen Stellen packend zu werden.

Weitere Wallander Romane liegen bereits auf Halde, ich freue mich darauf.
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buxtebrawler
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Herbert Ewe – Hiddensee

Die deutsche Ostseeinsel Hiddensee war für mich schon lange ein kleiner Sehnsuchtsort. Da traf es sich gut, im Fundus meiner Großmutter auf dieses Buch zu stoßen, das ich auf meiner im Frühjahr endlich angetretenen Reise in den Hiddenseer Kurzurlaub zu lesen begann und gemütlich in der Pensionskoje liegend beendete – schräg gegenüber übrigens ein Buchhandel, der historische Hiddensee-Bücher führt und unter anderem eben dieses im Schaufenster ausliegen hatte.

Konkret geht es um dieses rund 220-seitige, mittelgroße gebundene Buch mit Schutzumschlag, das im Jahre 1983, noch zu DDR-Zeiten also, im Rostocker Verlag Hinstorff veröffentlicht wurde. Herbert Ewe schreibt einführend über Hiddensee in der Lyrik und bildenden Kunst, über Berühmtheiten, die dort verweilten, und reißt die frühe Geschichte und Geologie des Eilands inklusive Erosion und Sedimentation ab. Denn: „Hiddensee bietet ein besonders anschauliches Bild der Wirkungen des Meeres, so elementar und einfach, so vollständig übersehbar in Ursache und Wirkung und allen Einzelheiten wie an wenigen Stellen der Erde.“ – So laut Ewe der Geologe Otto Jaekel einst über Hiddensee.

Mangelnder Küstenschutz und diverse Naturkatastrophen haben der Insel zugesetzt, die dadurch zwischenzeitlich – im 19. Jahrhundert – gar in zwei Teile zerriss. In diesem Kontext übt Ewe viel Kritik an preußischer Bürokratie. Als man endlich den Sinn des Küstenschutzes erkannte und ihn praktizierte, kam es dennoch zu Sturmfluten und ähnlichen Naturgewalten, von Ewe belegt anhand zahlreicher Originalzitate. Seine Katastrophenberichterstattung reicht bis ins 20. Jahrhundert hinein und endet versöhnlich mit aktuellen, verbesserten Küstenschutzmaßnahmen.

Es folgt ein Kapitel über die Naturschutzgebiete der Insel und die massive Aufforstung ab dem 19. Jahrhundert, Fauna und Flora werden detailliert beschrieben. Der starke Sympathien für Umwelt- und Naturschutz hegende Autor erlaubt sich einen Abstecher in die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte des Umweltschutzes. In diesem Zusammenhang kommt erstmals auch die DDR zur Sprache: „Bestrebungen um eine saubere Umwelt, wie wir sie uns auch auf Hiddensee wünschen, wurden und werden durch das 1970 von der Volkskammer der DDR verabschiedete Landeskulturgesetz wesentlich gefördert.“

Weitere Themengebiete sind Archäologie, Frühgeschichtliches, Wikinger und Dänen auf Hiddensee, frühe christliche Bauten wie Klöster und Kirchen, Tonabbau zwecks Keramikproduktion in Stralsund, Käufe und Verkäufe der ganzen Insel durch „hohe Herren“, endlich das Ende der Junkerzeit, Schulbauten, Leuchttürme etc. und schließlich die damals jüngsten Entwicklungen: LPG-Gründung und laut Autor massiver Aufbau und Fortschritt durch den Sozialismus. Bis hierhin war das Buch frei von jeglicher DDR-Propaganda. Und auch trotz Sozialismus-Loblied: Wer glaubt, es handle sich um ein auf sozialistisch-industrielle Verwertungslogik hin ausgerichtetes Buch, irrt, denn weiter davon entfernt könnte es kaum sein. Auf den nächsten Seiten widmet Ewe sich der Fährinsel und der Fährmannstätigkeit ebenso wie den Dörfern im Süden der Insel und beschreibt in diesem Zusammenhang noch einmal, was genau Leibeigenschaft in der Vergangenheit für die Menschen bedeutete. Dies führt ihn zur lange von Ausbeutung der Fischer bestimmten Fischereigeschichte Hiddensees, die er dem Genossenschaftsmodell der DDR gegenüberstellt.

