Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39399
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von jogiwan »

Tausendschönchen - kein Märchen

Bild

Originaltitel: Sedmikrásky

Herstellungsland: Tschechoslowakei / 1966

Regie: Vera Chytilová

Darsteller: Ivana Karbanová, Jitka Cerhová, Marie Cesková, Jirina Myskova, u.a.

Story:

Am Anfang waren zwei Mädchen: Marie 1 und Marie 2 hocken in einem Schwimmbad. Wenn sie ihre Arme und Beine bewegen, quietscht es als öffne der Prinz die seit 100 Jahren verschlossene Tür zum Zimmer Dornröschens. Beide sind sich einig: Die Welt ist verdorben. Also beschließen sie, ab jetzt eben auch verdorben zu sein. Gesagt, getan – und wie es sich für zwei verdorbene und quietschende Mädchen gehört, ohrfeigen sie sich aus dem Schwimmbad erstmal direkt ins Paradies. Von da an tun sie, was ihnen gefällt: Es wird geschlemmt und sich daneben benommen bis am Ende nicht mal mehr der Film selbst vor ihnen sicher ist. (quelle: bildstörung.tv)
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39399
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von jogiwan »

kommt demnächst von Bildstörung:

Bild

VÖ-Termin gibts aber noch keinen

(quelle: facebook)
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Benutzeravatar
Arkadin
Beiträge: 11224
Registriert: Do 15. Apr 2010, 21:31
Wohnort: Bremen
Kontaktdaten:

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von Arkadin »

Ich freue mich darauf wie Sau!!! :D :D :D
Früher war mehr Lametta
***************************************************************************************
Filmforum Bremen
Weird Xperience
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39399
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von jogiwan »

Arkadin hat geschrieben:Ich freue mich darauf wie Sau!!! :D :D :D
da kenn ich noch jemanden... ;)
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Benutzeravatar
Arkadin
Beiträge: 11224
Registriert: Do 15. Apr 2010, 21:31
Wohnort: Bremen
Kontaktdaten:

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von Arkadin »

jogiwan hat geschrieben:
Arkadin hat geschrieben:Ich freue mich darauf wie Sau!!! :D :D :D
da kenn ich noch jemanden... ;)
Oink-oink
Früher war mehr Lametta
***************************************************************************************
Filmforum Bremen
Weird Xperience
Benutzeravatar
horror1966
Beiträge: 5597
Registriert: Mo 7. Jun 2010, 01:46
Wohnort: Hildesheim

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von horror1966 »

Eigentlich war der Termin auf den 30.4 datiert, wurde wohl aber verschoben.
Big Brother is watching you
Benutzeravatar
horror1966
Beiträge: 5597
Registriert: Mo 7. Jun 2010, 01:46
Wohnort: Hildesheim

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von horror1966 »

Bild




Tausendschönchen - Kein Märchen
(Sedmikrasky)
mit Ivana Karbanova, Jitka Cerhova, Marie Ceskova, Jirina Myskova, Marcela Brezinova, Julius Albert, Oldrich Hora, Jan Klusak, Josef Konicek, Jaromir Vornacka, Vaclav Chochola
Regie: Vera Chytilova
Drehbuch: Vera Chytilova
Kamera: Jaroslav Kucera
Musik: Jiri Slitr / Jiri Sust
FSK 16
Tschechoslowakei / 1966

Am Anfang waren zwei Mädchen: Marie 1 und Marie 2 hocken in einem Schwimmbad. Wenn sie ihre Arme und Beine bewegen, quietscht es als öffne der Prinz die seit 100 Jahren verschlossene Tür zum Zimmer Dornröschens. Beide sind sich einig: Die Welt ist verdorben. Also beschließen sie, ab jetzt eben auch verdorben zu sein. Gesagt, getan und wie es sich für zwei verdorbene und quietschende Mädchen gehört, ohrfeigen sie sich aus dem Schwimmbad erstmal direkt ins Paradies. Von da an tun sie, was ihnen gefällt: Es wird geschlemmt und sich daneben benommen bis am Ende nicht mal mehr der Film selbst vor ihnen sicher ist.


