Drakula Istanbul'da - Mehmet Muhtar (1953)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Drakula Istanbul'da - Mehmet Muhtar (1953)
Herstellungsland: Türkei 1953
Regie: Mehmet Muhtar
Darsteller: Annie Ball, Cahit Irgat, Ayfer Feray, Bülent Oran, Atif Kaptan, Kemal Emin Bara, Kadri Ögelman, Münir Ceyhan,Osman Alyanak, Eser Tezcan
Wer des allerersten Auftritts der mittlerweile zum Genrestandardrepertoire gehörenden und obligatorischen Vampirfangzähne im Munde des Grafen Dracula ansichtig werden möchte, der sollte allein aus diesem Grund seinen Weg zu dem türkischen Schocker DRAKULA ISTANBUL'DA aus dem Jahre 1953 finden, der damit, immerhin fünf Jahre vor Hammers HORROR OF DRACULA, dem blutsaugenden Aristokraten etwas andichtete, das bis heute nahezu unzertrennlich mit seiner optischen Erscheinungsform verbunden ist, und seine früheren Kollegen wie Graf Orlok in NOSFERATU oder Bela Lugosis Darstellung in Universals klassischem DRACULA noch mangelte, den einen aus Zensurgründen, den anderen, weil er selbst schon an sich genügend schaurige Extremitäten aufbot, wie Hyänenohren, klauenartigen Fingernägeln und das aufgezehrte Gesicht des leibhaftigen Todes, dass das Innere seines Mundes wohl zur Nebensache wurdde. Demnach hat DRAKULA ISTANBUL'DA, selbst wenn es ein schlechter, vernachlässigbarer Film wäre, wenigstens eine historische Bedeutung, legt er doch offen, dass das Vampirmotiv, in den Jahrzehnten zuvor eher betucht und stiefmütterlich behandelt, die sexuellen Untertönen zurückerhält, die es von Anfang an besaß (so wie die spitzen Zähnchen des Grafen in HORROR OF DRACULA an eine Heroinspitze denken lassen, die seine Opfer in nach ihm süchtige, willenlose Kreaturen verwandeln, ist es eben noch naheliegender, sie als Phallussymbole zu interpretieren, die den jungfräulichen Hals gewaltsam penetrieren, und damit, dazu muss man nicht erst Freud bemühen, zum Statthalter für im Blickfeld der jüdisch-christlichen Moral obszönen Sexualpraktiken wie Blow Jobs etc. werden).
DRAKULA ISTANBUL'DA ist daneben für die offizielle Horrorfilmgeschichtsschreibung wohl nicht mal eine Randnotiz wert, was mich ein wenig verwundert, denn neben seinem Exotencharakter, den er für einen westlichen Rezipienten nunmal zwangsläufig besitzt, hat mich das Werk bestens unterhalten, und vor allem positiv überrascht, denn Vergleiche mit den üblichen Verdächtigen des türkischen "Kultkinos" wie bspw. TURKISH STAR WARS oder dem kürzlich von mir gesichteten und nicht weniger haarsträubenden YILMAYAN SEYTAN sind hier kaum angebracht. Sicher, was Schnitt, Kameraführung, Schauspielerführung, Dialogregie, Spezialeffekte etc. betrifft, liegt der Film weit hinter dem zurück, was das europäische oder amerikanische Kino Anfang der 50er bereits spielerisch aufbot. Ist man allerdings bereit, auch nur ein wenig über den eigenen Horizont hinauszublicken und sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass oftmals die Filme, die eben nicht "perfekt" in dem Sinne sind, dass in ihnen "alles stimmt", gerade durch ihre glatte Oberfläche die Ecken und Kanten einbüßen, die sie über das Gros herausheben, bietet DRAKULA ISTANBUL'DA nette Unterhaltungskost, die, vor allem wenn man mit der Originalgeschichte sattsam vertraut ist, interessante neue Blicke auf den zugrundeliegenden Roman von Bram Stoker wirft.
