Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Moderator: jogiwan
Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
DVD: Motion Picture (kleine Hartbox #6)
Der Mann auf dem Dach (Schweden 1976, Originaltitel: Mannen på taket)
Grauer Alltag?
Mord im Krankenhaus! Nyman, ein älterer Polizist, wird auf bestialische Art getötet, das Krankenzimmer gleicht einem Schlachthaus. Kommissar Martin Beck (Carl-Gustaf Lindstedt) übernimmt die Ermittlungen, allem Anschein nach war das Mordopfer im Kreis der Kollegen alles andere als unumstritten. Während Beck und seine Mitarbeiter dem Täter auf die Spur kommen, bahnt sich in Stockholm bereits die nächste Katastrophe an ...
Längst haben Kriminalfilme aus Skandinavien den Markt überflutet, oft sind deutsche TV-Sender an der Produktion beteiligt. Lange vor dieser Welle entstand Bo Widerbergs "Der Mann auf dem Dach", Widerberg zeichnet für Regie und Drehbuch verantwortlich. Während zum Auftakt noch mit bedeutungsschwangeren Elementen gearbeitet wird, wir sehen die Silhouette einer Person, hören eine Uhr ticken, betrachten schmucklose Opening credits, baut der Film später auf einen nüchternen -fast dokumentarisch anmutenden- Stil. Zuvor gipfeln die ersten Minuten jedoch in einer harschen Gewaltszene, deren Spannungsaufbau und Entladung jedem Horrorstreifen bestens zu Gesicht stehen würde. Nach knapp fünf Minuten stürzen wir in den Feierabend des Protagonisten, Beck versucht sich am Bau eines Schiffsmodells. Auffällig der nahezu vollständige Verzicht auf Bilder von Landschaften und/oder Städten zur Erzeugung von Atmosphäre, stets bleibt die Kamera nah an den Akteuren, irgendwo zwischen pseudo-dokumentarisch und sanft-voyeuristisch. Mutig und konsequent, fraglos eine gute Entscheidung, noch hat der harte Alltag Beck und dessen Umfeld nicht vollständig ausgebrannt, jedoch tiefe Spuren hinterlassen, bleibt unauslöschbar eingebrannt.
Carl-Gustaf Lindstedt verhilft Beck nicht nur zu einem Gesicht mit Charakter, er beherrscht feine Zwischentöne und legt den Ermittler nie als Übermensch an. Sehr gut gefällt mir Håkan Serner als Einar Rönn, hinter der müden Fassade steckt ein cleverer Ermittler mit Humor, Lindstedt und Serner haben gemeinsam großartige Szenen. Sven Wollter und Thomas Hellberg hinterlassen auf der Zielgeraden ihre Duftmarken. Wollter eilt Beck zu Hilfe, begibt sich als Lennart Kollberg in Lebensgefahr. Hellberg sehen wir als vorlauten Polizisten Gunvald Larsson, der unter Druck zunehmend präzise und klug agiert. Gewissermaßen Gegenpol zu Einsatzleiter Malm (Torgny Anderberg), welcher in erster Linie Disziplin einfordert, mit der brenzligen Situation immer weniger klarkommt, schliesslich als Häufchen Elend durchs Bild stolpert.
Bo Widerberg bleibt dem gewählten Stil treu. Das Finale ersteckt sich über rund 45 Minuten, Schusswechsel verkommen nie zum inhaltlosen Selbstzweck, sogar der dramatische Absturz eines Hubschraubers passt perfekt ins Bild. Beck will das Ruder per Einzelaktion übernehmen, landet hart und schmerzhaft auf dem Boden der Realität, hoch über den Bürgersteigen der Stadt. Sogar in den letzten Sekunden widersetzt sich Widerberg einem einfachen und eindeutigen Ausweg, lässt Gunvald Larsson den Anker der Vernunft werfen, stösst damit vermutlich die Erwartungshaltung vieler Zuschauer in den Abgrund. Seit Jahrzehnten bereichern Filme mein Leben, erfüllen meine kleine Welt mit Liebe, Lust und Leidenschaft. Wie gut es sich anfühlt, auch nach so vielen Jahren immer wieder neue Perlen zu entdecken, bisher unentdeckte Schätze zu heben. Nachdem ich in der vergangenen Nacht die Gerätschaften in den Schlaf versetzt hatte, ließen mich die Gedanken an das vorherige Filmerlebnis nicht los.
