Konstruktor krasnogo tsveta - Andrey I., Armen Petrosyan (1993)

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Salvatore Baccaro
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Konstruktor krasnogo tsveta - Andrey I., Armen Petrosyan (1993)

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K.jpg
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Originaltitel: Konstruktor krasnogo tsveta

Produktionsland: Russland 1993

Regie: Andrey I., Armen Petrosyan


...und noch ein Film aus dem letzten Jahr, der zumindest denkwürdig genug gewesen ist, dass ich ihm nun doch retrospektiv ein paar Zeilen widmen möchte:

Auf der IMDB wird der 75minütige russische Film KONSTRUKTOR KRASNOGO TSVETA auf eine Weise beschrieben, die sofort meine Neugierde weckte. ENGINEERING RED, wie der Titel ins Englische übersetzt wohl lautet, sei ein surrealistischer Film, realisiert von einem Regisseur, der sich schlicht Andrei I. nennt, sowie dem Animator Armen Petrosyan; sein Drehbuch basiere auf keinem geringeren deutschen Literaturklassiker als dem „Zauberberg“ aus der Feder von Nobelpreisträger Thomas Mann, würde sich aber andererseits auch mit der „idea of creating artifical people in the Soviet Union“ auseinandersetzen. Ein gefundenes Fressen für mich, der ich mir den Streifen natürlich zeitnah in einer mehr oder minder akzeptablen Web-Fassung zu Gemüt führen musste – und danach ziemlich ratlos gewesen bin über das, was mir hierin aufgetischt wurde…

Müsste ich KONSTRUKTOR KRASNOGO TSVETA in einem Satz zusammenfassen, würde ich schreiben, dass es sich um eine Art intellektuell angehauchte Shockumentary handelt, ein reiner Collagefilm, zusammengebastelt, wie es im Abspann heißt, aus ursprünglich für wissenschaftliche Zwecke gedrehten Dokumentaraufnahmen von Autopsien, Transplantationen, sonstigen medizinischen Eingriffen, zudem aus dem Off überzogen von einem facettenreichen Soundtrack bestehend aus klassischen Stücken (zum Beispiel von Charles Gounod und Franz Schubert), unterkühlten, klinischen Industrial- und Drone-Tonlandschaften sowie einem unermüdlichen Audiokommentar, bei dem eine Männerstimme anscheinend nüchterne Fakten zu den Bildern liefert und eine weibliche Stimme aus Manns voluminösem Roman rezitiert; zwischendurch gibt es dann noch auf den ersten Blick reichlich zusammenhanglos anmutendes Material, das möglicherweise irgendwelchen Tierdokus entnommen wurde (Igel, Echsen, Stachelschweine, Schlangen, Wüstenvögel), von Feldarbeiterinnen und kargen Felsregionen, von Objekten wie Äpfeln, Schlüsseln, Gabeln, Zangen, Skalpelle, photographiert im Stil der sogenannten „Rayogramme“ des Künstlers Man Ray, der bereits in den frühen 20ern damit experimentiere, Gegenstände ohne Kamera auf Film zu bannen, indem er sie auf lichtempfindlichen Untergründen drapierte und belichtete.

Untergliedert ist KONSTRUKTOR KRASNOGO TSVETA in drei Abschnitte, wobei jeder von einem Zitat aus dem „Manchu Code“, einem historischen chinesischen Gesetzbuch, eingeleitet wird. Teil Eins trägt den Titel „How To See The Mirror“, und setzt sich größtenteils aus den bereits erwähnten Operationsszenen zusammen. Voller Detailfreude werden wir hinter Krankenhausmauern geführt, wo Ärzte mit teilweise verblüffend primitiv wirkenden Instrumenten Organe aus lebenden Körpern extrahieren, Gehirne sezieren und in einer besonders markerschütternden Sequenz Finger und Zehen verpflanzen. Die Männerstimme aus dem Off kommentiert fortwährend, sprudelnd wie ein Wasserfall – und da ich weder Russisch spreche noch die mir vorliegende Version mit Untertiteln gesegnet ist, habe ich keinen blassen Schimmer, was da genau auf der Tonspur verbreitet wird.

