Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

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Salvatore Baccaro
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Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Africa Dolce e Selvaggia

Regie: Alfredo & Angelo Castiglioni

Herstellungsland: Italien 1982

„The film you are about to see was made originally for a restricted academic audience, many of the scenes are remarkable evidence of a way of life in Africa that is on the road to extinction and, consequently, subject to moments of extreme tension and terrible violence. The producers have decided to realise this exceptional documentary through general distribution so that everyone can be aware of what happens in our cruel, chaotic and colorful world.“ Na, hört sich das nicht nach einem äußerst lehrreichen Stück Film an, das vielleicht zwar so manches Bild beinhaltet, das man womöglich lieber nicht gesehen hätte, dennoch aber im Großen und Ganzen durchaus dazu geeignet ist, nützliches Wissen zu vermitteln? So jedenfalls liest es sich im Vorspann der englischen Synchronfassung, wie sie als VHS auf dem holländischen Label Video Plus erschienen ist – zwar unter dem eher weniger wissenschaftlich klingenden Titel SHOCKING AFRICA, doch das kann ja auch nur ein Vermarktungstrick sein, um unter dem Deckmäntelchen eines Schaudermondos die anzulocken, die ansonsten nie und nimmer eine seriöse Dokumentation über das Leben und Leiden der afrikanischen Naturvölker angefasst hätten. Jeder, der gleich darauf jedoch einen Blick auf die deutsche Videokassette wirft, wird aus dem Stirnrunzeln nicht mehr herauskommen. Nicht nur, dass der Film dort auf einmal GESICHTER DES SCHRECKENS bzw. FACES OF PAIN heißt, der dazugehörige Text klingt zudem, als ob er ein völlig anderes Werk beschreiben würde: „Unglaublich, schockierend und dennoch tatsächlich wahr. Der erste wahrheitsgetreue Film über Dinge, von denen Sie noch nicht einmal zu träumen wagen. Alles echt, alles dokumentarisch und völlig realistisch. Originalaufnahmen, die das blanke Entsetzen herausfordern, ekelerregend und doch faszinierend! Ein gewagter Blick in die Gesichter des Schreckens." Aber nein: beide Veröffentlichungen sind identisch mit einer italienischen Produktion aus dem Jahre 1982, deren Originaltitel schon wieder einen ganz neuen Nimbus mit sich trägt: AFRICA DOLCE E SELVAGGIA. Wo steckt denn da nun die Wahrheit?

Nun, wie immer irgendwo zwischen den Extremen. Regie jedenfalls führten die Zwillingsgebrüder Castiglioni, Alfredo und Angelo, die tatsächlich anerkannte und preisgekrönte Ethnologen zu sein scheinen, noch 2009 im hohen Alter in der Sahara in den Gebeinen einer antiken persischen Armee herumstocherten, seit den 50er Jahren bereits ihren Hauptfokus auf den Schwarzen Kontinent legten und seit Ende der 60er vor AFRICA DOLCE E SELVAGGIA bereits vier berühmt-berüchtigten Mondo-Filmen ihre Namen liehen, die da heißen: AFRICA SEGRETA (1969), AFRICA AMA (1971), MAGIA NUDA (1974), ADDIO ULTIMO UOMO (1978). Ihren Namen liehen – das drücke ich bewusst so umständlich aus, weil mich immer, wenn ich einen dieser Castiglioni-Mondos sehe, ein gewisser Verdacht beschleicht, den der Vorspann von AFRICA DOLCE E SELVAGGIA in mir eher unterstützt als zerstreut. Da lesen wir nämlich zwar, dass die Castiglioni-Bruderschaft zwar die Regisseure des Films seien, in den kreativen Prozess hat indes noch eine weitere Person augenscheinlich ziemlich aktiv eingegriffen, ein Director of The Institute of Ethnology in Mailand mit dem wunderschönen Namen Guglielmo Guariglia, der nicht nur das Drehbuch verfasst haben soll, sondern außerdem die Narration beisteuert. Dieser Guariglia, der scheinbar an keinem weiteren Film mitgewirkt hat, könnte, so meine These, das Originalmaterial, das die Castiglionis aus Afrika nach Italien mitbrachten, gemäß den Regeln und Klischees des Mondo-Genres ausgewählt, zusammenmontiert und mit einem Kommentar versehen haben, der darauf aus ist, seine Wissenschaftlichkeit so weit wie möglich zu untergraben. Anders kann ich es mir nicht erklären, weshalb ein reiner Dokumentarfilm einen Drehbuchautoren bräuchte, und wieso offenbar renommierte Afrikakundler für ein Werk verantwortlich zeichnen, das meinem persönlichen Empfinden nach dann doch eher dem deutschen VHS-Cover-Text zuneigt als der vollmundigen Ankündigung des Vorspanns, denn dass AFRICA DOLCE E SELVAGGIA in der Form, wie er mir vorliegt, für eine limitierte akademische Zuschauerschaft erstellt worden sei, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Woran das liegt? Wohl daran, dass der deutsche Titel FACES OF PAIN, der natürlich auf einen ganz bestimmten Zug aufzuspringen versucht, gar nicht so weit von der Realität bzw. dem, was der Film uns als Realität verkaufen möchte, entfernt ist. Jeder Sadist, möchte ich behaupten, kommt bei AFRICA DOLCE E SELVAGGIA nämlich voll auf seine Kosten. Den Hauptkern des Films, der einen durchaus nachvollziehbaren thematischen Rahmen hat – Initiationsriten diverser afrikanischer Stämme von der Wüstenei bis in den Busch – bilden zwei Dinge: Tierschlachtungen und Beschneidungen. Ersteres mag niemanden verwundern, der schon mehr als einen Mondo gesehen hat. In diesem hier sind es hauptsächlich Hühnchen und Hähnchen – der Off-Sprecher erklärt, das Huhn sei das unglücklichste Tier auf afrikanischer Erde, da es wirklich zu jedem noch so unwichtigen Ritual als Opfer herhalten müsse -, die geköpft, aufgeschlitzt werden, damit Schamanen aus ihren Eingeweiden die Zukunft oder den Willen der Götter herauslesen können, die man Krokodilen, den Reinkarnationen verstorbener Stammesahnen, zum Fressen vorwirft, die auf Musikinstrumenten ihr Leben lassen, um diesen ihre Seele einzuhauchen. Freilich begnügt man sich nicht nur mit Federvieh, auch ein paar Schweinchen müssen in die Mäuler der Krokodile wandern, ein Skorpion wird von einem alten Mann bei lebendigem Leibe verzehrt und - besonders anschaulich in langen Großaufnahmen gezeigt – einem unwilligen Kamel das Geschlechtsteil wegkastriert. Das ist natürlich alles andere als nett anzuschauen, bildet jedoch nur einen kleinen Teil gegenüber dem weitaus größeren, der sich mit dem Schmerz, wie er sich in menschlichen Gesichtern abzeichnet, befasst.

