FLAVIA, LA MONACA MUSULMANA dürfte die wohl mit Abstand bekannteste und berüchtigtste Regiearbeit des 1932 geborenen und 2009 verstorbenen italienischen Filmemachers Gianfranco Mingozzi sein. Erstmals innerhalb des Geschäfts mit bewegten Bildern in Erscheinung getreten ist er als Fellinis Regieassistent für dessen ebenfalls berühmtes, wenn nicht ganz so berüchtigtes Paparazzi-Epos LA DOLCE VITA von 1960, in dem Mingozzi auch eine, allerdings unkreditierte, Mini-Rolle als Priester übernommen hat. In der Folge drehte Mingozzi scheinbar vor allem dokumentarische Kurzfilme, von denen ich nicht wüsste, auf welchen Dachböden ich suchen müsste, um einmal einen von ihnen vor die durchaus interessierte Flinte zu bekommen, inszenierte ein Segment des vergleichsweise einfach zugänglichen Episodenfilms LE ITALIANE E L’AMORE (1961), an dem ansonsten noch illustre Gestalten des subversiven Kinos wie Giulio Questi und Marco Ferreri beteiligt gewesen sind, und hat sich direkt vor FLAVIA bereits mit zwei, wenngleich ebenfalls eher unbekannten, Spielfilmen hervorgetan, einmal dem Thriller SEQUESTRO DI PERSONA (1968) mit Charlotte Rampling und Franco Nero, und dann noch dem Drama LA VITA IN GIOCO (1972) mit Mimsy Farmer und William Berger. FLAVIA wiederum sieht aus, als sei es ein Kind, an dessen Geburt Mingozzi besonders viel gelegen hat. Nicht nur führte er Regie, sondern arbeitete außerdem am Drehbuch mit und ließ eigene Gelder in die Produktion des Films fließen. In Kennerkreisen gilt FLAVIA, LA MONACA MUSULMANA als einer der herbsten Filme aus dem Bereich der sogenannten Nunsploitaton, d.h. einer in gewisser Weise besonderen Spielart des Frauengefängnis-Genres, nur eben mit religiös-historischem Anstrich, da die im Mittelpunkt stehenden unschuldigen oder schuldigen, sexuell erwachenden oder sexuell vollends verdorbenen Frauen ihre Abenteuer rund um lesbische Ausschweifungen, Fluchtgedanken und intrigante Machtkämpfe nicht in einem Staatsknast, sondern in einem christlichen Kloster bestehen müssen.
Einen signifikanten Unterschied zu konventionelleren Nonnensexfilmen der 70er Jahre erkennt man schon in den ersten Szenen des Films - wenn nicht sogar bereits an seinem italienischen Originaltitel. Im Gegensatz zu Werken wie Jess Francos LE DÉMONS (1972), Domenica Paolellas LE MONACHE DI SANT’ARCANGELO (1973) und STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA (1973) - oder, um in der Genregeschichte weiter zurückzugreifen, und zwei frühe, dem Kunst- bzw. Autorenkino entsprungene Vertreter zu nennen, Jerzy Kawalerowiczs MATKA JOANNA OD ANIOLÓW (1961) und Jacques Rivettes Verfilmung des Diderot-Romans LA RELIGIEUSE (1966), der, posthum im Jahre 1792 (in deutscher Übersetzung) bzw. 1796 (im französischen Original) erschienen, erstmals die Genre-Grundparameter literarisch ausformulierte – ist Mingozzis FLAVIA nicht etwa in einem politisch mehr oder minder stabilen Festland-Europa angesiedelt, sondern an den europäischen Außengrenzen, und das, ebenfalls als grundlegende Unterscheidung, nicht etwa, wie die meisten Nonnen-Exploiter, im sechzehnten, siebzehnten Jahrhundert, sondern konkret im Jahre 1480, als die süditalienische Stadt Otranto fast zwölf Monate von einem osmanischen Heer unter dem Feldherrn Gehdik Ahmed Pascha besetzt gehalten wird. Dieser von Sultan Mehmed II. initiierte Vorstoß aufs europäische Festland geriet für die Osmanen zwar nur zu einem zeitweiligen Erfolg – schon im Mai 1481 unterliegen sie einem Gegenangriff neapolitanischer Truppen, sind aber außerdem bereits