Die Geschichte der Piera - Marco Ferreri (1983)
Moderator: jogiwan
Die Geschichte der Piera - Marco Ferreri (1983)
Originaltitel: Storia di Piera
Herstellungsland: Italien/Deutschland/Frankreich/1983
Regie: Marco Ferreri
Darsteller: Isabelle Huppert, Hanna Schygulla, Marcello Mastroianni, Angelo Infanti und Tanya Lopert.
Story: Bald nach der Geburt ihrer Tochter Piera widmet sich Eugenia wieder ihrer Hauptbeschäftigung: Tagräumen und Männern, mit denen sie stets vor den Augen ihrer Tochter Sex hat. Die gegenseitige Abhängigkeit und der dauernde Konkurrenzkampf zwischen Mutter und Tochter endet schließlich für Eugenia in einer Nervenheilanstalt, während Piera ihrer hemmungslosen Lebenslust erst dann nachgehen kann.
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
Re: Die Geschichte der Piera - Marco Ferreri
Die Geschichte der Piera
Storia di Piera / L'histoire de Piera
Deutschland/Frankreich/Italien 1983
Regie: Marco Ferreri
Isabelle Huppert, Hanna Schygulla, Marcello Mastroianni, Angelo Infanti, Tanya Lopert, Bettina Grühn, Renato Cecchetto, Maurizio Donadoni, Aïché Nana, Girolamo Marzano, Lidia Montanari, Laura Trotter
OFDB
Storia di Piera / L'histoire de Piera
Deutschland/Frankreich/Italien 1983
Regie: Marco Ferreri
Isabelle Huppert, Hanna Schygulla, Marcello Mastroianni, Angelo Infanti, Tanya Lopert, Bettina Grühn, Renato Cecchetto, Maurizio Donadoni, Aïché Nana, Girolamo Marzano, Lidia Montanari, Laura Trotter
OFDB
Es gibt Filme, und es gibt Filme. Manchmal ist Kommissar Eisen in Ordnung, der mit Faust und Wumme in Rom für Recht und Gerechtigkeit sorgt, und manchmal braucht es auch mal etwas für den Kopf. Beide Filmgattungen haben ihre Berechtigung, und beide können, die richtige Stimmung vorausgesetzt, den Betrachter in einen ganz bestimmten Zustand versetzen. PIERA zum Beispiel. Piera ist das Kind von Lorenzo und Eugenia. Lorenzo hat zwei Passionen: Eugenia, und die Partei. Nachdem ihn die Partei vor die Türe gesetzt hat, und Eugenia ihn allmählich um den Verstand bringt, hat er nur noch Piera. Die er abgöttisch liebt. Aber die Hauptfigur des Films ist eigentlich Eugenia. Eugenia, die Freiheitsliebende. Die Wilde. Die Tanzende. Eugenia liebt das Leben, und zwar mit allen Facetten. Sie saugt es auf, sie will Liebe, will Freiheit, will Abenteuer erleben. Und diese Lebensart gibt sie an Piera weiter. Eugenia liebt Lorenzo, und Eugenia liebt auch Piera. Aber sie liebt auch alle anderen Männer. Eugenia sitzt immer wie ein Mann da, mit breit gespreizten Beinen, und in ihrem Blick ist immer Verlangen. Verlangen nach Liebe, aber auch ein unbändiges Verlangen nach Leben. Tagelang treibt sich Eugenia irgendwo herum, die andern sagen sie hurt herum, und irgendwann kommt sie wieder nach Hause und Lorenzo ist da und liebt sie. Das war früher so, und das ist auch heute so.
Und zwischen dem Früher und dem Heute? Das ist gleich! Ich habe glaube ich noch nie einen Film gesehen, in dem die Darsteller ganz bewusst nur dann altern, wenn es dem Drehbuch gerade passt. Zwischen der Geburt Pieras und ihrer Teenagerzeit altert Eugenia nicht einen Tag, und wenn Piera erwachsen ist altert Eugenia innert kürzester Zeit um viele Jahre. So what? Dies ist kein Film über das Altern, PIERA ist ein Film über das Leben!
„Auf wen wartest Du eigentlich?“ „Auf irgend ‘nen Freund. Man weiß doch nie …"
Piera liebt das Leben ebenfalls, das hat sie von ihrer Mutter gelernt, aber auf eine andere, eine nüchternere Art. Piera wirft mit 11 Jahren die Schule hin und bereitet sich darauf vor, Schauspielerin zu werden. Ihre Eltern unterstützen sie, denn nur das Leben ist wichtig, nicht das, was die anderen sagen oder meinen oder angeblich von einem verlangen. Lorenzo hat Eugenia, Eugenia hat alle Männer, und Piera hat ihren Erfolg als Schauspielerin. Und wenn sich am Ende Mutter und Tochter nackt und intensiv küssen, dann ist auch gewiss, dass beide immer die Liebe im Herzen haben werden.