Ungewöhnlich ist, dass es diesmal vor allem Kinder und Halbwüchsige sind, denen man dabei zusehen darf, wie sie die ärgsten Leiden zu erdulden haben. Wie gesagt: Initiationsriten stehen im Mittelpunkt, und die werden eben selten an Greisen vollführt. Diese haben sie schon hinter sich und dirigieren Spektakel wie das, das wohl das Zentrum des Films bildet, oder zumindest das Ereignis, dem der Film die größte Aufmerksamkeit und die meisten Großaufnahmen schenkt. Unzählige Jungen sind auf einem Dorfplatz versammelt, um endlich zum Mann gemacht zu werden. Das geschieht dadurch, dass ein sogenannter Buschdoktor, dessen Hand nun wirklich nicht die sicherste ist und beständig zittert, ihnen mit einer Machete die Vorhäute abhaut. Den Kindern, vor Angst schreiend und sich wehrend, wird hierzu ein Strick um die Vorhaut gebunden, diese dann so lang wie möglich gezogen und der Arzt schlägt mehr oder minder präzise zu. Hinter ihm stehen einige Männer mit Gewehren, die, sollte er daneben schlagen oder gar versehentlich einen Penis amputieren, ihn laut Stammesgesetz umgehend erschießen müssen. Natürlich: diese Szenen sind sicherlich nicht gestellt und nicht inszeniert, und werden exakt so im afrikanischen Hinterland geschehen sein und wohl heute noch geschehen, die Art und Weise wie der Film mit dem Material operiert, verwundert dann schon, wenn mindestens dreißig Mal in Großaufnahme immer wieder das Gleiche gezeigt wird: ein brüllendes Kind, das Herabsausen der Machete, der blutende Penis, die Vorhaut in der Hand des Buschdoktors – zumal der Film sich immer dann, wenn man meint, das Beschneidungsthema sei nun endgültig abgehakt und man wende sich nun anderen, weniger schmerzlichen Dingen zu, darin gefällt, von Neuem solche Szenen einzuspielen, als wolle er der möglichen Langeweile bei seinem Publikum damit vorbeugen, dass er ihm die abgeschnittenen Vorhäute regelrecht ins Gesicht schleudert. Bis zum Grande Finale – man muss es einfach so nennen – spart man sich schließlich die Bilder von Beschneidungen einiger junger Mädchen auf, zu denen der Off-Sprecher schon beinahe entschuldigend vorbringt, man zeige das alles nicht aus bloßer Sensationslust, sondern um ein getreues Abbild der Wirklichkeit zu geben. Andere Schmerzensgesichter finden sich dann noch bei einem jungen Beduinen, der sich von seiner Gruppe absondert, für wahnsinnig erklärt und sodann mittels Peitschenhieben gestraft wird, dem Schleifen der Zähne weiterer Jünglinge, was genauso der Herstellung eines bestimmten Schönheitsideals dienen soll wie die Tätowierungen, die Frauen und Männern mittels Rasierklingen überall am Körper beigebracht werden, dass das Blut nur so in Strömen rauscht, sowie einer jungen, unfruchtbaren Frau, die von einem weiteren Buscharzt eine echte, lebende Schlange komplett in ihre Vagina eingeführt bekommt, um dadurch gebärfreudiger zu werden: eine wirklich unglaubliche Szene, vor der sich vielleicht sogar ein Bruno Mattei gegraust hätte!

