Regisseur: Gualtiero Jacopetti, Franco E. Prosperi
Kamera: Antonio Climati
Musik: Riz Ortolani
In den frühen 1960ern machte das Filmteam Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi und Paolo Cavara mit einer bis dato unbekannten Art des Kinofilms auf sich aufmerksam. Von der Kritik verschmäht, aber an den Kinokassen überaus erfolgreich, sprachen bald alle vom frisch aus dem Taufbecken gehobenen Mondofilm. Dessen Gottvater („Mondo Cane“) zeigt(e) sich von einer Sensationsgeilheit beflügelt, die ihn dazu bemächtigte Abartigkeiten und Grausamkeiten mit den zynischen Fußnoten eines Off-Kommentators zu kombinieren, um einhergehend eine spektakuläre Szene an die nächste zu knüpfen. Oliver Klatt definiert in seinem Aufsatz „In krassen Bildern um die Welt“, dass diese Verfahrensweise, das gegenwärtige Klicken nach Sensationen, sprich dem Sprung von einem YouTube-Clip zum nächsten, vorweg nahm.
Der schnelle Klick zum kurzen Kick. Das Ergötzen am Leid der anderen. Ein aktuelles Phänomen, welches zu der Erkenntnis führen kann, dass die schrecklichen Bilder der Realität endgültig die Tabuzone verlassen haben, vom Zuschauer nur noch flüchtig registriert werden und die eigentliche Provokation nur noch mithilfe der inszenierten Bilder erzeugt werden kann. Was jedoch heute der „Normalität“ verschrieben ist, konnte in den 1960ern in nahezu exorbitanter Weise provozieren und polarisieren. Der Blick über den Tellerrand auf fremde Kontinente und deren bizarre sowie furchterregende Kulturen. Diverse, in einer set pieces Struktur präsentierte, reale Schock- und Ekelmomente, die den Zuschauer mit Angst erfüll(t)en, auch wenn diese durch die meist große räumliche Distanz (Europa – Afrika, Europa – Ozeanien etc.) zum Geschehen gelindert wurde. Georg Seeßlen behauptet (in seinem Buch „Ästhetik des erotischen Films“, Mondo Sexualis), dass diese Angst jedoch nicht allein durch eine topografische, sondern auch durch eine zivilisatorische Entfernung gedämpft wird. Ein Standpunkt, der uns noch eindringlich beschäftigen wird.
„Mondo Cane“ sollte neben „Alle Frauen dieser Welt“ der einzige Film bleiben, der gemeinsam von dem Trio Jacopetti, Prosperi und Cavara inszeniert wurde. Cavara, den man als Kritiker der Methoden Jacopettis bezeichnet, trennte sich 1963 vom Team. Seine Erlebnisse und Eindrücke rund um den Mondofilm ließen ihn jedoch nicht los und er inszenierte 1967 („Das wilde Auge“) seine persönliche Abrechnung mit Gualtiero Jacopetti. Prosperi und Jacopetti blieben ihren Methoden allerdings treu, stürzten das Publikum in ein Wechselbad der Gefühle und mussten sich infolgedessen vehementen Rassismusvorwürfen stellen, da sie 1966 mit „Africa addio“ einigen Teilen der Gesellschaften gewaltig „an die Karre pissten“. Doch die Proteste von afrikanischen Studenten und Diplomaten sowie die Anstrengungen des Abgeordneten, Salvatore Foderano, waren erfolglos und konnten den italienischen Kinostart nicht verhindern. In den Mittelpunkt dieses heftig diskutierten Films schlängelt sich der Abzug der westlichen Verwaltung aus Ostafrika und dessen Folgen. Dabei werden der Mau Mau Aufstand in Kenia, der Massenmord (an der arabischstämmigen Bevölkerung) in Sansibar und die Simba-Rebellion in Katanga fokussiert.
„Dieser Film soll ein Abschiedsgruß an das sterbende Afrika sein und das geschichtliche Dokument eines Todeskampfs.“ (Off-Kommentar)
„Uhuru“ schallt es durch die Weiten Kenias. „Uhuru“ - sie haben die Freiheit zurück gewonnen, denn die britischen Kolonialmächte verlassen das Land und Kenia erhält am 12.12.1963 seine Unabhängigkeit. Simultan finden Zitate von Jomo Kenyatta, der mit Einritt der Unanhängigkeit zum ersten Ministerpräsident Kenias ernannt wurde, wie „Weg mit den Weißen“ und „Afrika den Afrikanern“ ihre Erwähnung. Einhergehend präsentiert die Kamera Großaufnahmen, die von Detailaufnahmen besonders schiefer Gebissstrukturen untermauert werden. Diese Bildkompositionen differenzieren nicht zwischen weißer und schwarzer Hautfarbe, da scheinbar nicht alle Afrikaner wie Europäer die Fertigkeiten eines Kieferchirurgen beanspruchen wollten. Im weiteren Verlauf (eine Pseudofuchsjagd) wird wiederum die Profilaufnahme einer Britin in solch herrischer Manier präsentiert, dass diese an den Riefenstahlschen NS-Propagandafilm erinnert. Derartige Situationen (weitere könnt ihr selbst ergründen) wurden dem Film immerfort zugeführt und provozieren bis heute einen mit Leichtigkeit von den Lippen weichenden Vorwurf des Rassismus, der primär den beckmesserischen Kritikern in die Karten spielt(e) und sie zu ungeahnten Höheflügen ansetzen ließ bzw. lässt. Doch die Visualisierung, welche Weiße und Schwarze in ein Kontrastbild zwängt und ein divergierendes Bild im Stile von Herrenmensch und Untermensch transportiert, ist nur ein sekundärer Auslöser der Missbilligungen. Wesentlich dominanter ist der Sachverhalt, dass „Africa addio“ den Einsturz des politischen Räderwerks in Ostafrika mit dem Abzug der Kolonialmächte begründet und die einheimische Bevölkerung als wenig bis gar regierungsunfähig darstellt.
„…und nun wird dieses unruhige Kind gerade in dem Augenblick von uns verlassen, in dem es uns am dringendsten braucht“. (Off-Kommentar)
Das Zitat liefert mir die einmalige Gelegenheit, um die politische Thematik kurzzeitig zu verlassen und ein paar grundlegende Worte zu Gualtiero Jacopetti zu hinterlassen. Der 1919 in der Toskana geborene Jacopetti versuchte sich nach seinem Studium als Schauspieler - allerdings mit mäßigem Erfolg. Demzufolge wandte er sich dem Journalismus zu, über den er zu den Wochenschauen gelangte, in deren Gestaltung er sich eindringlich einbrachte und mit unkonventionellen Methoden auf sich aufmerksam machte. Klappern gehört nun mal zum Geschäft und das Rauschen im Blätterwald führte Jacopetti zum Film zurück. Die mit seinem Comeback verbundenen Gerüchte, er wäre an den Vorarbeiten zu einem der „Prä-Mondofilme“: „90 notti in giro per il mondo“ (Mondo Sexy), „Mondo sexy di notte“ (Mondo Sexuality) oder „Sexy nel mondo“ (Mondo Infame) beteiligt gewesen, sollte man mit äußerster Vorsicht genießen! Der Name Gualtiero Jacopetti hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen guten Klang und Jacopetti hätte mit Sicherheit nicht auf seine Nennung innerhalb der Credits verzichtet. Seine erste Regiearbeit bzw. Gemeinschaftsregiearbeit ist und bleibt demnach „Mondo Cane 1“, dessen Nachwehen von schmutzigen Kampagnen begleitet wurden, die Jacopetti u. a. nachsagten, er sei in seinen Selbstekel verliebt. Auch der kurz darauf folgende Verkehrunfall, bei dem er schwer verletzt wurde und seine Freundin, Belinda Lee, zu Tode kam, zog eine Welle von Dummschwätzerei, die sich deutlich unter der Gürtellinie abspielte, nach sich.
Wie leicht es sich doch zuweilen manche Filmrichter machen! (Dietrich Strothmann) [2]
Im Zuge der „Africa addio“ Dreharbeiten wurde Jacopetti nachgesagt, er hätte einige Mitglieder aus Siegfried Friedrich Heinrich Müller´s (Kongo-Müller) Söldnertruppe mit Alkohol bestochen, um diverse Exekutionen zu erwirken, welche Filmgerecht gestaltet werden sollten. Diese Anschuldigungen wurden von der römischen Staatsanwaltschaft mit einem Bericht des Afrika-Korrespondenten, Carlo Gregoretti, begründet. Obwohl Jacopetti die Vorwürfe vor Gericht erfolgreich bestreiten konnte, belegten ihn einige Länder der „Dritten Welt“ mit einem Einreiseverbot.
Ungeachtet juristischer Eskapaden und privater Schicksalsschläge ist mir ein Bild von Jacopetti entstanden, das einen ehemaligen Kriegsberichterstatter transportiert, der von einem unbändigen Fanatismus angetrieben, keinem Risiko aus dem Weg ging. Das Bild eines Typen, der zuweilen das gesamte Filmteam in Lebensgefahr manövrierte. Der Film belegt dieses mit einer Szene, die während der Unruhen in Daressalam gedreht wurde. Die Kamera hält drauf und Jacopetti wirft ihr während seiner Verhaftung einen letzten Blick entgegen. Eine Bildkomposition, die vermutlich einen Einfluss auf den fiktiven Filmcharakter, Alan Yates, dem Dokumentarfilmer aus „Nackt und zerfleischt“, ausüben konnte. Einem Provokateur, der den Sensationsjournalismus als Lebenselixier benötigt und selbst im Augenblick seines Todes die Kamera anfleht, ihn weiterhin zu begleiten.
