Witchdoctor of the Livingdead - Charles Abi Enonchong (1985)

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Salvatore Baccaro
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Witchdoctor of the Livingdead - Charles Abi Enonchong (1985)

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Originaltitel: Witchdoctor of the Livingdead

Produktionsland: Nigeria 1985

Regie: Charles Abi Enonchong

Darsteller: Joseph Layode, St. Mary Enonchong, Victor Eriabie, Larry Williams
Wundervoll, wenn man nach bald zwei Jahrzehnten eisernem Konsum haarsträubendsten Trashs und grenzsprengendsten Arthouses (und natürlich sich gängigen Kategorien entziehenden Mischformen aus beidem) doch noch einmal auf eine Weise überrumpelt wird, als sei man wieder fünfzehn oder sechzehn, und würde zum ersten Mal mit Andrea Bianchis LE NOTTI DE TERRORE, mit Alejandro Jodorowskys EL TOPO oder Walerian Borowczyks LA BÊTE konfrontiert werden…

Ich versuche, die ersten fünf Minuten der Nollywood-Produktion WITCHDOCTOR OF THE LIVING DEAD aus dem Jahre 1985 so akkurat wie möglich zu beschreiben: Eine Dorfstraße irgendwo in der nigerianischen Pampa; ein Mann fährt in einem orangefarbenen PKW auf die Kamera zu, an der Kamera vorbei; zum Stillstand kommt die Kiste erst, als der Fahrer einen Passanten entdeckt, der mit überdimensionalem Strohhut stocksteif am Straßenstand steht; als er diesen indes nach Feuer fragt, erleidet er den Schock seines Lebens: Unter der ausladenden Kopfbedeckung gafft ihn die aschfahle Fratze eines lebenden Leichnams an! Bereits an dieser Stelle verunmöglicht es mir der konfuse Schnitt, Kohärenz zwischen den einzelnen Einstellungen zu stiften: Erneut sehen wir einen orangefarbenen PKW auf eine reglos am Wegesrand wartende Gestalt mit Sonnenhut zufahren, nur diesmal steigt besagte Gestalt scheinbar in das Fahrzeug ein, um sich auf dessen Rückbank als Zombie mit bloßliegendem Totenschädel zu entpuppen: Ob die Filmemacher zeitversetzt ein und dasselbe Ereignis aus unterschiedlichen Kameraperspektiven erzählen wollten, oder ob es sich bei der zweiten Sequenz tatsächlich um einen Fahrer und ein Fahrzeug handelt, die nicht identisch mit denen der vorherigen Szenen sind, vermag ich auch nach fünftem Anschauen der Szene nicht abschließend festzustellen. Der Fahrer (oder einer der beiden Fahrer?) stürmt nunmehr Hals über Kopf aus seinem PKW, nur um vier weiteren Untoten in die Arme zu laufen: Furchtbare Gesellen mit verzerrten, blutverschmierten Fratzen, Macheten schwingend und sich konsequent im Zeitraffer fortbewegend. Der Umstand, dass die Tonspur abwechselnd aus Soundschnipseln besteht, die klingen, als habe man den dramatischen Orchesterscore irgendeines Hollywoodspektakels geplündert, oder sich am New-Age-Gedudel (inklusive Trommeln und Synthies) einer Massage-Oase vergriffen, unterstützt die krude Montage mit ihren unmotivierten Zooms und irritierenden Anschlussfehlern erfolgreich beim Stiften von Verwirrung. Immerhin bewahrt unser Held einen halbwegs kühlen Kopf, erinnert sich an die Handfeuerwaffe in seinem Handschuhfach, und rückt den wesenden Widerlingen mit Schüssen auf den Leib. Als der Kugelhagel allerdings erwartungsgemäß nichts gegen die Zombies hilft, beschließt der Schütze, doch lieber Zuflucht in seinem Auto zu suchen und davonzubrausen. Blöd nur, dass der Strohhutträger auf der Rückbank sich inzwischen in ein Geschwister von Lamberto Bavas DEMONI verwandelt hat, und aus seinem weit aufgerissenen Maul ein Gewürm gebiert, das unseren namenlosen Helden anfällt, und zu Tode beißt – oder sagen wir: Eine Gummischlange, die sich unser namenloser Held an den Hals drückt, um den Eindruck zu erwecken, er werde von ihr attackiert und zerfleischt. Danach gibt’s Waldhörner à la Wagner; der Vorspann beginnt. Ich wiederhole: Dies waren die ersten fünf Minuten eines Films, der in seinen nachfolgenden fünfundsiebzig nur noch wirrer, wilder und wüster werden wird.

