Originaltitel: Living in Bondage
Produktionsland: Nigeria 1992
Regie: Chris Obi Rapu
Darsteller: Kenneth Okonkwo, Okechukwu Ogunjiofor, Nnenna Nwabueze, Francis Agu, Ngozi Nwosu
Abt. Dem Canisius das Geld aus der Tasche ziehen...
Ich kann nicht behaupten, dass mein Hunger nach nigerianischen Video-Produktionen mit mehr oder minder expliziten Genre-Film-Obertönen nicht inzwischen einigermaßen gestillt worden ist, aber gut, wenn ich die Chance erhalte, mir mit dem im Igbo-Idiom gedrehten LIVING IN BONDOAGE jenen Nollywood-Streifen, der die westafrikanische Filmindustrie im Jahre 1992 zwar nicht, wie oft fälschlicherweise behauptet, begründet, aber zumindest nachhaltig geprägt hat, in einer englisch untertitelten VHS-Variante zu besehen, dann weigere ich mich auch dann nicht, wenn ich feststellen muss, dass die insgesamt zwei Teile des Werks eine Laufzeit von weit über fünf Stunden auf die Waage bringen. Sei’s drum: Augen auf und durch!, denn man hat dieser Tage ja sowieso nicht viele Alternativen…
Dass LIVING IN BONDAGE wie eine Daily Soap beginnt, ist nur folgerichtig: Kurze Spielszenen, unterlegt von einem grausigen 80er-Instrumental-Dosenpop mit viel schmierigem Saxophon und noch mehr Gitarrensoli, den wir die gesamten kommenden fünfeinhalb Stunden werden ertragen müssen, stellen uns die im Folgenden relevanten Protagonisten bzw. deren Darsteller vor. Warum das Sinn ergibt? Nun, weil sich, so viel sei an dieser Stelle bereits verraten, LIVING IN BONDAGE zu keinem Zeitpunkt über die technisch-ästhetischen Standards einer generischen TV-Produktionen erheben wird. Der Film hat, mehr als jeder andere von mir bislang gesichtete Nollywood-Streifen, die Steifheit abgefilmten Theaters, bei der man irgendwann selbst um jede Großaufnahme, jeden Kameraschwenk froh ist, die ein bisschen ausbrechen aus dem monotonen Abspulen von statischen Halbtotalen und Schuss/Gegenschuss-Prinzipien. Dass LIVING IN BONDAGE sich außerdem hauptsächlich aus Dialogszenen in geschlossenen und relativ langweilig eingerichteten Räumen zusammensetzt, bewirkt immerhin, dass einen nichts wirklich abzulenken vermag von der reichlich kruden, stellenweise gar monströsen Handlung, mit der ich mich in meiner folgenden Kurzkritik dann auch größtenteils befassen werde, schlicht weil es nicht viel gibt, worüber es sich sonst lohnen würde, viele Worte zu verlieren.
Unser Held (oder eher: Anti-Held) heißt Andy und begrüßt uns gleich in der allerersten Szene mit einem ausgewalzten, direkt ans Publikum adressierten Monolog, in dem er seine derzeitige Lebenslage beklagt: Schon den fünften Job habe er innerhalb kürzer Zeit verloren, und schon wieder war er an einen Chef geraten, der ihm, wie es im Originalwortlaut heißt, nur armselige Nüsschen zu futtern gegeben habe. Wonach Andy aber lechzt, das ist das große Geld, denn dann könne er sich endlich all seine Träume erfüllen, und auch der geliebten Gattin Merit einen anständigen, sprich, kostspieligen Lebensstil verschaffen. Diese wiederum steht den pekuniären Gelüsten ihres Angetrauten skeptisch gegenüber: In einer ebenso ausgewalzten Dialogszenen eröffnet sie Andy, dass sie ihn nicht wegen etwaiger Geldsegen geehelicht habe, und dass er der ärmste Schlucker von Lagos sein könne, wenn er sie nur an seiner Seite beließe. Solche hehren Ansprachen verhallen aber schnell, als Andy seinen besten Freund Paul nach langer Zeit wiedertrifft. Paul nämlich hat sich inzwischen zum Millionär gemausert, und lädt Andy zum Beweis seiner Liquidität in ein Speiserestaurant gehobener Klasse ein. Ein Close-Up veranschaulicht uns dort, was für ein Loch Andy die Armut in den Magen gefressen haben muss: Er schlingt das ihm kredenzte Fleisch herunter, als würden wir uns kurzzeitig in einem Jan-Svankmajer-Film befinden, was Paul wiederum zu keinem Ekel, sondern zu einem zufriedenen Grinsen animiert.