Mit dem Schriftsteller Gerhart Hauptmann widmet Ewe sich dem wohl prominentesten (Sommer-)Bewohner der Insel, der hier auch begraben liegt und dessen Haus zu einem Museum umgestaltet wurde. Weitere von Ewe aufgeführte Einrichtungen sind die Biologische Station der Universität Greifswald, die Vogelwarte etc. Erst nun, fast schon gegen Ende, geht Ewe auf den Tourismus ein. Zu DDR-Zeiten brachte der FDGB alle auf die Insel, Häuser und Siedlungen für VEBs wurden gebaut. Ewe ergänzt seine Ausführungen um einen kurzen historischen Abriss inklusive durchklingender Pro-FKK-Haltung und schließt mit den Worten Hauptmanns.

Das Buch enthält mehrere umfangreiche Schwarzweiß-Bildstrecken auf Glanzpapier, erinnert mit seinem Duktus alter Schule an ältere Fernsehdokus und vermutlich auch ältere Sachbücher, liest sich damit sympathisch-anheimelnd, betont durchs Heranziehen zahlreicher historischer Quellen aber auch seine Sachlichkeit und seinen Informationsgehalt.

Ein schönes Buch über ein schönes Fleckchen Erde.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Günter Ohnemus – Zähneputzen in Helsinki

Der gebürtige Passauer Günter Ohnemus ist Schriftsteller und Übersetzer englischer Literatur ins Deutsche. Im Jahre 1982 veröffentlichte er seine erste Prosa „Zähneputzen in Helsinki“ im MaroVerlag, von der mir ein Exemplar der dritte Auflage der Neuausgabe vorliegt. Frank Schäfer hatte irgendetwas darüber in „Rumba mit den Rumsäufern“ geschrieben, das mich dazu getrieben hatte, es auf meine Liste zu setzen (und schließlich auch mal zu lesen).

Ohnemus erzählt in diesem rund 180-seitigen Taschenbuch um die 35 kleine, meist nur wenige Seiten, manchmal gar nur wenige Zeilen umfassende (autobiographische?) Beobachtungen, Anekdoten und Geschichten (oder „Stories“, wie es der Verlag auf den Titel druckte), die scheinbar banal beginnen, aber im Stile einer Art nüchterner Melancholie häufig nachdenklich, traurig oder verstörend (z.B. bei der Beschreibung US-amerikanischer Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg) enden. Er schreibt über „(…) Leute, die nicht so ganz mit den Sachen zurechtkommen, die ihnen zugestoßen sind, und die nicht viel mehr miteinander verbindet, als daß sie eine Zeitlang in ihrem Leben nicht wissen, was sie jetzt noch sollen.“ (aus: Katerwohnung) Selten trifft aber auch nichts davon zu; jenes lässt ihn dann schon mal wie einen etwas wirren Sonderling erscheinen.

Ein ganzes Kapitel ist dem Kino seiner Kindheit gewidmet – dort war er verdammt oft. Zuweilen widerspricht er sich: Erst will er während des Todes seines Großvaters Tipp-Kick gespielt haben, dann im Kino gewesen sein – oder aber es geht um zwei verschiedene Großväter. Auch etwas schrägen, schwarzen Humor über die Absurdität des Lebens beherrscht Ohnemus. Aus den in diesem Rahmen ungewöhnlich langen, in etliche Kurzkapitel unterteilten Beschreibungen seines Großvaters erfährt man, dass er – Günter (respektive das literarische Ich) – seine Mutter extrem früh verloren hat. Familienerinnerungen nehmen generell einen großen Raum ein und manche Geschichte enthält eine Anspielung auf eine vorausgegangene. Die Kürze der Kapitel lädt ein, stets schnell noch das nächste und wiederum dessen nächstes zu lesen, und ehe man sich versieht, ist man von Ohnemus‘ Stil eingelullt – und das Buch auch schon durch. Gelangweilt habe ich mich demnach nicht, nur hin und wieder gewundert.

