Little Joe - Jessica Hausner (2019)

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Salvatore Baccaro
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Little Joe - Jessica Hausner (2019)

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Originaltitel: Little Joe

Produktionsland: Österreich/Deutschland/Großbritannien 2019

Regie: Jessica Hausner

Darsteller: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor, Jessie Mae Alonzo
Bereits im Jahre 2004 hat die österreichische Regisseurin Jessica Hausner in ihrem zweiten Spielfilm mit dem Genre-Kino geflirtet: HOTEL ist nicht nur die bessere Alternative für Leute, denen Luca Guadagninos Versuch zu lang, zu verkopft, zu orientierungslos ist, die aber trotzdem gerne ein SUSPIRIA-Remake sehen wollen, das dem Original nicht sklavisch folgt, sondern neue Facetten hinzugewinnt, sondern zudem ein wirklich klaustrophobischer, und dabei auf angenehme Weise vager und diffuser Film mit seinen zentralperspektivisch, sich in Schatten verlierenden und in lyncheskes Licht getauchten Räumen, seinem verhexten Blair-Witch-Wäldchen, seiner an SHINING orientierten Geschichte um eine schüchterne junge Frau, die als Rezeptionistin in einem entlegenen Berghotel anfängt, und in einem Klima von Einsamkeit, Eintönigkeit und Feindseligkeit letztlich mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert wird. Seither hat Frau Hausner zwei Langfilme vorgelegt, die klar ihre Handschrift verraten – eine statische Kamera, die präzise Bildkompositionen einfängt; Dialoge, bei denen es weniger auf die konkret geäußerten Worte, sondern auf die Leerstellen dazwischen ankommt; Figuren, die sich einem überbordenden Machtgefüge überantwortet sehen, aus dem sie in einer Mischung aus lethargischer Selbstaufgabe und verzweifelter Wut einen Ausweg suchen –, und die mit Genre-Kino nun rein gar nichts zu tun haben:

LOURDES ist eine Reise zum gleichnamigen Wallfahrtsort, dessen vorgebliche Wunder einer jungen Frau zwar kurzzeitig aus dem Rollstuhl verhelfen, worauf diese dann aber zu erkennen meint, den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen zu sein, und sich quasi freiwillig zurück in die Lähmung begibt, während AMOUR FOU uns in die Goethe-Zeit entführt, wo der Dichter Heinrich von Kleist die Berliner Salons unsicher macht, da er eine junge Frau sucht, die gemeinsam mit ihm in den Freitod gehen möchte, und sie schließlich in der freudlos verheirateten Hypochonderin Henriette Vogel findet. Beide Filme sind kleine Meisterwerke für mich, weil sie ihre durchweg tragische Geschichten zwar durchaus im Stil der Berliner Schule erzählen, sprich, mit Emotionen, die so weit heruntergekocht sind, dass sie kurz vorm Gefrierpunkt zu stehen scheinen, die Tragik aber andauernd durch einen hintersinnigen Humor und skurrile Einfälle würzen: LOURDES beispielweise endet mit einer himmelschreienden Karaoke-Nummer zu Al Banos und Romina Powers „Felicita“; AMOUR FOU demgegenüber wirkt andauernd, als würde die Kamera sich mit der Perspektive der zahllosen Salon- und Schoßhunde verbrüdern, die den Film wie ein stummer griechischer Chor bevölkern. LITTLE JOE, Hausners neustes Projekt, soll nun allerdings, soweit es mir die Vorankündigungen suggeriert haben, ein reinrassiger Science-Fiction-Thriller sein. Es ist ihr erster englischsprachiger Film, teilweise gedreht in Liverpool, besetzt mit britischen Schauspielern, und soll lose auf dem Roman THE BODY SNATCHERS bzw. dessen zahlreichen Adaptionen basieren. Ich muss gestehen, so gespannt bin ich dieses Jahr selten auf einen aktuellen Film gewesen…

Little Joe, damit ist nicht nur der Sohn von Alice gemeint, den sie weitgehend ohne Unterstützung des Aussteiger-Vaters großzieht, sondern auch eine neue Pflanzenart, die sie im Rahmen ihres Jobs bei einem Biologieunternehmen herangezüchtet hat: Die im Labor entstandene Blume mit ihren purpurroten Blüten soll ein bestimmtes Hormon freisetzen, das in ihren Besitzern Glücksgefühle auslöst – das perfekte Antidot gegen Zeitkrankheiten wie soziale Vereinsamung und Depression, zumal „Little Joe“ seine Duftstoffe umso heftiger ausstößt je mehr man ihn hegt und pflegt. Während Alices Chef plant, die Züchtung bei einer internationalen Pflanzenmesse der Weltöffentlichkeit zu präsentieren, und dadurch immense finanizelle Gewinne zu erzielen, hat Alice, obwohl es eigentlich verboten ist, vor Abschluss der Testphase eine der Pflanzen aus dem Labor zu entführen, bereits die Zusammenführung der beiden Joes in die Wege geleitet, indem sie ihrem Sohn eins der jungen Blümchen schenkt. Kurz darauf häufen sich rätselhafte Ereignisse: Eine Kollegin, Bella, schwört felsenfest, mit ihrem sinnigerweise Bello genannten Hund stimme etwas nicht; er sei nicht mehr der Alte; sicher, er sähe so aus wie ihr Bello, doch würde er sich völlig anders verhalten. Kurzzeitig besorgt wird Alice aber von ihrem engen Mitarbeiter Chris beruhigt: Immerhin befinde Bella sich in Psychotherapie und sei öfter schon durch Schrullen aufgefallen. Dass Chris außerdem ein Auge auf Alice geworfen hat, und sie regelrecht umschwärmt, lenkt sie zunächst auch davon ab, dass sich bei ihrem eigenen Joe ungewöhnliche Verhaltensmuster zu zeigen beginnen: Er vernachlässigt seine Ameisenzucht, scheint nur noch Augen und Ohren für seine Pflanze zu besitzen, erkennt Alice eines Tages im ersten Momenten nicht, als sie ihn von der Schule abholen kommt. Sollte sich bewahrheiten, was Bella ihr in einer ruhigen Minute anvertraut hat: Dass nämlich die ihm implementierten Glückshormone von „Little Joe“ dazu eingesetzt werden, die Menschen so eng an sich zu binden, dass sie nur noch seine Vermehrung im Sinn haben – eine Evolutionsstrategie, die das Ende der Menschheit bedeuten könnte?

Wer nun allerdings apokalyptische Szenarien erwartet, in denen Pflanzen fremdgesteuerte Menschen gegeneinander aufhetzen, der ist bei Frau Hausner definitiv an der falschen Adresse: Wie schon in HOTEL ist der Schrecken in LITTLE JOE subtil – so subtil, dass ich mir vorstellen kann, mancher Genre-Aficionado würde stattdessen das Adjektiv monoton präferieren. Festhalten kann man: Auch für LITTLE JOE hat sich Frau Hausner nicht verbogen, was ihren spröden Stil angeht. Die Kamera weiß zwar, wie man zoomt, (und nutzt diese Technik auch für einige irritierende Effekte), bleibt ansonsten aber als regloser Beobachter inmitten des Geschehens, das sich einerseits in strengen Bildern und andererseits per Figuren entwickelt, die ihre wahren Gefühle lieber in sich verstecken als sie offen auszuagieren. Ersteres, die Bilder, sind geprägt von einer artifiziellen Beleuchtung, die nicht nur, erneut, Reminiszenzen an HOTEL weckt, sondern mitunter wirkt, als wolle Hausner mit ihrer glattgeschleckten Optik, ihren unnatürlichen Farben beinahe so etwas wie eine futuristische Werbe-Ästhetik erzielen, (nur um diese im gleichen Atemzug freilich subversiv zu parodieren); letzteres, die Figuren bzw. Schauspieler, verhalten sich, wie man das vor allem aus AMOUR FOU kennt, selbst dann, wenn sie noch nicht von Pflanzensamen besessen sind, reichlich unterkühlt, und entsprechen damit komplett der emotionsfernen dystopischen Welt, in der LITTLE JOE spielt: Eine Welt, in der die Menschheit gentechnisch manipulierte Blumen braucht, um überhaupt noch so etwas wie Glücksgefühle zu empfinden. Aber, wie man vielleicht schon an meinem verhaltenen Tonfall hört: Die wirklich große Begeisterung, die ich AMOUR FOU, LOURDES, HOTEL und auch Hausners Spielfilmdebut LOVELY RITA entgegengebracht habe, bleibt leider aus, und obwohl LITTLE JOE durchaus die erwähnten Vorzüge besitzt, plätschert er dann doch, zumal mit einer Laufzeit von mehr als neunzig Minuten, gerade im letzten Drittel, wenn man sich an seine Ästhetik gewöhnt hat, stellenweise vor sich hin. Das liegt freilich vor allem daran, dass der Film sich jedweden prononcierten Spannungsbogen verweigert: Die Bedrohung steht zwar die ganze Zeit wie ein Elefant im Raum, jedoch kommt es im Grunde nie zu wirklichen Konfliktsituationen. Hilflos ausgeliefert sind unsere Protagonisten, allen voran Alice, der evolutionären Raffinesse von „Little Joe“, sodass es zu keinem Zeitpunkt zu einem Widerstand kommt, den man guten Gewissens als ernsthaft bezeichnen könnte. Sicher, auch in Hausners übrigen Filmen fehlen (zum Glück!) die Knalleffekte, die großen Gesten, die Pauken und Trompeten: Das Problem ist aber, dass diese nicht derart gezielt in Genre-Konventionen operiert haben wie LITTLE JOE es tut, (den ich dann auch zum mit Abstand mainstreamigsten Film küren würde, den Frau Hausner bislang gedreht hat, trotz oder gerade wegen der ihm immanenten Verweigerungshaltung.)

Was LITTLE JOE indes für mich ziemlich unvergesslich gemacht hat, das ist sein Soundtrack. Der setzt sich nämlich aus Kompositionen des japanischen Avantgardemusikers Teiji Ito zusammen, jenem 1983 verstorbenen Klangkünstler, der in die abseitigere Filmgeschichte dadurch einging, dass Maya Deren ihn beauftragte, ihre frühen Experimentalfilme wie MESHES OF THE AFTERNOON nachträglich zu vertonen. Diese schrillen Töne, Trommeln, Terror-Collagen, die man mir auf der Tonspur von LITTLE JOE vorsetzt, sind tatsächlich dazu prädestiniert, den einen oder anderen Schlaf zu rauben und so schnell nicht zurückzugeben. Nur schade, dass der zugehörige Film zu solchen Raubzügen nicht einmal den zaghaften Versuch unternommen zu haben scheint.

P.S.: Der Zusatz GLÜCK IST EIN GESCHÄFT, den der deutsche Verleih dem Film verpasst, ist erneut ein Zeichen für wahrhaft fehlgeleitete Kreativität: Dass es in LITTLE JOE auch nur ansatzweise um Kapitalismuskritik geht, wie dieser Titel suggeriert, wage ich ernsthaft zu bezweifeln.
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