Dedicato a una stella - Luigi Cozzi (1976)

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Salvatore Baccaro
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Dedicato a una stella - Luigi Cozzi (1976)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Produktionsland: Italien 1976

Regie: Luigi Cozzi

Darsteller: Pamela Villoresi, Richard Johnson, Marian Antonietta Beluzzi, Lucia D'Elia
Ich würde Luigi Cozzis Oeuvre grob in insgesamt vier Phasen unterteilen, deren letzte nicht nur die umfangreichste ist, sondern wohl auch die, mit der Cozzis Name von den meisten Menschen gemeinhin gleichgesetzt wird. Diese vierte Phase beginnt für mich mit dem berühmt-berüchtigten STAR-WARS-Rip-off STARCRASH (1978) sowie dem ziemlich exzellenten Science-Fiction-Horror-B-Movie CONTAMINATION (1980), setzt sich fort in den muskelbepackten und vernunftlosen Abenteuern von Lou Ferrignos HERCULES bzw. SINBAD in den 80ern und mündet schließlich in zwei Filme, mit denen Cozzi am Ende der Dekade so etwas wie ein Resümee des im Niedergang begriffenen italienischen Horrorfilm zieht: PAGANINI HORROR (1989) und IL GATTO NERO (1989). Alle diese Filme eint nicht nur, dass man sie mehr oder minder dem Genre des Phantastischen Films zuordnen kann, sie sind ebenfalls phantastisch darin, sich von sämtlichem intellektuellen Ballast freizuschwimmen und das Spiel mit Topoi, Strukturen, Formen in zwar dekonstruktivistischer, jedoch ungebrochen kindlicher Weise zu betreiben.

Für den Luigi Cozzi ab STARCRASH dient ein im Grunde feststehender bzw. festgefahrener Begriff wie beispielweise Genrekonvention für Operationen, die sich in zwei auf den ersten Blick widersprüchlichen Bewegungen manifestieren. Zum einen in einer, die zum Genre hinführt, es in aller Überschwänglichkeit umarmt, es feiert wie einen überladenen Kindergeburtstag, bei dem die Erwachsenen (und ihre Rationalität) irgendwann mit bunten Holzbauklötzen erschlagen werden. Einem Film wie HERCULES (1983) ist das freudige Grinsen einfach anzusehen, mit dem da jemand einfach so tut, als stecke das Kino noch in seinen Kinderschuhen und habe in den letzten knapp einhundert Jahren seines Bestehens nicht schon längst seine Unschuld verloren. Im besten Sinne sind Cozzis Filme nach 1978 welche, die noch nicht mal ihre Pubertät erreicht haben. Statt Bartwuchs, Testosteron und erster nächtlicher Pollution bieten die Jungenträume in SINBAD OF THE SEVEN SEAS (1989) Zusammengesuchtes aus dem reichhaltigen Fundus der Trivialliteratur. Ein Held braucht keine Psychologie, sondern einzig und allein Muskeln. Eine Frau muss hübsch aussehen und schmachten können, das reicht. Der Schurke darf nicht nur, sondern muss eine derart fiese Lache besitzen, dass es bereits die Grenzen zur Selbstparodie übersteigt. Zugleich aber kommt Cozzi nicht umhin, das reflektierende Bewusstsein, das er als erwachsener Mann im Europa der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nun einmal in die Wiege gelegt bekommt hat, nicht vollständig ausschalten zu können. So naiv die Oberflächen seiner Filme scheinen mögen, so raffiniert ist sein Umgang mit Zitaten, Versatzstücken, Selbstbezüglichkeiten – und teilweise, wie in STARCRASH, ganzen Szenen, die er anderen Filmen entnimmt und seinen eigenen integriert. Bestes Beispiel dafür, dass Cozzi, ähnlich wie die deutschen Romantiker um 1800, vor dem Problem steht, einen kindlichen Animismus nicht einfach nur reaktivieren zu können, sondern diesen Reaktivierungsprozess mit einem in gewisser Weise ironischen Gestus begleiten muss, um ihn überhaupt zur Durchführung bringen zu können, ist wohl nach wie vor IL GATTO NERO, der kurzerhand beinahe die komplette italienische Horrorfilmgeschichte recycelt, reflektiert und revidiert, und, quasi nebenbei, auch noch als innoffizieller Abschluss von Argentos Mütter-Trilogie funktioniert.