Das Korrektorat hat ein paar wenige Grammatikfehler übersehen (ein statt einen u.ä.), mehr zu mosern habe ich nicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Marita und Peter Bursch, Kim Schmidt – Peter Burschs Gitarrencomic: Gib mal’n A

Ein Kuriosum meiner Comicsammlung: Peter Bursch, Musiker und mit seinen zahlreichen Lehrbüchern „Gitarrenlehrer der Nation“, veröffentlichte zusammen mit seiner Frau Marita und dem Zeichner Kim Schmidt im Jahre 1996 dieses rund 50-seitige, vollfarbige Softcover-Comicalbum im Kieler Achterbahn-Verlag.

Ein Mehrparteienaltbau dient hier als Mikrokosmos verschiedenster Bewohnerinnen und Bewohner, die sich mit Peter Burschs Musikschule konfrontiert sehen, die dort ebenfalls residiert und drei grundverschiedenen Schülerinnen und Schülern das Gitarrenspiel beizubringen versucht. Schmidt zeichnete karikierend im typischen Funny-Stil, der hier mit besonders viel Slapstick-Humor und vielen spaßigen zeichnerischen Details versehen wurde. Und so ganz nebenbei werden die wichtigsten Grundgriffe vermittelt, mit denen sich dann bereits „Marmor, Stein und Eisen bricht“ (respektive VORKRIEGSJUGENDs „Die Bombe“) schrammeln lässt. Ein schönes, kurzweiliges Vergnügen.
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Blap
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

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• Gänsehaut - Schauergeschichten (R. L. Stine, 1994-97)

21 gruselige Kurzgeschichten für Kinder und Jugendliche. Geboten wird eine breite Auswahl üblicher und weniger üblicher Unholde. Der Leser trifft auf giftige Planzen, Geister, Vampire, Ameisen und sogar Außerirdische.

Die kleinen Erzählungen lesen sich entspannt und bei guter Laune haltend weg. Ich war hin und wieder erstaunt, wie hoch der Gänsehaut-Faktor bei der einen oder anderen Geschichte ist. Sicher ein schaurig schönes Werk für junge Einsteiger. Auch alte Säcke können durchaus ihre Freude mit dem Büchlein haben, wenn man sich an moderatem Grusel noch immer zu erfreuen vermag.

Viele Geschichten nehmen kein gutes Ende. Dies lässt sich als erhobener Zeigefinger interpretieren, vielleicht ist es lediglich dem schwarzen Humor des Autors geschuldet. Mich erfreuten die kleinen Boshaftigkeiten, die dem Werk die nötigen Ecken und Kanten verleihen. Hier kommt die Lightversion von "Geschichten aus der Gruft"! Für jüngere Leser und/oder zartbesaitete Greise (wie den Verzapfer dieser Zeilen).

Schön.
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Captain Berlin Supersammelband #1

Der deutsche Superheld Captain Berlin wurde von Jörg Buttgereit erdacht, der in den Jahren 1982 und 1984 zwei Kurzfilme mit ihm drehte. Es folgten Hörspiele und ein Theaterstück, bis er 2013 seiner eigentlichen Bestimmung als Comicheld zugeführt wurde. Bis heute sind 17 „Captain Berlin“-Comichefte im Weissblech-Verlag erschienen. Die ersten vier wurden 2017 in diesem erweiterten, 132-seitigen Sammelband zusammengefasst, für den die Geschichten in die chronologische Reihenfolge gebracht wurden.

Auf ein Vorwort Buttgereits folgt eine Origin Story, in die der versuchte Tyrannenmord durch Stauffenberg eingearbeitet wurde. Hitler spricht in seinem Dialekt und teils in Frakturschrift, Hakenkreuze wurden abgeändert. Die zweite Geschichte knüpft unmittelbar an, mopst ihr Motiv aber aus „Frankenstein“ und enthält eine Anspielung auf den japanischen Science-Fiction-Film „U 2000 – Tauchfahrt des Schreckens“. Captain Berlin wird nach Hiroshima entführt und muss gegen mechanische Ninjas kämpfen. Durch den Abwurf der Atombombe erlangt der Captain neue Superkräfte, womit nicht nur der Zweite Weltkrieg endet, sondern auch der Origin-Zyklus. Großartiger Stoff! Schade nur, dass Hitler nicht mehr im Dialekt spracht.