Nachdem wir in einem Nebenplot, (der sich auch nach vielen Stunden nicht mit dem eigentlichen Handlungsstrang vereinigen wird, und, spekuliere ich, so etwas wie ein Comic-Relief-Seitenarm darstellen soll, auch wenn ich bei ihm kein einziges Mal mit den Mundwinkeln zucken konnte), einen gewissen Chief Omego kennengelernt haben, der seine inzwischen dritte Ehefrau geheiratet hat, was seine beiden vorherigen auf die Palme bringt, da er nunmehr bloß noch mit dieser den Beischlaf vollziehen möchte, und, kurz gesagt, gefühlt eine Viertelstunde beigewohnt haben, wie die hyänenhaften Damen sich gegenseitig an die Gurgel springen, erhält Andy Besuch von einem gewissen Robert, der ihn zu einem Geschäft zu überreden gedenkt, das nicht nur Merit äußerst dubios vorkommt: Er soll sein gesamtes Vermögen in Lieferungen von Autos und Elektrogeräten investieren, die nach Nigeria geschifft werden würden, worauf Roberts Auftraggeber sie für ein Vielfaches ihres Kaufpreises unters Volk zu bringen beabsichtige. Ob er nicht gesehen habe, mahnt Merit ihren Mann, wie die Augen Roberts fackelgleich geleuchtet und wie seine Zunge sich verdächtig bewegt hätte, nachdem der Besucher endlich seinen Hut genommen hat. Andy freilich verschließt sich vor solchen Warnungen, und nimmt stattdessen eine Einladung Pauls zu einer Millionärsparty ab, die ungefähr so aussieht wie eine Studenten-WG-Feier: Männer und Frauen tanzen zu lauter Chart-Musik in einem wenig geräumigen Wohnzimmer ziellos umher, während Paul unserem Helden mit Verheißungen anheizt wie: „We will drink until we vomit!“
Zum Glück bekommen wir das nicht zu sehen, sondern werden stattdessen Merits Chef vorgestellt, einem Geschäftsmann mit dem klingenden Namen Ichie Million, der sich als ausgemachter Vertreter jener Männergattung entpuppt, für die der Hashtag #metoo erfunden worden ist: Zunächst überhäuft er Merit mit Geschenken, was deren Busenfreundin Caro zu ernsthafter Kritik veranlasst, weshalb sie diese überhaupt angenommen habe; sodann kann er, als Merit ihm eines Morgens den Tee serviert, nicht mehr an sich halten, und beginnt, die Arglose zu begrabbeln. In einer der schönsten Szenen des Films stellt Merit ihre Frauenpower unter Beweis: Sie stößt Ichie nicht nur von sich, sodass er zu Boden stürzt, sondern schüttet ihm dann noch den kochend heißen Tee hinterher, und zwar mitten ins Gesicht, was den Schauspieler zu begnadestem Overacting anstachelt, wenn er sich kreischend und krakeelend auf dem Teppich wälzt. Halten wir fest: Merit jagt lieber ihren lukrativen Sekretärinnen-Job zum Teufel als den Verlockungen der Macht zu erliegen und Andy Hörner aufzusetzen. Leider muss konstatiert werden, dass Andy den genau entgegengesetzten Weg einschlägt: Unter den Fittichen Pauls wird er mit einer gewissen Ego bekanntgemacht, mit der er gleich am ersten Abend in der Kiste landet. Merit, die wissen will, weshalb er denn so spät nach Hause komme, tischt er eine Räuberpistole wie aus einem billigen Actionfilm auf, die seine Liebste jedoch ohne mit der Wimper zu zucken schluckt, einfach weil sie sich nicht vorstellen kann, dass Andy ihr mitten ins Gesicht lügt. Eine Szene gleich darauf unterstreicht noch einmal Merits Tugendhaftigkeit: Chief Omogo, (ja, den gibt’s auch noch), folgt ihr nämlich in einen Supermarkt, wo er sie unmissverständlich anflirtet, und ganz verdutzt aus der Wäsche schaut, als Merit ihm einen unmissverständlichen Korb gibt.
Wenn Merit nur wüsste: Denn inzwischen hat Paul Andy nämlich das Geheimnis eröffnet, aus welcher Quelle sein sagenhafter Reichtum stamme. Paul ist Mitglied in einer Geheimsekte, die sich Satanas persönlich verschrieben hat! Wie wär’s?, fragt er seinen naiven Freund: Wenn Du Dich bei uns initiieren lässt, winkt Dir ebenfalls irdischer Reichtum, von dem Du bislang nicht zu träumen gewagt hast! Tatsächlich lässt sich Andy von Paul in eine spartanisch eingerichtete Kellerkammer lotsen, wo die selbsternannten Teufelsjünger von ihm das Aufsagen eines Schwurs fordern, der ihn zum Mitglied ihrer Loge macht. Kaum aber, dass Andy dies getan hat, erfährt er, was die entscheidende Bedingung sowohl für die endgültige Aufnahme im Kult wie auch für das Erlangen nie versiegenden Geldrausches sei: Er müsse das opfern, was ihm auf der Welt das Liebste sei!, und, ja, was sonst könnte das sein als Merit, seine herzensgute Ehefrau? Mich wundert es nicht, dass Andy daraufhin erstmal minutenlang zu Beethovens Dritter Symphonie in Erinnerungen daran schwelgt, wie er Merit seinerzeit kennengelernt hat. Aber was tun, um den Hals aus der Schlinge zu bekommen? In einer der irritierenderen Volten des Drehbuchs, die mir Andy auf keinen Fall sympathischer gemacht hat, schickt er Merit zu seiner eigenen Familie aufs Land, wo sie diese um Geld bitten soll, nun, wo die Eheleute beide arbeitslos sind, und macht sich sodann daran, einen Ersatz für Merit zu finden. Im Klartext: Auf dem örtlichen Straßenstrich wird eine Prostituierte namens Tina aufgegabelt, narkotisiert und den Satanisten als Merit präsentiert. Bevor diese die junge Frau aber opfern können, entwischt der allmählich Erwachenden der Name Jesus, was scheinbar ausreicht, das Ritual zu ruinieren. Auch riecht der Oberpriester nunmehr Lunte und fordert von Andy, er solle ihnen die echte Merit zuführen: Würde das nicht innerhalb einer bestimmten Tagesfrist geschehen, würde er es sein, der das Opfer über sich ergehen lassen müsse!
