Black Metal Veins - Lucifer Valentine (2012)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Black Metal Veins - Lucifer Valentine (2012)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Bild

Originaltitel: Black Metal Veins

Produktionsland: Kanada 2012

Regie: Lucifer Valentine
Lucifer Valentine ist wohl eher berüchtigt als berühmt für seine sogenannte Vomit-Gore-Trilogie, bestehend aus SLAUGHTERED VOMIT DOLLS (2006), REGOREGITATED SACRIFICE (2008) und SLOW TORTURE PUKE CHAMBER (2010), die ausgiebig sowohl seiner Emetophilie bzw. Vomerophilie, sprich, der sexuellen Erregung beim Anblick von erbrechenden Menschen, Rechnung tragen als auch seiner Vorliebe dafür, mittels konfuser Schnitte, einem (ver-)störenden Sound-Design, und fragmentierter Handlungsversatzstücke den Eindruck zu erwecken, es handle sich bei ihm um einen ernstzunehmenden Avantgarde-Filmemacher. Im Jahre 2012 veröffentlicht er mit BLACK METAL VEINS seinen ersten Dokumentarfilm. Über mehrere Monate hinweg hat der Kanadier die Mitglieder einer Black-Metal-Wohngemeinschaft, wenn nicht sogar -Kommune mit der Kamera begleitet. Innerhalb des titelgebenden Subgenres harscher Klänge werden die jungen Leute allerdings hauptsächlich dadurch verortet, dass einer von ihnen, Brad, als Gitarrist in einer schwarzmetallenen Kapelle (ge)wirkt (hat?), woran uns der Film regelmäßig mit Schwarzweißaufnahmen und drittklassigen Burzum-Riffs erinnert. Ansonsten bleibt das, was uns Brad und seine Mitbewohner über die Faszination, die von dieser Musik ausgeht, ihre Ästhetik, ihre sonischen Spezifika zu erzählen wissen, in enggesteckten Grenzen. Einmal hält Brad einen Mini-Vortrag über die Entwicklung der genre-begründenden schwedischen Bathory von dem rauen Sound ihrer Anfangstage hin zu den Wikinger-Thematiken, denen sie sich auf späteren Alben verschrieben haben, und was für einen Einfluss gerade diese Band auf ihn persönlich ausgeübt hat. Damit erschöpft sich allerdings auch schon der Black-Metal-Aspekt. Deutlichere Affinitäten besitzt Valentine zu den titelgebenden Venen, denn: Sämtliche Kommunarden sind hochgradig drogenabhängig, rauchen Crack, spritzen Heroin, und verkaufen Valentine und uns das pseudo-stoizistisch als Lebensphilosophie. Vollkommen freiwillig hätten sie alle ihre destruktiven Lebenswege eingeschlagen, aus Misanthropie, aus Verachtung für die eigene Existenz, die sie totschlagen wollen wie eine lästige Fliege, aus dem klaren Bewusstsein heraus, nicht in Monotonie alt werden zu wollen, sondern lieber in einem permanenten Rausch sich eigenhändig und möglichst jung das eigene Grab zu schaufeln. Tja, und Lucifer Valentine ist live mit seiner unruhigen Handkamera vor Ort, um genau dies zu bebildern: Wie sich junge Leute mittels ganzer Asservatenkammern schädlicher Substanzen noch zu Lebzeiten in lebende Leichname verwandeln.

Was macht BLACK METAL VEINS zu einem gelungenen Dokumentarfilm? Valentine tritt in die Fußstapfen des cinéma vérité, wenn er – zumindest auf den ersten Blick – so wenig wie möglich in das Geschehen eingreift, als Filmender hinter seinem Sujet zurücktritt, und den Eindruck erweckt, er sei ein stilles Mäuschen, das dem munter wechselnden Kreis an Junkies aus seinem Löchlein heraus einfach nur bei der Selbstzerstörung zuschaut. Selbst wenn Brad, seine Freundin Autumn Misery, oder Raven und ihr Freund Chris der Kamera frontal ihre Weisheiten anvertrauen, ist Valentines Einzelheiten aus ihnen hervorkitzelnde Stimme nie zu vernehmen. Es wirkt größtenteils, als würden seine Interviewpartner tatsächlich frei von der ramponierten Leber plaudern. Manchmal gelingen BLACK METAL VEINS damit sehr hellsichtige, schmerzhafte Momente. Einer, der mich besonders betroffen gemacht hat, zeigt Raven, die sich im Laufe der eineinhalb Stunden, neben Brad, zu so etwas wie der „Heldin“ des Films mausern wird, und einen Dealer, der ab und zu bei der WG vorbeischneit, wie sie, unabhängig voneinander, aber in Parallelmontage, zunächst nachdrücklich bekräftigen, dass kein externes Unglück, kein Schicksalsschlag sie in ihre derzeitige Situation manövriert habe. Nein, sagen beide unisono, das sei allein ihre eigene Entscheidung gewesen, sie hätten beide eine glückliche Kindheit verlebt, liebende Eltern gehabt, einen normalen Alltag als Jugendliche etc. Dann aber, je länger die Szene andauert und je mehr Crack-Rauch den beiden in die Lungen weht, kommen hinter ihren Beteuerungen wahre Abgründe zutage. Der Dealer berichtet schließlich davon, dass sein Vater sich, schwer krebskrank, das Leben genommen habe, indem er sich in den Kopf schoss, um einen langen, qualvollen Tod zu entgehen, und dass er damals noch ein Kind gewesen sei. Raven wiederum berichtet von ihrem aufdringlichen Stiefvater, der sie als Kind gerne gebadet habe, und davon, dass sie selbst bereits zwei Kinder habe, die sie aber, aufgrund ihrer Drogensucht, nicht sehen dürfe, sie seien bei Pflegefamilien, aber irgendwann, verspricht sie sich, werde sie sie zu sich zurückholen. Auch am Ende des Films gewinnt BLACK METAL VEINS eine gerade wegen seines schonungslosen Realismus durchaus nahegehende tragische Qualität, wenn ausgewählte Eltern der Personen, die wir bis dahin weit über ein halbes Jahr beim körperlichen Zerfall begleitet haben – gerade Raven löst sich innerhalb von sechs Monaten regelrecht vor unseren Augen auf, ist irgendwann übersät von Abszessen, von denen sie erklärt, das sei die Droge, die in ihrem Körper eingesperrt sei, und nach Wegen suche, aus diesem hervorzubrechen - ihre Hilflosigkeit zum Ausdruck bringen, von den Leben erzählen, die sie sich für ihre Kinder eigentlich gewünscht hätten, und vor laufender Kamera in Tränen ausbrechen.

