La Casa Muda - 2010 - Gustavo Hernández

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Salvatore Baccaro
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La Casa Muda - 2010 - Gustavo Hernández

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: La Casa Muda

Produktionsland: Uruguay 2010

Regie: Gustavo Hernández

Darsteller: Florencia Colucci, Abel Tripaldi, Gustavo Alonso, María Salazar
Ein uruguayischer Spukhausfilm, der zumindest vorgibt, in einem einzigen take gedreht worden zu sein – es dürfte klar sein, dass ich nicht zögere, meine Chronistenpflicht bedingungslos an dieser Kuriosität zu erfüllen. Eine Warnung jedoch an alle, die planen, sich den Film oder sein US-Remake anzuschauen: in folgendem Text wird kaum eins seiner Geheimnisse verborgen bleiben.

Die Eröffnungsszene von LA CASA MUDA ist ein Traum. Laura und ihr Vater Wilson, bepackt mit Rucksäcken, betreten das Gelände eines entlegenen, verlassenen Hauses, seit dessen Grundsteinlegung schon einige Jahrzehnte ins Land gegangen sein dürften. Förmlich erwartet werden sie von der Kamera, die sich derart dicht gegen die Umgrenzungszäune drückt, als zerginge sie fast vor Ungeduld, sich an die Fersen Lauras heften und den Film beginnen lassen zu können. Es wirkt, als sei die bewegliche, entfesselte Kamera eine eigenständige Intelligenz – vergleichbar vielleicht mit den körperlosen Unruhestiftern in THE EVIL DEAD -, die nach neuen Opfern verlangt. Als diese gefunden sind, lässt sie sie nicht mehr los, verfolgt Laura beim kurzen Marsch über ein Feld bis hin zu dem wenig einladenden Häuschen und wird in den kommenden knapp achtzig Minuten nicht mehr von ihrer Seite weichen. Laura und ihr Vater erscheinen somit als Eindringlinge in ein Reich, das sie besser nie betreten hätten. Im Umkreis des Hauses scheinen andere Gesetze zu gelten. Eine irgendwie schwermütige, melancholische Atmosphäre hat die Luft durchtränkt, es ist still, zu still, und die Kamera, die keinen Schnitt zulässt, schonungslos einfach alles aufzeichnet, was Laura und ihr Vater in den kommenden Minuten nach der Ankunft tun werden, verstärkt das Gefühl nur noch, unsere Helden seien etwas ausgeliefert, das größer, stärker ist als sie. Mittels eines Bildes, das schlichter nicht sein könnte, und Mitteln, die minimalistischer nicht sein könnten, haben die ersten Sekunden von LA CASA MUDA in mir eine einigermaßen beunruhigte Stimmung hervorgerufen.