Tja, und weil Andy eben keinen anderen Ausweg mehr weiß, tut er eben, wie ihm geheißen: Er entführt seine eigene Ehefrau, die daraufhin auf dem Altar der Teufelsbuben landet, worauf diese ihr mit einer Spritze (!) das Blut abzapfen, es in Kelche spritzen, und reihum verzehren. Eine Szene später liegt Merit im Krankenhausbett und besitzt gerade noch die Kraft, Andys Tante ihre letzten Worte zuzuhauchen, bevor sie endgültig ihren Geist aufgibt. Andy wiederum scheint die Tatsache, dass er seine Frau auf dem Gewissen hat, nicht sonderlich mitzunehmen: Eine weitere Szene später finden wir den Halunken bereits im Dorf seiner Eltern, wo es nicht nur endlich einmal von Katzen und Ziegen nur so wimmelt, sondern er diesen vor allem die frohe Kunde gibt, er würde alsbald Ego zu heiraten beabsichtigen. So wenig begeistert sind Vater, Mutter und Schwester davon, dass ihr Sohn, kaum dass Merit unter der Erde ist, schon die Fühler nach der nächsten Dame ausstreckt, dass es zum Eklat und Bruch kommt. Aber auch das tangiert Andy nur peripher, der die geplante Hochzeit eiskalt durchzieht. Doch während des Festes holt Andy die blutige Vergangenheit ein: Merits Geist erscheint ihm mitten unter den Feiernden, und erschreckt ihn derart, dass er besinnungslos zusammenbricht. Ende Teil Eins, und etwa die Hälfte, also knapp 160 Minuten, des Films haben wir bereits erfolgreich und ohne nennenswerte Schäden hinter uns gebracht, puh…
Auch Andy erfreut sich zu Beginn von Teil Zwei langsam wieder besserer Gesundheit, wenn man ihn im gleichen Krankenhaus, in dem Merit ihr Leben ausgehaucht hat, wieder hochpäppelt. Kaum zu Hause angelangt aber eröffnet ihm Caro, die zwischenzeitlich mit Paul zu einer Liaison zusammengefunden hat, dass während seiner Rekonvaleszenz-Phase sich Einschneidendes in seinem Privatleben ereignet hat: Nicht nur, dass die Verwandten von Merit, sprich, ihr Vater und zwei Brüder, mit dem Verdacht hausieren gehen, Andy habe etwas mit dem Tod ihrer Tochter/Schwester zu tun – (Anlass für den Film, uns mindestens zehn Minuten lang eine für die Handlung völlig unfruchtbare Debatte zwischen Merits Familie und derjenigen Andys im ruralen Nigeria aufzutischen) –, auch hat Ego mittlerweile ihre Sachen gepackt, und sich zusammen mit Andys Erspartem aus dem Staub gemacht. Doch da sich Andy noch immer unter dem Schutz Luzifers befindet, ist auch der Missstand bald behoben: Als Merits Familie bei Andy vor der Tür steht, um von ihm die wahren Hintergründe ihres Ablebens zu erfahren, verwickelt der ertappte Sünder sie in einen Streit, droht mit Verleumdungsklagen, jagt sie schließlich auf die Gasse. Auch Amor erbarmt sich unseres scheußlichen Helden: Eine gewisse Chinyere, eine Freundin Caros, verfällt Andy und wird kurzerhand zu seiner neuen Freundin, diesmal allerdings ohne Ehevertrag. Problematisch bleibt weiterhin nur, dass Merits Geist einfach keine Ruhe geben möchte: Es kommt schon mal vor, dass Andy und Chineyere beim Abendessen von umherfliegendem Geschirr, sich bewegenden Zimmerpflanzen und wirbelnden Gemälden heimgesucht werden, oder dass Merit, stilecht eingehüllt in weiße Bettlaken, sich plötzlich leibhaftig vor der zunehmend verängstigten Chineyere materialisiert, sodass Andy sie regelmäßig ohnmächtig vom Parkettboden aufklauben muss. Ganz so schlimm ist die Situation bei Chief Omego noch nicht, auch wenn sich dort die Eifersüchtelein zwischen den drei Eheweibern häufen, und, als auch noch Omegos Bruder Alphonso ins Spiel kommt, zu ohrfeigenreichen Frauenwrestling-Sessions mausern. Erneute Frage an den Drehbuchautor: Was genau hat der schiefhängende Haussegen des Herrn Omego nun genau mit Andys Erfolgsgeschichte vom Tellerwäscher zum Millionär und mitten hinein ins Höllenfeuer zu tun?
Allem Spuk zum Trotz und obwohl er mit Chineyere nunmehr wieder eine solide bessere Hälfte an der Seite hat, wirft Andy derweil wieder die Angel nach Frischfleisch aus: Das auserkorene Filetstück heißt Viviane und wird von ihm beim Schmaus in einem Luxusrestaurant mit all den Dingen beeindruckt, die inzwischen Andys Namen als Marke tragen, die da wären Andy belts aus Texas, Andy designer shoes aus New York City, Andy ties and T-shirts aus Kalifornien. (Nicht dass wir Andy bislang irgendetwas konkret für sein vermeintliches Mode-Imperium haben tun sehen, aber immerhin nett, endlich einmal zu erfahren, woher seine Millionen rühren!) Ein ONS mit Viviane im Hotelbett später wird klar, dass Andy diesmal in eine Falle gelockt worden ist: Die Dame scheint Köder einiger Papparazzi gewesen zu sein, die Andy kurzerhand in der Hotellobby betäuben und halbnackt photographieren, sodass in der nächsten Ausgabe eines Klatschblatts die Titelstory „Millionaire in Sex Scandal“ erscheinen kann. Die liest dann auch Chineyere und ist naturgemäß wenig begeistert, aus der Boulevardpresse von den Seitensprüngen ihres Liebsten zu erfahren. Andy ist indes weiterhin Meister darin, Dinge vom Tisch zu wischen: Nur mit den Merit-Heimsuchungen kommt er noch immer nicht klar. Als er bei irgendeinem Fest einmal mehr unter Beweis stellen darf, was für ein Philantroph er ist – (ein Philantroph wohlgemerkt, der seine eigene Frau dem Satan opfert, um seine Bankkonten zum Platzen zu bringen!) -, und von irgendeinem Dörfchen für seine Wohltätigkeiten gerühmt werden soll, erscheint ihm die untote Merit und triggert einen erneuten Nervenkollaps. Jetzt endlich ist für Andy aber die Zeit gekommen, seine kultischen Brüder um Rat zu befragen. Ihr Geheimrezept, um Andy quasi unbesiegbar gegen jenseitige Attacken zu machen: Einer lebenden Ziege wird oberhalb seines Kopfes die Kehle durchgeschnitten, worauf das heiße Blut Andys Kopf und Oberkörper besprenkelt. Nein, natürlich ist das kein Spezialeffekt…
