La nación clandestina - Jorge Sanjinés (1989)

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Salvatore Baccaro
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La nación clandestina - Jorge Sanjinés (1989)

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Originaltitel: La nación clandestina

Produktionsland: Bolivien 1989

Regie: Jorge Sanjinés

Cast: Julio Baltazar, Percy Brun, Zulema Bustamante, Juan Carlos Calcina, Víctor Condiri, Orlando Huanca


Abt.: Nachlese 27. Bremer Internationales Symposium zum Film

Letztlich hätte ich mir den Vortrag zur „Grupo Ukamau“, den eine Linzer Kunstwissenschaftlerin im Anschluss an den 1989er LA NACIÓN CLANDESTINA hält, vor Filmbeginn gewünscht, - zumal ich die Dinge, die ich über dort über das mir zuvor völlig unbekannte indigene bolivianische Filmkollektiv erfahre, größtenteils wesentlich spannender finde als das zweistündige Epos selbst, das während seiner Vorführung an einem Freitagvormittag kaum einen Nerv bei mir zu treffen vermag, außer den, der für das Gefühl ermüdender Anstrengung zuständig ist.

Gegründet wird die „Grupo Ukamau“ 1968 von Jorge Sanjinés (Regie) Osca Soria (Drehbuch) Antonio Eguino (Kamera) und Ricardo Rada (Produktion); ihr Name verweist auf das Langfilm-Debüt UKAMAU verweist, das man 1966 gemeinsam auf die Beine gestellt hat: Die Frau eines Indigenen wird von einem Mestizen vergewaltigt und ermordet; der Hinterbliebene schwört blutige Rache. Was sich anhört, wie der Plot eines brutalen Revenge-Thrillers dürfte unter den Händen der jungen Filmschaffenden allerdings wesentlich sperriger ausgefallen sein: Die „Grupo Ukamau“ versteht sich als dezidiert politischer Zusammenschluss, dessen Werke nicht unterhalten, sondern aufrütteln sollen. Bereits 1963 hat Sanjinés den zehnminütigen Kurzfilm REVOLUCIÓN gedreht, ein didaktisch-dialektisches Schnittgewitter à la Eisenstein, das die gesellschaftlichen Zustände Boliviens mit den Waffen der Montage attackiert; 1965 folgte der bereits fünfundzwanzigminütige AYSA über die katastrophalen Arbeitsbedingungen bolivianischer Minenarbeiter; besonders wichtig ist der 1969 erschienene Langfilm YAWAR MALKU, der sich des harschen Themas der Zwangssterilisation indigener Frauen annimmt. Es macht nur Sinn, dass die „Grupo Ukamau“ mit ihren sperrigen avantgardistischen Filmen weitgehend außerhalb des kommerziellen Kinobetriebs agiert; dass sie ihre Filme als audiovisuelle Manifeste im Sinne der Bewegung des „Dritten Kinos“ begreift; dass sie beständig darüber reflektiert, inwieweit Filmen politische Arbeit sein kann, und wie man den Fallstricken von Inszenierung und Indoktrination am besten entgehen kann. Es ist ebenso selbstverständlich, dass die einzelnen Kollektivmitglieder in ihrem Heimatland Repressionen ausgesetzt sind: Man exiliert zeitweise, hadert mit der Zensur, muss zu Tricks greifen, wie falsche Drehbücher bei den Behörden einzureichen, um überhaupt die Produktionsmittel gestellt zu bekommen.