aufgrund des inzwischen eingetretenen Todes des Sultans in interne Konflikte verwickelt -, immerhin verhalf ihre kurzzeitige Anwesenheit in Otranto der römisch-katholischen Kirche aber zu einer wundersamen Heiligengeschichte: Während der Belagerung der Stadt nämlich soll einem alten Schneider namens Antonio Pezzulla die militärische und moralische Befehlsgewalt über die Bevölkerung erteilt worden sein. Als die Osmanen Otranto dann erfolgreich bestürmt hatten, stellten sie die Italiener vor die Wahl, entweder zum Islam überzutreten und fortan von ihnen als Glaubensbrüder erachtet zu werden oder eben ihr Leben lassen zu müssen. Standhaft soll Pezzulla sich geweigert haben, Christus eine Absage zu erteilen, und mit ihm weitere achthundert Stadtbewohner. Natürlich ereignete sich bei seiner Hinrichtung ein Wunder. Nachdem man ihm den Kopf vom Rumpf getrennt hatte, blieb sein Körper angeblich stocksteif stehen, und ließ sich nicht mal mit roher Gewalt in die Knie zwingen – ein schönes, symbolträchtiges Bild, mit der die Amtskirche auf die göttliche Rückendeckung verweist, die der Allmächtige jedem bewilligt, der in seinem Namen den Tod in Kauf nimmt.
Diese Mischung aus historisch verbürgerter Wahrheit und frommer, nach Weihrauch riechender Legende dient Mingozzi indes lediglich als Kulisse für die eigentliche Geschichte, die er erzählen möchte. Die handelt nämlich von der historisch nicht verbürgten und wenig frommen Flavia, einem Mädchen, das seine Eltern in Kindertagen bereits dem Klosterleben übergeben, und das dort fernab des Treibens der Welt in der üblichen strengen, reglementierenden Atmosphäre aufwächst. Zwar leidet Flavia sowohl als Heranwachsende als auch als voll ausgebildete Frau unter der Zucht und Ordnung des Konvents, doch immerhin kann sie sich eine kleine Nische Freiraum eigener geistiger Betätigung und Emotionalität in der Freundschaft zu dem Juden Abraham schaufeln, der außerhalb der Stadt in einer ärmlichen Hütte lebt, mit ihr über theologische Fragen diskutiert bzw. einen, würde man heute sagen, interreligiösen Dialog führt, und sich, klammheimlich, genauso in sie verliebt wie sie sich in ihn. Aber einen Liebespartner zu haben – und dann auch noch einen Andersgläubigen! -, das verbietet Flavia freilich ihr Schleier, jedenfalls so lange bis die Ungerechtigkeiten innerhalb des Klosters – bspw. wird eine ihrer Mitschwestern der Unzucht beschuldigt und dafür mit siedenden Ölen gemartert – ihr so sehr zu Kopf steigen, dass sie diesen verliert und mit Abraham die Flucht plant. Bis zum Meer kommen sie, wo sie zu dieser Zeit in Europa noch gar nicht bekannte Maiskolben rösten und knabbern, und eine Nacht voller Zukunftsträumereien bleibt ihnen bis die Stadtgarde sie aufgespürt hat, und Flavia zurück ins Kloster wandert und Abraham ins Verließ. Flavia jedoch gelingt noch einmal die Flucht, diesmal bei einer Pilgerfahrt, bei der ihr ihre einzig nennenswerte Vertraute, die bärbeißige Schwester Agatha, endlose Vorträge darüber hält wie männerdominiert die Welt sei, und wie sehr diese es verdienten, ihrer Glieder, und somit ihrer Macht, beraubt zu werden, und dabei, als Krönung ihrer Litaneien, den scheinbar ernstgemeinten Plan äußert, nach Rom reisen, dem Papst die Krone wegnehmen und sich selbst zur ersten Päpstin machen zu wollen. In dieser Situation werden Flavia und ihre Mitschwestern Zeuge wie muslimische Schiffe den Hafen der Pilgerstadt passieren, ein Gemetzel bricht los, ein wahres Inferno, das Schwester Agatha solange begrüßt und beklatscht bis sie selbst sein Opfer wird. Doch Flavia sticht dem Feldherrn Ahmed ins Auge, wodurch sie innerhalb kürzester Zeit von der Nonne zur Mätresse avanciert, um gemeinsam mit ihrem neuen Liebhaber in Richtung ihres Heimatkonvents zu ziehen und dort ihrer Rache zunächst unbehinderten Lauf zu lassen…