Im Jahre 1976 ist die Filmwelt des knapp Dreißigjährigen jedoch noch eine ein bisschen andere. Hinter ihm liegen zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Spielfilme. IL TUNNEL SOTTO IL MONDO (1969) zeigt Cozzi im zarten Alter von Zwanzig auf dem Höhepunkt seiner Kreativität. Nicht nur völlig außerhalb der kommerziellen Filmindustrie, sondern regelrecht mit dem Rücken zu ihr, inszeniert Cozzi mit Freunden und Bekannten, ohne nennenswertes Budget, jedoch einem Füllhorn an verrücktesten Ideen einen Film, der sich mittlerweile für mich zu einem der Glanzstücke der italienische Filmavantgarde Ende der 60er gemausert hat. Nur vordergründig ist IL TUNNEL SOTTO IL MONDO ein Science-Fiction-Film über Zeitschleifen, die Unausweichlichkeit des Schicksals und Machtmechanismen, die Menschen zu bloßen Robotern degradieren – zumal seine Handlung in der knappen Stunde, die er dauert, sowieso alsbald derart auseinanderfällt, dass man sich ganz dem eigenwilligen Bilderrausch hingeben kann, mit dem Cozzi es schafft, aus einem Minimum an (ökonomischen) Mitteln ein Maximum an (ästhetischen) Effekten zu gewinnen. Während IL TUNNEL SOTTO IL MONDO niemals offiziell veröffentlicht worden ist und daher wohl nur von den eingefleischtesten Cozzi-Fans gesehen worden sein dürfte, gilt die Phase, die ich als seine zweite bezeichnen würde, unter Genre-Fans wohl als die, in der er die überzeugendsten künstlerischen Leistungen vollbracht hat. Unter der Ägide Dario Argentos inszeniert Cozzi eine Folge für dessen vierteilige TV-Serie LA PORTA SUL BUIO (IL VICINO DA CASA (1973)) und, zwei Jahre später, den vorzüglichen Giallo L’ASSASSINO E COSTRETTO AD UCCIDERE ANCORA.

Das Jahr 1976 sieht ihn dann offenbar an einem Scheideweg. Es ist beiden Filmen, die er in diesem Jahr dreht, ziemlich offensichtlich anzumerken, dass sie von jemandem stammen müssen, der etwas Neues ausprobieren möchte, vielleicht sogar ein wenig die Orientierung verloren hat, und sich nun tastend an Stoffe heranwagt, die sich fundamental von denen unterscheiden, an denen er sich bislang abarbeitete. LA PORTIERE NUDA, eine erotische Komödie, und DEDICATO A UNA STELLA, ein Liebesdrama, präsentieren Cozzi innerhalb zweier Genres, mit denen er weder zuvor noch jemals wieder danach Tuchfühlung aufnehmen wird.

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Abb.1: Die Frau in ihrer altbekannten Musenrolle als Stichwortgeberin für den schöpferisch tätigen Mann. Kaum streift Stella Richards Umlaufbahn, läuft es auch wieder mit den kompositorischen Höhenflügen.

