Adoration - Olivier Smolders (1987)

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Salvatore Baccaro
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Adoration - Olivier Smolders (1987)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Adoration

Produktionsland: Belgien/Frankreich 1987

Regie: Olivier Smolders

Cast: Takashi Matsuo, Catherine Aymerie


Am 11. Juni 1981 tötet der 32jährige Japaner Issei Sagawa, der zum Literaturwissenschaftsstudium nach Paris übergesiedelt ist, in der französischen Hauptstadt seine 25jährige niederländische Kommilitonin Renée Hartevelt.

Unter dem Vorwand, sie solle im Rahmen eines Uni-Projekts deutsche Gedichte für eine Tonaufnahme rezitieren, lockt er sie in seine Wohnung, um sie sodann mit einem Kleinkalibergewehr hinterrücks zu erschießen; anschließend verspeist der seit seiner Jugend von Kannibalismus-Phantasien besessene Sagawa Teile der jungen Frau; beim Entsorgen der Leiche wiederum stellt er sich derart unbeholfen an, dass er sich alsbald auf der Anklagebank wiederfindet. Noch unfassbarer als die Tat an sich gestaltet sich Sagawas weiterer Lebensweg: Nachdem er recht wenige Jahre erst in französischen, dann in japanischen Psychiatrischen Anstalten verbracht hat, gelingt es seiner wohlhabenden und einflussreichen Familie, ihn vor einer lebenslangen Haftstrafe zu bewahren. Bereits Mitte der 80er befindet sich Sagawa wieder auf freiem Fuß, und baut auf seinen kannibalistischen Neigungen und seinem Mord an Renée Hartevelt eine regelrechte Popstar-Karriere auf: Er schreibt Romane und Sachbücher; man sieht ihn als regelmäßigen Gast japanischer Talkshows; mehrere Dokumentationen werden über ihn gedreht; es erscheint ein Comic, das seine Tat en détail illustriert; nicht zuletzt verfasst er gar Restaurantrezensionen für Gourmetzeitschriften und spielt in mindestens zwei Pornofilmen mit. Ich weiß nicht, was ich bedenklicher finden soll: Die Tatsache, dass der wenig reuig erscheinende Sagawa sich noch bis ins hohe Alter von den Medien als Kannibale vom Dienst hofieren lässt, oder aber den Umstand, dass eben diese Medien überhaupt auf die Idee kommen, einen kannibalistischen Serienmörder wie einen Prominenten schmeißfliegengleich zu umschwärmen.

Gänzlich ohne Sagawas Beteiligung, jedoch unmissverständlich von dessen Tat inspiriert, dreht der belgische Experimentalregisseur Olivier Smolders 1987 sein Frühwerk ADORATION – und liefert mit dem fünfzehnminütigen Kurzfilm die, meiner Meinung nach, einzige gang- und tragbare Möglichkeit, wie man sich der Figur Sagawa aus ästhetischer Sicht nähern kann, ohne sich sofort in ethisch-moralischen Fallstricken zu verheddern.

Smolders entscheidende Idee lautet, die Vorgänge in Sagawas Appartement aus der vermeintlich neutralen Perspektive einer Kamera zu beobachten: Zu Beginn sehen wir ihn, wie er sie in dem kargen, lediglich von etwas moderner Kunst an den Wänden und einem Regal voller Bücher aufgelockerten Raum in Stellung bringt, ihren Fokus einstellt, den Bildausschnitt wählt. Zu hören ist, wie im Großteil des Films, einzig und allein das Rasseln des sich mit Bildern füllenden Analogstreifens. Auftritt Renée, die davon, dass eine Kamera auf sie gerichtet ist, weniger irritiert, sondern eher geschmeichelt zu sein scheint. Beinahe kokettiert sie mit der Kamera beim Abendessen, das die beiden in einem anderen Winkel der gleichen Kammer einnehmen, vor allem als Sagawa einmal aufsteht, um den Apparat vom Stativ zu nehmen und per Hand dicht an das Gesicht seines späteren Opfers heranzuführen. Für jemanden, der den Film völlig unvorbereitet zu Gesicht bekommt, dürfte zu dem Zeitpunkt nicht klar sein, in welche Richtung sich die Beziehung der beiden jungen Menschen entwickeln wird. Trotz seiner formalen Strenge – das asketische Schwarzweiß; die meist statische Kamera; die stummen Dialoge – hat ADORATION die Verspieltheit eines intellektuellen Balztanzes, der dadurch in seine nächste Phase eintritt, dass Renée eine Szene später mitten im Raum vor dem Tonbandgerät kniet, um dem Mikrofon insgesamt drei Gedichte anzuvertrauen, (die ich, trotz intensiver Recherche, bislang nicht habe identifizieren können.) An diesem Punkt kommt auch erstmals und letztmals Ton ins Spiel: Wir hören Renées angenehme, weiche Stimme, während Sagawa neben ihr sitzt und ihr das Mikrofon gegen den Mund hält.

Etwas frostiger scheint die Stimmung plötzlich geworden, die Offenheit der jungen Frau gegenüber der Kamera ist einer gewissen Reserviertheit gewichen: Als Sagawa einmal mehr die Kamera vom Stativ hebt und sich mit ihr um Renée herumbewegt, schaut diese ausdruckslos in die Linse, schlägt sich schließlich die Hände vors Gesicht. Ofenbar unwillig, sich möglicherweise fragend, wann diese endlosen Lyriklesungen endlich enden mögen, setzt sie anschließend zum nächsten Gedicht an; Sagawa verlässt den Raum, kehrt mit seiner Waffe zurück, unbemerkt von Renée, die ganz in ihrem Gedichtband versunken ist; ein Schuss, ein Schrei, die Frau stürzt tödlich getroffen vornüber. Obwohl ADORATION in transgressiven Themen watet, die für jeden Normalbürger zu viel des Schlechten sein dürften, und obwohl ich durchaus die Vorwürfe derjenigen nicht von der Hand weisen möchte, dass Smolders für seinen Film ein reales Verbrechen ästhetisch überhöht, sprich, in eine konsumierbare, letztlich sogar genießbare Form bringt, (was der Regisseur wohl selbst niemals abstreiten würde), muss man dem Film doch zugestehen, dass er bei der Darstellung der nachfolgenden kannibalistischen Akten eine deutliche Dezenz wahrt, die allerdings freilich stellenweise bewusst ins Erotisch-Sexuelle umschlägt: Sagawa trennt Renée einen Arm und ein Bein ab; er verzehrt in Großaufnahme direkt vor dem Kameraobjekt Teile ihres Fleischs; wie ein Liebhaber liegt er neben der Leiche, um sie langsam zu entkleiden. In einem Moment spielt Smolders gar reflektiert mit dem Paradox medialer Aufzeichnungen von Toten und Toden: Während Sagawa mit der Befriedigung seiner Gelüste zugange ist, lässt er Renées Rezitationen noch einmal laufen, und sie stirbt ein zweites Mal, wenn auch nur auf der Tonspur. Dass Sagawa sich am Ende selbst ein Messer in den Bauch rammt, und zusammen mit der Kamera zu Boden kippt, ist natürlich eine Hinzudichtung Smolders: In der Parallelwelt, in der ADORATION sich abspielt, ist Sagawa kein langes, erfülltes Leben als Medienpersönlichkeit vergönnt.

Dass man es problematisch finden kann, wenn Smolders einen in der außerfilmischen Realität verbüten Mord als Sujet eines primär ästhetisch wirkenden Kurzfilms instrumentalisiert, habe ich oben schon artikuliert. Dennoch befindet sich ADORATION meilenweit davon entfernt, so etwas wie ein GUINEA PIG für Ästheten und Intellektuelle zu sein. Smolders suhlt sich nicht in seinen (übrigens dann doch vergleichsweise zurückhaltenden) Schock-Bilder.n Zugleich bezieht er aber auch keine moralische Position. Alles, was er tut, ist zuzuschauen. Dass ADORATION das Kunststück fertigbringt, sich seinem Sujet gegenüber nahezu neutral zu verhalten, hat natürlich vor allem damit zu tun, dass Smolders ein Regisseur ist, der es versteht, mit reduzierten Mitteln einen größtmöglichen Effekt zu erzielen – und dabei den falschen Effekten, den manipulativen, den vorkauenden, auszuweichen. Für mich persönlich gehört ADORATION neben von der Kritik ähnlich sträflich vernachlässigten Werken wie Bogdan Borrowskis LE POÈME (1985) oder Graeme Woods TEENAGE BABYLON (1989) jedenfalls zu den klügsten und spannendsten Filmen zum Konnex zwischen Tod und Kino der Experimentalfilmszene der 80er Jahre.
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