La mansión de los muertos vivientes
Spanien 1982
Regie: Jess Franco
Lina Romay, Antonio Mayans, Mabel Escaño, Albino Graziani, Mari Carmen Nieto, Elisa Vela, Eva León
OFDB
In Jess Francos Meisterwerk ENTFESSELTE BEGIERDE dürfen wir die Vampirin Irina von Karnstein auf einem kleinen Stück ihres Lebens begleiten, ihren nie versiegenden Hunger nach Blut und nach Sperma erahnen, und ihr Leid, dass sie die Männer die sie liebt alle töten muss, miterleben. ENTFESSELTE BEGIERDE ist eine lyrische und zutiefst gotische Ode an die Liebe und an das Sterben. Eine sinnliche Hingabe an eine Lusterfüllung, die nur im Tod ihre wahre Erfüllung findet.
In MANSION finden wir Irina wieder. Ihre Wiedergeburt findet in Form einer Oben-Ohne-Bedienung mit dem Namen Candy statt (Wer lacht da?), die mit ihren Freundinnen Mabel, Lita und Caty in die Ferien fährt, um mal so richtig auszuspannen und vögeln zu können. Aber wo sind die Männer? Das Hotel ist leer, einzig der kühl-reservierte Hoteldirektor und ein grotesk-vertrottelter Gärtner sind vor Ort, sonst ist alles wie ausgestorben. Die Mädchen trösten sich damit, dass alle am Strand sein werden, aber auch der ist etwas später menschenleer. Nein, nicht ganz: Ein Hackebeil wird aus dem Hotel auf die oben-ohne sonnenbadenden Schönheiten geworfen. Und der Wind heult …
Der Hoteldirektor mit dem bemerkenswerten Namen Carlos Savonarola hat jeweils zwei Mädchen ein Zimmer gegeben, allerdings in gegenüberliegenden Flügeln des Hotels. Dadurch wird das Verschwinden von Lita zuerst gar nicht bemerkt, und auch dass Mabel, die noch eine heiße Affäre mit dem gar nicht mehr so frigiden Direktor hatte, plötzlich nicht mehr da ist, fällt nicht weiter auf. Und der Wind heult …
Auf der Suche nach ihren Freundinnen findet Candy in einem Hotelzimmer eine an der Wand angekettete Frau, Olivia. Diese Frau wird offensichtlich von Savonarola mit Essen versorgt, Sex wird ihr allerdings weitestgehend vorenthalten, obwohl Olivia außer Strümpfen nichts anhat, und sie offensichtlich eher wie eine Sex-Sklavin gehalten wird. Olivia erzählt Candy, dass Savonarola Mitglied einer Art Sekte ist, die in einem nahegelegenen Kloster haust und dort junge Mädchen opfert. Während der Wind heult schnappt sich Candy Savonarola und fährt mit ihm zum Kloster. Savonarola ist von Candy allerdings schwer beeindruckt, und bittet seine Brüder, die wohl so etwas sind wie die Reste einstiger Katharer, Candy nicht zu opfern. Candy entpuppt sich als Reinkarnation von Irina, die einst in irgendeiner Beziehung zu diesem Orden stand, und nun vergöttert wird. Vergöttert und vergewaltigt, denn alle Brüder benutzen Candy/Irina und beten dann um Vergebung, dass sie während des Aktes Lust empfunden haben. Und der Wind heult …
Ein Traum. Ein böser Traum. Einer, in dem man lange und leere Korridore hinabgeht, und nicht weiß was passieren kann. Einer von der Sorte, die unheilschwanger und sinister daherkommen, und von ihrer Stimmung leben. Man wacht auf, noch ganz in dieser seltsamen Zwischenwelt gefangen, eigentlich auch immer noch diese monströse Leere spürend, und beginnt den Tag mit einem träumerischen Nichts im Kopf. Dieses somnambule Schweben, dieses Vakuum zwischen dem Hier und dem Dort, dem setzt Franco mit MANSION ein filmisches Denkmal. Der Film ist im Reich zwischen Traum und Wirklichkeit anzusiedeln, und wie ein langsames Hinübergleiten von einem Traum in eine Realität, so gleiten wir mit Candy/Irina durch Unfassbares.
Ein Traum. Ihr kennt das, wenn man im Traum läuft und läuft und läuft, und nirgendwo ankommt, obwohl man immer erschöpfter wird. Die Zeit hat überhaupt keinen Bezug mehr, und das einzige was zählt sind das Vorwärtsbewegen und die seltsamen Erlebnisse. So auch in MANSION: Lita läuft am Hotel entlang und scheint nirgendwo anzukommen. Irgendwann ist sie in der Wüste, aber auch dort ist nichts außer dem Wind und der Einöde, bis sie ans Kloster kommt. Mabel, die halbnackt durch die Hotelkorridore mäandert und dabei von Savonarola entdeckt wird, hat während ihrer Wanderschaft ein Erlebnis, nämlich Sex mit dem Direktor, welcher völlig abrupt mit den Worten „Es ist ja schon 4 Uhr, ich muss mich um eine kranke Frau kümmern“ beendet wird – Savonarola sucht das Weite und Mabel erwacht wie aus einem Traum.