Die Nerven liegen blank in einem beschaulichen nigerianischen Dörfchen: Seit kurzem verschwinden immer wieder Dorfbewohner spurlos; die Ernte ist schlecht, nichts möchte gedeihen. Deshalb hat der Dorfälteste den Krisenrat einberufen. Entweder wir verlassen unsere Heimat oder wir bleiben und drohen zu verhungern. Der örtliche Hexendoktor möchte nichts hören von derartigem Pragmatismus: Weil die Menschen die Naturreligion ihrer Vorväter verlassen und mit Füßen getreten haben, das sei der Grund dafür, dass die Felder vertrocknen und die Farmen veröden. Zeit, den örtlichen Pastor einzuführen, und zwar mit Pauken und Trompeten: Zoom auf den gestrengen Mann im schwarzen Priesterrock und mit erhobenem Kreuz, dazu ein Dröhnen aus dem Off, als müsse die Erde unter dieser majestätischen Erscheinung erbeben, die den Hexer dann auch sogleich in seine Schranken verweist: Nur auf Lord Jesus dürfe man vertrauen! Die immanente Schwarzweißmalerei des Streifens könnte man nicht deutlich unter die Nase gerieben bekommen: Auf der einen Seite der Gottesmann, der rät, dass nur Beten und frommer Lebenswandel das Dorf zurück in seinen vorherigen Idyllenzustand versetzen könne; auf der andern Seite der Magier, der, wie wir bereits gesehen haben, natürlich seine schmutzigen Finger tief drin hat in den Heimsuchungen des Dorfes, denn er hat sich vor unseren Augen in eine Ziege (!) verwandelt, und begonnen, die Felder abzugrasen und damit zu nachhaltig zu kontaminieren; dazwischen: Die arglosen Dorfbewohner, die sich entscheiden müssen, ob sie dem verführerischen Quaksalben des Hexendoktors gehorchen oder nicht doch den christlichen Gott um Beistand bitten wollen. Vierter im Bunde ist der unvorbereitete Zuschauer, der sich gar nicht genug die Augen reiben kann, wenn im Anschluss eine Frau im Toilettenhäuschen von einer gigantischen Gummischlange molestiert wird, die ihr offenbar durch die entblößte, weil pinkelnde Vagina in den Leib kraucht bis sie ihr aus dem Mund wieder austritt. Zwischengeschnitten ist ein Mann, der mit seiner Machete auf Schlangenjagd geht, wie ich noch nie jemanden habe auf Schlangenjagd habe gehen sehen: Er hüpft herum, summt vor sich hin, drischt sichtlich meterweit neben seine züngelnden Feinde, und bleibt zwischendurch stehen, um den Schreien der Frau in der Toilettenkabine zu lauschen, ohne allerdings irgendwas zu ihrer Rettung zu unternehmen. Ebenfalls dazwischengeschnitten: Eine Kiste mit einem Skelett, die sich per Stop Motion aus dem Erdreich erhebt, sowie der Pastor in seinem Büro, der genau wie ich über das Chaos auf der Tonspur erschrickt – eine Mischung aus Kinderschreien, infernalischem Tosen und Scheppen, und vereinzelten Orchestermusikfetzen –, und andauernd die Uhr an der Wand anstarrt, die Glock Zwölf zeigt, und uns gleich mehrmals in Großaufnahme dargeboten wird. Es fällt mir ehrlich schwer, diesen Film mit halbwegs nüchternen Worten zu bedenken, und nicht entweder in dadaistisches Lallen oder ekstatische Euphoriebekundungen zu verfallen, puh…