Zum wiederholten Male ist es ein Film aus der ehemaligen Tschechoslowakei, der in das Programm des Labels Bildstörung aufgenommen wurde. Im Prinzip ist das ein untrügliches Zeichen dafür das es sich um ein sehr außergewöhnliches Werk handeln muss, doch "Tausendschönchen" setzt dem Ganzen noch einmal die absolute Krone auf. Dabei sollte man sich von der ersten Minute an darauf einstellen das hier nicht eine ansonsten übliche Erzählstruktur vorliegt, denn die Geschichte lässt eigentlich zu keiner Zeit einen roten Leitfaden erkennen, der sich durch die Ereignisse zieht. Vielmehr offenbart sich ein recht wilder Mix aus aneinandergereihten Szenen, die phasenweise sogar einen ziemlich wirren Eindruck hinterlassen. Doch gerade darin liegt der ganz besondere Reiz dieses Filmes der die anarchistischen Handlungen seiner beiden Hauptdarstellerinnen eben durch diesen Drehstil besonders gut in den Vordergrund rückt. Was sich durch die Inhaltsangabe eventuell als Drama ankündigt, entpuppt sich schon nach wenigen Minuten viel eher als bissige Satire, die mit einem enorm hohen Anteil Gesellschaftskrutik angereichert wurde. Schon der Vorspann des Filmes hat es in sich und präsentiert dem Zuschauer Bilder der Zerstörung, denn etliche Bombeneinschläge und generelle Zerstörung durch Waffengewalt hinterlassen einen bleibenden Eindruck.

Und so geht es dann auch fröhlich weiter, denn die beiden Hauptfiguren Marie 1 und Marie 2 lassen es sich während ihres anarchistischen Treibens auch nicht nehmen, ihre Umwelt auf eine andere Art und Weise zu zerstören. Dies geschieht jedoch mit einer ordentlichen Portion Humor, der zumeist äußerst bissig daher kommt, an etlichen Stellen aber auch geradezu Slapstick-artige parat hält, die den Betrachter an die gute alte Stummfilm-Zeit erinnern. Untermalt wird das alles von einem immer absolut passenden Score, der nahezu perfekt auf die jeweiligen Szenen abgestimmt ist. Durch die im Prinzip vollkommen fehlende Struktur in der Erzählweise entsteht größtenteils der Eindruck, das man es mit wild aneinandergereihten Video-Clips zu tun hat, die eine extrem berauschende Wirkung ausstrahlen. Dabei wird man fast ganzzeitig in einen sogartigen Strudel hineingerissen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Ob man es nun will oder nicht, man kann sich der Faszination des Geschehens auf keinen Fall entziehen, was ganz sicher auch an der erstklassigen Kamera-Arbeit und dem genialen Farbenspiel liegt, das einen förmlich in eine Art magischen Bann zieht.

Die teils wilden Kamera-Fahrten und ganz besonders das ständig wechselnde Farbenspiel hinterlassen ein Gefühl, als wenn man sich selbst auf einem äußerst wilden Drogen-Trip befinden würde. Es ist einfach grandios mitanzusehen, wie innerhalb einer Szene zwischen schwarz-weiß und kräftigen Farbeinstellungen hin-und hergewechselt wird, so das es manchmal schon fast in den Augen schmerzen kann. Es ist schon ein wahres Feuerwerk an visuellen Tricks das hier auf einen einwirkt und die wilde Aneinanderreihung der einzelnen Szenen tut ihr Übriges, um beim Betrachter eine sehr nachhaltige Wirkung zu hinterlassen. "Tausendschönchen" ist sicherlich ein Film, der nicht unbedingt die breite masse anspricht, der Drehstil des Geschehens dürfte dabei bei vielen Leuten eher auf Ablehnung stoßen. Für die Freunde außergewöhnlicher Filmkunst dürfte sich jedoch eine Geschichte offenbaren, die absolut frech, bissig und insbesondere anarchistisch daherkommt. Gerade der letzte Punkt trieft schon fast aus jeder einzelnen Einstellung und wird durch das großartige Schauspiel der beiden Hauptdarstellerinnen noch einmal gesondert in den Focus gerückt.