An diese kurze Inhaltsgabe der knappen ersten Hälfte des Films möchte ich im Folgenden sechs Aspekte anschließen, die mir gefallen haben, die mich irritiert haben oder die mir einfach nur besonders erwähnenswert zu sein scheinen:
1. Dass FLAVIA, LA MONACA MUSULMANA allein schon aus kinematographischer Sicht nicht mit einer handelsüblichen Sexklamotte wie beispielweise Luigi Batzellas CONFESSINOI SEGRETE DI UN CONVENTO DI CLAUSURA (1972) oder Giuliano Biagettis DECAMEROTICUS (1972) verwechselt werden sollte, stellt Mingozzi schon früh durch eine ausgesprochen geschmack- und stilvolle Inszenierung unter Beweis, die seinen Film ästhetisch fast auf Augenhöhe mit den, meiner Meinung nach, beiden Meisterwerken der italienischen Nunsploitation-Hochphase postieren, nämlich Paolellas bereits erwähntem Double-Feature aus LE MONACHE DI SANT’ARCANGELO (1973) und STORIA DI UNA MONACA DI CLAUSURA (1973). Um zu veranschaulichen, dass Flavia, einmal ins Kloster gegeben, dort zur Erwachsenen heranreift, zieht Mingozzi sich nicht auf einen bloßen Schnitt oder eine Texttafel zurück, sondern benutzt hierfür, so wie es sein sollte, genuin filmische Mittel. Die kleine Flavia wird zum ersten Mal mit dem Gebet vertraut gemacht. Sie wie alle andern Nonnen liegen in der Klosterkirche mit dem Gesicht nach unten auf dem Steinboden. Flavias Augen aber zieht es ständig zu einem Heiligenbild an der Wand. Sie imaginiert sich jenen muslimischen Mann dort hinein, der ihr, vor ihrem Klostereintritt, zugelächelt hat bevor er von ihrem Vater enthauptet worden ist: sexuelles Wunschbild wie Symbol für die verlorene Unschuld ihrer Kindheit gleichermaßen. Eine Aufseherin herrscht sie an, sie solle den Kopf unten lassen und sich ganz dem Gebet ergeben. Die Kamera, nun vor den liegenden Nonnen, bewegt sich in einer Fahrtaufnahme, fokussiert auf die Aufseherin, nach links oben und erlaubt Erinnerungen an ähnliche Szenen in Jerzy Kawalerowiczs MATKA JOANA – mit dem Unterschied, dass dessen ikonischstes Bild die Nonnen mit dem Gesicht von der Kamera weg, zum Altar hin, zeigt, während sie in FLAVIA quasi in Richtung der Kamera beten. Diese ist irgendwann am Ende von Raum und Schienen, verharrt kurz links außen und fährt dann, nachdem sich das von rechts einfallende Licht verändert hat – es ist heller geworden in der Kirche -, den gleichen Weg nach rechts außen zurück, also dorthin, wo wir Flavia verlassen haben. Das sich verändernde Sonnenlicht indes ist ein Indikator für das Verstreichen der Zeit gewesen. Als wir wieder bei Flavia sind, gibt die sich beim Aufstehen als ausgewachsene Frau zu erkennen. Noch immer aber blickt sie nach dem Heiligenbild an der Wand und noch immer materialisiert sich in ihm der islamische Streiter von einst. Mittels einer einfachen Kamerafahrt und einer ebenso schlichten Scheinwerferspielerei hat Mingozzi somit mehrere Aspekte des klösterlichen Lebens unserer Heldin zugleich veranschaulicht, darunter die Monotonie des Klosteralltags, der aus den immer gleichen Ritualen und Abläufen besteht, aber auch die Monotonie im Begehren Flavias, die noch immer nicht den Verlust ihrer Freiheit akzeptieren kann, und sich noch immer hinträumt zu dem Muslim, dem ihr Vater einst den Kopf abschlug, bevor er sie ins Kloster schickte.