Wo bleibt denn da aber nun die versprochene Belehrung? Nun, mit der ist es leider nicht weit her. Einige Kommentare mögen halbwegs informativ sein, wirklich viel habe ich persönlich nun jetzt nicht über die dargestellten Naturvölker gelernt. Wohl eher kann ein Film wie AFRICA DOLCE E SELVAGGIA in dieser Hinsicht verzerrend wirken, da man durchaus den Eindruck gewinnen könnte, die Hauptbeschäftigung im afrikanischen Busch sei es, sich selbst und anderen größtmöglichen Schmerz zuzufügen und das dann irgendwie kulturell und religiös zu legitimeren. Da fragt man sich, ob diejenigen, die für die Endfassung dieses Films verantwortlich zeichneten, es wirklich ernstmeinten, wenn sie sich am Ende, auch noch unter Berufung auf den sengalesischen Politiker und Dichter Léopold Senghor, einem der Begründer der sogenannten Négritude, als Friedensbotschafter stilisieren. Sinngemäß wird Senghor dahingehend zitiert, dass die Menschheit solange unvollständig und weit entfernt von echtem Frieden sei, solange nur ein Teil von ihr mit den Gebräuchen eines anderen nicht vertraut sei und mit Unverständnis auf diese blicken müsse. Damit müsste der Film, wenn ich das richtig verstehe, ein wahres Beispiel für Kulturverständigung sein. Wie aber verträgt sich das mit den Bildern, über denen der Off-Sprecher diese Sätze von sich gibt? Die Reise ist zu Ende, die Crew fährt nach Hause, viele kitschige Landschaftsaufnahmen, Giraffen, die vor den Jeeps davongaloppieren, die untergehende Sonne, und dazu ein Song, der zuvor schon andauernd eingespielt worden ist, eine schreckliche Funk-Nummer, die in keinem Cop-Movie störend auffallen würde, vermischt mit pseudo-afrikanischen Stammesgesängen, deren Text zumeist aus dam-da-dam-dam-da-da-dam besteht und, wie der Abspann verrät, von einer Band namens The Bertas intoniert wird. Solche Momente, die es zuvor schon zuhauf gab, lassen letztlich die edelste Absicht wie einen scheinenden Faden erscheinen: Stammeskrieger, die in Zeitlupe auf- und abhüpfen, als seien sie einem Riefenstahl-Film entsprungen, ruhige Flussszenen, unterlegt mit Klängen wie aus einem D’Amato-Porno, alberne, völlig unpassende Heimorgelmelodien zu Aufnahmen von Kindern, die in der Wüste Schlangen fangen, um sie gewinnbringend an Touristen zu verkaufen, und der Angriff einer Schlange auf ein Teammitglied, der zufällig (?) von gleich zwei Kameras gleichzeitig aufgezeichnet wird. Sowieso: wieso wird denn als einer der ersten Namen im Abspann ein Herr namens Alberto Cavalli – nein, nicht Cavallone – aufgelistet, dessen Aufgabengebiet die Special Effects gewesen sein sollen? Fragen über Fragen, bei denen nur eins sicher ist: viel friedlicher ist die Welt durch diesen letzten Castiglioni-Mondo ganz bestimmt nicht geworden.
purgatorio
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Re: Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

Beitrag von purgatorio »

Danke Salvatore, jetzt weiß ich, daß ich den nicht gucken werde! Eindringlich und anschaulich :|
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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Il Grande Silenzio
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Re: Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

Beitrag von Il Grande Silenzio »

purgatorio hat geschrieben:Danke Salvatore, jetzt weiß ich, daß ich den nicht gucken werde! Eindringlich und anschaulich :|
Zustimmung. Bei realer Gewalt gegen Tiere und Kinder hört der Unterhaltungswert auf.
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Adalmar
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Re: Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

Beitrag von Adalmar »

Danke für die ausführliche und anschauliche Kritik :thup:
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CamperVan.Helsing
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Re: Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Ich kann mich erinnern, vor vielen Jahren in der Videothek mal "Faces of Pain" in der Hand gehabt zu haben, und schon das Backcover war für mich kaum erträglich. Auch Sals Review hab ich jetzt nur mal "vorgespult" (=quergelesen), mehr schaffe ich zum Glück nicht.
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Salvatore Baccaro
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Re: Africa Dolce e Selvaggia - Alfredo & Angelo Castiglioni

Beitrag von Salvatore Baccaro »

ugo-piazza hat geschrieben:Ich kann mich erinnern, vor vielen Jahren in der Videothek mal "Faces of Pain" in der Hand gehabt zu haben, und schon das Backcover war für mich kaum erträglich.
Du meinst dieses hier?

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Ja, das vermittelt schon einen ungefähren Eindruck, worauf der Film hinauswill. Das zum Thema "The film you are about to see was made originally for a restricted academic audience". Es sei denn, diese "academic audience" bestand aus Sade'schen Libertins.
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