Ein Zauber gegen die Dunkelheit - Ben Rivers, Ben Russell (2013)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Ein Zauber gegen die Dunkelheit - Ben Rivers, Ben Russell (2013)
Originaltitel: A Spell to Ward Off the Darkness
Produktionsland: Deutschland, Estland, Frankreich 2013
Regie: Ben Rivers, Ben Russell
Darsteller: Robert Aiki Aubrey Lowe, Kommunarden in Estland, Besucher eines Black-Metal-Konzerts in Norwegen
Kürzlich besah ich mir endlich einmal den 2013 von Ben Rivers und Ben Russell gedrehten A SPELL TO WARD OFF DARKNESS, der, wahlweise als Experimental- oder Dokumentarfilm deklariert, in drei Etappen einem namenlosen Protagonisten, (verkörpert von dem mir zuvor unbekannten Musiker Robert AA Lowe), auf seiner Suche nach Transzendenz folgt.
Die drei Etappen des Triptychons lauten:
1) Eine Kommune in Estland; man läuft nackt umher, verbindet sich zu ungezwungenen Paarungen, kleine Kinder sind allgegenwärtig; eine Badewanne steht im Garten des Grundstücks, wo einer der Kommunarden mit einer Kommunardin über die Vorzüge des Saunagangs diskutiert, worauf diese, bereits barbusig, ihm mehr oder minder versteckte Avancen macht, dass man diese Diskussion doch im Separee fortsetzen könne; ein weiteres dieser mäandernden Gespräche: Ein junger Mann berichtet von einem Erlebnis, bei dem er sich eins mit dem Universum gefühlt habe, nämlich bei dem Besuch einer Schwulensauna, als irgendwann jeder den Finger eines anderen in seinem Anus stecken hatte; daneben viel Stille, Alltagsverrichtungen, Ernten, Spazieren, improvisiertes Musizieren; unser Protagonist ist Teil des Ganzen, fällt nicht besonders auf, schält sich erst mit der Zeit als Fokus des Films heraus, wenn er die Kommune verlässt und sich zu einem Selbstfindungstrip in den Wald begibt.
2) Die Isolation einer Hütte im nördlichen Finnland; Pilze in Großaufnahme, so lange betrachtet, als würde die Kamera warten, dass sie wenigstens einen Zentimeter vor ihrer Linse an Größe zulegen; unser Protagonist ernährt sich von Fischen, die er aus einem verlassenen See angelt, von Bruchstücken seiner Vergangenheit in Form vergilbter Bücher und Photographien, von der Einsamkeit, die ihn wiederum auf positive Weise zu fressen droht; irgendwann malt er sich das Gesicht weiß an; in Großaufnahme: Seine weit aufgerissenen Augen, in denen sich das Prasseln eines Feuers spiegelt; es ist seine Hütte, die er in Brand gesteckt hat und vor der er wartet bis sie zu einem Aschehaufen herabgeprasselt ist.
3) Ein Club in irgendeiner Hafenstadt Norwegens; noch immer ist das Gesicht unseres Protagonisten weiß geschminkt; Corpsepaint, begreife ich schnell, denn er steht auf einer Bühne, hält eine Gitarre in Händen, schreit sich die Seele aus dem Leib; eine Black-Metal-Band musiziert für ein hypnotisiert wirkendes Publikum; zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug; Kreischgesang, Tremolo-Riffs, Blast Beats; unser Protagonist bricht in einen wahren Ur-Schrei aus; danach verlässt er die Bühne, den Club, wischt sich die Farbe vom Gesicht, verschwindet in der Nacht.
Gerahmt ist A SPELL TO WARD OFF DARKNESS von zwei Einstellungen, in denen die Dunkelheit dominiert: Zu Beginn die Ansicht eines nächtlichen Sees, über dem die Kamera sacht hin und her gleitet; dazu erklingt nordischer Chorgesang. Am Ende verliert sich unser Held in der Finsternis einer norwegischen Hafenstadt: Die Lichter werden immer weniger, schließlich verlischt das letzte.
Wie zugleich sanft und elegisch Ben Rivers und Ben Russell inszenieren, wie sie ihre wundervollen Bildkompositionen förmlich auskosten, wie behutsam sie jede einzelne Bewegung ihrer Kamera gestalten, wie virtuos sie mit Schärfe und Unschärfe spielen, wie sie zugleich etwas erzählen, und doch einfach alles offenlassen, sodass ich mir meine eigene Erzählung im Kopf zusammenbasteln muss, während der Sichtung und anschließend; wie spärlich dieser Film doch ist: Nur im ersten Teil ein paar wenige Dialoge, dazu viel Schweigen, viel Kontemplation, nur um am Ende in einen wahren Urschrei zu münden, so wie die Sprache reduziert auf ihre basalten Grundelemente, so wie das Kino reduziert wird auf das, was es im Kern ausmacht: Nein, kein Girl und keine Gun, sondern Licht und Schatten; wie aus der Zeit gefallen dieser Film doch wirkt, wie zeitlos, wie viel Zeit er sich nimmt, um eigentlich überhaupt nichts zu Protkoll zu geben, und damit mehr als die meisten allzu geschwätzigen Vertreter seiner Zunft, und wie viel er dabei doch sagt, ganze Bibliotheken versteckt in seinen entschlackten, entschleunigten Bildern; ja, für all das habe ich im Zeitalter der Kontaktbeschränkung und des Abstand-Haltens mental überschwängliche Umarmungen an die beiden Filmemacher verteilt...