2. Wenig später verlässt Flavia die frommen Mauern, um zu ihrem Freund Abraham zu wandern. Ihr Weg führt sie durch eine von Agrarwirtschaft geprägte Landschaft voller einsam stehender Bäume, bestellt werdender Äcker, und einer proletarischen Bevölkerung, die von der Hand in den Mund lebt. In einer Szene folgt ihr die Kamera als seitlich hinter ihr her schreitende Begleiterin, während Flavia eine Gruppe Bauern entgegenkommt, stilecht mit Sicheln, schmutzigen Kleidern, Kopftüchern und sogar ein Eselchen ist mit von der Partie, das einen Haufen Feuerholz auf dem Rücken trägt, der sich beinahe größer auftürmt als es selbst ist. Erneut, wenn auch stiller, rustikaler, ist der verträumte Score Nicola Piovanis zu hören. Was mich genau an dieser Szene aber berührt ist nicht so sehr die Verbindung der Bilder mit der Musik, viel eher die Bilder selbst sind es, die mir, glaube ich, etwas von einer gewissen neorealistischen Sensibilität erzählen, durch die Mingozzis Blick auf Landschaften und die Menschen in ihnen geprägt ist. Diese Szene in kontrastreichem Schwarzweiß und auf Filmmaterial, das zwanzig bis dreißig Jahre älter sein müsste als das für FLAVIA verwendete – und schon kann ich sie mir problemlos in irgendeinem neorealistischen Drama vorstellen, in dem auf soziale Ungerechtigkeiten im italienischen Hinterland hingewiesen werden soll, oder das aber die Hauptdarstellerin einem vor dem Zweiten Weltkrieg davonziehenden Flüchtlingsstrom begegnen lässt. Öfter noch wird Mingozzi, wenn er seine Kamera unter freiem Himmel aufstellt, verraten, dass seine Perspektive, bewusst oder unbewusst, dazu tendiert, eine zu sein, die, zumindest, was diese Einzelszenen betrifft, in keinem Frühwerk von Roberto Rossellini negativ auffallen dürfte.