Im weiteren Verlauf verschlägt es Captain Berlin in die geteilte deutsche Stadt des Jahres 1968 zu Zeiten der Studentenproteste. Ähnlich wie Superman hat er sich eine Geheimidentität als Journalist zugelegt. Er wird Zeuge eines Attentatsversuchs auf Rudi Dutschke durch einen Altnazi. Parallel gründet Aleister Crowley in einer ägyptischen Pyramide eine Sekte, die sich erst einmal einer Orgie hingibt. Crowley hat das Necronomicon gefunden und mit dessen Hilfe Unsterblichkeit erlangt. Doch Hitlers ehemalige Top-Wissenschaftlerin Ilse von Blitzen ist auch hinter dem Buch her, um den Führer, den sie einkonserviert hat, wieder zum Leben zu erwecken. Mag sein, dass ich leicht zu begeistern bin, aber das ist eine der geilsten Storys, die ich jemals gelesen habe – Top-Schund deluxe, der leider mit Verweis auf eine DVD endet.

„Captain Berlin und der unglaubliche Elefantenmensch“ spielt dann beinahe in der Gegenwart, nämlich im Jahre 2009. Gleich zu Beginn erschießt von Blitzen Michael Jackson. Aus der DNA des Elefantenmenschen und dem Serum, das Captain Berlin seine Kräfte verlieh, erschafft sie einen Superschurken, den sie auf Vernichtung des Captains programmiert hat. Auch diese Geschichte nimmt Bezug auf reale Geschehnisse, einmal sogar in Form eines Abdrucks eines originalen Zeitungsartikels. Es folgt ein Infospecial Buttgereits zum wahren Elefantenmenschen mit Fotos sowie Hintergründen zum Comic, womit auch der Bildungsauftrag erfüllt wäre. Eine Fukushimaploitation-Geschichte gerät zur Hommage an den Kaiju-Regisseur Fukuda und selbst zu einer Art Kaiju, für die auch Captain Berlin radioaktiv mutieren muss und der Ostberliner Leuchtturm eine nicht unentscheidende Rolle spielt. Auch Bezüge auf die vorausgegangenen Storys finden sich hier, gefolgt von etwas ganz anderem: einem Labyrinthspiel als Bonus wie in Kindermagazinen. Ein die Historie Captain Berlins abreißendes Special sowie eines zum Titelbild der Ausgabe #4 runden den Sammelband ab, der somit vielleicht auch dann eine schöne Ergänzung darstellt, wenn man die Originalhefte bereits besitzt.

Die Zeichnungen der Geschichten stammen von Rainer F. Engel, Fufu Frauenwahl, The Lep, Levin Kurio, Roman Turowski und Martin Trafford, wobei sich insbesondere Traffords Stil recht deutlich von dem der anderen unterscheidet. Die Texte schrieben Buttgereit, Kurio und Trafford. „Captain Berlin“ ist exzellente postmoderne, alte US-Superhelden-Comics persiflierende Comixploitation und im Prinzip ein riesiger Fanservice – es macht Laune, all die nerdigen Referenzen zu erkennen. Mögen zudem die Jüngeren hierüber auf den guten alten Schund gestoßen zu werden!
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Wolfgang Sperzel – ABS

Der Hamburger Comiczeichner und Cartoonist Wolfgang Sperzel, der insbesondere mit seinem zweiten Album „Rast(h)aus“ seinem Hass auf Autos freien Lauf ließ, hatte gewissermaßen die Seiten gewechselt und im Jahre 1993 begonnen, wöchentlich Cartoons für die Zeitschrift „Auto-Bild“ zu zeichnen. Diese erschienen 1995 zu einem rund 60-seitigen Softcover-Album zusammengefasst im Achterbahn-Verlag. Es war der vorletzte Comicband Sperzels.

Hauptsächlich handelt es sich um ganzseitige, einpanelige Cartoons, manche erzählen auch in mehreren Panels kleine Geschichten. Länger als eine Seite ist aber nichts – Cartoons statt „richtiger“ Comicgeschichten eben. Diese sind mal farbig, mal grau, mal schwarzweiß, eigenartigerweise sind manche sogar lediglich als Bleistiftskizzen enthalten.