LA NACIÓN CLANDESTINA gilt gemeinhin als Abschluss des aktiven Gruppenphase: Danach folgen zwar noch einzelne Projekte, die aber kaum noch Beachtung erhalten. Ebenso gilt LA NACIÒN CLANDESTINA aber auch als monumentales Meisterwerk des bolivianischen Kinos selbst – nachzulesen beispielweise in einer enthusiastischen Kritik auf der IMDB. Mich erreicht die Euphorie an jenem Freitagvormittag höchstens in verhaltenen Luftzügen. Die Lebensgeschichte eines Angehörigen des indigenen Volks der Aymara mäandert vor sich hin; eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass der Film exzessiv mit Flashbacks arbeitet, die jedoch nicht als solche gekennzeichnet sind – (wie der höchst informative Anschlussvortrag erklärt, hat das mit der spezifischen Zeitvorstellung der Aymara zu tun, betrachten diese doch die Zukunft als etwas, was hinter einem liegt, während man nach vorne in die Vergangenheit schaut: eins von vielen Details, das, hätte ich es vor der Sichtung gekannt, mir doch einiges Kopfzerbrechen erspart hätte, da mir dann der Zusammenhang zwischen einzelnen Szenen weitaus klarer geworden wäre) -; man liebt lange Einstellungen, dreht vorwiegend mit Plansequenzen, arbeitet mit Kamerafahrten statt mit Schnitten, was an sich freilich nichts Schlechtes ist, mich aber in Verbund mit dem hermetischen Inhalt körperlich und mental schnell ziemlich erschlaffen lässt, (irritierend zudem, das, wie die Vortragende später deutlich macht, die „Grupo Ukamau“ zwar Schienenfahrten, Kranfahrten etc. realisiert, jedoch es ihr ein Anliegen gewesen zu sein scheint, all diese Raffinessen im fertigen Film zu verschleiern; erst, wenn man darauf achtet, erkennt man, wie aufwendig das Ganze inszeniert gewesen sein muss; auf den ersten Blick wirkt LA NACIÒN CLANDESTINA dagegen ostentativ schlicht, bewusst dürftig, was ja auch ein Statement ist: wir haben die Mittel für einen Blockbuster und verschleudern sie, um etwas zu drehen, das mehr nach Amateurware ausschaut).

Obwohl wir weit über zwei Stunden dem Lebensweg von Protagonist Sebastian folgen, habe ich mich der Figur nie wirklich nahegefühlt: Er wird von seinem Geburtsdorf verstoßen; er arbeitet in der nächstgelegenen Stadt als Sargbauer; er wird von der Militärregierung als Scherge angeheuert; er kehrt zur Beerdigung des Vaters aufs Land zurück, wo er eine Frau findet und heiratet; er wird schließlich zu einer Art Heiliger, der, angetan mit einer Dämonenmaske, sich selbst zu Tode tanzen muss – das alles präsentiert als scheinbar zusammenhanglose Fragmente, die ziemlich spröde nebeneinanderliegen, und die, wie gesagt, keineswegs chronologisch aufeinanderfolgen. Besetzt ist LA NACIÓN CLANDESTINA ausnahmslos mit Laien, die, analog zum Grundgestus der Gruppe, ihr unprofessionelles Schauspiel zeigefreudig vor sich hertragen; der Soundtrack besteht aus einer Mixtur aus Andenfolklore und elektronischen New-Age-Klängen, die sich manchmal erhaben, manchmal gefällig anhören; beeindrucken sind die Landschaftsaufnahmen vor allem dann, wenn die menschlichen Protagonisten verschwindend klein wie Ameisen in ihnen umherwuseln.
Ein Vorwurf aus der Podiumsdiskussion nach Film und Vortrag lautet, LA NACIÓN CLANDESTINA würde Ethnokitsch betreiben. Ein anderer, der Film würde sein Sujet völlig unkritisch anfassen, sei letztendlich zu unpolitisch, viel zu affirmativ, was die „geheime Nation“ der Amaya betrifft. Tatsächlich stolpere ich über die eine oder andere problematische Szene: Eine eigenartig empathisch in Szene gesetzte Vergewaltigung zum Beispiel; oder generell den Umstand, dass das traditionelle Dorfleben zu keinem Zeitpunkt hinterfragt zu werden scheint. Aber, puh, allgemein hält mich doch eher die komplette Mise en Scène auf Abstand, dieser unbedingte Wille, so spröde wie möglich zu sein. Sicher, dass LA NACIÓN CLANDESTINA so spröde auf mich wirkt, hat gewiss auch damit zu tun, dass mir grundlegendes Wissen zur Amaya-Kultur fehlt; andererseits fällt mir die Vorstellung schwer, mich hätte der Film mehr ergriffen, wenn man mir dieses Wissen vorher eingetrichtert hätte.

Am schönsten fand ich die Monstermaske, die unser Held Großteile des Films spazieren trägt: Ein grünes Scheusal mit spitzen Zähnen und Fledermausohren, von dem ich mir wünschen würde, dass ich auch mal meinen Kopf in es hineinschieben könnte.
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