Leider ist die Ziege umsonst gestorben, denn Merit denkt gar nicht daran, im Jenseits zu verbleiben. „I am living in bondage!“, stellt Andy alsbald fest, und greift zum letzten Ausweg: Einem Strick, mit dem er sich im eigenen Schlafzimmer unweit der schlummernden Chineyere aufknüpfen möchte. Was ihn davon abhält, ist die Feststellung, dass Chineyere ihren Schlummer nur vortäuscht, und seinen Suizidversuch stattdessen verstohlen unter halbgeschlossenen Lidern hervor beäugt. Grund genug, erst einmal am Leben zu bleiben, und minutenlang mit dem Bettzeug auf seine Ehefrau einzudreschen. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Antipathie ein Film in mir für seinen nominellen Helden zu wecken vermag! Unglaublich ist allerdings auch, wie sehr LIVING IN BONDAGE seine bis hierhin doch einigermaßen geradlinige, nachvollziehbare Handlung gegen wildestes Fabulieren eintauscht, das gerade in der letzten halben Stunde einen WTF-Moment in einer Weise an den nächsten heftet, die durchaus mit den zahlreichen Längen der vorherigen fünf Stunden zu versöhnen weiß. Es geschieht nämlich folgendes: Andy fragt erneut den Teufelszirkel um Hilfe; eine Oberpriesterin orakelt: Um frei zu werden von Merits Fluch müsse er sich sowohl beide Augen ausstechen als auch eigenhändig die Testikel amputieren! Derweil hat Chineyere die Schnauze voll von ihrem Ehemann, und macht gemeinsame Sache mit Caro, bei der sie einen Koffer verstaut, in dem sie Andys gesamtes Bargeld versteckt hat. Der Plan lautet, dass sich beide Frauen mit den Reichtümern ins Ausland absetzen wollen. Allerdings denkt sich Caro: Weshalb teilen, wenn man den Schatz auch allein in Beschlag nehmen kann?, und vergiftet Chineyere hinterrücks, worauf diese blutkotzend zusammensackt. Instant-Karma folgt Caro aber auf dem Fuße: Während sie mit dem schweren Geldkoffer über eine Landstraße hetzt, erfasst sie ein PKW, dessen flüchtender Fahrer die Dame mausetot mitten auf dem Asphalt liegen lässt. Zuvor hat Paul ebenso seine Quittung erhalten: Eine Truppe Hitmen ist bei ihm ins Schlafzimmer eingedrungen und hat ihn erdrosselt.
Jetzt fehlt nur noch Andy, richtig? Da dieser nicht daran denkt, sich zu entmannen und zu blenden, taumelt er verwirrten Geistes, sich aus Mülltonnen ernährend und seinen eigenen Urin trinkend durch die Straßen, wenn er nicht unterhalb einer Autobahnbrücke nächtigt. Nicht mal die eigene Mutter scheint er noch zu erkennen, der er stattdessen seinen Harnsaft als Bierspezialität anbietet. (Kein Spaß!) Eines Tages aber stolpert Tina, die Prostituierte, die seinerzeit als Merit-Double zur satanischen Schlachtbank geführt werden sollte, über den verwahrlosten Andy, und erkennt in ihm sofort ihren damaligen Peiniger wieder. Da die Gute indes aber Mitglied in einer evangelikalen Gemeinde ist, denkt sie weniger an Rache, sondern daran, Andy aus seinem jämmerlichen Zustand zu erlösen. Gewaltsam verschleppen ihn ihre Christenbrüder in ein Gemeindehaus, dessen im Grunde einziger Inventargegenstand ein raumfüllendes Plakat mit dem Slogan JESUS IS LORD darstellt. Andy bleibt nicht viel anderes übrig, habe ich den Eindruck, als in die frommen Gesänge seiner neuen Familie einzustimmen, und sich bei einer ad-hoc-Taufe unter den Schutz Christi zu stellen. Minutenlang feiern Tina, Andy und ihre Geschwister ihren paradiesischen Vater mit Tanz und Sang, bevor sich LIVING IN BONDAGE nun doch dafür entscheidet, dass es nach dieser plötzlichen Wandlung vom Saulus zum Paulus endlich Zeit für den Abspann sei.
Wie mir das bisschen Sekundärliteratur verrät, das mir zu nigeranischen Filmindustrie zur Verfügung steht, scheint LIVING IN BONDAGE seinerzeit an den Kinokassen eingeschlagen zu haben wie die sprichwörtliche Bombe. Vor allem Hauptdarsteller Kenneth Okonkwo, (der heute gar den Namenszusatz "Pastor" besitzt!), wurde von dem Streifen quasi über Nacht zum Star gemacht. Jedoch scheint dank des Films die gesamte Nollywood-Traumfabrik erst so richtig an Fahrt gewonnen zu haben. Wenn LIVING IN BONDAGE wohl sicherlich nicht allein dafür verantwortlich ist, dass sich Nigeria in der Folge zum zweiproduktivsten Filmland weltweit aufgeschwungen hat, so scheint es sich bei diesem Film doch um einen entscheidenden Baustein in der Errichtung des ostafrikanischen Direct-to-Video-Imperiums zu handeln. Tja, und einmal mehr bin ich darüber erstaunt, denn, wenn mir LIVING IN BONDAGE ohne Kontextwissen auf Anhieb eins nicht zu sein gewesen wäre, dann: Ein Film, der Menschenmassen in die movie town hall bzw. vor den VHS-Player lockt! Andererseits: Es soll eine Zeit gegeben haben, in denen meine Vorfahren freiwillig ihr Erspartes in Pennäler-Komödien, Rudi-Carrell-Vehikel und Roy-Black-Abenteuer investiert haben. Und diese sind, (einigen Ausnahmen zum Trotz!), selten derart auf angenehme Art zum Haareraufen wie LIVING IN BONDAGE.