„Auto-Bild“ hin oder her – auch hier bekommen Autofahrer in Sperzels Funny-Stil humorvoll ihr Fett weg, jedoch nicht nur: Unwirtliche Situationen, in die sie gelangen oder gezwungen werden, sind die Kehrseite der Medaille, die Sperzel ebenso aufgreift. Er war also nicht unbedingt altersmilde, aber differenzierter und etwas verständnisvoller geworden. Am schönsten ist es aber nach wie vor, wenn er den deutschen Auto-Fetisch und daraus resultierende Absurditäten aufs Korn nimmt.
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Fuchsi – Zorro: Der Rächer der Enträchteten

Der leider bereits im Jahre 2000 verstorbene Peter „Fuchsi“ Fuchs war zunächst Karikaturist und Comiczeichner, später Schriftsteller und Maler. Er arbeitete für die Tageszeitung „taz“ und debütierte mit seiner Figur Zorro, einer modernisierten Variante der klassischen Romanfigur, in Buchform 1982 in der Satirecomic-Zusammenstellung „Friede, Freude, Eierkuchen“, einer frühen Veröffentlichung des Semmel-Verlachs. 1983 folgte ebendort sein Solo-Einstand „Zorro – Der Rächer der Enträchteten“, ein Schwarzweiß-Band humorig-satirischer Funnys in typischer Semmel-Verlach-Größe, rund 150 Seiten stark.

Das (ohne Seitenzahlen leider nicht sonderlich sinnvolle) Inhaltsverzeichnis ist im Stil der Tagesübersicht einer Fernsehzeitung gefertigt und damit bereits zum Einstieg ein origineller Hingucker. Die Inhalte und Panels sind in ihren Größen dynamisch, folgen keinem starren Raster. Das Buch ist unterteilt in verschiedene Themenbereiche bzw. Sendungen, denn Zorro sitzt die ganze Zeit vor der Glotze und sieht sich selbst in den kurzen Gags und Geschichtchen (was etwas seltsam ist). Die Schöpfungsgeschichte, in deren Zuge auch Zorro geschaffen wird, mutet auch noch etwas eigenartig an und generell ist mancher Gag besonders in der Retrospektive ziemlich flach.

Aber längst nicht jeder! Richtig gut, weil voller Realismus und Zeitkolorit ist beispielsweise eine Geschichte, die Partei für Hausbesetzungen ergreift, in der viele Punks vorkommen und in der ein Prügelbulle umzudenken beginnt. „Wie werde ich ein kollektiv?“ ist eine ganz neue Version der Bremer Stadtmusikanten inklusive Finanzierungsberatung durch Dagobert Duck, böse schwarzhumorig hingegen „Der Recher der Schutzbedürftigen“, der mit der Angst vorm Dritten Weltkrieg spielt.

Etliche Gags sind indes lediglich eine Seite kurz. Für ein paar wenige, panelreichere Geschichten wirkt das Format hingegen fast zu klein. Bis auf die Titel hat das alles nichts mit Zorro, wie man ihn kennt, zu tun, was natürlich Teil des Spaßes ist. Ab und zu fehlt ein Satzzeichen oder ist ein Wort falschgeschrieben, was den noch nicht hundertprozentig professionellen Anfängen des Verlags geschuldet sein dürfte.

„Zorro“ ist ein typischer, grundsympathischer Anarcho-Comic der Semmel-Anfangsjahre, in dem, wenngleich das eine oder andere aus heutiger Sicht etwas naiv anmuten mag, noch immer viel Wahrheit steckt.
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karlAbundzu
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von karlAbundzu »