Candy hat dann die weiteste Strecke zu laufen. Vollkommen nackt, bar jeder Verhüllung (und das hat jeder schon einmal geträumt, plötzlich nackt da zu stehen) erforscht sie die Gänge des zunehmend labyrinthartigen Hotels, um dann Olivia zu finden. Sie unterhält sich mit Olivia lange, eine sehr ausufernde, und für Franco untypisch intensive Gesprächsszene, in der aber Candy nicht einmal daran denkt, Olivia zu befreien. Olivia fragt auch gar nicht danach – Die Rollen sind klar verteilt, und an dem Status wird nicht gerüttelt. Candy ist die Fragende, die Wissensuchende, Olivia ist die Wissende, die Liebende, die ihre Weisheit teilt, und ein bitteres Schicksal durchlebt: Mit dem Verzehr von Rattengift wird sie ihren eigenen Untergang zelebrieren.
Auch die Zeit vergeht wie im Traum. Ob ein Tag vergeht oder ob es mehrere sind, das ist nicht relevant. Gestern wie heute, heute wie gestern. Alles ist dasselbe! heißt es in Renato Polsellis BLACK MAGIC RITES, und genauso wie bei Polselli sind Zeit und Raum auch bei Franco nicht relevant, werden durcheinandergeworfen wie Sandkörner in einem Sturm. Wie in einem Traum wird eine Erlebnisspanne durcheilt, werden peinliche oder schreckliche oder merkwürdige Abenteuer erlebt, die manchmal ineinander übergehen, manchmal aber auch abrupt enden und ein neues Abenteuer beginnen. Auch die Komik, die in Träumen so oft grotesk wirkt, ist im Film träumerisch. Die Mädchen haben einige clowneske Szenen, über die man kaum wirklich kichern kann, geschweige denn darüber zu lachen. Die Grimassen vor allem von Lina Romay sind überzogen und idiotisch – Eben wie in einem Traum. Und während der Wind heult, und eine Atmosphäre des Fröstelns erzeugt und Einsamkeit und Tristesse in den Kopf des Betrachters pflanzt, passieren auf dem Bildschirm Dinge, die bar jeder menschenwürdigen Logik ineinandergreifen und ein Räderwerk darstellen, das von Morpheus persönlich dirigiert zu werden scheint. Oder von seinem drogenabhängigen Assistenten …
Es ist vollkommen klar, dass diese Handlung, so man diesen Zustand so nennen möchte, den Mainstream-Zuschauer vor den Kopf stößt und vollkommen ratlos zurücklässt. Der Bezug auf Armando de Ossorios Leichen-Klassiker aus den 70er-Jahren wird durch die Katharersekte ja noch halbwegs erklärt, allerdings bezieht sich Franco in Wirklichkeit nicht auf de Ossorio, sondern auf Motive aus dem schauerromantischen Werk Die grünen Augen des spanischen Romanciers Gustavo Adolfo Bécquer. Und plötzlich ergibt vieles einen Sinn, denn Bécquer bezieht sich in seinen Erzählungen, ähnlich wie zum Beispiel E.T.A. Hoffmann, tatsächlich auf merkwürdige Begebenheiten zwischen Tag und Nacht, zwischen Licht und Schatten, und zwischen Leben und Tod. Franco schafft es, die Atmosphäre einer dunkelromantischen Erzählung in die Neuzeit zu transferieren, mit Sex anzureichern, mit billigen Karnevalsmasken zu garnieren, und dabei den Spirit der Erzählung nicht zu verraten.
So wie Béquers Geschichten wie Träume wirken, die, typisch für die spanische Romantik jener Zeit, in mehreren Rückblenden verschachtelt erzählt werden, so ist auch MANSION OF THE LIVING DEAD nichts anderes als die Darstellung von Träumen mit filmischen Mitteln. Die Verschachtelung der Vorlage wird dadurch übernommen, dass es im Film, sobald die Mädchen erst einmal im Hotel angekommen sind, keinen Anfang und kein Ende mehr hat. Die einzelnen Episoden könnten auch in einer anderen Reihenfolge montiert sein, und das Ergebnis wäre das gleiche. So wie in einem Traum einzelne Vorgänge nicht immer nach menschlicher Logik zwingend sein müssen, so sind auch die einzelnen Sequenzen des Films nicht immer logisch aufeinander aufgebaut, ergeben aber im Zusammenhang eine erotisch-makaber aufgeladene Stimmung, die den geneigten(!) Betrachter unweigerlich mit sich zieht.
Und oft genug wundert man sich nach dem Aufwachen, warum man im Traum eigentlich solche Angst hatte. Selbst diesen Effekt kann Franco hier erzeugen, in dem er absolute lachhafte Karnevalsmasken für die Mönche verwendet. Eigentlich der einzige wirkliche Wermutstropfen an diesem Film, der mit Gefühlen und Stimmungen so schwelgerisch umgeht, und dabei doch so viel Verwirrung erzeugt. So merkwürdig MANSION auch auf den ersten Blick wirkt, so geschlossen ist er doch als Zyklus in sich. Eines von Francos Meisterwerken, in seiner Schönheit und seinem Ablauf vergleichbar mit den großen Filmen von Jean Rollin oder Renato Polselli – Nur zugegeben ein paar Ecken billiger …
7/10