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Originaltitel: Violência na Carne
Herstellungsland: Brasilien 1981
Regie: Alfredo Sternheim
Darsteller: Helena Ramos, Hércules Barbosa, Luiz Carlos Braga, Claudio D'Oliani, Zécarlos de Andrade, André Luiz de Morais, Nadia Destro, Sonia Garcia
VIOLÊNCIA NA CARNE. VIOLENCE AND FLESH. GEWALT UND FLEISCH. Schon wieder einer dieser Filmtitel, die mich scheinbar magisch anziehen – und wenn man bedenkt, dass dies eine brasilianische Produktion aus den frühen 80ern ist, sprich: aus jener Zeit, in der die Kinos besagten Landes zunehmend mit zumeist die Schmuddelschraube bis kurz vorm Bersten anziehende Sexfilmchen überschwemmt worden ist, die, wie man in meiner Kurzkritik zu dem teilweise ordentlich abstoßenden Frauengefängnis-Schocker A PRISAO nachlesen kann, selbst mir schlaflose Nächte zu bereiten imstande sind, dann hofft man fast gar nicht, dass sich das Sprüchlein auf dem internationalen Filmplakat mit wehenden Fahnen bewahrheitet: GUNS! GIRLS! LUST! FLESH!
Schon die Eröffnungsszene verdeutlicht zweierlei Dinge: 1. Gewalt und nacktes Fleisch bekommen wir schon in den ersten Minuten serviert und 2. dieser Film scheint, im Gegensatz zu dem wohl im Fieberwahn entstandenen A PRISAO, tatsächlich so etwas wie eine nachvollziehbare, nacherzählbare Handlung zu besitzen. Drei entflohene Straftäter werden uns hier nämlich zunächst vorgeführt, zwei davon eher unansehnliche Gesellen mit nicht mehr allzu vielen Zähnen im Mund und primär mit ihrem Geschlechtsteil und Handfeuerwaffen als deren Organprojektionen denkend, und einer, zufälligerweise der jüngste und gutaussehendste, ein politischer Idealist, der aufgrund linken Terrors in die Haftanstalt einwanderte. Diese nun sind aus dem Knast entwischt und haben noch exakt zwei Tage Zeit bis sie an einem nahen Meeresstrand ein Boot abholen und über die Grenze in die Freiheit bringen soll. Ursprünglich war man zwar zu viert, einer aus der Truppe soll indes während der Flucht einen Herzinfarkt erlitten haben. Eine fünfte Person, der unser Triumvirat des Grauens scheinbar unter Versprechen eines gewissen Entgelts mit seinem Wagen herumtransportiert hat, ist den Ganoven jetzt ein Mitwisser zu viel, weswegen ihn einer von ihnen kurzerhand mit Blei vollpumpt und danach, damit es nach einem Unfall ausschaut, das Auto in Brand setzt. Zwischen diese hochdramatischen Szenen sind welche geschnitten, die ein junges Lesbenpärchen beim Liebesspiel zeigen, ohne dass beides auf den ersten Blick irgendetwas miteinander zu tun haben scheint. Wie gesagt: sinnlose Gewalt und sinnloser Sex, und das alles noch bevor der Film mich damit nahezu sprachlos machte, dass er ungelogen weit über drei Minuten lang aus verschiedenen Einstellungen heraus und mit einem Elan, als handle es sich mindestens um die Treppenszene in Eisensteins POTEMKIN, oder als sei im lateinamerikanischen Kino vor diesem Film noch niemals etwas Ähnliches gezeigt worden, das in Flammen stehende Fahrzeug präsentiert. Das Feuer züngelt, es leckt und knirscht, einsam und verlassen wird das Auto zu einem Wrack, die Handlung stagniert, ich erkenne die Schönheit eines lodernden Wagens und suche schon mal Bertoluccis PARTNER heraus, um mir nochmal von Pierre Clementi anzuhören, wie genau man einen Molotow-Cocktail bastelt.