DEDICATO A UNA STELLA. Einem Stern gewidmet. Was für ein Zufall, dass unsere zarte sechzehn Lenze zählende Protagonistin auf den Vornamen Stella hört - (und was für eine Überraschung, dass Cozzi in vorliegendem Werk nicht die Geschichte eines fernen Planeten voller abstruser Aliens besingen möchte)! Zu Beginn des Films hat es besagte Stella auf die malerische Insel Mont-Saint-Michel an der französischen Atlantikküste verschlagen. Unerklärliche Ohnmachtsanfälle, die von Zeit zu Zeit über sie kommen, treiben sie in eine Arztpraxis, dort will sie dann aber so schnell wie möglich wieder fort, weswegen sie dem Doktor, ohne überhaupt ihre Untersuchungsergebnisse vernommen zu haben, eine folgenreiche Lüge auftischt: draußen, im Wartezimmer, säße ihr Vater, sie würde ihn nur kurz holen gehen. In Wirklichkeit sitzt dort jedoch der reichlich heruntergekommene Ex-Pianist Richard, ein etwa fünfzigjähriger Brite, der, nachdem Stella aus der Praxis entwischt ist, von ihrem behandelnden Arzt tatsächlich für ihren Vater gehalten wird und daher statt ihr die Nachricht serviert bekommt, das Mädchen leide an Leukämie und habe bloß noch etwa drei Monaten zu leben. Zufällig treffen sich Richard und Stella, die sich in der Praxis bloß flüchtig gesehen haben, später an der Küste wieder. Stella scheint einen Narren an dem grimmig dreinschauenden, wortkargen Mann gefressen zu haben, drängt sich ihm in erstaunlicher Penetranz auf – erst recht, als sie erfährt, dass er das gleiche Reiseziel, ein kleines Städtchen in der Bretagne, hat wie sie. Richard wiederum ist von dem pausenlos plappernden, aufgedrehten Gör zwar sichtlich genervt, bringt es aber, aufgrund seines Wissens über ihren drohenden Tod, nicht übers Herz, sie allzu brüsk von sich zu weisen. Gemeinsam tritt man also die lange Busreise an, bei der Stella ungefragt ihre Lebensgeschichte erzählt. Sie stamme aus Belgien, ihre Mutter sei kürzlich verstorben, und ihre Reise nach Frankreich diene dem Zweck, ihren Vater zu finden, der sich aus dem Staub machte noch bevor sie irgendeine Erinnerung an ihn hätte haben können. Nur so viel hat sie herausbekommen: er soll ein Häuschen in besagtem Bretagne-Ort haben, und dahin sei sie nun unterwegs, denn sonst gäbe es keinen anderen Platz auf der weiten Welt, wo sie hinkönne. Das alles trägt sie beschwingter vor als man beim Inhalt ihrer Worte vermuten könnte, während Richard darüber einschläft und Cozzis Kamera sich viel Zeit dabei lässt, die wunderhübsche Normandie-Landschaft außerhalb der Busfensterscheiben zu filmen.

Man mag vielleicht schon vermutet haben, worauf das Zusammentreffen dieser beiden unterschiedlicher Charaktere hinausläuft, mir hat es indes dennoch ein reichlich seltsames Gefühl beschert, als Stella schon wenige Szenen später behauptet, in heißer Liebe zu dem mindestens drei Dekaden älteren Mann, der tatsächlich ihr Vater sein könnte, entbrannt zu sein. Seltsamer ist da wohl nur noch, dass Richard, obwohl er sich anfangs noch gegen die vermeintliche Liebe der Sechzehnjährigen sträubt, nachdem man mehrere Tage miteinander verbracht hat, einknickt und keine Einwände mehr dagegen vorbringt, ein Bett mit ihr zu teilen. Ganz unschuldig ist seine Hauswirtin Simone, bei der sie kurze Zeit unterkommen, jedoch nicht: die greise Dame drängt unsere Helden förmlich in eine körperliche Beziehung hinein, ohne dass sie selbst irgendeinen Vorteil davon hätte oder die Handlung das in irgendeiner Form rational erklären würde. Aber Gefühle – und schon gar nicht die der Liebe – sind eben nicht mit menschlicher Logik zu entschlüsseln, und so muss der Betrachter es einfach als Fakt hinnehmen, dass noch keine halbe Stunde von DEDICATO A UNA STELLA vergangen ist, und sich der zunehmend lockerer und aufgeschlossener werdende Pianist und das zunehmend nervtötender und alberner agierende Mädchen bereits auf eine gemeinsame Partnerschaft einlassen. Schließlich findet man über all dem Liebesgeplänkel auch das Häuschen von Stellas Vater, der ist allerdings ausgeflogen, und zwar nach Paris, wo er seinen Hauptwohnsitz hat. Immerhin setzt sich Richard zwischen den vier Wänden von Stellas Erzeuger zum ersten Mal seit langer Zeit wieder an einen Flügel, und spielt auf Anhieb derart hinreißend, dass Stella sich vor Entzücken kaum noch halten kann. Der weitere Weg unserer Liebenden ist von nun an vorprogrammiert: man fährt nach Paris, streitet sich zwar zwischendurch mal heftig, größtenteils ist aber alles in Butter, der Altersunterschied, der zwischen ihnen klafft, wird weder von der sie umgebenden Gesellschaft noch von ihnen selbst jemals nennenswert thematisiert, Richard beginnt, inspiriert von seiner neuen Muse, seine Pianistenkarriere wiederaufzunehmen und Stella streicht ihren Papa endgültig aus ihrem Herzen, als sie herausfindet, dass er längst eine neue Familie, kleine Kinder, ein Leben hat, in dem sowieso kein Platz für sie wäre. Doch Stellas Erkrankung schwebt, vom Drehbuch zeitweise vollkommen vergessen, nach wie vor wie ein Damoklesschwert über dem jungen Glück, und lässt, gerade als es für unsere Helden am prächtigsten läuft, nicht darauf warten, das Liebesmärchen in eine waschechten Liebestragödie zu verkehren.