Letztendlich handelt es sich einmal mehr um eine Veröffentlichung von Bildstörung, die wohl hauptsächlich einer eher kleinen Zielgruppe zugänglich ist. Das breite Mainstream-Publikum wird wohl kaum etwas mit diesem experimentellem Film anfangen können, der die Verdorbenheit der Welt auf eine teils ineinander verschachtelte Art zum Ausdruck bringt, die man manchmal erst auf den zweiten Blick erkennt. Unter den bisher bei Bildstörung erschienenen Film-Perlen nimmt "Tausendschönchen" noch einmal einen ganz besonderen Stellenwert ein, ist die Geschichte doch extrem gerade für die damalige Zeit extrem provokant und bringt dies auch in jeder Szene äußerst gut zum Ausdruck. Es handelt sich um ein filmisches Kleinod, das unverständlicherweise schon fast in Vergessenheit geraten ist, aber nun in einer würdigen Veröffentlichung endlich auch in Deutschland erhältlich ist. Über die Qualität braucht man keine großen Worte verlieren, denn einmal mehr handelt es sich um ein DVD-Release das keine Wünsche offen lässt und auch wieder mit etlichen Extras ausgestattet ist, so wie man es von dem Independent-Label gewöhnt ist.


Fazit:


Wenn man auf den außergewöhnlichen Film fixiert ist, dann dürfte Bildstörung wirklich die erste Adresse in Deutschland sein. Es ist immer wieder erstaunlich, welche wahren Film-Perlen ans Tageslicht kommen und in einer qualitativ hochwertigen Veröffentlichung erscheinen. Vorliegendes Werk macht da keine Ausnahme, denn dieses filmische Kleinod reiht sich nahtlos in die Reihe der erstklassigen Drop Outs ein und bietet einen Film-Genuss der ganz besonderen Art.


Die DVD:

Vertrieb: Bildstörung
Sprache / Ton: Deutsch / Tschechisch DD 2.0 Mono
Untertitel: Deutsch
Bild: 1,33:1 (anamorph 16:9)
Laufzeit. 73 Minuten
Extras: Streng limitiert: Mit exklusiver Soundtrack-CD, Audiokommentar von Daniel Bird und Peter Hames, Dokumentation über die Enststehung des Films (ca. 30 Min.), Booklet


9/10
Big Brother is watching you
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39399
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von jogiwan »

Die beiden unzertrennlichen Freundinnen Marie und Marie2 beschließen eines Tages keine braven Mädchen mehr zu sein, sondern sich der aktuellen Lage der Welt anzugleichen um fortan so verdorben wie nur möglich zu sein. Sie treffen sich mit älteren Männern um diese auszunehmen, stören eine Tanzaufführung in dem sie die ganze Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen, trinken und schlemmen etwas zu ausgiebig um danach wieder über den Lauf der Dinge zu philosophieren und neuen Schabernack zu planen. Als sich die beiden auch nicht wirklich wahrgenommen fühlen und entdecken, wie beschränkt ihre Möglichkeiten im Grunde doch sind, versuchen die Beiden ihren Plan noch radikaler zu betreiben und steuern so einem tragischen Höhepunkt entgegen.