Was folgt sind einige lange Dialog- und Sexszenen, die einem selbstreflexiven Geist wie mir automatisch die Metabenen-Suchlupe in die Hand drücken. Vorgestellt werden hier unsere sogenannten „Helden“, die da wären: oben schon erwähntes Lesbenpärchen, sodann, der Gleichberechtigung wegen, noch ein Schwulenpärchen, und diverse Heteros, die alle zusammen eine Theatergruppe bilden, die sich in ein abgelegenes Häuschen in der Pampa zurückgezogen hat, um dort ein hochintellektuelles Stück zu proben bzw., wie man das von hochintellektuellen Schaubühnen gewohnt ist, untereinander wilden Sex zu haben. Interessant dabei sind jedoch nicht unbedingt das mich nicht wirklich erregende Softporno-Material, sondern Teile der Dialoge, die, wenn sie nicht gerade von Sex handeln, durchaus den Eindruck erwecken, als habe der Regisseur Aussagen über seinen eigenen Film oder Schauspielerei generell treffen wollen. Da diskutiert beispielweise eine Dame, noch splitternackt und vom Gerammel gezeichnet, mit ihrem Lover lang und breit über ihre Sexfilmkarriere, die dieser freilich nicht so toll findet und die sie damit verteidigt, dass sie eben das Geld bräuchte, was, eingedenk der Tatsache, dass wir uns gerade mitten in einem nominellen Sexfilm befinden, schon überrascht. Andere Dialoge, am Frühstückstisch, ranken sich um das Business an sich, um verschiedene Regisseure und Schauspielkollegen, und über die Frage: wozu überhaupt Theater in der postmodernen Welt? Außerdem ist ein Raum des Hauses vollgeklatscht mit Filmplakaten, darunter auch eins von Bunuels BELLE DE JOUR, das gefühlsmäßig doppelt so oft ins Bild gerückt wird als die anderen. Möchte Regisseur Alfred Sternheim – allerdings nicht zu verwechseln mit Josef Sternberg – damit irgendetwas, womöglich sogar selbstkritisches, sagen? Noch interessanter wird es dann, wenn unsere drei Gauner – wie sollte es anders sein? – das Strandhaus kapern und unsere Theaterbrut kurzerhand als Geiseln nehmen, solange, verspricht man, bis das sagenumwobene Boot eingetroffen ist. Klar ist, dass man nicht nur wartend herumsitzt, sondern das Verbrechertrio, ganz gemäß italienischer Vorbilder wie LA SETTIMA DONNA oder VACANZE PER UN MASSCRO oder LA RAGAZZA DEL VAGONE LETTO oder MIDNIGHT BLUE, an die sich VIOLENCE NA CARNE ganz offensichtlich nicht nur anlehnt, sondern sich zuweilen regelrecht in sie wie in Schlamm hineinsinken lässt, unsere Helden sexuell molestieren muss – ausnahmsweise nicht nur die weiblichen, da einer der Häftlinge, wie er sagt, im Gefängnis die Lust auf Frauen verloren habe. Da kommt dem Theaterregisseur eine glorreiche Idee: wieso nicht Teile des Stücks vor den Geisel-nehmern aufführen, in der Hoffnung, dass diese dadurch eine katharische Wirkung erfahren, dass das Avantgardetheater sie läutert, sie zu besseren Menschen umkrempeln lässt und dem Martyrium ein Ende setzt? Die Misshandelnden gehen darauf zwar ein, dann wird es den beiden bösen Bösen jedoch zu langweilig und eine Vergewaltigungsorgie muss folgen, bei der der gute Böse sich schaudernd abwendet, der hat sich nämlich inzwischen bereits in ein weibliches Mitglied der Truppe verguckt und diese, ganz dem Syndrom Stockholms folgend, wiederum in ihn.