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Abb.2: Le Mont-Saint-Michel: ein Ort, den ich wohl für immer mit Guy de Maupassants Kurzgeschichte LA LÈGENDE DU MONT-SAINT-MICHEL (1882) verbinden werde.

Was bei DEDICATO A UNA STELLA zuallererst nicht nur sprichwörtlich ins Auge sticht, ist seine weichgezeichnete, lichtdurchflutete Optik. In diesem Film gibt es keine Schatten, überall bricht sich ein blendendes Gegenlicht Bahn, die Konturen von Menschen und Gegenständen sind verschwommen, als stünden sie kurz vor ihrer Auflösung. Impressionistische Poesie ist das jedoch nicht für mich, sondern eher der immerhin gutgemeinter Versuch, DEDICATO A UNA STELLA einen distinktiven, arthouse-igen Look zu verpassen, der letztlich an seinen zu hochgesteckten Ambitionen scheitert. Ja, dieser Film sieht hübsch aus, doch daran hat man sich nach spätestens dreißig Minuten sattgesehen, und dann reicht hübsch leider nicht mehr, mich bei der Stange zu halten – einmal ganz abgesehen davon, dass die meisten Bildkompositionen nicht wirklich originell wirken, und der Film, sobald die Handlung nach Paris gewechselt hat, ohne beeindruckende Landschaften auskommen muss, für die die irgendwie sterilen, klinischen Innenaufnahmen von Stadtwohnungen natürlich kein vollwertiger Ersatz sind.

Was bei DEDICATO A UNA STELLA zuallererst nicht nur sprichwörtlich ins Ohr sticht, ist der Score vom verdienten Stelvio Cipriani, dem man nicht nachsagen kann, er würde irgendetwas anbrennen lassen. Flötchen, Glöckchen, Frauensummen, Akkordeonmelodien, am Ende ein volles Orchester, das noch die rührendste Szene mit einem derart dichten Kitsch zukleistert, dass es mir fast schon Spaß gemacht hat, zuzuhören bzw. zuzuschauen wie die vergleichsweise nackten Bilder unter dem in tausend bunte Roben gehüllten Soundtrack förmlich in sich zusammenbrechen, da sie ihm einfach nicht die Stirn bieten können. Es gibt kaum eine Szene in DEDICATO A UNA STELLA, in der Cipriani nicht irgendeine wunderliche Idee anbringen dürfte. Ein beständiger Wohlklang schwebt über diesem Film, sodass die wahre Tragik der Geschichte kaum einmal zum Zuge kommt. Folgerichtig endet DEDICATO A UNA STELLA in einem großen Live-Auftritt Richards, bei dem dieser das Sterben Stellas am Klavier begleitet. Falls es so etwas geben sollte, dann ist das ein Film primär für die Ohren, erst sekundär für die Augen.

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Abb.3: Licht, wohin man schaut: Gerade in den Innenaufnahmen scheint es, als sei die äußere Welt völlig von einem grellen Leuchten verschlungen.