Abgesehen von dem erst viele Jahre nach „Africa addio“ kreierten Charakter, Alan Yates, lenkt das Team Jacopetti / Prosperi, der Realität des Mondofilms trotzend, leise Spuren zu den Ingredienzien des fiktiven Filmuniversums. So sind beispielsweise, die im Film dargestellten Schießereien und Exekutionen mit den Schüssen aus Westernfilmen (egal ob italienischer oder amerikanischer Prägung) und nicht mit den Originaltondokumenten ausgestattet. Obendrein bietet Riz Ortolanis Score eine Tondichtung, die einen Hauch Elmar Bernstein für sich vereinnahmt. Die Rahmung für grüne Weiten und wilde Pferde inmitten Ostafrikas. In diesem Kontext sei zugleich auf die teils grandios in Szene gesetzten Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergänge hingewiesen. Da diese Momente jedoch nebst dem künstlerischen Anspruch eine von den Mechanismen des Unterhaltungsfilms beeinflusste und zugleich aufstachelnde Glorifizierung der westlichen Kolonialisten transportieren, werden diese von diversen Rezipienten sehr negativ aufgefasst. So funktioniert „Africa addio“, so provozieren und polarisieren deren eigensinnige Schöpfer, denn sie sind ein Teil der unangenehmen Splitter [3] im Gewebe.
„Wir haben Afrika verlassen, dass dabei ist zu vergehen und betreten ein Afrika, dass es nicht mehr gibt.“ (Off-Kommentar)
Mit einem letzten Blick auf die Gräuel der Simba-Rebellion verlassen wir endgültig den östlichen Teil des Schwarzen Kontinents und begeben uns auf die Reise nach Südafrika, dem Zuhause der Apartheid - der Rassentrennung. Bereits im Vorfeld erlebten wir einen Kurztrip nach Kapstadt, der uns von Riefenstahlismus beeinflusste Bilder von weißen, meist blonden Frauen zeigte, die von einem Hang zur Körperertüchtigung angetrieben in Richtung Sandstrand tänzeln. Es folgen die Dreharbeiten zu einem Film über die Zulus, deren Darstellerinnen, laut Off-Kommentar, die Frau in sich entdeckt haben und nun wie eine solche (weiße Frau) wirken wollen. Zwei Momentaufnahmen: einerseits die anmutige Darstellung eines weiblichen Idealmenschen, andererseits die dunkelhäutige Frau, die sich scheinbar erstmalig mit einer sie überfordernden Körperpflege auseinandersetzt. Eine humorvoll dargestellte Divergenz, die von vielen Zuschauern missverstanden werden kann, obwohl sie doch eigentlich nur auf das Wesentliche aufmerksam macht, nämlich, dass sich in den farblich divergierenden Körperhüllen ein und dasselbe verbirgt: ein Mensch.
Hans Peter Duerr formuliert in seinem Buch „Der Mythos vom Zivilisationsprozess, Band 3: Obszönität und Gewalt“, dass der englische König 1606 in einem Freibrief (der hinsichtlich der Kolonialisierung Virginias ausgegeben wurde) propagierte, dass die Ungläubigen und Wilden rechtzeitig der menschlichen Zivilisation und einer gefestigten sowie friedlichen Ordnung zugeführt werden müssen. Es sei eines jeden Pflicht, die barbarischen Wilden einem zivilisierten und christlichen Regiment zuzuführen, von dem sie lernen wie man ein frommes und sittsames Dasein führt. Diesbezüglich bleibt zu sagen, dass wir: die Zivilisierten, uns - zumindest manchmal - auch an die eigene Nase fassen könnten.
In diesem Sinne: Africa addio!
[1] Nettelbeck, Uwe (1966): Ein Zerrbild Afrikas. In: Die Zeit, Nr. 26 vom 24.6.
[2] Strothmann, Dietrich (1962): „Gruselkabinett“ des Gualtiero Jacopetti. In: Die Zeit, Nr. 42 von 19.10.
[3] Splitter: Schmerzhafte, unbequeme Elemente in einem vermeintlich funktionierenden, gesunden Gewebe namens Filmkunst; unbequeme, individuelle Filmemacher, deren Bilder schmerzen, deren Weltansicht irritiert. (Marcus Stiglegger)