3. Was indes wohl unvereinbar ist mit dem italienischen Neorealismus, das ist der überaus drastische Hyperrealismus, mit dem sich die Subversion früher oder später Bahn in Mingozzis Märtyrerinnenerzählung bricht. Flavia wurde gerade gegen ihren Willen Zeugin der Vergewaltigung einer Magd durch den neuen Herzog der Region und hadert einmal mehr mit sich, der Welt und vor allem den Männern, die für sie ausschließlich in ihr regieren. Da wird sie, ebenfalls mehr als zufällig, erneut Zeugin eines Vorgangs, der offenbar neu für ihre Augen ist. Einige Bauern sind in einem Stall dabei, ein Pferd zu kastrieren. Es wird auf den Rücken geworfen, mit Stricken gebunden, ihm die Beine gespreizt, dass seine Besitzer problemlos ihm ans Gemächt können, wo sie ihm zunächst einen Hoden abschnüren. Mit Blicken, die voll sind von Abscheu, Faszination und möglicherweise sogar sexueller Erregung, verfolgt Flavia wie man dem Pferd mit einem schnellen Schnitt den Hodensack öffnet und den eigentlichen Hoden dann aus diesem herausschält. Ständig schneidet Mingozzi dabei zwischen Flavias groß und größer werdenden Augen und dem Intimbereich des sich wehrenden, schnaubenden Hengstes hin und her. Obwohl die Szene, zumal 1974, Zündstoff genug geboten haben mag - und selbst heute noch bietet -, um FLAVIA in die Ecke spekulativer Schockfilme zu bomben, ist es doch, finde ich, bemerkenswert wie dezent die Montage mit dem grausigen Geschehen verfährt. Von den Vorbereitungen für die Kastration bekommen wir zwar alles zu sehen, der eigentliche Akt bleibt indes weitgehend eine Spiegelung im Gesicht von Flavia-Darstellerin Florinda Bolkan. Nur einmal, flüchtig, wird noch einmal zum animalischen Delinquenten zurückgeschnitten, und wir bekommen zu sehen, dass eine grobe Bauernhand etwas Blutiges, Ovalförmiges in eine Schüssel wirft. Man mag sich kaum vorstellen, was weniger schüchterne Regisseure wie Joe D’Amato oder Bruno Mattei aus einer solchen Sequenz gemacht, und vor allem in wie vielen Filmen sie sie wiederverwertet hätten.
4. Nicht immer jedoch lässt Mignozzi in seinem kinematographischen Handeln Dezenz walten. Was sich zuvor schon in einigen Sätzen der Schwester Agathe angedeutet hat, kommt, als Traktat oder Pamphlet, zumindest aber als endloser, minutenlanger Monolog, spätestens zum Ausbruch, wenn diese mit Flavia allein auf Pilgerreise ist und merkt, dass unsere Heldin ihre Ohren vor ihren Reden nicht verschließt. Schwester Agathe, die mehr wirkt wie eine Wahnsinnige als eine besonnene Frühvertreterin von Renaissance und/oder Aufklärung, ergießt einen schier uneindämmbaren Strom in Flavias Kopf, dessen immer wieder in neuen Variationen wiederholte Kernthese es ist, dass die Frauen in der Geschichte bislang stets die unterdrückten Wesen gewesen sind, und die Männer ihre Unterdrücker. Viel mehr Inhalt hat Schwester Agathe tatsächlich nicht zu bieten, und verliert sich stattdessen in Entmachtungs- und Kastrationsphantasien, die darin gipfeln, dass sie Flavia allen Ernstes vorschlägt, mit ihr nach Rom zu reisen, um sich dort in allen Würden auf dem Papstthron niederzulassen. Unterbrochen wird dieser in offener Landschaft gehaltene Monolog lediglich kurz durch die Sichtung der den Hafen erreichenden Muslimengaleeren. Nun, wo Schwester Agathe sieht, dass die von ihr verachtete Patriarchalgewalt in Gestalt der römisch-katholischen Kirche den Feind direkt vor der Nase hat, ergeht sie sich in apokalyptischen Visionen und weiteren Rachegedanken, die sie – und Flavia als gelehrige Schülerin ihr hintendrein – mitten in Feuer und Blut der umkämpften Küstenfestung führen. Neu ist dieses didaktische Element innerhalb eines Stoffes wie dem