Liest man die Inhaltsangabe von Vera Chytilovás „Tausendschönchen“ so klingt das erst einmal nicht nur spannend, sondern durchaus auch etwas düster. Zwei Mädchen, die gegen das System rebellieren und der Gutbürgerlichkeit den Stinkefinger zeigen ist auch reichlich provokant und es ist wenig verwunderlich, dass dieser Pop-Art-Streifen nicht nur für lange Gesichter gesorgt hat, sondern vorsichtshalber auch gleich einmal verboten wurde. Doch „Tausendschönchen“ ist alles andere als ein trauriges oder gar niederschmetterndes Drama, sondern so ziemlich das genaue Gegenteil davon. Ein zum Teil recht albernes Werk voller Lebensfreude, in dem Humor und infantiles Verhalten seiner Protagonisten auf subversiven Kritik und beißenden Humor trifft und nebenher auch mittels Form, Farbe und Inhalt so ziemlich alles über den Haufen geworfen wird, was man sich als Zuschauer so erwarten würde.

Chytilovás Werk ist inhaltlich zwar sicherlich nicht gänzlich gelungen und hat neben etwas nervigen Protagonisten auch durchaus seine langweiligen Momente, ist dann aber gleichzeitig wieder so grandios in Szene gesetzt und voller Anspielungen und Symbolik gespickt, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr rauskommt. Experimentalfilm trifft auf Fotokunst trifft auf Drogentrip trifft auf Gesellschaftskritik trifft auf Feminismus trifft auf noch so vieles mehr, dass eine Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde. Allen aufgeschlossenen Filmfreunden sei "Tausendschönchen", dem wohl buntesten Film der "Czech New Wave" dann auch schwerstens empfohlen. Ein Bilderrausch, der einen unvorbereitet überfährt und dann ratlos und dennoch mit einem Lächeln zurücklässt.
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Benutzeravatar
Arkadin
Beiträge: 11224
Registriert: Do 15. Apr 2010, 21:31
Wohnort: Bremen
Kontaktdaten:

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von Arkadin »

Die Welt ist verdorben, also beschließen die beiden jungen Mädchen Marie und Marie, ebenfalls so verdorben wie möglich zu sein. Sie nehmen ältere Herren aus, stopfen sich mit Essen voll, machen sich über andere lustig und einmal zerschneiden sie sich auch gegenseitig. Die Welt von Marie & Marie ist vollkommen aus den Fugen, kann das ein gutes Ende mit den beiden nehmen?

Im Film „Tausendschönchen“ der tschechischen Regisseurin Vera Chytilová regieren Anarchie und Chaos. Doch anders als in Filmen mit einem männlichen Blickwinkel, drücken sich diese nicht durch Hass und Gewalt aus, sondern durch einen verspielten Zerstörungstrieb, der auf merkwürdige Art positiv und lebensbejahend wirkt.

In einigen Reviews werden Marie I (Ivana Karbanová als eine Mischung aus Kobold und Elfe) und Marie II (die niedliche Jitka Cerhová, die entfernt an die sehr junge Claudia Cardinale erinnert) mit Pippi Langstrumpf und ihrem anarchistischen Motto „Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt“ verglichen. Viel mehr aber noch erinnern die beiden an ein, ebenfalls gegen die gesellschaftlichen Konventionen aufbegehrendes, Pärchen aus deutschen Landen: Wilhelm Buschs Max & Moritz, Wie diese denken sich Marie & Marie ständig Schabernack, nur um des Schabernacks willen, aus. „Die Welt ist verdorben, also wollen wir es auch sein“. Das ist ihr Motto. Eine andere Agenda haben sie nicht. Keine politischen Ideale, nur der eigene Spaß ist ihr Antrieb. Somit ist der Film auf interessante Weise ambivalent und lässt sich gleich auf zwei Arten lesen. Sind Marie & Marie Revoluzzer? Rebels without a cause? Revoltieren sie gegen die Moralvorstellungen und Werte der Gesellschaft und nehmen sich, was ihnen zusteht, aber von der Obrigkeit verweigert wird? Oder sind sie, im Gegenteil, rücksichtslos hedonistische Kapitalisten, denen ihre Umwelt egal ist, solange sie nur das bekommen, was sie in zügelloser Gier verschlingen können (man denke hier nur an die zahlreichen Ess-, ja Fressszenen). Gerade die Schlussszene, in der sie minutenlang Essen in sich hineinstopfen, damit herumwerfen und es schließlich lustvoll zertreten, würde solch einen, eher konsumkritischen, Ansatz durchaus bestätigen. Am Ende ergeht es ihnen dann, wie den bereits angesprochenen Max & Moritz. Sie werden zwar nicht zerschreddert und von Hühnern aufgepickt, aber ihr Ende ist doch ähnlich konsequent. Aufruf zur Rebellion gegen Moral und Werte oder gerade Kritik daran, das kann jeder für sich entscheiden.

