Der Mönch und die Frauen - Ado Kyrou (1972)

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Salvatore Baccaro
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Der Mönch und die Frauen - Ado Kyrou (1972)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Le moine

Produktionsland: Frankreich/Deutschland/Belgien/Italien 1972

Regie: Ado Kyrou

Cast: Franco Nero, Nathalie Delon, Nicol Williamson, Nadja Tiller, Elisabeth Wiener


Die Sichtung von Ado Kyrous Leinwandadaption des 1796er Klassikers der Schauerromantik THE MONK von Matthew Gregory Lewis, die 1972 das Projektorenlicht erblickt, schiebe ich quasi seit Jahren vor mir her, durchaus mit dem Gedanken, dass es sich hierbei um ein vergessenes Meisterwerk, ein verschüttetgegangenes Juwel halnden könnte - und nun, wo ich mich endlich dazu durchgerungen habe, mir den Streifen zu besehen, lässt er mich recht sprachlos darüber zurück, was für eine glatte, jedwede Borsten und Stacheln einbüßende Angelegenheit der griechischstämmige Regisseur aus der, meiner Meinung nach, noch heute markerschütternden Literaturvorlage gemacht hat, - zumal das Ganze zunächst ein Herzensprojekt Luis Bunuels gewesen ist, und das Kyrou vorliegende Drehbuch, laut Vorspann, tatsächlich von Bunuel selbst und seinem Stammautor Jean-Claude Carrière verfasst wurde.

Wie viele Gothic Novels gleicht THE MONK einem Labyrinth, in dem man sich als Leser leicht verlieren kann: Personen erzählen Geschichten innerhalb Geschichten; parallel werden gleich mehrere Schauplätze aufgemacht, deren Verbundenheit sich erst mit der Zeit herausstellt; in den Prosatext inkorporiert sind etliche Gedichte, Lieder, eigenständige Erzählungen, die mit der Haupthandlung auf den ersten Blick wenig zu tun zu haben scheinen. Im Kern berichtet der damals noch blutjunge Gregory Lewis indes weitgehend ohne moralische Schranken vom Sündenfall des erzfrommen Mönches Ambrosio: Nachdem sich ihm ein Klosterbruder als verkleidete Frau zu erkennen gegeben hat, die sich den Habit einzig überzog, um unbehelligt in der Nähe des bewunderten Predigers sein zu können, erliegt Ambrosio, der bis zu dem Zeitpunkt angeblich nicht mal den entscheidenden Unterschied zwischen Männer und Frauen kennt, den körperlichen Reizen Matildas, um von dieser, die sich mehr und mehr als Femme Fatale entpuppt, letztlich von einem Laster zum nächsten gepeitscht zu werden, als da wären: Hemmungslose Sex-Orgien; Lug und Trug; Führen einer Doppelexistenz; Schwarze Magie; Vergewaltigung eines unschuldigen Mädchens aus der Madrider Oberschicht, auf die der geile Mönch alsbald ein Auge wirft; Mord der Mutter des Mädchens, als diese den Unhold auf frischer Tat ertappt usw. usf. Dabei gerät der voluminöse, in meiner Ausgabe weit über 600 Seiten umfassende Roman zunehmend aus den Fugen dessen, was selbst innerhalb der Schauerromantik als darstellbar galt. Was durchaus konventionell als melodramatische Liebesgeschichte im Gewand gotischen Gruselns beginnt, verliert sich vor allem im letzten Drittel in Schilderungen von Sex, Gewalt und Teufelszauber, dass sich der zeitgleich dichtende Marquis de Sade bloß noch einen Katzensprung entfernt befindet. Dass THE MONK ein Opfer der Zensur wurde und über lange Zeit aus der Literaturgeschichte förmlich herausgeixt worden ist, bildet die logische Folge von Lewis‘ davongaloppierender Phantasie: Dieses negative Menschenbild, diese nur halbseiden kaschierte Lust an der Darstellung sexueller Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt, dieser Genuss, mit dem wir in die Folterkammern der Inquisition, in unterirdische Katakomben voller verwesender Kadaver, schließlich gar in die Fänge des leibhaftigen Satans geführt werden, sucht innerhalb der Literatur um 1800 ihresgleichen, und wird, meiner Meinung nach, erst wieder 1874 mit Lautréamonts transgressiven CHANTS DE MALDOROR getoppt.

Eine Verfilmung dieses übrigens von den Surrealisten frenetisch gefeierten Epus müsste doch ein kinematographischer Kanonenschuss sein wie Pasolinis De-Sade-Rezeption in SALO, oder? Und dann führt auch noch Adonis Kyrou Regie, der dem Surrealismus zumindest nahesteht, dessen Frühwerk, soweit zugänglich, gespickt ist mit anregenden Kurzfilmen wie LE PALAIS IDÉAL (1958), einer Doku über Ferdinand Cheval, oder die Maupassant-Adaption LA CHEVELURE (1961) über einen Mann (Michele Piccoli), der sich in eine Perücke verliebt, und dessen Schrift LE SURRÉALISME AU CINÉMA (1953) eh zum Pflichtprogramm für alle gehört, die, wie ich, jeden größtenteils in einer Sandgrube runtergekurbelten Maciste-Streifen einem saubergeschleckten millionenschweren Hollywood-Blockbuster vorziehen.

Es ist ja verständlich, dass man einen mäandernden, sich ständig verzweigenden und verästelnden Wälzer wie THE MONK für einen 90-Minuten-Film auf seine wichtigsten Stationen zurechtstampfen muss, - weniger Verständnis bringe ich indes dafür auf, dass das Ganze aussehen muss wie ein x-beliebiger, visuell sterbenslangweiliger Fernsehfilm, der Kerndisziplinen wie Kamera, Montage, Lichtsetzung etc. nach dem kleinen Alphabet des konventionellen Filmemachens durchexerziert; dass man das subversive Potenzial der literarischen Vorlage völlig ungenutzt liegenlässt, und Lewis‘ Text förmlich glättet, sei es nun, indem man entscheidende Tabubrüche weglässt oder sie aber in einer blutarmen, uninspirierten, quasi beiläufigen Weise präsentiert, die mich als Zuschauer völlig kaltlässt; dass man einen unfreiwillig komischen Subplot um einen Gutsherrn hinzudichtet, der bei Lewis mit keiner Silbe erwähnt wird, und der sich, was wahrlich trashig wirkt, die Zeit mit Dingen wie Päderastie und Kannibalismus vertreibt; dass man es für richtig empfunden hat, wie stoisch Franco Nero die Titelrolle verkörpert, nämlich völlig blass, uncharismatisch, so, als wolle er überall lieber sein nur nicht am Set dieses Films, was vielleicht auch an den englischen Dialogen liegen mag, die dem armen Franco bei jedem Satz fast die Zunge brechen; dass man nicht versucht hat, das offensichtlich außerordentlich mickrige Budget dadurch zu kaschieren, dass man die limitierten Mitteln in irgendeiner Art effektiv nutzt, und sei es, indem man sich ganz einem kammerspielartigen Minimalismus verschreibt, denn: Eine angeblich vollgestopfte Kathedrale, die sichtbar lediglich aus etwa zwanzig Personen in vielleicht zehn Sitzreihen besteht, ernsthaft?

Einmal abgesehen vom (ebenfalls bei Lewis nicht vorkommenden) anti-klerikalen Schlusstwist, der mich dann zumindest überrascht hat, (ob nun negativ oder positiv, weiß ich noch nicht zu sagen), war dieser pseudo-grenzgängerische Kloster-Sexfilm für mich nun wirklich ein Satz mit einem riesigen X, - einem X voller Schlafmützen zudem, die mir dauernd über den Kopf wollten, um mich friedlich einschlummern zu lassen…
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sid.vicious
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Re: Der Mönch und die Frauen - Ado Kyrou (1972)

Beitrag von sid.vicious »

Der sollte gar mal von einem Nischenlabel veröffentlicht werden. Warum es nichts geworden ist, weiß ich nicht. Ich habe einen VHS-Rip, aber die Sichtung habe ich bereits zweimal abgebrochen. Den Grund dafür weiß ich nicht, aber Salvatores letzter Satz könnte sehr wohl dafür in Frage kommen.
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