Dass LIVING IN BONDAGE wie eine Daily Soap beginnt, ist nur folgerichtig: Kurze Spielszenen, unterlegt von einem grausigen 80er-Instrumental-Dosenpop mit viel schmierigem Saxophon und noch mehr Gitarrensoli, den wir die gesamten kommenden fünfeinhalb Stunden werden ertragen müssen, stellen uns die im Folgenden relevanten Protagonisten bzw. deren Darsteller vor. Warum das Sinn ergibt? Nun, weil sich, so viel sei an dieser Stelle bereits verraten, LIVING IN BONDAGE zu keinem Zeitpunkt über die technisch-ästhetischen Standards einer generischen TV-Produktionen erheben wird. Der Film hat, mehr als jeder andere von mir bislang gesichtete Nollywood-Streifen, die Steifheit abgefilmten Theaters, bei der man irgendwann selbst um jede Großaufnahme, jeden Kameraschwenk froh ist, die ein bisschen ausbrechen aus dem monotonen Abspulen von statischen Halbtotalen und Schuss/Gegenschuss-Prinzipien. Dass LIVING IN BONDAGE sich außerdem hauptsächlich aus Dialogszenen in geschlossenen und relativ langweilig eingerichteten Räumen zusammensetzt, bewirkt immerhin, dass einen nichts wirklich abzulenken vermag von der reichlich kruden, stellenweise gar monströsen Handlung, mit der ich mich in meiner folgenden Kurzkritik dann auch größtenteils befassen werde, schlicht weil es nicht viel gibt, worüber es sich sonst lohnen würde, viele Worte zu verlieren.
Unser Held (oder eher: Anti-Held) heißt Andy und begrüßt uns gleich in der allerersten Szene mit einem ausgewalzten, direkt ans Publikum adressierten Monolog, in dem er seine derzeitige Lebenslage beklagt: Schon den fünften Job habe er innerhalb kürzer Zeit verloren, und schon wieder war er an einen Chef geraten, der ihm, wie es im Originalwortlaut heißt, nur armselige Nüsschen zu futtern gegeben habe. Wonach Andy aber lechzt, das ist das große Geld, denn dann könne er sich endlich all seine Träume erfüllen, und auch der geliebten Gattin Merit einen anständigen, sprich, kostspieligen Lebensstil verschaffen. Diese wiederum steht den pekuniären Gelüsten ihres Angetrauten skeptisch gegenüber: In einer ebenso ausgewalzten Dialogszenen eröffnet sie Andy, dass sie ihn nicht wegen etwaiger Geldsegen geehelicht habe, und dass er der ärmste Schlucker von Lagos sein könne, wenn er sie nur an seiner Seite beließe. Solche hehren Ansprachen verhallen aber schnell, als Andy seinen besten Freund Paul nach langer Zeit wiedertrifft. Paul nämlich hat sich inzwischen zum Millionär gemausert, und lädt Andy zum Beweis seiner Liquidität in ein Speiserestaurant gehobener Klasse ein. Ein Close-Up veranschaulicht uns dort, was für ein Loch Andy die Armut in den Magen gefressen haben muss: Er schlingt das ihm kredenzte Fleisch herunter, als würden wir uns kurzzeitig in einem Jan-Svankmajer-Film befinden, was Paul wiederum zu keinem Ekel, sondern zu einem zufriedenen Grinsen animiert.
Nachdem wir in einem Nebenplot, (der sich auch nach vielen Stunden nicht mit dem eigentlichen Handlungsstrang vereinigen wird, und, spekuliere ich, so etwas wie ein Comic-Relief-Seitenarm darstellen soll, auch wenn ich bei ihm kein einziges Mal mit den Mundwinkeln zucken konnte), einen gewissen Chief Omego kennengelernt haben, der seine inzwischen dritte Ehefrau geheiratet hat, was seine beiden vorherigen auf die Palme bringt, da er nunmehr bloß noch mit dieser den Beischlaf vollziehen möchte, und, kurz gesagt, gefühlt eine Viertelstunde beigewohnt haben, wie die hyänenhaften Damen sich gegenseitig an die Gurgel springen, erhält Andy Besuch von einem gewissen Robert, der ihn zu einem Geschäft zu überreden gedenkt, das nicht nur Merit äußerst dubios vorkommt: Er soll sein gesamtes Vermögen in Lieferungen von Autos und Elektrogeräten investieren, die nach Nigeria geschifft werden würden, worauf Roberts Auftraggeber sie für ein Vielfaches ihres Kaufpreises unters Volk zu bringen beabsichtige. Ob er nicht gesehen habe, mahnt Merit ihren Mann, wie die Augen Roberts fackelgleich geleuchtet und wie seine Zunge sich verdächtig bewegt hätte, nachdem der Besucher endlich seinen Hut genommen hat. Andy freilich verschließt sich vor solchen Warnungen, und nimmt stattdessen eine Einladung Pauls zu einer Millionärsparty ab, die ungefähr so aussieht wie eine Studenten-WG-Feier: Männer und Frauen tanzen zu lauter Chart-Musik in einem wenig geräumigen Wohnzimmer ziellos umher, während Paul unserem Helden mit Verheißungen anheizt wie: „We will drink until we vomit!“