Ebenso, ob er die beiden jungen Protagonisten nun amüsant oder nervig findet. Auch hier sind beide Lesarten erlaubt. Worüber aber Einigkeit herrschen sollte, ist, dass „Tausendschönchen“ ein vor Lebensfreude und verrückten Einfällen übersprudelnder Film ist. Denn Anarchie und Chaos regieren nicht nur in der Welt von Marie & Marie, sondern auch die Bildsprache Vera Chytilovás. In „Tausendschönchen“ probiert sie alle denkbaren und auch undenkbaren Filmtechniken aus. Das kann in einem Moment an ihren großen Landsmann Jan Svankmajer erinnern, in dem nächsten dann an Buñuel. An den filmtheoretischen Godard Mitte/Ende der 60er oder Louis Malles grandiosen „Zazie“. Auch vor Experimentalfilmtechniken scheut Frau Chytilová nicht zurück. Überbelichtung, Super8, Farbmanipulationen. Was immer Vera Chytilová gerade in dem Kopf kommt, wird in explosive Bilder umgesetzt. Und nicht nur im Bild, sondern auch auf der Tonspur schöpft Vera Chytilová aus dem Vollen und kommentiert einige Szenen durch verfremdete, überlaute oder ironische Geräusche und Musik. Sie agiert hier ebenso sprunghaft, provozierend und mit der gleichen „Lass-uns-mal-machen“-Attitüde wie ihre beiden Heldinnen. Sie zerschmettert mit einer kindlich-diabolischen Freude konventionelle Erzähltechniken und ersetzt sie durch ein Feuerwerk an intuitiven Experimenten.

Neben Marie & Marie gibt es keine anderen Hauptcharaktere in diesem Film. Ab und zu werden alternde Galane gezeigt, die von den Beiden skrupellos ausgenommen werden. Einmal verliebt sich ein Schmetterlingssammler in Marie I, nur um von den Beiden umgehend lächerlich gemacht zu werden. Und in einer eindrucksvollen Slapstick-Szene verderben die Zwei einem Tänzer-Pärchen den Auftritt, indem sie sich hemmungslos betrinken und durch ihr Geblödel die Aufmerksamkeit des Publikums allein auf sich lenken.

Am Ende treffen sie auf einen Bauern und auf mehrere ältere Arbeiter, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Für Marie & Marie unfassbar, werden sie von diesen Menschen vollkommen ignoriert. Stehen diese Menschen für das Alter, die Konservativen? Diejenigen, die mit den Bedürfnissen und Wünschen der Jugend nichts anfangen können und für die diese somit unsichtbar bleiben? Oder – wiederum denkbar – für die Menschen, die täglich um ihren Lohn kämpfen müssen und schon von daher mit dem Egoismus und der Verdorbenheit um der Verdorbenheit willen nichts anzufangen wissen. Wiederum lässt der Film beide Deutungen zu. Marie & Marie – Helden des Protests oder verantwortungslose Übertäter. Genauso wie einst bei Wilhelm Busch, bleibt das dem Zuschauer und seiner Einstellung überlassen. Und wie bei Max & Moritz ist nur eins gewiss: Alles Handeln hat seine Konsequenzen.