Großes Lob verdient die DVD aus dem Hause Motion Picture. "Der Mann auf dem Dach" wird in grandioser Qualität angeboten, der Ton liegt in deutscher und schwedischer Sprache vor, deutsche Untertitel auf Wunsch zuschaltbar, im Bonusbereich sind prächtige Trailer zu anderen Titel des Labels zu bewundern. Hier gibt es nicht nur eine klare Kaufempfehlung, hier herrscht unvermeidbarer Kaufzwang!
Zunächst ziehe ich dicke 8,5/10 (sehr gut bis überragend)! Die Scheibe wird mit Sicherheit bald erneut im Player landen, ich freue ich darauf!
Lieblingszitat:
"Unsere Neuen haben vor ihm große Angst gehabt."
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Ich hatten von diesem Film vorher auch noch nie etwas gehört bzw. gelesen. Einen Trailer hatte ich vor ein paar Wochen mal gesehen und der hat ganz ordentlich ausgeschaut und wenn der Blap das Teil so hochjubelt dann muss ich mir das teil doch mal besorgen .
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Ich schaue ja nicht so oft fern, aber "Kommissar Beck" kommt mir bekannt vor. Gibt es da nicht auch eine TV-Serie?
Früher war mehr Lametta
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Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Gibt es soweit ich weiß aber diese Serie dürfte neueren Datums sein und müsste mit diesem Film nicht zu tun haben. Ich kann mich da aber auch täuschen und vielleicht ist der Kommissar Beck dort so eine Art Derrick und schon etwas länger unterwegs.Arkadin hat geschrieben:Ich schaue ja nicht so oft fern, aber "Kommissar Beck" kommt mir bekannt vor. Gibt es da nicht auch eine TV-Serie?
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Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Der Trailer baut überwiegend auf Krawall, spiegelt damit jedoch nicht die tatsächliche Ausrichtung/Atmosphäre des Streifens wider! Du solltest keinen Actionknaller erwarten!Onkel Joe hat geschrieben:Ich hatten von diesem Film vorher auch noch nie etwas gehört bzw. gelesen. Einen Trailer hatte ich vor ein paar Wochen mal gesehen und der hat ganz ordentlich ausgeschaut und wenn der Blap das Teil so hochjubelt dann muss ich mir das teil doch mal besorgen .
"Der Mann auf dem Dach" wurde im Rahmen einer TV-Serie erneut verfilmt (1993/94).Arkadin hat geschrieben:Ich schaue ja nicht so oft fern, aber "Kommissar Beck" kommt mir bekannt vor. Gibt es da nicht auch eine TV-Serie?
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Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Es gibt auch zahlreiche Hörspiele, die u.a. Henning Venske gemacht hat, mit grandiosen Sprechern wie z.B. Horst Frank, Christian Brückner, Charles Wirths usw., die ich immer wieder sehr gerne höre. Der DAV hat eine tolle Edition veröffentlicht.Arkadin hat geschrieben:Ich schaue ja nicht so oft fern, aber "Kommissar Beck" kommt mir bekannt vor. Gibt es da nicht auch eine TV-Serie?
Ich wusste erst gar nicht, dass es sich dabei um einen Beck-Film handelt, da ich nur den Originaltitel "Das Ekel aus Säffle" kenne. Wieder was gelernt und der Rest der Edition Motion Picture will wohl doch gekauft werden.
- CamperVan.Helsing
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Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Ein in einem Krankenhaus ermordeter Polizist und die Suche nach dem Täter. Kommissar Beck ermittelt rasch und findet heraus, dass der ermordete Kommissar Nyman wohl ein sehr widerwärtiges Arschloch war, gegen den jede Menge Beschwerden vorlagen, Nyman aber stets von Untergebenen (der polizeiliche Korpsgeist!) gedeckt wurde.
Nach einem überraschend blutigen Mord widmet sich der Film der polizeilichen Ermittlungsarbeit, und das tut er mit einem typischen 70er-Jahre-Realismus-Touch, ja fast schon dokumentarisch wirkend. Maurizio Merli und ähnliche Konsorten aus bella Italia sind hier sehr weit weg. Eigentlich ist der Film schon ein wenig zu dröög und überhaupt: Warum ist der Film eigentlich "Der Mann auf dem Dach"?
Nach einer Stunde kippt der Film dann jedoch in eine andere Richtung. Die Polizei hat die Identität des Mörders herausgefunden, doch der hat sich nun mit einem automatischen Gewehr auf einem Dach verschanzt und eröffnet auf jeden Polizisten unverzüglich Dauerfeuer. Nun ist Azione im hohen Norden angesagt...
Nur hartnäckiger Überredungskunst ist es zu verdanken, dass ich mir diesen Film besorgt habe. Und das habe ich letztlich nicht bereut. Befürchtete ich nach einer Stunde noch, dass der Film noch 45 Minuten Geplänkel aufweisen würde, so wurde ich auf eine falsche Fährte geführt, auch wenn das Finale doch einige Schnitzer aufweist, doch ich will nicht spoilern. Der Wechsel nach knapp einer Stunde war auch sinnvoll, denn ansonsten wäre der Film wohl doch zu sehr ermittlungsfixiert und zu trocken geworden. Das soll allerdings nicht heißen, dass diese Phase schlecht gemacht wäre.
Die eine Szene, die einen der ermittelnden Beamten zu Hause zeigt, hätte man in den Beck-TV-Krimis auch gewiss nicht drin gehabt:
Er wacht morgens auf, er hat nur mit einem T-Shirt bekleidet geschlafen. Seine Frau schläft noch. Sein kleiner Sohn sitzt auf dem Bett, die Windel ist verrutscht. Im Bad macht er dem Kind den dreckigen Hintern sauber, dann kommt er, weiterhin nur mit dem T-Shirt bekleidet ins Schlafzimmer zurück (full frontal nudity!), Frau ist mittlerweile wach geworden, auch das Kleinkind kommt nackt ins Schlafzimmer zurück (das würde heute schon deshalb nicht drin sein, weil man befürchten würde, ehemalige Bundestagsabgeordnete könnten zuschauen). Ach ja, Sex zwischen Mann und Frau war da auch noch (soft). Und das ganze tatsächlich so gestaltet, wie man es sich bei einer x-beliebigen Familie in einer x-beliebigen Wohnung vorstellen kann. Nordisch spröde halt.
Kein Meisterwerk, aber für aufgeschlossene Filmfreunde durchaus einen Blick wert.
Nach einem überraschend blutigen Mord widmet sich der Film der polizeilichen Ermittlungsarbeit, und das tut er mit einem typischen 70er-Jahre-Realismus-Touch, ja fast schon dokumentarisch wirkend. Maurizio Merli und ähnliche Konsorten aus bella Italia sind hier sehr weit weg. Eigentlich ist der Film schon ein wenig zu dröög und überhaupt: Warum ist der Film eigentlich "Der Mann auf dem Dach"?
Nach einer Stunde kippt der Film dann jedoch in eine andere Richtung. Die Polizei hat die Identität des Mörders herausgefunden, doch der hat sich nun mit einem automatischen Gewehr auf einem Dach verschanzt und eröffnet auf jeden Polizisten unverzüglich Dauerfeuer. Nun ist Azione im hohen Norden angesagt...
Nur hartnäckiger Überredungskunst ist es zu verdanken, dass ich mir diesen Film besorgt habe. Und das habe ich letztlich nicht bereut. Befürchtete ich nach einer Stunde noch, dass der Film noch 45 Minuten Geplänkel aufweisen würde, so wurde ich auf eine falsche Fährte geführt, auch wenn das Finale doch einige Schnitzer aufweist, doch ich will nicht spoilern. Der Wechsel nach knapp einer Stunde war auch sinnvoll, denn ansonsten wäre der Film wohl doch zu sehr ermittlungsfixiert und zu trocken geworden. Das soll allerdings nicht heißen, dass diese Phase schlecht gemacht wäre.
Die eine Szene, die einen der ermittelnden Beamten zu Hause zeigt, hätte man in den Beck-TV-Krimis auch gewiss nicht drin gehabt:
Er wacht morgens auf, er hat nur mit einem T-Shirt bekleidet geschlafen. Seine Frau schläft noch. Sein kleiner Sohn sitzt auf dem Bett, die Windel ist verrutscht. Im Bad macht er dem Kind den dreckigen Hintern sauber, dann kommt er, weiterhin nur mit dem T-Shirt bekleidet ins Schlafzimmer zurück (full frontal nudity!), Frau ist mittlerweile wach geworden, auch das Kleinkind kommt nackt ins Schlafzimmer zurück (das würde heute schon deshalb nicht drin sein, weil man befürchten würde, ehemalige Bundestagsabgeordnete könnten zuschauen). Ach ja, Sex zwischen Mann und Frau war da auch noch (soft). Und das ganze tatsächlich so gestaltet, wie man es sich bei einer x-beliebigen Familie in einer x-beliebigen Wohnung vorstellen kann. Nordisch spröde halt.
Kein Meisterwerk, aber für aufgeschlossene Filmfreunde durchaus einen Blick wert.
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(Fred Olen Ray)
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Re: Der Mann auf dem Dach - Bo Widerberg
Erscheint voraussichtlich am 05.02.2016 bei Motion Picture noch einmal auf DVD:
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!