Originaltitel: Susuz Yaz
Produktionsland: Türkei 1964
Regie: Metin Erksan
Darsteller: Ulvi Dogan, Hülya Koçyigit, Erol Tas
In den 60ern gehört Metin Erksan zur Speerspitze des türkischen Autorenkinos. Er ist einer der ersten Filmschaffenden am Bosporus, der das Kino nicht bloß als ein beschwichtigendes Unterhaltungsmedium zum Vertreiben der Freizeitstunden begreift, sondern in ihm die Möglichkeit sieht, mit den Mitteln der Kunst gesellschaftspolitische Probleme für eine breite Bevölkerungsschicht aufzubereiten, und damit durchaus das Ziel verbindet, über diesen Weg zu einer Verbesserung der sozialen Verhältnisse beizutragen. Metin Erksan steht dem Marxismus nahe. Er kennt die Klassiker des sowjetischen Kinos wie Eisenstein, Vertow oder Pudowkin. Deshalb ist die reine Geschichte von SUSUZ YAZ schnell erzählt, und alles andere als komplex. Von Anfang sind die Rollen klar verteilt. Auf der einen Seite haben wir die arme Landbevölkerung, die fast ausschließlich als Kollektiv auftritt, und ansonsten lediglich Tritte von oben bekommt. Dieses Oben wird personifiziert von dem Scheusal Omar, der sich, soweit es die Möglichkeiten seines Geburtsdorfes zulassen, zum Kapitalisten und Ausbeuter seiner eigenen Schicksalsgenossen aufgeschwungen hat. Da bei ihm das Geld sitzt, hat er keine Probleme, Bürokratie und Justiz in seinen Dienst zu stellen. Wenn nötig, verteidigt er seine Position am Gipfel der sozialen Hierarchie mit Waffengewalt, und wenn es seinen eigenen sexuellen Gelüsten von Vorteil ist, erklärt er sogar seinen eigenen Bruder als tot, um dessen Frau mit Schmeicheleien oder Drohungen allmählich zu sich ins Bett zu zwingen. Zwischen dem Proletariat als Masse und Omar als einzelnem Blutsauger stehen Hassan und Bahar, die im Grunde nichts weiter wollen, als von Luft und Liebe zu leben, Kinder zu kriegen und gemeinsam alt zu werden, deren Liebe in dem sich stetig zuspitzenden Konflikt jedoch genauso stetig aufgerieben wird. Beide sind dabei ausnahmslos positiv gezeichnet. Es gibt da eine Szene, in der Bahar sich mit den Bauern solidarisiert, indem sie, als Omar einmal nicht hinschaut, unter Aufwendung aller Kraft den Damm öffnet, und mit kämpferischem Lächeln dem sich ins Tal stürzenden Wasser hinterherblickt. Während Hassan anfangs noch Omars Wort einfach deshalb als Gesetz nimmt, weil die Tradition ihn lehrt, dass er seinem älteren Bruder gehorchen müsse, erhebt er nach zahllosen Demütigungen endlich die Waffe gegen ihn. Die Bibelverhältnisse sind umgekehrt. Obwohl er seinen Bruder erschießt, ist es nicht Hassan, dem das Kainsabel zusteht, sondern umgekehrt Omar, der am Ende von den nun wieder freifließenden Wellen mausetot davongeschwemmt wird.
Bis hierhin könnte man SUSUZ YAZ für einen Film halten, der hauptsächlich dafür gedacht gewesen ist, in Arbeitervereinen, linken Studentenclubs oder Filmfesten der Kommunistischen Partei gezeigt zu werden. Die Aber: Die Gemeinsamkeiten mit Eisenstein, Vertow und Pudowkin enden nicht bei der reinen Geschichte von SUSUZ YAZ und der durch diese vermittelten Ideologie. Wie das Dreigestirn des Revolutionskinos ist Erksan – und zwar sowas von erfolgreich! – darum bemüht, Bilder für seine Geschichte, seine Ideologie zu finden, die man so schnell nicht vergisst. Mehr noch: Während mir bei Eisenstein, Vertow oder Pudowkin oft die Ideologie derart im Wege steht, dass ich sie kaum von den Bildern zu trennen vermag, ist es leicht, SUSUZ YAZ als reines Kunstwerk genießen, das einen mittels großartiger Schauspieler, einem raschen Erzähltempo und vor allem einer Montage, einer Kameraarbeit und Bildkompositionen, die direkt aus dem Olymp der Kinematographie gefallen sein müssen, schlicht sprachlos machen kann.