Wieder einmal kann man das Label „Bildstörung“ nicht genug in den Himmel loben. Nicht nur bringen sie ein weiteres Juwel der tschechischen Nouvelle Vague (nach „Der Leichenverbrenner“ und „Valerie – Eine Woche voller Wunder“ nun schon der dritte Titel!) endlich auch in Deutschland Markt. Nein, der Film wird auch in solch einer hervorragenden Bildqualität präsentiert, dass ich oftmals dachte, ich hätte die BluRay eingelegt. Um das Paket dann noch perfekt abzurunden, gib es, neben einem Audiokommentar von Daniel Bird und Peter Hames, noch eine sehr informative, 27-minütige Dokumentation mit dem Titel „Ungezogene junge Leute“ und ein 24-seitiges Booklet mit zwei höchst informativen Essays von Martin Gobbin und Daniel Bird. Wahlweise kann man den Film im Original mit deutschen Untertiteln oder in einer deutschen Synchronfassung sehen. Wobei die Untertitel vorzuziehen sind, auch wenn diese zeitweise leicht vom Originaltext abweichen – soweit ich das mit meinen nur sehr begrenzten Tschechisch-Kenntnissen beurteilen kann. Die deutsche Synchronfassung ist solide, klingt aber etwas „künstlich“.

Die Amaray steckt wieder in einem stabilen Schuber, der mit einem wunderhübschen Covermotiv verziert ist. Das verunstaltende FSK Logo kann man dadurch loswerden, dass man die äußere Hülle des Schubers entfernt. Darunter befindet sich das Motiv noch einmal in ganzer Pracht und ohne störendes FSK16-Siegel. Wer ein paar Euro mehr für die Limited Edition auf den Tisch legt, erhält noch die Soundtrack-CD dazu. Diese enthält auf 33:33 Minuten verteilte 17 Tracks, die ebenso eigenwillig sind, wie der Film selber. Zu hören sind zumeist zirkusartige Melodien, die an Fellini-Filme erinnern oder experimentelle Stücke. Bravo, Bildstörung und danke. Ich hoffe, dieses Nischen-Label bleibt und noch lange erhalten und versorgt den Filmliebhaber weiterhin mit solch interessanten Fundstücken der Filmgeschichte. Als nächste Veröffentlichungen sind der französische „Don’t Deliver Us From Evil“ und „Henry – Portrait of a Serial-Killer“ angekündigt.

Screenshots: http://www.filmforum-bremen.de/2012/08/ ... schonchen/
Früher war mehr Lametta
***************************************************************************************
Filmforum Bremen
Weird Xperience
Benutzeravatar
jogiwan
Beiträge: 39399
Registriert: So 13. Dez 2009, 10:19
Wohnort: graz / austria

Re: Tausendschönchen - kein Märchen - Vera Chytilová (1966)

Beitrag von jogiwan »

Arkadin hat geschrieben:Wahlweise kann man den Film im Original mit deutschen Untertiteln oder in einer deutschen Synchronfassung sehen. Wobei die Untertitel vorzuziehen sind, auch wenn diese zeitweise leicht vom Originaltext abweichen – soweit ich das mit meinen nur sehr begrenzten Tschechisch-Kenntnissen beurteilen kann. Die deutsche Synchronfassung ist solide, klingt aber etwas „künstlich“.
Ich fand die Synchro ehrlich gesagt jetzt nicht so gelungen... nicht nur dass die deutschen Stimmen irgendwie zu "erwachsen" klingen, die ganze Sache wirkt wirklich sehr "künstlich". Aber ich hab ohnehin im Original geguckt.
Arkadin hat geschrieben:Wieder einmal kann man das Label „Bildstörung“ nicht genug in den Himmel loben.
Dem schliesse ich mich vorbehaltslos an!

@ arkschi & horrortschi: hab ihr auch Bonus geguckt? Sieht Andy Votel da nicht haargenau aus wie Robert Kerman? :lol:
it´s fun to stay at the YMCA!!!



» Es gibt 1 weitere(n) Treffer aus dem Hardcore-Bereich (Weitere Informationen)
Antworten