von FLAVIA präsentierten natürlich nicht. Leicht kann man schon Diderots LA RELIGIEUSE zurückführen auf eine lange Tradition libertiner Literatur, die über Pietro Aretino und Boccaccio bis in die griechische und römische Antike reicht. Stets sind in solchen Texten an zentraler Stelle pädagogisch agierende Figuren zugegen, die unsere Helden und Heldinnen in philosophischen und/oder Liebesdingen unterweisen - besonders sinnfällig in pornographisch-philosophischen Werken der französischen Aufklärung wie beispielweise dem mutmaßlich von einem Marquis d’Argens verfassten Klassiker THÉRÈSE PHILOSOPHE von 1748 oder die von einem Marquis de Sade verfasste Jess-Franco-Bettlektüre LA PHILOSOPHIE DANS LE BOUDOIR von 1795. Dass Mignozzi seiner Flavia eine ältere Dame zur Seite stellt, durch die sie mittels verbaler Ergüsse philosophisch geschult und zum eigenen Handeln animiert wird, ist demnach ein feststehender Topos, den der Film letztlich lediglich aus der Ahnreihe schöpft, der er unterm Strich verpflichtet ist – doch die Art und Weise wie Mignozzi Agathes Positionen veranschaulicht, lässt mich doch sehr an der Ernsthaftigkeit des Ganzen zweifeln. Mancherorts kann man lesen, FLAVIA sei ein feministischer Film. Ich kann das nicht wirklich unterschreiben. Es ist wohl ein Film, in dem, zunächst von Agathe, dann von Flavia, auf plakative Plattitüden heruntergebrochene Thesen geäußert werden, die man in feministischen Kreisen seinerzeit nicht ungern gehört haben mag, doch muss man doch hinterfragen, inwieweit sich die Verantwortlichen tatsächlich selbst hinter diese Thesen stellen, mit ihnen kokettieren oder sie am Ende gar ad absurdum führen wollen. Nicht nur, dass Flavias Feminismus dazu führt, dass sie mehr und mehr zur Aggressorin, d.h. innerhalb der filminternen Ideologe: zum Mann, mutiert, sich eine Rüstung anlegt und sinnlose Gewalt zu streuen beginnt, um schließlich als Gehäutete an einem Baum zu enden, auch scheint mir schon Agathe – übrigens vorzüglich verkörpert von Mariá Casares, bekannt aus großen französischen Filmen der 40er und 50er wie Marcel Carnés LES ENFANTS DU PARADIS (1945) oder Jean Cocteaus ORPHÉE (1950), womit sie wohl die renommierteste Schauspielerin sein dürfte, die jemals Fuß in einen italienischen Nonnen-Exploiter gesetzt hat - selbst nicht wirklich eine Identifikationsfigur darzustellen mit ihren grotesk gebleckten Zähnen, ihrem hysterischem Lachen, ihrer ungestümen Raserei. Sollte gerade diese Gestalt von den Herren Drehbuchautoren nicht doch von Anfang an eher als Karikatur entworfen worden sein? Falls nämlich Mingozzi wirklich einen ernsthaften Beitrag zum feministischen Diskurs der 70er Jahre hat beisteuern wollen, muss man ihm doch vorwerfen, mit seiner Materie nicht allzu differenziert und subtil zu verfahren.
5. Ein weiteres großes Thema in FLAVIA ist, neben der Gewalt, die Frauen durch Männer erlitten und erleiden, die Religion. Wie schon Lessing in seinem NATHAN DER WEISE (1779) hat Mingozzi in seinem Film sämtliche drei Weltreligionen vor historischer Kulisse versammelt. Bezeichnend hierbei: eigentliche religiöse Inhalte jedoch bleiben nahezu komplett außen vor. Dass Abraham seiner Flavia die Geschichte von Adams erster Frau Litlith erzählt, die in der christlichen Bibel keine Erwähnung findet, im Judentum aber eine mehr oder minder wichtige Rolle spielt, oder dass Flavia einmal kritisiert, dass Frauen innerhalb des Christentums kaum eine Bedeutung besitzen, sogar die zwölf Apostel bloß Männer gewesen seien, hat nicht so sehr etwas damit zu tun, dass Mingozzi sich mit fundamentalen Glaubensfragen beschäftigen würde, vielmehr stellt er seine Diskussion von Religionen ganz unter das Banner seines (Pseudo?