Tatsächlich wurde die Story der Vorlage weitgehend beibehalten. Dass man die Handlung von London nach Istanbul verlegte, ist ebenso logisch wie dass Kruzifixe in diesem Film vergeblich zu suchen sind und man sich der Vampire auf althergebrachte, handfeste Weise entledigt, indem man ihnen Knoblauch in die Mäuler stopft, ihre Herzen mit Pfählen durchbohrt und ihre Köpfe von den Rümpfen trennt. Auch einige wenige Personen der Romanvorlage fielen dem Rotstift zum Opfer, darunter der wahnsinnige Renfield. Dafür hat der Graf, der nach wie vor zu Beginn des Films in Rumänien residiert, einen buckligen, extrem schnauzbärtigen Diener an die Seite gestellt bekommen, der in einer hehren Heldentat Jonathan Harker bzw. Turan im letzten Moment vor einer Attacke seines blutlüsternen Herrn rettet, und dafür mit dem Leben bezahlen muss. Solche Details fallen indes, meiner Meinung nach, kaum ins Gewicht und halten sich, im Gegensatz zu späteren Adaptionen, die teilweise die komplette Geschichte auf den Kopf stellten, in behutsamen Grenzen. Etwas befremdlich indes ist, dass Turans Verlobte, die türkische Mina namens Güzin, hauptberuflich in einem schummrigen Nachtclub arbeitet, wo sie sich als Tänzerin verdingt, was dem Film immerhin Gelegenheit gibt, gleich drei einigermaßen unmotivierte Tanzeinlagen der guten Dame in die Handlung einzubringen, die ich aufgrund ihrer Freizügigkeit in einem türkischen Film von 1953 nun nicht wirklich erwartet hätte. Ansonsten bleibt alles beim Alten: Graf Dracula nistet in Istanbul ein, verliebt sich in Güzin, nachdem er zuerst ihre Cousine zu einer Untotin wandelte, schließlich kehrt Turan von seinem Horrortrip aus Transilvanien zurück und gemeinsam mit einem islamischen Van Helsing wird dem Unhold der Hals umgedreht.
Was mir bei DRAKULA ISTANBUL'DA besonders gefallen hat, ist die unglaubliche Ruhe, die der Film ausstrahlt. Regisseur Muhtar lag offenbar nichts weniger im Sinn als einen actionreichen, hektischen Horrorfilm abzuliefern. Stattdessen begnügen sich viele Szenen darin, einfach nur Atmosphäre zu schaffen. An reiner Handlung passiert über weite Strecken nichts und ich höre schon die Unken rufen, dieser Film sei ein Ausbund an Langeweile und Ereignislosigkeit. Gerade zu Beginn wird das augenfällig, wenn Turan sich im Schloss des Grafen wiederfindet und ihn allmähliche Ahnungen beschleichen, etwas sei mit seinem Gastgeber nicht ganz geheuer. Fast schon in Stummfilmmanier, mit langen Einstellungen, in denen unser Held durch das tatsächlich unheimliche, menschenleere Anwesen schlendert, erweckt der Film eine gothic-novel-Stimmung, die völlig frei ist von unfreiwillig komischen Elementen, wie sie, sobald die Story in das moderne, zur flimmernden Großstadt stilisierte Istanbul wechselt, leider dann doch zuweilen auftauchen. Hier, wo die Geschichte an Komplexität und an Dialogen gewinnt, offenbaren sich kaum zu kaschierende Schwächen in zuweilen unrealistischen Dialogen, kruder Montage und vor allem der Tatsache, dass sämtliche Protagonisten keine Emotionen an den Tag zu legen scheinen, die über neugieriges Interesse herausgingen, sodass selbst ein Mann, der eben erfahren hat, dass seine verstorbene Verlobte in Wahrheit als Kinderfresserin die dem Friedhof nahen Dörfer auf Suche nach Säuglingen plündert, dies nicht gravierender zur Kenntnis nimmt als hätte man ihm offenbart, dass ihm ein Knopf am Jacket fehlt. Irgendwo zwischen bejubelnswerter Kreativität und verstörendem Trash ist auch das Finale anzusiedeln, in dem Dracula sich in Güzins Tanztheater schleicht und sie mittels Hypnose dazu bringt, für ihn eine ihrer berühmten Einlagen hinzulegen. Wie ein geiler Bock sitzt Dracula voyeuristisch im komplett leeren, finstren Zuschauerraum, während Güzin sich lasziv auf der Bühne räkelt.
Dennoch, oder gerade deswegen, bleibt DRAUKLA ISTANBUL'DA der bisher beste mir untergekommene Genrefilm osmanischer Machart, der sich mehr der Tradition klassischer, d.h. heute veralterter, jedoch mit nostalgischer Leidenschaft immer noch genießbarer Horrorkost einreiht, als ein Feuerwerk an Gehirnzellen zermarterndem Trash abzubrennen, wie es all die sonstigen türkischen Remakes westlicher Erfolgsfilme tun, die dem abseitigen Cineasten als Musterbeispiele dafür gelten, wo völlige Talentlosigkeit zu hoher Kunst gerinnt.
Re: Drakula Istanbul'da - Mehmet Muhtar (1953)
Hoş geldin! Das klingt doch gut und der Text sollte mir endlich mal als Anlass dienen, dieses bislang unbeackerte Feld von Filmen zu betreten...
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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- Salvatore Baccaro
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Re: Drakula Istanbul'da - Mehmet Muhtar (1953)
Lieber Jogiwan,
falls du Zeit und Kosten scheust, dieser Prachtfilm wurde von einem edlen Spender komplett bei youtube hochgeladen und mit - einer zumeist synchronen - englischen Übersetzungshilfe versehen!
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