Zum Glück bekommen wir das nicht zu sehen, sondern werden stattdessen Merits Chef vorgestellt, einem Geschäftsmann mit dem klingenden Namen Ichie Million, der sich als ausgemachter Vertreter jener Männergattung entpuppt, für die der Hashtag #metoo erfunden worden ist: Zunächst überhäuft er Merit mit Geschenken, was deren Busenfreundin Caro zu ernsthafter Kritik veranlasst, weshalb sie diese überhaupt angenommen habe; sodann kann er, als Merit ihm eines Morgens den Tee serviert, nicht mehr an sich halten, und beginnt, die Arglose zu begrabbeln. In einer der schönsten Szenen des Films stellt Merit ihre Frauenpower unter Beweis: Sie stößt Ichie nicht nur von sich, sodass er zu Boden stürzt, sondern schüttet ihm dann noch den kochend heißen Tee hinterher, und zwar mitten ins Gesicht, was den Schauspieler zu begnadestem Overacting anstachelt, wenn er sich kreischend und krakeelend auf dem Teppich wälzt. Halten wir fest: Merit jagt lieber ihren lukrativen Sekretärinnen-Job zum Teufel als den Verlockungen der Macht zu erliegen und Andy Hörner aufzusetzen. Leider muss konstatiert werden, dass Andy den genau entgegengesetzten Weg einschlägt: Unter den Fittichen Pauls wird er mit einer gewissen Ego bekanntgemacht, mit der er gleich am ersten Abend in der Kiste landet. Merit, die wissen will, weshalb er denn so spät nach Hause komme, tischt er eine Räuberpistole wie aus einem billigen Actionfilm auf, die seine Liebste jedoch ohne mit der Wimper zu zucken schluckt, einfach weil sie sich nicht vorstellen kann, dass Andy ihr mitten ins Gesicht lügt. Eine Szene gleich darauf unterstreicht noch einmal Merits Tugendhaftigkeit: Chief Omogo, (ja, den gibt’s auch noch), folgt ihr nämlich in einen Supermarkt, wo er sie unmissverständlich anflirtet, und ganz verdutzt aus der Wäsche schaut, als Merit ihm einen unmissverständlichen Korb gibt.
Wenn Merit nur wüsste: Denn inzwischen hat Paul Andy nämlich das Geheimnis eröffnet, aus welcher Quelle sein sagenhafter Reichtum stamme. Paul ist Mitglied in einer Geheimsekte, die sich Satanas persönlich verschrieben hat! Wie wär’s?, fragt er seinen naiven Freund: Wenn Du Dich bei uns initiieren lässt, winkt Dir ebenfalls irdischer Reichtum, von dem Du bislang nicht zu träumen gewagt hast! Tatsächlich lässt sich Andy von Paul in eine spartanisch eingerichtete Kellerkammer lotsen, wo die selbsternannten Teufelsjünger von ihm das Aufsagen eines Schwurs fordern, der ihn zum Mitglied ihrer Loge macht. Kaum aber, dass Andy dies getan hat, erfährt er, was die entscheidende Bedingung sowohl für die endgültige Aufnahme im Kult wie auch für das Erlangen nie versiegenden Geldrausches sei: Er müsse das opfern, was ihm auf der Welt das Liebste sei!, und, ja, was sonst könnte das sein als Merit, seine herzensgute Ehefrau? Mich wundert es nicht, dass Andy daraufhin erstmal minutenlang zu Beethovens Dritter Symphonie in Erinnerungen daran schwelgt, wie er Merit seinerzeit kennengelernt hat. Aber was tun, um den Hals aus der Schlinge zu bekommen? In einer der irritierenderen Volten des Drehbuchs, die mir Andy auf keinen Fall sympathischer gemacht hat, schickt er Merit zu seiner eigenen Familie aufs Land, wo sie diese um Geld bitten soll, nun, wo die Eheleute beide arbeitslos sind, und macht sich sodann daran, einen Ersatz für Merit zu finden. Im Klartext: Auf dem örtlichen Straßenstrich wird eine Prostituierte namens Tina aufgegabelt, narkotisiert und den Satanisten als Merit präsentiert. Bevor diese die junge Frau aber opfern können, entwischt der allmählich Erwachenden der Name Jesus, was scheinbar ausreicht, das Ritual zu ruinieren. Auch riecht der Oberpriester nunmehr Lunte und fordert von Andy, er solle ihnen die echte Merit zuführen: Würde das nicht innerhalb einer bestimmten Tagesfrist geschehen, würde er es sein, der das Opfer über sich ergehen lassen müsse!