Die Liebe. Die Liebe in allen ihren Erscheinungsformen. Ich habe selten einen Film gesehen, der so erotisch aufgeladen ist, und der so mit Sex um sich wirft, ohne dabei irgendetwas zu zeigen. Ohne dem Wunsch des Zuschauers nach ausgestellten Geschlechtsmerkmalen nachzugeben. Der mit den Schauwerten, die so ein Film nach allgemeiner Meinung haben sollte, so geizig umgeht. Zwei nackte Männer sind zu sehen, und zwei nackte Frauen. Isabelle Huppert wäre nicht Isabelle Huppert, wenn sie sich ausziehen würde, und Hanna Schygulla beweist den Mut zu ihrem eigenen Alter, wenn sie am Ende des Films nackt am Meer steht, sichtlich keine 30 Jahre mehr alt, und soviel Glück und Sex ausstrahlt wie es ein ach so erotisches Top-Model niemals vermag. DIE GESCHICHTE DER PIERA ist eben auch ein Film über die Liebe, und die Liebe wird in allen Formen gezeigt und dabei doch nicht gezeigt. Sie ist spürbar, in jeder Einstellung ist sie erfahrbar, und es bedarf weder offenherziger Einstellungen noch gezeigten Beischlaf – Es reicht, wenn Hanna Schygulla mit weit gespreizten Beinen auf einem Stuhl sitzt, und ihre Augen der Kamera klar zu erkennen geben, dass sie Lust auf Sex hat. Die Woge an Lust, die da den Zuschauer überrollt, ist fulminant …
DIE GESCHICHTE DER PIERA ist aber auch ein Film über das Leben des eigenen Lebens. Darüber, das zu tun, was man selber möchte. Sich anzuziehen wie man es selber möchte. Für seine Gedanken, seine Vorlieben, seine Sehnsüchte einzustehen, und sich dem Druck der anderen nicht zu beugen. DIE GESCHICHTE DER PIERA wird von einer starken und unwiderstehlichen Lust auf Leben durchweht, und es ist schwer dem zu widerstehen. Nach dem Ende des Films möchte man sich am liebsten nackt an den Strand stellen. Oder mit dem Fahrrad durch sonnendurchglühte Städte fahren. Oder seine Wohnung so gestalten, wie man es höchstens in alten italienischen Filmen sieht, sich aber niemals trauen würde es selber zu tun. Kein Mensch in diesem Film scheint zu arbeiten, das ist hier einfach nicht wichtig, genauso wenig wie die politischen oder gesellschaftlichen Ereignisse hier nur am Rande stattfinden. Ein gewalttätiger Polizeieinsatz gegen Demonstranten? Wir hören den Lärm und wir sehen den Rauch, aber eigentlich ist das doch gar nicht interessant. Eugenia auf ihrem Fahrrad und ein Streit mit Lorenzo, das ist doch viel spannender als irgendwelche dummen Demonstrationen. Und ein Streit mit dem Lebenspartner beeinflusst das eigene Leben auch viel direkter als eine Demonstration.
Lebe Dein Leben, das ist die Aussage dieses Films, und das Gefühl dieser unbeschreiblichen Leichtigkeit des Seins, das ist schier unwiderstehlich. Da kann man auch auf eine stringente Handlung verzichten, auf logische Abhängigkeiten im alltäglichen Geschehen, oder sowieso gleich ganz auf alltägliches Geschehen. Das sind Dinge die hier nicht zählen, und die auch für die Aussage des Filmes nichts bringen würden. DIE GESCHICHTE DER PIERA ist im Kern wild und anarchistisch, dabei aber so wohlanständig erzählt, dass aus diesem Spannungsfeld ein ganz ein besonderer Film erwächst. Ein Film, der so ein ganz bestimmtes, ein singendes und summendes, ein flirrendes Lebensgefühl einfängt, dass nur große Dichter und nur manchmal in Worte fassen konnten. Für den man allerdings in Stimmung sein sollte. Vor allem darf man keinen Erotikfilm erwarten, und auch kein Arthouse-Drama. PIERA ist irgendwo dazwischen. Ein sehr leichtes und angenehmes Dazwischen. Kein realistisches, aber ein schönes Dazwischen!
7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi