Imitations of Life - Mike Hoolboom (2003)

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Imitations of Life - Mike Hoolboom (2003)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Imitations.JPG
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Originaltitel: Imitations of Life

Produktionsland: Kanada 2003

Regie: Mike Hoolboom


Ein Film über Bilder. Ein Film darüber, ob wir Realität herstellen, indem wir sie uns medial anschauen, oder ob tatsächlich eine objektive Realität existiert, die die Medien bloß näher an uns heranholen. Ein Film über Tod, Leben, Kino und über den Filmemacher selbst…

Mike Hoolboom wird 1959 als Sohn niederländisch-indonesischer Eltern in Toronto geboren. Seine ersten Kurzfilme dreht er bereits Mitte der 80er. Inzwischen hat er ein Oeuvre von weit mehr als einhundert Werken vorgelegt. Zeitlebens opponiert er gegen einen, seiner Meinung nach, verkrusteten, kapitalistisch orientierten, hierarchisch strukturierten Kunstbetrieb, indem er beispielweise selbstverwaltete Kollektive (mit)begründet oder aber sämtliche seiner Filme frei zugänglich im Internet präsentiert.

IMITATIONS OF LIFE aus dem Jahre 2003 dürfte so etwas wie Hoolbooms erstes Opus Magnum darstellen, eine Art Zwischenbilanz seines bisherigen Schaffens, mit knapp siebzig Minuten sein dato längstes Projekt. Bei näherem Hinsehen handelt es sich bei IMITATIONS OF LIFE indes weniger um ein homogenes, sprich, durchgängig erzähltes Gesamtwerk, sondern eher um eine audiovisuelle Aufsatzsammlung. Insgesamt zehn Episoden, die durchaus als eigenständige Kurzfilme funktionieren, hat Hoolboom hier versammelt, wobei IMITIATIONS OF LIFE seinen Reiz für mich vor allem daraus gewinnt, dass jedes dieser Segmente über einen ganz eigenen Tonfall, eine eigene Ästhetik verfügt.

Größtenteils lässt sich IMITATIONS OF LIFE freilich als Essay- und Found-Footage-Film klassifizieren: Das Gros der Bilder, die Hoolboom uns vorwirft, ist anderen Filmen entlehnt, der Titel, der auf ein klassisches Douglas-Sirk-Melodram verweist, demnach Programm, - wobei Hoolboom allerdings zwar generell das kommerzielle Hollywood-Kino interessiert, jedoch dort primär Science-Fiction-Endzeit-Szenarien: Im letzten Passus von IMITATIONS OF LIFE werden wir mit destruktiven Bildern explodierender Raumstationen, körperzersetzender Aliens, untergehender Planeten förmlich bombardiert, wozu nüchtern gehaltene Zwischentafeln über den Konnex zwischen Tod und Film, über die Frage, wie wir uns, eingespeist in eine Kultur des Visuellen und des Medialen, unsere eigene Zukunft ausmalen, was das überhaupt bedeutet, all diese Explosionen, all diese Körperzersetzungen, all diese Planetenuntergänge.

Die Gedanken, die Hoolboom manchmal in Textform äußert, manchmal aus dem Off vorgetragen mit ruhig-getragener Stimme, bergen zuweilen pointierte Aphorismen, über die man sich tagelang den Kopf zerbrechen kann, manchmal wirken sie auch wie prätentiöse Gilles-Deleuze-Derivate. Im Grunde geht es in IMITATIONS OF LIFE um alles: Um die Transparenz der Körper in einem Zeitalter, wo jeder Mensch sein eigenes Abbild kreieren kann, um Neo-Kolonialismus mit der Filmkamera, um Demokratien oder Autokratien der Bilder. Chris Marker wäre ein Name, der einem sofort in den Kopf springen könnte, wenn Hoolboom minutenlang mehr oder minder abstrakte Ideen anhand konkreten Bildmaterials entfaltet, und dabei Felder wie Marxismus, Ethnographie oder Thanatologie berührt – und, je nachdem, ob man mit den Experimentalessays Markers etwas anfangen kann oder nicht, wird man auch IMITATIONS OF LIFE entweder für eine meditative Filmphilosophiestunde oder für einen unerträglich harten, intellektualistischen Brocken sperrigsten Films halten.

Besonders gefallen haben mir persönlich die Momente, in denen Hoolboom sich Stan Brakhages Postulat eines Kino-Auges anzunähern scheint, das noch unbelastet ist von Ideologien, Systemen, standardisierten Bildern: Dann blickt Hoolboom mit den Augen eines ungeborenen Fötus auf die Welt, oder aber er reiht 16mm-Aufnahmen seines Neffen Jack aneinander, um dessen Aufwachsen in der Medienmoderne zum Ausgangspunkt autobiographischer Sentenzen über Bilder und Fremdbilder zu nutzen - oder aber er konfrontiert uns mit mehreren Bildreihen, die bis zur Unkenntlichkeit übereinander montiert und mit lautem Wassergluckern untermalt wurden, dass man irgendwann gar nicht mehr erkennt, was sich da genau vor einem abspielt...

Alles in allem nur für fortgeschrittene Teilnehmer des Kurses „Die strapaziösesten Werke der Filmgeschichte" geeignet...
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jogiwan
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Re: Imitations of Life - Mike Hoolboom (2003)

Beitrag von jogiwan »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mo 24. Jan 2022, 10:49 Alles in allem nur für fortgeschrittene Teilnehmer des Kurses „Die strapaziösesten Werke der Filmgeschichte" geeignet...
Ungefähr die gleiche Liga wie Fernando Birris "ORG"? :???:
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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Salvatore Baccaro
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Re: Imitations of Life - Mike Hoolboom (2003)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

jogiwan hat geschrieben: Mo 24. Jan 2022, 10:54
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mo 24. Jan 2022, 10:49 Alles in allem nur für fortgeschrittene Teilnehmer des Kurses „Die strapaziösesten Werke der Filmgeschichte" geeignet...
Ungefähr die gleiche Liga wie Fernando Birris "ORG"? :???:
Oh, da liegen Welten dazwischen... :D

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