Tja, und weil Andy eben keinen anderen Ausweg mehr weiß, tut er eben, wie ihm geheißen: Er entführt seine eigene Ehefrau, die daraufhin auf dem Altar der Teufelsbuben landet, worauf diese ihr mit einer Spritze (!) das Blut abzapfen, es in Kelche spritzen, und reihum verzehren. Eine Szene später liegt Merit im Krankenhausbett und besitzt gerade noch die Kraft, Andys Tante ihre letzten Worte zuzuhauchen, bevor sie endgültig ihren Geist aufgibt. Andy wiederum scheint die Tatsache, dass er seine Frau auf dem Gewissen hat, nicht sonderlich mitzunehmen: Eine weitere Szene später finden wir den Halunken bereits im Dorf seiner Eltern, wo es nicht nur endlich einmal von Katzen und Ziegen nur so wimmelt, sondern er diesen vor allem die frohe Kunde gibt, er würde alsbald Ego zu heiraten beabsichtigen. So wenig begeistert sind Vater, Mutter und Schwester davon, dass ihr Sohn, kaum dass Merit unter der Erde ist, schon die Fühler nach der nächsten Dame ausstreckt, dass es zum Eklat und Bruch kommt. Aber auch das tangiert Andy nur peripher, der die geplante Hochzeit eiskalt durchzieht. Doch während des Festes holt Andy die blutige Vergangenheit ein: Merits Geist erscheint ihm mitten unter den Feiernden, und erschreckt ihn derart, dass er besinnungslos zusammenbricht. Ende Teil Eins, und etwa die Hälfte, also knapp 160 Minuten, des Films haben wir bereits erfolgreich und ohne nennenswerte Schäden hinter uns gebracht, puh…
Auch Andy erfreut sich zu Beginn von Teil Zwei langsam wieder besserer Gesundheit, wenn man ihn im gleichen Krankenhaus, in dem Merit ihr Leben ausgehaucht hat, wieder hochpäppelt. Kaum zu Hause angelangt aber eröffnet ihm Caro, die zwischenzeitlich mit Paul zu einer Liaison zusammengefunden hat, dass während seiner Rekonvaleszenz-Phase sich Einschneidendes in seinem Privatleben ereignet hat: Nicht nur, dass die Verwandten von Merit, sprich, ihr Vater und zwei Brüder, mit dem Verdacht hausieren gehen, Andy habe etwas mit dem Tod ihrer Tochter/Schwester zu tun – (Anlass für den Film, uns mindestens zehn Minuten lang eine für die Handlung völlig unfruchtbare Debatte zwischen Merits Familie und derjenigen Andys im ruralen Nigeria aufzutischen) –, auch hat Ego mittlerweile ihre Sachen gepackt, und sich zusammen mit Andys Erspartem aus dem Staub gemacht. Doch da sich Andy noch immer unter dem Schutz Luzifers befindet, ist auch der Missstand bald behoben: Als Merits Familie bei Andy vor der Tür steht, um von ihm die wahren Hintergründe ihres Ablebens zu erfahren, verwickelt der ertappte Sünder sie in einen Streit, droht mit Verleumdungsklagen, jagt sie schließlich auf die Gasse. Auch Amor erbarmt sich unseres scheußlichen Helden: Eine gewisse Chinyere, eine Freundin Caros, verfällt Andy und wird kurzerhand zu seiner neuen Freundin, diesmal allerdings ohne Ehevertrag. Problematisch bleibt weiterhin nur, dass Merits Geist einfach keine Ruhe geben möchte: Es kommt schon mal vor, dass Andy und Chineyere beim Abendessen von umherfliegendem Geschirr, sich bewegenden Zimmerpflanzen und wirbelnden Gemälden heimgesucht werden, oder dass Merit, stilecht eingehüllt in weiße Bettlaken, sich plötzlich leibhaftig vor der zunehmend verängstigten Chineyere materialisiert, sodass Andy sie regelmäßig ohnmächtig vom Parkettboden aufklauben muss. Ganz so schlimm ist die Situation bei Chief Omego noch nicht, auch wenn sich dort die Eifersüchtelein zwischen den drei Eheweibern häufen, und, als auch noch Omegos Bruder Alphonso ins Spiel kommt, zu ohrfeigenreichen Frauenwrestling-Sessions mausern. Erneute Frage an den Drehbuchautor: Was genau hat der schiefhängende Haussegen des Herrn Omego nun genau mit Andys Erfolgsgeschichte vom Tellerwäscher zum Millionär und mitten hinein ins Höllenfeuer zu tun?
Allem Spuk zum Trotz und obwohl er mit Chineyere nunmehr wieder eine solide bessere Hälfte an der Seite hat, wirft Andy derweil wieder die Angel nach Frischfleisch aus: Das auserkorene Filetstück heißt Viviane und wird von ihm beim Schmaus in einem Luxusrestaurant mit all den Dingen beeindruckt, die inzwischen Andys Namen als Marke tragen, die da wären Andy belts aus Texas, Andy designer shoes aus New York City, Andy ties and T-shirts aus Kalifornien. (Nicht dass wir Andy bislang irgendetwas konkret für sein vermeintliches Mode-Imperium haben tun sehen, aber immerhin nett, endlich einmal zu erfahren, woher seine Millionen rühren!) Ein ONS mit Viviane im Hotelbett später wird klar, dass Andy diesmal in eine Falle gelockt worden ist: Die Dame scheint Köder einiger Papparazzi gewesen zu sein, die Andy kurzerhand in der Hotellobby betäuben und halbnackt photographieren, sodass in der nächsten Ausgabe eines Klatschblatts die Titelstory „Millionaire in Sex Scandal“ erscheinen kann. Die liest dann auch Chineyere und ist naturgemäß wenig begeistert, aus der Boulevardpresse von den Seitensprüngen ihres Liebsten zu erfahren. Andy ist indes weiterhin Meister darin, Dinge vom Tisch zu wischen: Nur mit den Merit-Heimsuchungen kommt er noch immer nicht klar. Als er bei irgendeinem Fest einmal mehr unter Beweis stellen darf, was für ein Philantroph er ist – (ein Philantroph wohlgemerkt, der seine eigene Frau dem Satan opfert, um seine Bankkonten zum Platzen zu bringen!) -, und von irgendeinem Dörfchen für seine Wohltätigkeiten gerühmt werden soll, erscheint ihm die untote Merit und triggert einen erneuten Nervenkollaps. Jetzt endlich ist für Andy aber die Zeit gekommen, seine kultischen Brüder um Rat zu befragen. Ihr Geheimrezept, um Andy quasi unbesiegbar gegen jenseitige Attacken zu machen: Einer lebenden Ziege wird oberhalb seines Kopfes die Kehle durchgeschnitten, worauf das heiße Blut Andys Kopf und Oberkörper besprenkelt. Nein, natürlich ist das kein Spezialeffekt…