Dass ein Inspektor aus der Hauptstadt Laos auf den Plan tritt, um all die merkwürdigen Vorfälle innerhalb der Dorfgemeinschaft unter die Lupe zu nehmen, nährt kurzzeitig die Hoffnung, WITCHDOCTOR OF THE LIVING DEAD könne nach seinem surrealen Auftakt nun doch in vergleichbar konventionelle Fahrwasser überwechseln. Doch mitnichten: Nachdem unser Detective eine Weile, (zu einem beschwingten Orgel-Soundtrack, der in keinem launigen Agentenfilm deplatziert wäre), ziellos durchs Dorf gestreift ist, gewahrt er plötzlich den Hexer in Ziegengestalt, wie er sich mampfend an weiteren unschuldigen Pflänzchen zu schaffen macht. In einer der bizarrsten Szenen, die ich in meinem Leben jemals gesehen habe, erledigt der Inspektor nunmehr das unheilvolle Tier – und zwar mit Pfeil und Bogen! Einmal die Frage beiseitegeschoben, woher der gerade eben erst in der Handlung aufgetauchte Beamte ahnt, dass es bei dem Zicklein nicht mit rechten Dingen zu geht, ist die Szene allein durch ihre Inszenierungsstrategie ein Präzedenzfall für die wundersame Grauzone zwischen Genietum und Grenzdebilität. Im Prinzip setzt sich der „Kampf“ des Detectives gegen die gehörnte Bestie aus drei Grundeinstellungen zusammen: Wir sehen unseren Helden, wie er stoisch in ein und derselben Pose im Gestrüpp kniet und immer wieder seinen Bogen lädt und Pfeile ins Kamera-Off feuert, mechanisch wie ein Aufziehpüppchen; wir sehen die Ziege, die von den Pfeilen getroffen wird, und deren Flanke bald einem Igelpanzer gleicht, und trotzdem nicht die Flucht antritt; wir sehen den Hexer in seinem Bettchen, aus dem er schmerzgeplagt purzelt, um sich die Weiche zu halten, erbärmliche Schreie auszustoßen, sich auf dem Boden zu winden, kurzum, das Phänomen des Overactings zu olympischen Höhen führt. Minutenlang dehnt sich das Ganze bis der Köcher des Inspektors endlich leergefeuert ist, und er zur verwundeten Ziege tritt, (der inzwischen die Hinterläufe gefesselt sind!), um ihr im Close-Up die Kehle durchzusäbeln. Genau, was einem nigerianischen Zombieiflm mit evangelikaler Gesinnung noch gefehlt hat, das ist eine blutige Tiersnuff-Szene, Himmelherrgott!

Am nächsten Tag im Krisenrat: Der Hexer hat sich von seinem Schauspielexzess erholt, und fordert die Dörfler auf, jeder solle ihm eine gewisse Anzahl von Hühnern bringen. (Da der Ton der von mir gesichteten VHS-Fassung ebenso ramponiert ist wie das Bild, verstehe ich abwechselnd „Four Chicken“, „Two Chicken“ und „Three Chicken“; mag aber auch sein, dass die genaue Zahl tatsächlich von Dialogziele zu Dialogziele variiert; inzwischen traue ich diesem Film ALLES zu!) Einer der Männer bekundet, dass er durch den Ausfall seiner Ernteerträge nicht die finanziellen Mittel besitze, um so viele Hühnchen aufzutreiben, worauf der Hexer ihm eröffnet, dass jeder, der ihm seinen Wunsch nicht erfülle, bis Mitternacht mausetot sein würde. Auftritt des Pastors, der erneut gegen seinen animistischen Konkurrenten wettert, sowie des Detectives, der die Stimme der Vernunft verkörpert, und den Hexenmeister tätlich angreift. Ergebnis: Auch unser Inspektor soll um Punkt zwölf Uhr sein Leben aushauchen, da er es gewagt hat, die Hand gegen den Witchdoctor zu erheben! Zeit für eine elaborierte Alptraumsequenz, oder? Der Detective liegt auf seinem Gästebett; eine halbe Stunde soll den Tag noch von der Mitternacht trennen; draußen scheint währenddessen die grellste Tagessonne. Ein Zombie mit Kinderfaschingsmaske und Clowns-Perücke nähert sich; der Hexenmeister lotst den Inspektor schlafwandelnd zum Ufer eines großen Sees, und fordert ihn auf, sich in die Fluten zu werfen; plötzlich liegt unser Held in einer VAMPYR-Referenz im eigenen Sarg und soll bestattet werden: Mit Kontinuität steht vorliegender Film sowieso aufs Kriegsfuß, in einer dezidierten Traumvision natürlich umso mehr, weshalb ich beim besten Willen nicht sagen kann, was das alles zu bedeuten hat, bis unser Held endlich aus dem schweißnassen Schlummer hochschreckt und uns mit Frontalblick in die Kameralinse versichert, das Ganze sei nur eine böse Vision gewesen.

Im Schlussteil schlüpft WITCHDOCTOR IN THE LIVING DEAD dann aber doch in ein mehr oder minder vertrautes Genre-Gewand, (wenn es auch bunt geflickt und von Mottenbissen durchlöchert ist). Durchexerziert werden sämtliche Topoi, die man aus Zombiefilmen der 70er und 80er kennt, was den Film durch seinen inflationären Einsatz von Flucht- und Fressszenen, sein limitiertes Budget und die oftmals unnachvollziehbaren Handlungen seiner Figuren wirken lässt wie ein Schnürsenkel-Remake des bereits erwähnten NOTTI DI TERRORE im westafrikanischen Busch. Dass die Straße blockiert sei, trägt einer der Dorfbewohner dem Pastor zu, worauf dieser fragt: Blockiert? Durch was? Tja, durch Zombies natürlich!, die der erboste Hexenmeister in Horden auf unsere Helden ins Feld führt, weshalb sich Pastor, Inspector und alle übrigen austauschbaren Laiendarsteller wahlweise verschanzen, die Beine in die Hand nehmen oder von aus dem Boden platzenden Klauen zu Fall gebracht werden. Einziger Unterschied zu den untoten Etruskern bei Bianchi oder den untoten Südsee-Insulanern in Fulcis ZOMBI 2: Im fundamentalistischen Paralleluniversum von WITCHDOCTOR OF THE LIVING DEAD reagieren Zombies allergisch darauf, wenn man Kreuze vor ihnen schwenkt! Ansonsten nutzt der Film indes einmal mehr die Gelegenheit, seine Liebe zum Chaos unverfroren auszuleben: Schrille Schreie von der Tonspur, Schüsse, Kindergelächter, Tiergeräusche; der Detective streckt die Höllenbrut stilecht mit Pfeil und Bogen nieder, (obwohl er zwischendurch auch einmal von den Zombies gepackt wird, was zumindest mich unverbesserlichen Logiker habe glauben lassen, er müsse eigentlich längst tot sein); die Tochter des Dorfpfaffen wird von den Zombies verschleppt, und muss erretten werden; etliche Zooms auf Statisten, die mit ihren maskierten oder geschminkten Gesichtern Muskelentgleisungen anstellen, bei denen mir die Luft vor Lachanfällen wegbleibt. Fragt mich nicht, weshalb der angeblich unsterbliche Hexer am Ende doch zusammenbricht, als ihn ein zur Hilfe herbeigeeilter Kollege des Detectives mit Kugeln vollpumpt. Danach geht jedoch das halbe Dorf, wie in Giolamis ZOMBI HOLOCAUST, in hellen Flammen auf, und der Film endet so abrupt wie er begonnen hat, und zwar zu einem fidelen Orchesterstück wie aus einem Bugs-Bunny-Cartoon.

Ich habe es bereits angedeutet: WITCHDOCTOR OF THE LIVING DEAD hat mich kalt erwischt. Meine Erwartungshaltung ist vorgeprägt gewesen von meinen gesichteten christlich fundierten Horrorfilmen Nollywoods der 90er und 2000er – Filme wie END OF THE WICKED (1999) oder WITCHES (1998), die sich nun wirklich nicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, zumindest für einen europäischen Betrachter besonders zugänglich, verständlich und inhaltlich nachvollziehbar zu sein. Selbst diese Exzesse zwischen Predigt, Pulp und purem Wahnsinn haben mich indes nicht auf das Feuerwerk schräger Ideen, technischer Inkompetenz und herzerfrischender, wenn auch unfreiwilliger Komik vorbereiten können, das vorliegendes Werk rückhaltlos abfackelt. Es ist, als würde man der Geburt des Kinos zusehen: Menschen, die niemals eine Kamera in Händen hielten, die niemals vor einer Kamera standen, die niemand jemals ins Handwerk der Montage einführte, erzählen eine Geschichte jenseits von Kategorien wie Logik und Dramatik, und schaffen, möglicherweise unbewusst, ein schillerndes Lehrstück darüber, wie wenig es letztlich bedarf, um die Magie des Kinos direkt in ihrem Zentrum anzuzapfen. Ich bin entrückt, verzückt, vielleicht sogar ein bisschen verrückt geworden durch diesen Film, bei dessen Sichtung ich mich gefühlt habe, als sei ich noch einmal dreizehn oder vierzehn und würde zum ersten Mal Friedrich Wilhelm Murnaus NOSFERATU, Thierry Zénos VASE DE NOCES oder Andrzej Zulawskis POSSESSION sehen…
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