Was bei DEDICATO A UNA STELLA zuallererst nicht nur sprichwörtlich in den Verstand sticht, ist das von Cozzi mitverantwortete Drehbuch, dem es selten gelingt, das Verhalten der Figuren nachvollziehbar und plausibel darzustellen. Weshalb verliebt Stella sich Hals über Kopf in einen ihr komplett fremden, zudem auch noch mürrischen, zynischen Mann? Man könnte mal wieder Freud bemühen und ihrer Psyche andichten, sie suche in dem weitaus älteren Herrn den Vater, der ihr ihr ganzes Leben lang gefehlt hat – damit wäre jedoch die Art und Weise torpediert, mit der Cozzi die Liebe der beiden im Folgenden als wahrhafte Romanze inszeniert. Während ein heutiges Publikum aufgrund der Tatsache, dass da ein Fünfzigjähriger mit einer Sechzehnjährige kopuliert – obwohl Cozzi uns jedwede Sexszene erspart: um genau zu sein gibt es im ganzen Film gerade mal ein einziges leidenschaftlicheres Küsschen zwischen Richard Johnson und Pamela Villorosi -, sicher mehrmals schlucken muss, scheint es im Italien der 70er das Normalste von der Welt zu sein, was sich allein im Verhalten der (wenigen) Menschen zeigt, die von Richards und Stellas Liebe erfahren, und nicht ansatzweise irgendetwas Befremdliches an ihr finden. Positiv hätte immerhin sein können, dass Cozzi den Fokus seines Films ganz auf das Verhältnis der Liebenden zueinander richtet. Minimalistisch, völlig ohne Subplots, bis auf Richards ehemalige Hauswirtin Simone sogar ohne nennenswerte Nebenfiguren kommt DEDICATO A UNA STELLA aus, und webt die Liebesgeschichte seiner Helden damit in eine Seifenblase, in der soziale Realitäten sowieso nichts zu sagen haben. Leider versteht Cozzi es aber nicht, diese Liebesgeschichte, gerade nachdem man sich in Paris niedergelassen hat, kontinuierlich interessant in Szene zu setzen. Viel Leerlauf gibt es vor allem in der letzten halben Stunde, viele Szenen, in denen Richard minutenlang am Klavier sitzt, Stella minutenlang durch die französische Metropole läuft usw. Etwas Straffung hätte notgetan, um mich nicht im letzten Drittel etwas unruhig im Sesselpolster hin und her rutschen zu lassen.

Was bei DEDICATO A UNA STELLA außerdem auffällt, ist, wie zahm, wie konventionell, wie völlig ohne die subversiven Ausreißer, die man sonst von ihm kennt (und erwartet), Cozzi bei diesem Filmchen verfährt. DEDICATO A UNA STELLA wäre wohl der einzige Film Cozzis, den ich problemlos meiner Mutter oder sogar Großmutter zeigen könnte, ein Film, der niemandem wehtut, der einfach nur eine simple, naive Geschichte erzählt, der alsbald vergessen ist, nachdem er einem für neunzig Minuten das Herz erwärmt hat. Damit ist DEDICATO A UNA STELLA wohl ebenso der Film Cozzis, der am meisten den Standards des bürgerlichen Kinos entspricht. Wie gesagt: Gesellschaft, Politik, all das, was unser Leben, ob wir es wollen oder nicht, tagtäglich bestimmt, spielt in Cozzis Paralleluniversum keine Rolle. Das tut es zwar auch in seinen anderen Filmen nicht, doch schreit mir vorliegender geradezu danach, dass er wesentlich spannender, substanzvoller geworden wäre, hätte Cozzi wenigstens irgendwelche sozialen Probleme angedeutet, die Richard und Stella aus ihrer ungleichen Liebe erwachsen würden. Letztendlich ist es für die reine Story nämlich völlig unerheblich, ob Stella sechzehn oder sechsundzwanzig ist, und Richard fünfzig, vierzig oder dreißig. Wenn Cozzis Spätwerk einer Revolution gleicht, dann ist DEDICATO A UNA STELLA das zufriedene Abendessen von Menschen, die für nichts mehr kämpfen müssen und sowieso keine Lust mehr darauf haben. Ihr einziger Feind: ein Blutkrebs, gegen den man eh keine Chance hat.

Da es in fast jedem Film für mich mindestens eine Szene gibt, die mich nachträglich beschäftigt, möchte ich abschließend (und trotz aller negativer Worte) die drei vorstellen, die es bei DEDICATO A UNA STELLA gewesen sind:

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Abb.4: Ein Kavaliersdelikt: Richard entschuldigt sich bei Stella dafür, dass er ihr beinahe den Wangenknochen gebrochen hat.

