Die zwei Leben der Veronika - Krzysztof Kieslowski (1991)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Die zwei Leben der Veronika - Krzysztof Kieslowski (1991)

Beitrag von jogiwan »

Die zwei Leben der Veronika

Bild

Originaltitel: La Double Vie De Veronique

Alternativtitel: The Double Life of Veronique

Herstellungsland: Polen, Deutschland, Frankreich, Norwegen / 1991

Regie: Krzysztof Kieslowski

Darsteller: Irène Jacob, Halina Gryglaszewska, Kalina Jedrusik, Aleksander Bardini, Wladyslaw Kowalski

Story:

Der Film zeigt das Schicksal zweier zwanzigjähriger Frauen, der polnischen Musikstudentin Veronika und der Französin Véronique, die räumlich getrennt zur Welt gekommen sind, ansonsten aber ein seelenverwandtes Leben führen. Die Ähnlichkeit ihrer Erscheinung, gleiche Vorlieben und Abneigungen und eine verborgene Herzschwäche fügen das Leben der beiden Frauen über die kleinsten, gemeinsam erlebten Empfindungen zusammen. Das Schicksal lässt sie sich zwar nur einmal in Krakau begegnen , die Verbundenheit bleibt aber dennoch auch über die räumliche Trennung hinweg bestehen. Bis die Geschichte dann durch den Tod Veronikas eine tragische Wende erfährt und Véroniques Leben mit der Liebe zu dem Marionettenspieler Alexandre in einem neuen Licht erscheint. (quelle: ofdb.de)
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Salvatore Baccaro
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Re: Die zwei Leben der Veronika - Krzysztof Kieslowski (1991)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Sofern Filme, oder: Kunst im Allgemeinen, tatsächlich in ihren Betrachtern ein eben nicht quasi-religiöses, sondern ein wirklich religiöses Gefühl hervorzurufen imstande sind, dann freilich immer nur, wenn sie die profane Quelle, aus der sie zwangsläufig stammen, so gut es geht zu kaschieren wissen. Alles, was wir heutzutage als „Kunst“ bezeichnen, ist von Menschenhand gemacht, und was man bei einem Gedicht, einem Gemälde, einem Musikstück vielleicht noch eher vergessen kann, springt einem bei einem kommerziellen Spielfilm, der ja primär für das Auge gemacht ist, wesentlich deutlicher in dasselbe, eben weil da Menschen sind, die vor der Kamera agieren, und menschenbezogene Themen behandelt werden, die Menschen für Menschen in einer bestimmten Weise darzustellen versuchen. Es ist um ein Vielfaches einfacher, ein bloßes Gefühl, das sich sowieso jedem menschengemachten Begriff entzieht und, wenn überhaupt, bloß annähernd beschrieben werden kann, zur Ausgangsbasis eines Glauben zu nehmen als so etwas Konkretes wie einen Film, der auf den ersten Blick keine Geheimnisse zu besitzen scheint, da man im Grunde alles über ihn weiß: man kennt den Namen seines Regisseurs, man kennt mehr oder weniger die Umstände seines Entstehens, man kann ihn zeitlich und kulturell ein- und zuordnen, man kennt die Laufzeit bis auf die Millisekunde genau. Ein Gott ist nicht definierbar, nicht fassbar, in letzter Instanz eigentlich nicht zu töten. Alle Götter, die die Weltgeschichte hinweggefegt hat, geistern wohl noch, selbst bloß als Schemen, irgendwo herum. Alle Kunstwerke, die die Weltgeschichte hinweggefegt hat, sind unwiderruflich verloren.

Bei einem Film nun aber wie LA DOUBLE VIE DE VÉRONIQUE, und überhaupt bei allen Filmen, von denen ich sagen würde, dass sie mir am meisten am Herzen liegen, stehen die Dinge, zumindest aus meiner subjektiven Sicht, etwas anders. Sicher, ich kann Stab, Crew, sogar das DVD-Label, das ihn in Deutschland vertreibt, beim Namen nennen, das aber betrifft die reine Oberfläche, sind bloße Äußerlichkeiten. Was dieser Film, und gar nicht so wenige andere, indes schafft, ist, dass er ein Gefühl vermittelt, das über all das hinausreicht und sich jeder Kategorisierung entzieht. Wieso berührt mich dieser Film so ungemein, dass es mir vorkommt, als habe mich etwas Göttliches tief in der Brust erwischt? Hier wie überall sonst, wo das zutrifft, kann ich die Frage nicht beantworten. Dieses Gefühl der Transzendenz, der Spiritualität ist nicht einfach bloß die Summe aus vielen Einzelteilen wie der superben, zuweilen gar an Argentos Meisterwerke erinnernden Farbgebung, der ruhigen, unaufgeregten, beinahe sakralen, auf jeden Fall aber verträumten Atmosphäre, die den gesamten Film durchzieht, der großartigen Musik von Zbigniew Preisner, der vielen unterschwelligen theologischen und philosophischen Gedanken, die Kieslowski nahezu beiläufig anstößt, der schauspielerische Leistung von Irène Jacob in einer Doppelrolle, nein, die Wirkung, die LA DOUBLE VIE DE VÉRONIQUE bei mir erzielt und die mich vor allem nach der ersten Sichtung mit einem unbeschreiblichen Glückseligkeitsgefühl und offenem Mund vor meinem Laptopbildschirm sitzen ließ, ist eine, die das zwar alles als Grundlage hatte, jedoch trotzdem etwas hinzuaddiert, das aus einem Bereich kommen muss, der über dem menschlichen Fassungsvermögen angesiedelt ist, eben das, was man in früheren Zeiten mit dem Begriff GOTT zu umschreiben versucht hat. Es sind das, was ich gerne als „arkane Winkel“ bezeichne, die Leerstellen in einem Kunstwerk, die man so und so oft interpretieren und deuten kann, am Ende kommt ihnen doch nicht auf die Schliche, man scheitert darin, der Beziehung auf die Zahnwurzel zu fühlen, die die eigenen Emotionen zu, wie hier, einem Film knüpfen, mit dem man, rein objektiv gesehen, eigentlich überhaupt nichts zu tun haben müsste. So gesehen würde ich die Behauptung jederzeit unterschreiben, dass in einer materialistischen, im wahrsten Sinne des Wortes entgotteten Zeit wie der heutigen die Kunst, allgemein gesagt, nicht nur ein alles transzendierendes Kommunikationsmittel ist, das Menschen über Nationalitätsgrenzen, Epochengrenzen, Mentalitätengrenzen hinweg verbindet, sondern genauso gut der letzte Schlupfwinkel der spirituellen Energien, die früher den gesamten Erdball durchtränkt haben.