Von nun ab spitzen sich die Dinge mehr oder minder dramatisch zu und der Film verliert seine Selbstreflexion, die ich mir vielleicht auch nur eingebildet habe, vollends aus den Augen, um stattdessen den Alltag einer Geiselnahme zu bebildern – oder eben das, was Herr Sternheim dafür hält. Unter anderem treibt sich einer der Verbrecher am Strand herum, lernt ein sexgeiles Girl kennen, die widerstandslos heftig mit ihm kopuliert, ihm dann aber, als er sie zu einem Blow Job zwingen will, ins beste Stück beißt, worauf er sie im Affekt innerhalb von nicht mal fünf Sekunden erdrosselt. Dann geht unser linker Gutmenschenterrorist mit seiner Angebeteten und die wiederum mit ihm auf Tuchfühlung, was Sternheim genug Gelegenheit für einige Schmachtdialoge wie aus einer Seifenoper gibt, ewige Liebesbeteuerungen und den Schwur, man würde sich niemals trennen und sie ihm ins Ausland folgen, wohin auch immer. Außerdem bedrängen die beiden halbwilden Gangster unablässig die übrigen Gefangenen bzw. eröffnen einiges von ihrem familiären und sozialen Background, dass z.B. einer von ihnen nach dem Tod seiner Mutter seinen Glauben an Gott verloren habe etc., das alles mehr den Eindruck erweckend, man wolle die Zeit mit Informationen ein wenig strecken, die den Film keinen Satz nach vorne bringen. Schließlich erfährt man per Zeitung, dass das ursprüngliche vierte Gefängnisausbruchsmitglied von den drei anderen nur für tot gehalten worden ist, in Wirklichkeit noch lebt und die Polizei nur darauf wartet, dass es genügend zur Besinnung kommt, um dieser zu verraten, wo seine Komplizen stecken. Außerdem hat das tote Mädchen am Strand sowieso schon die Aufmerksamkeit der Polizei auf die Gegend gelenkt und als wäre das noch nicht genug starten die Geiseln nun auch noch eine offene Revolte.
Man sieht: wer sich nur ein bisschen in der italienischen B-Movie-Historie auskennt, wird in VIOLENCIA NA CARNE nicht wirklich viel Innovation entdecken, vielmehr entpuppt sich das Werk als ein weitgehendes Plagiat solcher Filme wie ich sie oben schon aufgezählt habe, jedoch – und das verwundert gerade, wenn man kürzlich den, ich muss das nochmal betonen, von A bis Z amoralischen A PRISAO durchlitten hat – in einer zahmeren Ausformung, die eigentlich nicht wirklich wehtut und einem bei weitem nicht so unter die Haut fährt wie beispielweise der ansatzweise vergleichbare L’ULTIMO TRENO DELLA NOTTE von Aldo Lado. Woran das liegt? Nun, wahrscheinlich vor allem daran, dass unsere angeblichen Opfer schon vor Auftreten der Ganoven als lüstern und promiskuitiv geschildert werden, sodass man ihnen irgendwie nie so richtig abkaufen will, der erzwungene Sex sei etwas, das sie tatsächlich bloß unter Zwang erdulden und an dem sie keinen Spaß finden würden. Hinzukommt die völlig irreale Liebesgeschichte zwischen einer der Geiseln und einem der Geiselnehmer, was sowohl die eine wie die andere Seite nahezu als selbstverständlich hinnimmt und in ordentlich kitschigen Dialogen gipfelt. Außerdem ist die Inszenierung, schon wieder im Vergleich mit A PRISAO, alles andere als hart, rau und schmutzig. Stattdessen plaudert man immer mal wieder ein bisschen, streunt auf dem Gelände umher, während die Geiselnehmer zuweilen aufgrund ihrer Sprüche und ihres Betragens mehr an Karikaturen als an ernstzunehmende Charaktere erinnern. Nichtsdestotrotz ist VIOLENCIA NA CARNE, wenn der Titel natürlich ein Versprechen darstellt, das nur bruchstückhaft eingelöst wird, nichts, was man sich nicht zu Unterhaltungszwecken anschauen könnte, sofern man sich nicht an ausschweifenden, unerotischen Sexexzessen mit unansehnlichen, nackten Männern, an Erschießungen ohne Einschusslöcher und Blut und generell an diesem Soap-Opera-Flair stört, das offenbar die meisten brasilianischen Produktionen dieser Zeit durchweht. Das brennende Auto zu Beginn indes könnte schon, für sich allein genommen und aus dem Restkontext herausgeschnipselt, als eigenständiger experimenteller Kurzfilm durchgehen!
Violence and Flesh - Alfredo Sternheim
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