1. Ein einziges Mal verliert Luigi Cozzi seine gutbürgerliche Maske und der Film damit einhergehend seine Fassung. Richard und Stella streiten sich am Strand. Erneut provoziert sie ihn mit blöden Sprüchen und albernem Gehabe. Diesmal reicht es Richard und er gibt ihr eine Ohrfeige. Aber nicht eine Ohrfeige von der Sorte, die kurz aufblitzen und dann schon nicht mehr wehtun, sondern eine Ohrfeige, in die er seine gesamte Körperkraft legt. Sie reicht aus, Stella im wahrsten Wortsinn den Boden unter den Füßen verlieren zu lassen. So heftig wird ihr ins Gesicht geschlagen, dass sie umfällt, nur um dann, keine Sekunde später, schon einen knienden Richard neben sich zu haben, der sich bei ihr entschuldigt und besorgt fragt, ob alles in Ordnung sei. Stella indes hat noch immer nicht genug von ihren Faxen. Wie ein kleines Kind läuft sie vor Richard davon, zieht Grimassen, verhöhnt ihn, kreischt herum. Für einen kurzen Moment dachte ich da echt, dass gleich die Fassade dieses Films herabrutscht und irgendwelche haushohen Monstren auftauchen, gegen die sich unsere Helden die kommende Stunde zur Wehr setzen müssen.

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Abb.5: Mhm, das schmeckt! Lucia D'Elia schlägt sich das Bäuchlein voll.

2. Als Richard und Stella bei Simone zu Gast sind, lernen wir auch deren Töchterchen kennen. Gespielt wird sie von niemand Geringerem als Lucia D’Elia, die dem geneigten Genrefreund als unglückliche Tramperin und spätere zerstückelte Frauenleiche in D’Amatos BUIO OMEGA ein Begriff sein dürfte. In DEDICATO A UNA STELLA hat sie keine Sprech-, sondern einzig eine Fressrolle. Beim Frühstück sitzt Richard ihr gegenüber und schaut fassungslos dabei zu wie das Mädchen sich den Mund mit allerlei Köstlichkeiten vollstopft. Dazu serviert ihre Mutter ihr immer neue Leckereien, die sie genüsslich von den Tellern mampfen kann. Was genau Cozzi mir damit sagen möchte, weiß ich nicht, denn für die Handlung des Films hat Frau D’Elias kulinarischen Exzess rein gar nichts beizutragen, gerade deshalb war das aber ein weiterer dieser Momente, bei denen ich das Gefühl hatte, ich solle vom handzahmen Aussehen des Films in einen ironiegesättigten Hinterhalt geführt werden.

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Abb.6: Kühe auf einer Weide, verwaschen vom Fahrtwind.

3. Ganz zu Beginn, während Stella und Richard im Bus durch die Normandie fahren, findet sich ein ganzer Strang von Szenen, die einfach nur die Landschaft außerhalb des Transportmittels zeigen. Kühe stehen auf Weiden herum wie Kühe das eben tun, und alte Bauernhäuser stehen am Straßenrand herum wie alte Bauernhäuser das eben tun, und verwinkelte Altstadtgassen fehlen ebenso wenig wie pittoreske Meeresausblicke. Im Jahre 1960 schreibt Siegfried Kracauer: „Indem der Film die physische Realität wiedergibt und durchforscht, legt er eine Welt frei, die niemals zuvor zu sehen war, eine Welt, die sich dem Blick so entzieht wie Poes gestohlener Brief, der nicht gefunden werden kann, weil er in jedermanns Reichweite liegt. […] So merkwürdig es klingt: Straßen, Gesichter, Bahnhöfe usw., die doch vor unseren Augen liegen, sind bisher weitgehend unsichtbar geblieben.“ Diese „Errettung der physischen Realität“ hat Cozzi für mich in seinen Fahrtaufnahmen nahezu physisch spürbar gemacht. Es ist, als führe ich selbst durch französische Kleinstädte und Dörfer, die heute mit Sicherheit nicht mehr so aussehen wie 1976. Es ist, als sei die Zeit in einer Momentaufnahme konserviert. Es geht nicht nur um diese Kühe, um diese Bauernhäuser – die sind lange verfallen und längsst geschlachtet -, es geht darum, dass mir zum ersten Mal bewusst geworden ist, wie das eigentlich aussieht – und zwar nicht wahrgenommen mit dem eigenen Augenpaar -, wenn eine Kuh auf einer Weide steht, und man in einem Bus oder einem Auto an ihr vorbeifährt. Mit Cozzis Film hat das freilich nur noch bedingt was zu tun.
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