Das Mädchen und die Spinne - Ramon Zürcher (2021)
Moderator: jogiwan
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Das Mädchen und die Spinne - Ramon Zürcher (2021)
Originaltitel: Das Mädchen und die Spinne
Produktionsland: Schweiz 2021
Regie: Ramon Zürcher
Cast: Henriette Confurius, Liliane Amuat, Ursina Lardi, Flurin Giger, André M. Hennicke, Dagna Litzenberger-Vinet, Lea Draeger, Ivan Georgiev
...und dann, einmal mehr, Liebe auf den ersten Blick:
Zürchers Vorgängerfilm DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN hatte ich nach Release Anno 2013 mehrmals gesehen, so verzückt war ich. Anfang 2014 brachte ein studentisch organisierter Verein den Streifen gar in die Stadt, in der ich damals hauptsächlich wohnte, - und zwar in Anwesenheit des Regisseurs und dessen Zwillingsbruders Silvan Zürcher, der für die Produktion verantwortlich zeichnete, die sich nach der Vorstellung einem kleinen Q&A stellten. Das dürfte rückblickend die letzte öffentliche Veranstaltung gewesen sein, die ich jemals mit meiner damaligen Freundin besucht hatte. Der Bruch verlief tatsächlich bereits derart arg, dass sie frühzeitig mit unserem damaligen Mitbewohner hinfortzog, im Stil von: Puh, was für ein Blödsinn! Ich aber bin noch ewig mit den Zürcher-Zwillingen an der Kino-Bar herumgehangen, so verzückt war ich.
Nach ein paar Jahren hörte ich auf, regelmäßig zu checken, ob da noch etwas von denen kommt, - immerhin sind zwischen dem KÄTZCHEN und der SPINNE nunmehr acht Jahre verstrichen. Erst ein Freund, mit dem ich kürzlich diesen meiner Meinung nach grundlos über den Grünen Klee gehypten Neo-Slasher namens X von Ti West im Wolfenbüttler Blockbuster-Palast schaute, brachte mich diesbezüglich aufs Laufende: Die Zürchers, sagt er, sind gerade dabei, eine Trilogie zu vollenden! Und, puh, nachdem ich nunmehr den zweiten Film dieser (explizit an Argento angelehnten!?) "Tier-Trilogie" gesehen habe, hat sich das Warten mehr als gelohnt: Im Ernst, es ist manchmal wirklich wie Liebe auf den ersten Blick, wenn man etwas findet - sei es ein Film, sei es ein Stück Literatur, sei es ein Ort, sei es ein Mensch -, bei dem man das Gefühl hat, es würde nun wirklich alles auf einen selbst passen wie die sprichwörtliche Faust aufs sprichwörtliche Auge, so, als sei diese eine Sache nur für einen selbst geschaffen worden, oder man selbst für diese eine Sache, oder beides füreinander.
Auch bei DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE dasselbe präzise inszenierte Tohubawohu vor dem Hintergrund eigentlich unspektakulärer Alltagsbeobachtungen von Liebe, Lust und Leiden, so, als wolle man das nervöse Chaos eines Andrzej Zulawski in den unterkühlten, emotionsfeindlichen Rahmen der Berliner Schule pressen; auch bei DAS MÄDCHEN DIE SPINNE ganz viele Tiere, über die man allerdings mehr reden hört statt dass man sie tatsächlich im Bild sieht: ein Hund, eine Katze, und natürlich die titelgebende Spinne, die mir geradewegs eine Anspielung auf eine Kurzgeschichte aus der Feder des Weimarer Splatter-Literaten Hanns Heinz Ewers zu sein scheint; auch bei DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE schwärzester, jedoch sehr subtil vorgetragener Humor, berührendste Momente zwischenzeiliger Zärtlichkeit, schlimme Abgründe, die sich erst auf den zweiten Blick auftun, und sich sofort wieder schließen, wenn man nicht zu schnell hingeguckt hat.
Jede einzelne Bildkomposition dieses visuell hinreißenden Films ist zwar akkurat geplant, dann passiert aber so viel im Kader, dass man gar nicht weiß, wo man hinhören oder hinschauen soll: Welch Choreographien da wie selbstverständlich vor meinen Augen ablaufen und vor allem, wie mathematisch genau sie konzipiert worden sein müssen, fast wie ein Ballett, fast wie eine Oper! Möglicherweise ist das auch der größte Trumpf Zürchers: Wie völlig unprätentiös hier wuselndes Vibrieren und kaltes Konstatieren in Einklang gebracht werden: Da werden komplexe Beziehungsgeflechte kondensiert in ein, zwei schlichten Sätzen, ohne dass es simplifizierend wirkt, weil Kamera und Montage alles dafür tun, all die Bedeutungsebenen mitzuschreiben, die wichtig sind, um zu verstehen, was da an Abneigung/Zuneigung vonstatten geht. Der Wind kann sich innerhalb von Sekunden drehen, weil zwischen dem Moment, in dem man sauer auf jemanden ist, und dem Moment, in dem man alles vergibt, nur Sekundenbruchteilen oder eine Geste oder eine Kamerabewegung liegen.
Und dann erzählt DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE auch noch eine Geschichte, mit der sich vielleicht nicht alle, aber viele identifizieren können dürften: Es geht um unterdrückte Begierden, um Neuanfänge, um Zufallschancen, die man ungenutzt verstreichen lässt, um unterschwelligen Sadismus, der sich am schwächsten Glied der Kette ausagiert, darum, wie der Wind sich drehen kann, innerhalb von Sekundenbruchteilen. Kurzum: Nachdem ich ins Netz dieser Spinne geraten bin, beschwöre ich einmal mehr, wie ich es schon beim MERKWÜRDIGEN KÄTZCHEN getan habe, dass Ramin Zürcher für mich zu den spannendsten Regisseuren der Gegenwart zählt: Hier verzahnen sich Form und Inhalt, wie ich es sonst eigentlich nur noch, dort freilich auf ganz andere Art und Weise, von Gaspar Noé kenne.