Genau diese Tränen und Abszesse fallen aber schon unter die Antwort auf die Frage, weshalb BLACK METAL VEINS ein ethisch-moralisch äußerst fragwürdiger Dokumentarfilm ist. Denn: Natürlich ist Lucifer Valentine jede Sekunde anwesend, und er reibt uns das auch unter die Nase allein dadurch, wie er sein Material nachträglich bearbeitet hat. Noch immer sind seine stakkatoartige Schnitte oftmals dazu geeignet, mich seekrank werden zu lassen. Gefühlt alle paar Sekunden erfolgt ein Sprung, was gerade die Dialoge und Monologe fortwährend in zusammengestutzte, teilweise sinnentfremdende Collagen verkehrt. Auch die aus seiner VOMIT-GORE-Trilogie bekannten Soundeffekte finden sich in BLACK METAL VEINS en masse. Aus dem Off ertönen atonale Industrial-Klanglandschaften oder Stimmen, die elektronisch verzerrrt und in Zeitlupe rückwärts abgespielt werden, beides manipulative Eingriffe, die die Bilder oft genug nicht bloß überlagern, sondern regelrecht unter sich begraben. Genau solche Geisterbahn-Gimmicks sind allerdings, wie ich finde, wenig dazu geeignet, den menschlichen Dramen vor unseren Augen gerecht zu werden. Vielmehr stempeln sie die Schicksale von Raven, Brad und ihren Freunden zur bizarren Freakshow. Oft genug merkt man Valentine außerdem an, mit welcher Leidenschaft er bei der Sache ist, wenn es darum geht, sich in die Gesichter seiner völlig abgeschossenen Protagonisten, bei denen bloß noch die Augenlider flattern, mit der Kamera förmlich einzugraben, in Großaufnahme die verwachsenen, klauenartigen Zehennägel Brads vorzuführen, mittels Zoom in die Abszesse an Ravens Hintern einzutauchen, oder generell seine „Helden“ selbst in Zuständen, wo diese mit Sicherheit nicht mehr zurechnungsfähig sind, skrupellos weiter zu filmen – sei es nun, wenn sie, wie Raven, einen Striptease hinlegen, oder, wie Autumn Misery, einen Monolog über der Kloschüssel halten, in die sie (wenig verwunderlich) dabei andauernd on-screen speien, oder, wie Brad, ihre Freunde auffordern, ihm Whiskey per versiffter Spritze in die Halsschlagader zu jagen. Gerade letztere Szene lässt mich dann doch fragen, inwieweit denn die Anwesenheit Valentines die Protagonisten am Ende nicht gar noch dazu angestachelt hat, sich vor seiner Kamera weitaus heftiger gehenzulassen als sie es ohne eine beobachtende Instanz getan hätten. Wenn beispielweise Brad beinahe stolz seine verfaulten Zahnstümpfe bleckt, um Valentine „the perils of drug use“ anschaulich zu machen, oder wenn Ravens unscheinbarer Freund, der selbst keine Drogen anrührt, und bei dem ich mich stetig wunderte, weshalb der eigentlich mit diesen menschlichen Wracks herumhängt, auf einmal die Lust übermannt, und Brad ihm noch hilft, die komplett weggetretene nackte Raven auf dem Bett in die richtige Stellung zu bringen, damit er sich an ihr vergehen kann, dann hat das für mich mehr als nur einen bitteren Beigeschmack. Die Geschmacksknospen vollkommen weggeätzt bekomme ich, wenn Valentine uns das Ergebnis dieser Vergewaltigung – (die wir zum Glück nicht zu sehen bekommen) – zeigt: Raven liegt auf ihrer Matratze, vor ihrem Mund hat sich eine Blutlache gebildet, dazu jaulen absonderliche Dämonenstimme, und selbst die Kameralinse – nur: wie soll das denn passierten sein, oder hat Valentine die selbst dorthin getupft? - hat ein paar Blutflecken abbekommen.

Aufrüttelnd investigative Anti-Drogen-Doku, die in jeder Schule als Rosskur auf den Lehrplan gehört, oder voyeuristisches Ausschlachten der physisch-psychischen Missstände von Menschen, die nicht mehr fähig oder nicht willens sind, den Voyeurismus zu registrieren, dem sie zum Aufgeilen dienen? Entscheidet selbst! Meine Meinung dürfte klargeworden sein.
Antworten