Der zweite Teil hört auf den Namen „The Portrait“ und beinhaltet Aufnahmen, die meine persönliche Toleranzgrenze mit Siebenmeilenstiefeln überschreiten, wenn uns nunmehr in allen Einzelheiten und vor allem stellenweise in grellen Farbaufnahmen gezeigt wird, wie ein Pärchen Siamesische Zwillinge im Säuglingsalter wortwörtlich voneinander losgeschnitten wird; zur Auflockerung tanzen vor der Kameralinse immerhin schon mal minutenlang irgendwelche roten Punkte, dass man sich in einem Abstrakten Experimentalfilm der Stummfilmzeit wähnt; durchaus faszinierende mikrophotographische Sequenzen entführen uns darüber hinaus in die Zirkulationen von Blutläufen, ins Reich der Milben und andere Geheimnisse unseres Körperinnern oder der Natur an sich.

Nachgerade entspannt mutet der dritte Teil, „The Book of Judges“, an, denn dort dreht sich zum einen alles um vergleichsweise harmlose Vorgänge wie Bluttransfusionen, und zum andern widmet sich das Segment mehrheitlich einer Schauspielerin, die in einer Bauernstube herumsitzt, herumliegt, schließlich mit bloßen Händen Spaghetti verzehrt, (wobei die gesamte Szenerie von einem stechenden Rotfilter verfremdet wird). Bei dieser Dame soll es sich, zumindest suggeriert das der Abspann, tatsächlich um eine Figur aus dem „Zauberberg“ handeln, nämlich die sirenenhafte Claudia Shosha, die Manns Held, dem lungenkranken Hans Castrop, bereits kurz nach Ankunft im Sanatorium den Kopf verdreht, ihn in sexuelle Abenteuer verstrickt, ihm französische Schmeichelworte wie eine brünstige Katze in die Ohren schnurrt.

Vermutlich würde sich mir die tieferliegende Bedeutung dieses eigenartigen Films schon wesentlich mehr erschließen, wenn ich nur ein Wörtchen Russisch verstehen würde. In der Form, in der ich ihn gesichtet habe, nämlich mit wolkenkratzerhohen Sprachbarriere, hat mir der Film jedenfalls mehr Rätsel aufgegeben als welche gelöst – und mir angesichts seines graphischen Bilderreigens vor allen Dingen den Magen von innen nach außen gedreht. Sowohl im Bild- wie im Tonbereich ist das Ganze montagetechnisch durchaus filigran bewerkstelligt; gerade die Spielszenen mit Claudia Shosha stellen einen ästhetischen Leckerbissen dar, und erinnern mich inszenatorisch frappant an russische Arthouse-Klassiker wie Tarkowskijs ZERKALO; insgesamt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, die Verantwortlichen wollten jenseits purer Shock Values tatsächlich interessante Gedankengänge artikulieren – was jedoch freilich nichts daran ändert, dass es eine wahre Geduldsprobe bedeutete, den Film bis zum Ende durchzustehen, und das auch ganz unabhängig von den (ursprünglich definitiv nicht für vorliegenden Kontext intendierten) Aufnahmen, in denen man zusehen muss, wie miteinander verwachsene Kleinkinder unters Messer geraten, wie noch pulsierende Herzen aus offenen Brustkörben gehoben werden, wie Skalpelle sich Einlass in Bauchräume verschaffen.

Ich kann mein Statement vom Anfang dieser Kurzkritik nur nochmals wiederholen: KONSTRUKTOR KRASNOGO TSVETA ist wohl so etwas wie eine Thinking-Man’s Shockumentary – was die Frage aufwirft, für welches Klientel dieses Werk denn überhaupt bestimmt gewesen sein soll? Die Connoisseure reißerischer Mondo-Ware werden sich unbefriedigt abwenden bei all den experimentellen Passagen, in denen Objekte animiert werden, die Dame ihre Mann-Monologe hält oder die Kamera einfach mal gefühlt minutenlang über einen Felsen hinwegschwenkt; die Arthouse-Crowd wiederum wird schon nach wenigen Minuten das Weite suchen, wenn zum ersten Mal das Operationsbesteck geschwungen wird; und ich kann ebenfalls nicht behaupten, dass ich mir diese seltsame Mixtur aus Experimentalfilm im Geiste der klassischen Zwischenkriegs-Avantgarde(n), FACES-OF-DEATH-Verschnitt und bizarrer „Zauberberg“-Adaption unbedingt noch einmal in diesem Leben einverleiben muss…
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