SUSUZ YAZ ist, dem Thema entsprechend, in Schwarzweiß gedreht. Gerade die Nachtszenen stechen durch einen superben Umgang mit Licht und Schatten heraus. Wenn Hassan und Omar den flüchtenden Attentätern folgen, und wir vor dem Firmament einzig ihre Silhouetten sehen können, hat das schon fast etwas von einem expressionistischen Stummfilm. Am Tag atmen die Bilder die triste Öde der Landschaft. Sie sind durchflutet vom sengenden Licht einer Sonne, die man beinahe körperlich auf der eigenen Haut brennen spürt. An Musik gibt es beinahe ausschließlich türkische Folklore zu hören, Gitarrenklänge, die sich teilweise zu hypnotischer Monotonie steigern, manchmal sogar ein Cembalo. Obwohl SUSUZ YAZ oft schlicht in seiner Bildsprache wirkt, fast schon zurückhaltend, finden sich doch immer wieder völlig surreale Momente, die einen dann umso mehr durcheinanderbringen. Zu Beginn jagt Hassan Bahar zum Spaß durch hohes Schilfgras. Die Kamera nimmt seine Perspektive ein, aus der das Zusammenspiel zwischen spärlichen Lichtflecken und den zahllosen palisadenartigen Halmen einfach nur atemberaubend abstrakt und wunderschön aussieht. Jahre später erfährt Bahar von Omar, dass Hassan angeblich im Gefängnis ermordet worden sei. Die vermeintliche Witwe flieht schreiend ins Tal, steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Wir sehen wie sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten kann, sich schwankend an die Stirn greift. Im nächsten Moment dreht sich, Richtung Felder blickend, die Kamera offenbar an ein Wagenrad montiert, um die eigene Achse. Das soll aber nicht, wie man zuerst annehmen könnte, Bahars Kollaps aus der Ich-Perspektive darstellen bzw. nicht primär, denn wirklich ist zwischen dem einen Schnitt Zeit vergangen, und die junge Frau sitzt nun auf einem Pferdewagen Richtung Stadt, um Omar und die Plantage für immer zu verlassen. Solche experimentellen Schnitte, mit denen einmal die Zeit gerafft wird und andererseits ziemlich waghalsige Verbindungen zwischen den Bildern geschaffen werden, finden sich in SUSUZ YAZ öfter. Dadurch wirkt der Film, trotz des gleichbleibenden Schauplatzes und der übersichtlichen Figurenzahl, zu keinem Zeitpunkt eintönig oder langweilig.
Was mich vielleicht aber am meisten verwundert hat, das ist, dass Erksan seinen Naturalismus, mit dem er präzise und deutlich den Finger auf die Wunde gesellschaftlicher Missstände legt, immer wieder von Momenten unterminieren lässt, die man eigentlich eher aus dem Exploitation-Kino kennt. Um Bahar zu zeigen, wie gern er mit ihr ein Bett teilen würde, legt sich Omar, als Hassan längst inhaftiert ist, unter eine seiner Kühe. Mit einer Hand klammert er sich an den Hinterlauf des unbeeindruckten Tiers, beginnt es zu streicheln. Mit der andern steckt er sich eine ihrer Zitzen in den Mund, beginnt gierig die Milch zu saugen, während er Bahar, der bei dem Anblick fast die Wäsche aus den Armen fällt, nicht aus den Augen lässt. Noch heftiger – und für die meisten heutigen Betrachter indiskutabel – sind zwei Szenen, in denen echte Tiere ihr Leben lassen müssen. Um Bahar zu zeigen, wer der Herr im Hause ist und das Mädchen ein bisschen zu erschrecken, hackt Omar einem Hahn vor laufender Kamera und in Großaufnahme den Kopf ab und wirft ihr das zuckende und blutende Federvieh in den Nacken. Später rächen sich die Bauern, da sie Omar selbst nicht an den Kragen können, an seinem Hund. In schneller Bildfolge und völlig unvermittelt sehen wir zuerst das Gewehr in Großaufnahme, dann das entschlossene Gesicht des Schützen, und, ihm quasi über die Schulter blickend, wie er in einer kurzen und trotzdem zur Genüge quälenden Einstellung einen Schuss auf den friedlich am Boden liegenden Hund abgibt. Erbärmlich schreit das Tier, wälzt sich auf den Rücken. Frisches Blut rinnt ihm über die Flanken und bis ins Gesicht. In einem Film wie FLAVIA, LA MONACA MUSULMANA oder im Werk von Jodorowsky und Arrabal wundern mich solche Transgression nicht, im Kontext von SUSUZ YAZ, wo ich kein bisschen auf sie gefasst gewesen bin, hat es Erksan demgegenüber geschafft, mich auch ein halbes Jahrhundert später noch in einem Kleid aus emotionalem Überschwang in den Abspann zu entlassen. Nein, es fällt mir äußerst schwer zu glauben, dass der gleiche Regisseur knapp ein Jahrzehnt später einen anderen Olymp, nämlich den des Trash, mit dem türkischen EXORCIST-Rip-Off SEYTAN (1974) genauso spielerisch erklimmen sollte...
Aber all das soll niemanden davon abhalten, sich dieses Meisterwerk – wohl der beste türkische Film, den ich jemals gesehen habe – so schnell wie möglich als englische Bluray von Eureka! zu besorgen, im Gegenteil. SUSUZ YAZ ist grimmig, zärtlich, poetisch, ehrlich zugleich, seine Kinematographie zeitlos wundervoll, und zudem erzählt er eine wirklich anrührende Geschichte. Ich liebe diesen Moment, wenn Bahar sich mit den Bauern solidarisiert, indem sie, als Omar einmal nicht hinschaut, unter Aufwendung aller Kraft den Damm öffnet, und mit kämpferischem Lächeln dem sich ins Tal stürzenden Wasser hinterherblickt.