Fabien Sanglard – Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D (1st Edition)
„Eine kleine Amerikaner…“
Der texanische Spielehersteller id software um Tom Hall, John Romero sowie Adrian und John Carmack revolutionierte Anfang der 1990er die Spielewelt mit seinem Kultspiel „Wolfenstein 3D“. Der Name ging zurück auf „Castle Wolfenstein“ aus dem Jahre 1981, einem zweidimensionalen Spiel von Muse Software. Vor „Wolfenstein 3D“ hatte id software im Jahre 1991 bereits die Titel „Hovertank 3D“ und „Catacombs 3D“ veröffentlicht, die bereits einiges vom typischen Wolf3D-Gameplay vorwegnahmen: In „Hovertank 3D“ steuerte man einen Panzer aus der Ego-Perspektive, in „Catacombs 3D“ schlüpfte man in die Rolle eines Zauberers, der aus seiner Hand Feuerbälle auf Dämonen, Orks und ähnliche Fantasy-Gestalten abfeuerte. Doch der erste echte, die 256 Farben umfassende Palette der VGA-Grafikkarte ausreizende
First-Person-Shooter und damit Vorläufer solch populärer Spiele wie „Doom“, „Quake“ (beide ebenfalls von id) bis hin zu „Call Of Duty“, „Counterstrike“ und Konsorten war das 1992 veröffentlichte „Wolfenstein 3D“, in dem man sich als Naziperforator B.J. Blazkowicz in gerenderten Dungeon-ähnlichen Katakomben durch eine Vielzahl Nazi-Soldaten metzelt und schließlich gar gegen Hitler persönlich antritt. In Deutschland war man davon behördlicherseits gar nicht begeistert und beschlagnahmte das Spiel, doch natürlich verbreitete der als Shareware vertriebene Spaß sich in Windeseile in der PC-Gamer-Szene. PC? Ganz recht: Bereits damals setzte id software auf den PC als Haupttechnologie, obwohl er so viele Jahre gegen wesentlich stärker auf die Bedürfnisse von Spieleentwickler(inne)n und Spieler(inne)n zugeschnittene Heimcomputer wie den C64, den Atari ST oder den Amiga den Kürzere gezogen hatte. In technischer Hinsicht änderte sich dies Anfang der 1990er mit der Etablierung der 386er-Prozessoren und dem Siegeszug der VGA-Karten. Auch dies war ein Grund für die revolutionäre Wirkung von „Wolfenstein 3D“.
Der Franzose Fabien Sanglard liebt es, sich mit den Quelltexten alter PC-Spiele auseinanderzusetzen, sie auf Herz und Nieren zu analysieren und zu verstehen. Dies tat er auch mit dem „Wolfenstein 3D“-Code, den id software einige Jahre nach Veröffentlichung des Spiels freigegeben hatte. Die Ergebnisse hat er im 2017 im
Print-on-Demand-Verfahren herausgegeben „Game Engine Black Book: Wolfenstein 3D“ auf über 310 Seiten in einfacher, allgemeinverständlicher englischer Sprache zusammengefasst. Und das Tolle ist: Man muss kein(e) Programmierer(in) sein, um an diesem Buch seine Freude zu haben. Sanglard konnte id-Entwickler John Carmack zur Mitarbeit gewinnen und nimmt einen nach dessen Vorwort mit auf eine wohlstrukturierte Zeitreise ins PC-Jahr 1992. Nahezu jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, die den damaligen Stand der technischen Möglichkeiten skizziert und computerhistorisches Wissen aufbereitet. In Kombination mit zahlreichen, teils herrlich nerdigen Trivia und humorvollen Anekdoten Carmacks erhält man einen ebenso spannenden wie unterhaltsamen und lehrreichen Einblick in die hürdenreiche Pionierarbeit, die damals in Sachen PC-Spiele geleistet wurde. Wer sich bereits anno ‘91/‘92 mit Heimcomputern beschäftigt hat, wird einiges wiedererkennen – auch ohne selbst Entwickler(in) gewesen zu sein. Zahlreiche Screenshots aus dem Spiel, vom Quelltext, aus Entwicklungstools und von der DOS-Ebene, Abdrucke von README.TXT-Dateien sowie Fotos historischen Equipments und des id-Teams haben also auch denjenigen jede Menge Retro-Lesevergnügen und -Augenschmaus zu bieten, die nicht in die tiefgehenden Quelltextanalysen miteinsteigen können oder wollen.
Wer es doch tut, dürfe in den Kapiteln, die von der Prozessorverarbeitung und der Speichernutzung über Grafik- und Sound-Entwicklung/-Ausgabe bis hin zu den verschiedenen Eingabegeräten alles abdecken und um zahlreiche Skizzen und Tabellen ergänzt werden, glücklich werden und vermutlich gerade auch als Anfänger viel über die Funktionsweise von PCs und ihre Programmierung lernen können. Gerade für Retro-Gamer hochinteressant dürfte auch das Kapitel über die Portierung des Spiels auf andere Plattformen bis hin zu Arcade-Automaten und jüngst das iPhone sein. Mit seinem Themenumfang geht dieses „Game Engine Black Book“ also wesentlich tiefer als es Hintergrundartikel in entsprechenden Zeitschriften könnten und rechtfertigt damit letztlich auch seinen stolzen
Special-Interest-Preis von 40,- EUR. Als etwas lieblos empfand ich lediglich eine offenbar unüberarbeitet/-lektoriert übernommenen Nachricht Carmacks oder eines anderen damals Involvierten, die ich beim raschen Durchblättern aber ehrlich gesagt nicht mehr wiedergefunden habe. Möglicherweise wurden dieser und der eine oder andere Schnitzer in aktuelleren Ausgaben ohnehin ausgemerzt.