Bei LA DOUBLE VIE DE VÉRONIQUE kommt hinzu, dass der Film für mich ein Märchen ist. Schon im Thread zu Jeunets AMÈLIE habe ich geschrieben, dass beide Werke für mich in gewisser Weise zusammengehören, nicht nur, weil ganze Handlungsstränge Kieslowskis sich in dem zehn Jahre später entstandenen französischen Film wiederfinden – weshalb ich mir ziemlich sicher bin, dass Jeunet von VÉRONIQUE nicht gering inspiriert gewesen sein muss! -, sondern die ganze Stimmung weist in eine ähnliche Richtung. Jedoch gibt es einen Unterschied. AMÉLIE, wohl einer der wenigen Filme, der sowohl den Akademiker wie das Blumenmädchen berührt, also ein Film quasi für Alle, einer, der Anspruch und Massengeschmack verbindet wie kaum ein anderer, den ich kenne, ist ein Märchen, bei dem man sich in die eigene Kindheit zurückversetzt fühlt. Man muss sich nicht mal großartig darauf einlassen, wie von selbst bringt einem der Film die, wie der deutsche Titel nicht zu Unrecht verspricht, fabelhafte Welt zurück, die man aus Kinderaugen sehen kann. VÉRONIQUE demgegenüber ist zwar, in meinen Augen, ebenfalls ein Märchen, aber eben ein erwachsenerer, eins, bei dem man schon die ganze Dramatik und Schrecklichkeit der Welt kennt, die man auch nicht vergisst, mit denen im Hinterkopf man aber nichtsdestotrotz zu träumen beginnen kann. Mit einer gewissen Unbekümmertheit verbindet Kieslowski somit einen politischen Kommentar bezüglich seiner polnischen Heimat mit einer ergreifenden Liebesgeschichte, streut mehrere Szenen dazwischen, für die es keine rationale Erklärung geben kann und die, strenggenommen, somit ins Fantasy- oder zumindest ins Mystery-Genre fallen müssen, lässt aber nie einen Zweifel daran, dass die Bilder und die Gefühle, die sie produzieren, wenn schon nicht wichtiger sind als die bloße Geschichte, so ihr doch zumindest ebenbürtig. Irgendwo zwischen David Lynch, aber weniger düster, Tarkovskij, aber weniger verkopft, und AMÉLIE, aber weniger verspielt, würde ich LA DOUBLE VIE DE VÉRONIQUE einordnen und eine klare Empfehlung wie selten aussprechen!
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Arkadin
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Re: Die zwei Leben der Veronika - Krzysztof Kieslowski (1991)

Beitrag von Arkadin »

Hmmm... mit "Amelié" hätte ich "Veronika" nun nicht in Verbindung gebracht. Welche Handlungsstränge sind denn da identisch? Ist länger her, dass ich beide Filme gesehen habe, darum will ich das gar nicht in Frage stellen, nur erinnere ich mich nicht dran.

"Veronika" ist ein Meisterwerk, gar keine Frage. Wie hier philosophische und theologische Fragen verwoben werden und das Ganze durch die Hand Kieslowskis zu einer traumartigen, sehr filmischen Reise durch das Leben wird, ist beeindruckend. allein der Gedanke an den einzigen Augenblick, in dem sich Veronika und Veronique begegnen - aber nicht treffen - jagt mir noch immer einen Schauer über den Rücken.

Apropos Schauer. Die wundersame Musik von Zbigniew Preisner und die beeindruckende Stimme von Elzbieta Towarnicka, ruft auch immer wieder tiefe Emotionen in mir hervor.

Dazu ein Tipp: Das Album "Requiem dla mojego przyjaciela" (Requiem for my friend - der gemeinte Freund ist der verstobene Kieslowski) ist einfach umwerfend und rührt mich immer wieder zu Tränen. Auch hier hört man Elzbieta Towarnicka. Als "Best of" würde ich das 3-CD-Set "Voices" empfehlen. Die erste CD beeinhaltet Kolloborationen mit Elzbieta Towarnicka (auch mit Stücken aus "Veronika"), die zweite Songs mit anderen Sängern (u.a. Cliff Richard :shock: ) und die dritte den kompletten Score zu Thomas Vinterbergs Theaterstück "Das Begräbnis" (bisher nicht verfilmte Fortsetzung von "Das Fest").
Früher war mehr Lametta
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