Leider ist die Ziege umsonst gestorben, denn Merit denkt gar nicht daran, im Jenseits zu verbleiben. „I am living in bondage!“, stellt Andy alsbald fest, und greift zum letzten Ausweg: Einem Strick, mit dem er sich im eigenen Schlafzimmer unweit der schlummernden Chineyere aufknüpfen möchte. Was ihn davon abhält, ist die Feststellung, dass Chineyere ihren Schlummer nur vortäuscht, und seinen Suizidversuch stattdessen verstohlen unter halbgeschlossenen Lidern hervor beäugt. Grund genug, erst einmal am Leben zu bleiben, und minutenlang mit dem Bettzeug auf seine Ehefrau einzudreschen. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Antipathie ein Film in mir für seinen nominellen Helden zu wecken vermag! Unglaublich ist allerdings auch, wie sehr LIVING IN BONDAGE seine bis hierhin doch einigermaßen geradlinige, nachvollziehbare Handlung gegen wildestes Fabulieren eintauscht, das gerade in der letzten halben Stunde einen WTF-Moment in einer Weise an den nächsten heftet, die durchaus mit den zahlreichen Längen der vorherigen fünf Stunden zu versöhnen weiß. Es geschieht nämlich folgendes: Andy fragt erneut den Teufelszirkel um Hilfe; eine Oberpriesterin orakelt: Um frei zu werden von Merits Fluch müsse er sich sowohl beide Augen ausstechen als auch eigenhändig die Testikel amputieren! Derweil hat Chineyere die Schnauze voll von ihrem Ehemann, und macht gemeinsame Sache mit Caro, bei der sie einen Koffer verstaut, in dem sie Andys gesamtes Bargeld versteckt hat. Der Plan lautet, dass sich beide Frauen mit den Reichtümern ins Ausland absetzen wollen. Allerdings denkt sich Caro: Weshalb teilen, wenn man den Schatz auch allein in Beschlag nehmen kann?, und vergiftet Chineyere hinterrücks, worauf diese blutkotzend zusammensackt. Instant-Karma folgt Caro aber auf dem Fuße: Während sie mit dem schweren Geldkoffer über eine Landstraße hetzt, erfasst sie ein PKW, dessen flüchtender Fahrer die Dame mausetot mitten auf dem Asphalt liegen lässt. Zuvor hat Paul ebenso seine Quittung erhalten: Eine Truppe Hitmen ist bei ihm ins Schlafzimmer eingedrungen und hat ihn erdrosselt.
Jetzt fehlt nur noch Andy, richtig? Da dieser nicht daran denkt, sich zu entmannen und zu blenden, taumelt er verwirrten Geistes, sich aus Mülltonnen ernährend und seinen eigenen Urin trinkend durch die Straßen, wenn er nicht unterhalb einer Autobahnbrücke nächtigt. Nicht mal die eigene Mutter scheint er noch zu erkennen, der er stattdessen seinen Harnsaft als Bierspezialität anbietet. (Kein Spaß!) Eines Tages aber stolpert Tina, die Prostituierte, die seinerzeit als Merit-Double zur satanischen Schlachtbank geführt werden sollte, über den verwahrlosten Andy, und erkennt in ihm sofort ihren damaligen Peiniger wieder. Da die Gute indes aber Mitglied in einer evangelikalen Gemeinde ist, denkt sie weniger an Rache, sondern daran, Andy aus seinem jämmerlichen Zustand zu erlösen. Gewaltsam verschleppen ihn ihre Christenbrüder in ein Gemeindehaus, dessen im Grunde einziger Inventargegenstand ein raumfüllendes Plakat mit dem Slogan JESUS IS LORD darstellt. Andy bleibt nicht viel anderes übrig, habe ich den Eindruck, als in die frommen Gesänge seiner neuen Familie einzustimmen, und sich bei einer ad-hoc-Taufe unter den Schutz Christi zu stellen. Minutenlang feiern Tina, Andy und ihre Geschwister ihren paradiesischen Vater mit Tanz und Sang, bevor sich LIVING IN BONDAGE nun doch dafür entscheidet, dass es nach dieser plötzlichen Wandlung vom Saulus zum Paulus endlich Zeit für den Abspann sei.
Wie mir das bisschen Sekundärliteratur verrät, das mir zu nigeranischen Filmindustrie zur Verfügung steht, scheint LIVING IN BONDAGE seinerzeit an den Kinokassen eingeschlagen zu haben wie die sprichwörtliche Bombe. Vor allem Hauptdarsteller Kenneth Okonkwo, (der heute gar den Namenszusatz "Pastor" besitzt!), wurde von dem Streifen quasi über Nacht zum Star gemacht. Jedoch scheint dank des Films die gesamte Nollywood-Traumfabrik erst so richtig an Fahrt gewonnen zu haben. Wenn LIVING IN BONDAGE wohl sicherlich nicht allein dafür verantwortlich ist, dass sich Nigeria in der Folge zum zweiproduktivsten Filmland weltweit aufgeschwungen hat, so scheint es sich bei diesem Film doch um einen entscheidenden Baustein in der Errichtung des ostafrikanischen Direct-to-Video-Imperiums zu handeln. Tja, und einmal mehr bin ich darüber erstaunt, denn, wenn mir LIVING IN BONDAGE ohne Kontextwissen auf Anhieb eins nicht zu sein gewesen wäre, dann: Ein Film, der Menschenmassen in die movie town hall bzw. vor den VHS-Player lockt! Andererseits: Es soll eine Zeit gegeben haben, in denen meine Vorfahren freiwillig ihr Erspartes in Pennäler-Komödien, Rudi-Carrell-Vehikel und Roy-Black-Abenteuer investiert haben. Und diese sind, (einigen Ausnahmen zum Trotz!), selten derart auf angenehme Art zum Haareraufen wie LIVING IN BONDAGE.