Lulu
Niederlande 2005
Regie: Victor Nieuwenhujis & Maartje Seyferth
Willeke van Ammelrooy, Ruby Greeve, Catherine Henegan, Maiko Kemper, Hugo Metsers, Roos Metsers, Titus Muizelaar,
Adelheid Roosen, Devon Schoemaker, Hans Seyferth, Vlatka Simac, Lot Smit
OFDB
Eine Frau, eine Femme Fatale, deren einziges Streben ist, Männer auszusaugen. Ihnen alles zu nehmen was sie haben, ihr Hab und Gut, ihre Geld und ihre Gefühle, bis sie weitergeht, eine leere Hülle von etwas hinterlassend, was einmal ein Mann war. Das Mittel dazu heißt Sex, und nochmal Sex. Männer sind schwanzgesteuert, da brauchen wir uns nichts vormachen, und das einzige Begehren das sie haben ist, ihr Ding irgendwo reinzustecken. Was könnte für eine Frau also näherliegen, als aus diesem Akt einen Akt des eigenen Überlebens zu machen?
In der niederländischen Version dieses Stoffes trifft die Kindfrau Lulu auf den vermögenden Leon, der in einem Schloss residiert, in seinem gelebten Sarkasmus vor allem einsam ist, und fortan alle seine Gefühle auf Lulu projiziert. Doch Lulu will nicht (nur) den dicken und reichen Leon, sie will auch den coolen Macho Carlos, den gutaussehenden Alec, Leons Sohn, und wenn sie es mit Alec treibt schaut Martha zu. Lulu macht es mit Max, und sie verführt sogar Leons Bruder, den Priester Maurits, in der Kirche. Und als Leon Lulu endlich aus dem Haus werfen kann ist es zu spät – Zurück bleibt nur eine leere Hülle, während Lulu auf ihrem Weg weitergeht.
„Eine dampfende Kombination aus tierischer Sexualität, weiblicher Schönheit und gewalttätigen Impulsen“, so heißt es auf der DVD-Hülle laut einem Portal? Poeten? namens Cinemaze. „Erotisch und poetisch, eine bewegende Geschichte von Liebe und dem melancholischen Urbedürfnis des Überlebens“ behauptet ein gewisser Riff, „Sinnlich und subversiv“ erklärt uns der Aufkleber des Labels auf dem Cover.
Ich darf verraten, dass nichts, aber auch rein gar nichts von diesen Attributen auf den Film zutrifft. Und wer immer solche Dinge über LULU behauptet, hat in seinem Leben noch nie einen Jess Franco-Film gesehen. Sinnlichkeit findet in den kahlen und kühl wirkenden Kulissen praktisch gar nicht statt, die wenigen Momente der körperlichen Annäherung sind den Kulissen bestens angepasst und haben wenig Ausstrahlung. Wenn überhaupt, dann sind sie kalt und unpersönlich. Eine nackte Frau allein mag vielleicht Feuilletonisten in den Wahnsinn treiben, Filmfans mit mehr als 200 gesichteten Filmen pro Jahr sicher nicht. Und subversiv? Nun ja, die Vorlage des Theaterstücks aus dem Jahr 1913 war damals sicher ein Skandal und hat das Reich möglicherweise sogar in seinen Grundfesten erschüttert (was ich nun aber auch nicht wirklich glaube), aber im Jahr 2005, 31 Jahre nach dem ersten EMMANUELLE, hat das Zeigen einer nackten Frau und ihrer finanziellen und erotischen Obsessionen sicher nichts mehr von Subversion im Bauch.
Dazu kommt, dass Vlatka Simac zwar ordentlich schauspielert, und ihr knabenhafter Körper auf jeden Fall auch viel sinnliche Ausstrahlung hat, aber auch hier gilt, dass in den 30 Jahren davor auf den Filmleinwänden dieser Welt noch ganz andere Dinge gezeigt wurden. Ein blankes Messer über einen nackten Frauenkörper gezogen, dies in Kombination mit einer gewissen Zeigefreudigkeit, das ist für mich zwei Minuten dunkle Erotik, aber nicht sinnlich-subversive Irgendwas. Ich bin so frei und behaupte, dass etwa eine Nieves Navarro selbst angezogen mehr Erotik und vor allem mehr Talent besaß als Vlatka Simac. Was mir die Länge der Filmographien der beiden Aktricen dann auch bestätigt (oder bin ich auch schon so schwanzgesteuert, dass ich hier die Länge vergleiche…? Egal …)
OK, der Maulwurf wollte also offensichtlich einen Softsexer sehen und ist enttäuscht worden. Muss denn der Film deswegen gleich schlecht sein, nur weil die Erwartungen vollkommen in die Irre geführt wurden? Ein wenig trifft dieser Umstand schon zu, aber auch sonst bietet LULU nicht wirklich etwas für Bauch oder Kopf. Die verschachtelte Erzählstruktur bringt uns die durchgehend unsympathischen Personen keinen Schritt näher, sie bleiben Pappfiguren in unaufregenden Kulissen, und hinter den Pappfiguren zeigen sich nicht einmal Emotionen. Es gibt da diesen Moment, wenn Leon seinen eigenen Sohn Alec mit der Pistole bedroht, während Lulu, von Leon in flagranti erwischt, sich hinter Alecs Rücken versteckt. Die Kamera macht den Fehler die Gesichter der Darsteller in Großaufnahme zu zeigen, und wir sehen – Nichts! Keinerlei Emotion, keinen Hass, keinen Ärger, keine Angst. Ich meine, wenn mein Vater mich mit seiner Geliebten ertappen und eine Pistole auf mich richten würde hätte ich Angst. Wenn ich der Vater wäre, dann wäre ich sauer. Würde Gefühle in mir spüren die hochkochen, die mich überwältigen wollen, die mir zuflüstern „Mach es, tue es, töte das Schwein“. Und hier? Leon schaut Alec an, Alec schaut Leon an, und die Blicke verlieren sich im Nirwana der Emotionslosigkeit. Habe ich, bevor ich heute früh zu den Dreharbeiten gekommen bin, eigentlich das Licht im Flur ausgemacht …?
Eine Frau, eine Femme Fatale, deren einziges Streben ist, Männer auszusaugen. Ihnen alles zu nehmen was sie haben, ihr Hab und Gut, ihre Geld und ihre Gefühle, bis sie weitergehen, eine leere Hülle von etwas hinterlassend, was einmal ein Mann war. Auch ohne den Sex durchzieht diese Geschichte die Filmhistorie, bei den Stummfilmen beginnend (etwa Wallace Worsleys THE ACE OF HEARTS) über die klassischen Noirs (zum Beispiel Charles Vidors Klassiker GILDA) bis heute (Brian De Palmas FEMME FATALE). Die Story an sich dürfte aber noch ein paar tausend Jahre älter sein, da bin ich mir sicher, denn Sex ist eine Triebfeder des menschlichen Handelns, und das Ausnutzen dieser Triebfeder ist so alt wie die Menschheit. Wer das nicht glaubt darf gerne bei Homer nachschlagen. Mal wird diese Story besser erzählt (was schnell zu Homer führt), mal schlechter. In dieser vorliegenden Version von LULU landen wir eher bei letzterem. Einer Geschichte die so mühsam auf artifiziell und unerotisch getrimmt wurde, dass Langeweile und Müdigkeit zwingend die Überhand über den Seelenzustand des ermatteten Zuschauers gewinnen. Schade um den guten Stoff. Und jetzt muss dringend ein Jess Franco mit Lina Romay her, um die aufgestaute Erwartungshaltung abzubauen …
4/10