Urlaubslektüre:
Neben der wieder mal guten aktuellen 35mm Ausgabe, Reiseführer, Info-Karten kam folgendes vor die Augen:
Kenneth Grahame: Die Scharfrichterin (The Headswoman)
Kenneth Grahame kennt der eine oder andere vielleicht als Autor des Kinderbuches, oder eher modernen Märchens Der Wind in den Weiden, von Disney verfilmt, von Harry Rowohlt übersetzt und eingelesen. Hierzulande ein One Hit Wonder, in England auch ansonsten gern gelesener Kinderbuchautor. Nur eine Novelle schrieb er für Erwachsene, eben The Headswoman (1895).
Bisher lag noch keine deutsche Übersetzung vor, dieses Jahr bracht der Verlag des Bremer Logbuch Buchladen es in seiner Reihe Pressendruck heraus. Das sind schöne, gut illustrierte, handgedruckte Bändchen, auf 500 Exemplare limitiert.
Der alte Henker einer englischen Kleinstadt ist gestorben, und da es keinen Sohn gibt, erbt die Tochter den Job. Ein später auftauchender Cousin will ihn ihr streitig machen, da seine Anwaltschaft nicht gut läuft.
Eine satirische Schrift, eine Frau, die sich durchsetzt und herkömmliche Geschlechterrollen in Frage stellt. Die Dorfpolitik zwischen Praktischem, Faulheit und Konservativismus schwankt. Und immer wieder herrlich, wie sie technisch von ihrer Arbeit berichtet, und dabei fast ihren späteren Geliebten aus Verwaltungstechnischen Gründen köpft.
Das hat mir sehr gut gefallen, ist schon meine dritter Band in dieser Reihe (Danke, Arkschi!), und da gibt es noch einiges zu entdecken, hat doch der Herausgeber einen Geschmack meinem ähnlich: Es gibt noch Bände von Mary Shelley, EA Poe, Washington Irving.

Bram Stoker: Die sieben Finger des Todes (The Jewel of Seven Stars) (1903)
Stokers Mumien-Horror. Bzw. Abenteuer Horror. So richtig gibt es hier kaum eine aktive Mumie, sondern es dreht sich um eine faszinierende Königin des alten Ägypten, mit sehr viel Wissen und Neugier ausgestattet, die auf ihre Wiedererweckung wartet und eine junge Schönheit, die dieser sehr ähnlich sieht.
Es beginnt wie ein Kriminalroman: Ein Mann fällt in eine Art Koma mit sichtbarer Verletzung, Scotland Yard, ein Anwalt und ein Arzt werden dazu geholt. (Zusammen mit der Tochter und eben dem Opfer ergibt das eine ähnliche Figurenkonstellation wie bei Dracula). Durch das Auftauchen eines Reisenden wird es dann zu einem unheimlichen Abenteuerroman, da in einem Rückblick und einer Lektüre eines alten Berichts von zwei Expeditionen in Ägypten berichtet. zum Schluss wird es zu richtigem Horror, wenn die Gesellschaft sich aufmacht, den Geheimnissen Teras endgültig auf den Grund zu gehen.
Von kleinen Holprigkeiten abgesehen (das schnelle Verabschieden des Detectives, ein paar Erzählsprünge, das plötzliche Ende nach dem Ende) ist das eine spannende Lektüre, die zeigt, das Stoker mehr drauf hatte als nur Dracula, und hier sein Interesse am alten Ägypten mit einbauen konnte. Das Thema war gerade sehr beliebt in der Gesellschaft. Auch brachte er aktuelle naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit hinein, und auch von soziologischen Konzepten wie New Woman ist das Buch beeinflusst.
PS: Anscheinend habe ich die 1912er Version mit Happy End gelesen, daher der Schluss holprig, in der ersten Version geht es wohl eher bitter aus....

Jasper Fforde: Irgendwo ganz anders (First among sequels) 2007
Thursday Next Band 5. 14 Jahre nach den Ereignissen aus Band 4 hat sich einiges geändert Literatur Agentin (Agentin wie in James Bond) Thursday Next muss heimlich agieren, da ihre Einheit aufgelöst wurde, hat einiges in der Buchwelt zu tun und im Privatleben ist auch einiges zu organisieren, die Kinder sind halt Teenager und der Dodo verliert alle Federn.
Ich mag diese Meta-Literatur -Erzählungen von Fforde sehr gerne, er schafft einen wunderbaren leicht magischen, leicht surrealen Realismus, Thursday Next ist mir ans Herz gewachsen. Bitter manchmal, wie er die Verblödung der westlichen Gesellschaft so genau beschreibt, und dabei noch Hoffnung hat. Mir hat es wieder viel Spaß gemacht, die vielen kleinen Handlungsstränge werden zu einem hübschen Knäuel verbunden, es ist nie langweilig und alle Figuren bekommen Hingabe und Tiefe.
Ich bin ja jetzt mit den ersten sechs Bänden durch. In England war das ja ein großer Erfolg, hierzulande ist Band 7 von 2012 nie erschienen, was schade ist.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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