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Darsteller(innen): Victor Sjöström, Bibi Andersson, Ingrid Thulin, Gunnar Björnstrand, Jullan Kindahl, Folke Sundquist, Björn Bjelfvenstam, Naima Wifstrand, Gunnel Broström, Gertrud Fridh, Sif Ruud, Gunnar Sjöberg u. A.
Am Morgen des Tages, an dem ihn die Universität Lund zum 50. Jahrestag seiner Promotion ehren will, hat der 78-jährige Medizinprofessor Isak Borg einen Alptraum, der ihn mit seinem eigenen Tod konfrontiert. Die anschließende Fahrt nach Lund unternimmt er mit seiner Schwiegertochter Marianne, die sich mit seinem Sohn Evald zerstritten hat. Unterwegs machen sie Halt bei einem Sommerhaus, wo sich Isak an seine Jugendliebe erinnert, lesen drei jugendliche Anhalter auf und besuchen Isaks Mutter. Nach einem weiteren Traum, in dem er seine verstorbene Frau beim Ehebruch beobachtet, sieht Borg als geläuterter Mensch der Zeremonie entgegen.
Im selben Jahr wie sein Mystery-Drama „Das siebente Siegel“, also 1957, erschien das Roadmovie-Drama „Wilde Erdbeeren“ des schwedischen Filmemachers Ingmar Bergman – ein von der Kritik gefeierter Film, der hierzulande einen Goldenen Bären gewann und bis heute als unumstößlicher Klassiker gilt. Die Hauptrolle bekleidet der ehemalige Stummfilmregisseur Victor Sjöström.
„Rücksichtnahme ist nichts als Grausamkeit, die man nicht gewollt hat!“
Der 78-jährige Medizinprofessor im Ruhestand Isak Borg (Victor Sjöström, „An die Freude“) gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet. Seine Lunder Universität möchte ihm anlässlich des 50. Jubiläums seiner Promotion eine besondere Ehre zuteilwerden lassen. Ausgerechnet in der Nacht vor den Feierlichkeiten erleidet er jedoch einen verstörenden Alptraum. Zusammen mit seiner Schwiegertochter in spe Marianne (Ingrid Thulin, „Das Schweigen“) macht er sich mit dem Auto von Stockholm aus auf die Reise nach Lund, obwohl beide nicht das beste Verhältnis zueinander haben. Je länger die Fahrt andauert, desto mehr wird sie zu einer Reise durch die verschiedenen Stationen Isaks Lebens, zu einer Reflektion dessen, was er erreicht hat – und was dabei auf der Strecke blieb…
„Obwohl du so viel weißt, weißt du nichts.“
Isak stellt sich als Sprecher aus dem Off vor und ist zugleich die Hauptfigur dieses Films, der mit einer gruselig, surreal visualisierten Alptraumsequenz recht harsch einsteigt, um sie mittels schwedischer Naturidylle zu kontrastieren. In dieselbe Kerbe schlagen die ebenfalls visualisierten Erinnerungen Isaks an seine Jugend, die einem Heimatfilm entsprungen scheinen: Eine unschuldige, naive heile Welt. Zum Ensemble gesellen sich stets synchron sprechende Zwillinge (Lena Bergman, „Das siebente Siegel“ und Monica Ehrling), eine grotesk überzeichnete Tischgesellschaft und drei Anhalter(innen) hinzu, bevor man in einen Autounfall verwickelt wird. Gezwungenermaßen muss die Reise eine Weile zusammen mit Unfallverursachern, dem Ehepaar Alman (Gunnel Broström, „Salka Valka“ und Gunnar Sjöberg, „Ratata“), fortgesetzt werden.
„Dieses Leben ekelt mich an.“
Während Isak nach und nach verschiedene Stationen seines Lebens – u.a. seine Mutter (Naima Wifstrand, „Das Lächeln einer Sommernacht“) – abklappert, geht man lecker essen und philosophieren. Dann und wann werden weitere Träume Isaks visualisiert; so beobachtet er im Traum das Liebesglück seiner Jugendfreundin Sara (Bibi Andersson, „Verlorene Liebe“) durchs Fenster. Der zuvor bisweilen komödiantisch wirkende Film wird zunehmend melancholisch, dann schwermütig und düster. Plötzlich sieht sich Isak inmitten einer Uni-Vorlesung sitzen und dort den Anklagen Herrn Almans sowie einer Examensprüfung, die er nicht besteht, ausgesetzt. Letzter nimmt ihn auch mit, um Isaks verstorbene Frau (Gertrud Fridh, „Insel der Sehnsucht“) zu beobachten, wie sie ihn einst im Walde betrog und sich über seine Gefühlskälte ausließ. Zwischen Isaks Sohn Evald (Gunnar Björnstrand, „Frauenträume“) und Marianne kriselt es. Nachdem er seine Ehrung entgegengenommen und sich irgendwie alles zum Guten bewendet hat, träumt sich Isak wieder in seine Kindheit zurück.
Tja, da geht dem Isak, der anlässlich seiner Ehrung ahnt, nicht mehr allzu lange zu leben zu haben, ganz schön die Muffe, zu viel falschgemacht zu haben, als er sein Leben zu bilanzieren gezwungen sieht. Mit einem Bildungsbürger, der selten echte Probleme hatte, als Hauptrolle mutet „Wilde Erdbeeren“ zwar kaum wie ein wirklich großes Drama an, wurde von der bildungsbürgerlichen Kritik aber – wen wundert’s? – als solches aufgefasst. Die Botschaft des Films lautet in etwa, man solle nicht nur arbeiten oder sich in seine Interessensnischen vertiefen, sondern auch an seine Mitmenschen, insbesondere die Liebsten, denken, bevor einen so etwas irgendwann einholt und es einem leidtut. Und man soll – verdammt noch mal! – als Rentner auch mal ein bisschen lockerer durch die Hose atmen.
Alles richtig, und tatsächlich ist es häufig gar nicht so einfach, die richtige Balance in seinem Leben zu finden. Mit seinen schönen Schwarzweißbildern und der melancholischen Stimmung weiß „Wilde Erdbeeren“ dann auch zu gefallen – so richtig ans Herz gehen mir persönlich dann aber eher andere Filme. Am faszinierendsten finde ich nicht den Film an sich, sondern dass sich Bergman bereits mit Ende 30 eines solchen Themas annahm – was sich ein Stück weit aus seiner Biografie erklärt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)