Dabei ist es freilich nicht einmal sonderlich aufregend, was sich in den nächsten Minuten zuträgt. Laura wandert über das Gelände, man erhält Besuch von Nestor, dem eigentlichen Besitzer des Hauses, einem alten Freund Wilsons, der von diesem zugesichert bekommen hat, ihm bei Renovierungsarbeiten unter die Arme zu greifen, schließlich, obwohl Nestor versprochen hat, nur kurz weg zu sein und gleich mit ein paar Lebensmitteln zurückzukommen, legt man sich hin zum Erholungsschlaf. Noch bevor irgendetwas Gespenstisches über unsere Heldin hereinbricht, klärt uns dieser Einstieg jedoch über einige grundlegende Dinge auf, die zum Verständnis des Films, meine ich, wichtig sind. Zunächst: LA CASA MUDA beherrscht sein Gimmick, die in angeblicher Echtzeit filmende Kamera, bis zur Perfektion. Es ist schon in diesen ersten Minuten erstaunlich, was die Verantwortlichen aus einem scheinbar handelsüblichen Camcorder herauszuholen imstande sind. Damit meine ich nicht nur, dass die Schnitte, die zwangsläufig gesetzt werden mussten – hauptsächlich wohl in Szenen, die in nahezu völliger Dunkelheit spielen oder so verwackelt sind, dass man ohne die Augen eines Luchses sowieso nichts in ihnen erkennen kann -, wundervoll kaschiert wurden, und es tatsächlich leicht fällt, der Illusion aufzusitzen, erzählte Zeit und Erzählzeit würden, um einmal zwei Termini aus der Literaturwissenschaft zu bemühen, völlig übereinstimmen. Viel schwerer wiegt für mich indes noch der durchaus virtuose Einsatz besagten Camcorders, dessen langsame oder überraschende Schwenks, dessen elegische Fahrten wie die oben beschriebene der Eröffnungsszene, dessen an den richtigen Stellen unscharfen bzw. scharfen Bilder darauf hindeuten, dass man die Kamera eben nicht einfach mal unüberlegt auf die Darsteller gehalten hat, sondern sich ernsthafte Gedanken darüber gemacht haben muss, wie man aus wenigen Mittel ein Maximum an Effekten gewinnen könne. Eine zweite Sache, die auffällt, ist: mit menschlicher Logik kommen wir bei diesem Film nicht viel weiter. Bereits die ersten Szenen werfen zwar nicht dringliche, jedoch trotzdem verwirrende Fragen auf, für die es wohl keine Antwort geben soll, wie beispielweise die, weshalb Laura und Wilson, wo doch eine Straße direkt zum Haus führt, die Nestor später mit seinem Wagen benutzt, quer über ein Feld zu dem Anwesen wandern müssen, so, als ob sie den ganzen Weg zu Fuß gegangen seien, oder die, wieso man sich in den Schlaf flüchtet, wo man doch eben erst angekommen ist und außerdem in Kürze Nestor mit Nahrung erwartet. Es wird deutlich: eine schlüssige Narration opfert LA CASA MUDA ohne mit der Wimper zu zucken dem Wunsch, sein Publikum vor allem emotional zu ergreifen.

Was folgt, ist dann über weite Strecken eine traditionelle Gespensterhausgeschichte. Laura kann nicht schlafen, hört dubiose Geräusche, bittet ihren Vater nachzusehen, und als der spurlos verschwindet und sie jeden Hausausgang versperrt findet, beginnen Kamera und sie unruhig hin und her zu huschen, zu kreischen, zu wimmern und durch spärlich belichtete Zimmer zu schleichen. Bis zum Finale, wo die vermeintlichen Spukerscheinungen in bester gothic-horror-Tradition mit einer mehr oder minder rationalen Erklärung ausgetrieben werden, beschränkt LA CASA MUDA sich im Grunde auf dieses in einem Satz zusammenfassbare Szenario. Zwar gelingt Laura einmal kurz die Flucht, dann trifft sie aber auf Nestor, der, erneut fernab dessen, was ein normaler Mensch in einer solchen Situation tun würde, mit dem Mädchen ins Haus zurückfährt, um Wilson zu suchen und dadurch bewirkt, dass das Spiel noch einmal von vorne beginnt. Ich muss gestehen, mit der Zeit hat es mich dann doch ziemlich ermüdet, Laura pausenlos im Zwielicht dabei zuzusehen wie sie von einer schwarzen Kammer in die nächste tritt. Es stimmt, man hat es verstanden, das Hausinterieur gespenstisch einzufangen und es zudem ziemlich labyrinthisch wirken zu lassen, sodass der Betrachter nie wirklich zu wissen meint, wo genau er und Laura sich gerade befinden, in welchem Stock, in welchem Zimmer, gedehnt auf weit über eine halbe, wenn nicht gar Dreiviertelstunde reicht das trotzdem nicht aus, mich bei der sprichwörtlichen Stange zu halten – zumal inhaltlich wirklich rein gar nichts geschieht, das es verdient, weitererzählt zu werden. Die bereits angedeutete, im Schlussakt erfolgende Auflösung, die Laura als Vergewaltigungsopfer und eigentliche Täterin präsentiert, mag zwar unvermittelt kommen und ergibt in der filminternen Logik sogar durchaus Sinn, wirft für mich aber die Frage auf, wie technische und inhaltliche Seite von LA CASA MUDA denn nun eigentlich Hand in Hand gehen sollen.

Für mich sollte eine bestimmte Darstellungsweise im optimalen Fall durch das Dargestellte selbst legitimiert sein, sprich: wenn Gaspar Noe in IRREVERSIBLE seine Schnitte verleugnet und die Chronologie der Handlung auf den Kopf stellt, wenn Aleksandr Sokurov mit RUSSKIY KOVCHEG tatsächlich einen Film geschaffen hat, der von Anfang bis Ende aus einer einzigen Einstellung besteht, wenn Béla Tarr seinen Protagonisten in A TORINÓI LÓ minutenlang beim Kartoffelessen zuschaut, dann sind das keine selbstzweckhaften Spielereien, sondern hat einen wie auch immer gearteten Grund. Was ich kürzlich kritisch an dem spanischen Thriller SECUESTRADOS angemerkt habe, kann ich im Prinzip eins zu eins auch auf LA CASA MUDA anwenden: die technische Seite glänzt wie ein Stück Gold, wirklich notwendig ist sie nicht, d.h. der Film hätte mit der gleichen Story, in der gleichen Location, mit der gleichen Stimmung auch ganz einfach konventionell, mit vielen Schnitten und Hochglanzkameras inszeniert worden sein können. Die Kamera in LA CASA MUDA ist weder irgendein Geistwesen, das Laura hinterherstellt, noch dokumentiert sie objektiv die Ereignisse innerhalb des Hauses – gerade im Hinblick auf das Finale muss man vielmehr konstatieren, dass sie an ein, zwei Stellen sogar bewusst manipulativ eingesetzt wird -, noch streut sie irgendwelche Hinweise, die den Zuschauer schon früh ahnen lassen könnten, worauf der Film unterm Strich hinauslaufen soll, wodurch ich die Wandlung von Laura dem Opfer zu Laura dem Racheengel als ordentlich sprunghaft empfunden habe. Der angeblich ununterbrochen filmende Camcorder ist deshalb nicht bloß ein nettes Gimmick, sondern eigentlicher Aufhänger von LA CASA MUDA, bei dem es sich ohne seine eigenwillige visuelle Gestaltung um einen beliebigen, nicht mal außerordentlich schaurigen, Gruselfilm handeln würde, nach dem wohl kaum eine Krähe ernsthaft krächzen würde.

Ein paar Worte noch zum unvermeidlichen US-Remake aus dem Jahre 2011, das auf den Namen SILENT HOUSE hört und LA CASA MUDA ausnahmsweise nicht bis ins allerletzte Detail kopiert, sondern durchaus eigene Akzente setzt. Dass ich das einmal sagen würde, hätte ich mir selbst nie träumen lassen, aber SILENT HOUSE scheint mir im direkten Vergleich mit dem Original dann auch tatsächlich der „bessere“, d.h. wirkungsvollere, überzeugendere, in sich schlüssigere Film zu sein. Das US-Remake ist psychologischer, nimmt seinen Zuschauer mehr bei der Hand, arbeitet vor allem die Schlusskomponente stärker heraus, taucht tiefer ein in Lauras derangierten Geist, und verdeutlicht somit, dass das mutmaßliche Spukhaus in Wirklichkeit ein Sinnbild für ihre durch mehrfachen Kindesmissbrauch zerstörte Seele sein soll. Diese Verfeinerung der Zwischentöne und des psychologischen Überbaus geht jedoch auf die Kosten der Ästhetik, die bei SILENT HOUSE meilenweit entfernt ist von der Sprödheit und Amateurhaftigkeit des Vorgängers. Besser ausgeleuchtete Räume, eine Heldin, die ihre Brüste demonstrativ in die Kamera reckt, ein Vater, der aussieht wie aus einem Herrenmodekatalog gecastet, unnötige Kameraspielereien, bei denen viel stärker auffällt, wo denn nun gerade ein Schnitt versteckt gewesen sein könnte: in allen Belangen hat SILENT HOUSE einen professionelleren Touch, dem nicht mehr viel fehlt, um die doch eigentlich gegen Professionalität und Strich gebürstete Kameraarbeit ad absurdum zu führen. Die beiden oben von mir beispielhaft herausgestellten Logiklöcher sind nach dem Import der Geschichte in die Staaten freilich ebenfalls gestopft. Laura, die hier Sarah heißt, und ihr Vater befinden sich in der Eröffnungsszene bereits seit mehreren Tagen im Haus, stehen kurz vor der Abreise. Leider fehlt somit auch meine liebste Szene, die, in der die Kamera unsere Heldin auf dem Anwesen in Empfang nimmt. Stattdessen beginnt SILENT HOUSE mit einer Sarah, die an einer Küste steht und aufs Meer hinausblickt. Das sieht zwar ebenfalls alles andere als schlecht aus, gegruselt hat es mich kein bisschen.
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sergio petroni
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Re: La Casa Muda - 2010 - Gustavo Hernández

Beitrag von sergio petroni »

Laura und ihr Vater Wilson suchen das einsam gelegene Waldhaus von Wilsons Bekanntem Nestor
auf. Das Haus soll auf Vordermann gebracht werden, um dann verkauft werden zu können.
Nestor begrüßt die beiden Helfer und verabschiedet sich um Proviant einzukaufen.
Davor warnt er seine beiden Gäste noch, das obere Stockwerk des Hauses zu betreten.
Kaum ist Nestor weg, hört Laura seltsame Geräusche von oben. Wilson schickt sich
an nachzuschauen. Als er nicht mehr zurückkommt, wagt sich auch Laura nach oben.
Eine Geisterbahnfahrt durch das verwinkelte Anwesen beginnt.....

Gustavo Hernandes Debutfilm gibt vor, in einer Einstellung gedreht worden zu sein.
Die Kamera verfolgt den bei weitem größten Teil des Films Laura, bei der Suche
nach ihrem Vater bzw. den Geheimnissen, die das gruselige Waldhaus verbirgt.
Dabei kann ich mich Salvatore mit meinen einfachen Worten eigentlich nur anschließen.
Auf stilistischer Ebene macht "Silent House" vieles richtig. Die angesprochene Eröffnungssequenz
erzeugte bei mir den Eindruck, als würde die Kamera, freudig springend, Laura am
Zaun des Anwesens in Empfang nehmen und dann auch für den Rest des Filmes nicht
mehr loslassen. Dadurch, daß die Kamera zumeist relativ nah an Laura klebt,
erhalten wir als Betrachter auch keinen Überblick über das Geschehen, ja auch nicht
einmal über den Raum, in dem sich Laura befindet. Dieser beschränkte Blickwinkel wird
zuweilen recht effektiv genutzt, um eine gruselige Atmosphäre mit ein paar recht
gut gesetzten Schocks zu kreieren.
Aber: Das Handlungsgerüst reicht mir nicht, um 80 Minuten durchweg gefesselt zu sein.
Besonders nach der finalen Wendung (die sich meines Erachtens zuvor in mehreren
Einstellungen bzw. auf der Tonspur(!) andeutet) wird der Geisterbahnfahrt im
Nachhinein ein bißchen das Fundament entzogen.
5/10
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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Reinifilm
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Re: La Casa Muda - 2010 - Gustavo Hernández

Beitrag von Reinifilm »

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