-)Feminismus. So wundert es nicht, wenn alle drei Weltreligionen in FLAVIA auf eine Weise auftreten, die sich weitgehend mit den Bildern deckt, die man im (links-liberalen) Europa der 70er gemeinhin von ihnen gehabt haben mag. Das Christentum ist ein patriarchales Konstrukt, aufgebaut auf eigentlich schönen Werten des Jesus von Nazareth, die dann aber pervertiert und umgeformt wurden zu einer hierarchisch geschichteten Institution, die letztlich jeden unterdrückt, sowohl den Gläubigen, indem er ihn in ökonomisch-sozialen Grenzen hält, die sich eine Revolution jedweder Hinsicht tunlichst verbitten, von den Anders- und Ungläubigen einmal ganz zu schweigen. Die Muslime sind in FLAVIA vor allem an Brutalität, Gewaltrausch und Kriegsführerei gekoppelt. Über den Islam als Religion wird exakt gar kein Wort verloren, dafür behandelt Ahmed, der offenbar gerne Frauen und Alkohol zuspricht und somit recht unislamisch lebt, Flavia wie ein hübsches Dekorationsobjekt, schmückt sie mit Brillanten, ohrfeigt sie, wenn sie ihm widerspricht. Noch die positivste Rolle wird dem Judentum zugeschoben, von dem es in FLAVIA nur einen einzigen Vertreter gibt, den gebildeten, gutaussehenden Abraham, der Flavia aufrichtigen Herzens liebt. Abraham ist eine reine Opferfigur. Von den Christen vor die Stadt verstoßen fristet er seine Tage mit dem Studium der Thora, lebt sparsam, hat außer Flavia scheinbar keine Freunde. Dass er von Ahmed schließlich aus Eifersucht geköpft wird, zeigt, dass der Islam dem Ausgestoßenen ebenso wenig eine Zuflucht bieten kann. In FLAVIA ist das Christentum demnach der status quo, gegen den es zu rebellieren gilt, der Islam die schlimmere Alternative, die, nachdem der anfängliche Befreiungsjubel erstmal verstummt ist, ein noch grausigeres Gewaltregime auf den christlichen Trümmern errichtet, und das Judentum hat eine bemitleidenswerte Sonderrolle, geschmäht und verfolgt von beiden. Für Flavia selbst ist Abraham der einzige Hoffnungsschimmer: eine geglückte Flucht mit ihm hätte ihr, so schimmert es im Subtext des Films durch, einen erfüllten Lebensabend verschafft. Demgegenüber kann sie weder im Christentum noch im Islam ihre Erfüllung finden. In ersterem ist sie fortwährenden Repressionen entworfen, die sie als Frau und als Mensch einschränken, geistig verstümmeln, gewaltsam auf den Knien halten, in letzterem wird ihre Aggression zur Flamme hochgekitzelt, mit der sie Tod und Verderben über ihre Mitmenschen bringt bis sie am Ende selbst in ihr verbrennt. Eine vierte Alternative formuliert Mingozzi übrigens nicht. Er scheint sein Publikum für intelligent genug zu halten, sich selbst einen Reim auf seine Variante der Lessing'schen Ringparabel machen zu können. Trotz aller oben erwähnter Plakativitäten muss man ihm das ebenso hoch anrechnen wie den Kniff, in den letzten Szenen, bei Flavias schon beim Sehen wehtuender Häutung, plötzlich zu enthüllen, dass wir die ganze Zeit im Grunde einer anti-christlichen Heiligenvita beigewohnt haben – wobei natürlich bewusst offenbleibt, ob Flavia, da sie sicher nicht für Gott an ihrem Galgenbaum stirbt, nun Opfer ihrer eigenen Männlichkeit geworden ist oder ob sie ihren Atem tatsächlich für all die unterjochten Frauen aushaucht, in deren Namen es sie zum Kampfe zog.
6. Wofür man FLAVIA heute aber vor allem noch kennt, das sind nicht seine Diskurse über Frauen- und Religionsemanzipation, sondern eine Handvoll surreal-subversiver Szenen im letzten Drittel, die allesamt einem Fiebertraum Flavias entstammen, und, unterlegt mit manchmal unpassend frohlockender, manchmal reichlich düster aufbrausender, immer aber ziemlich schräger Orchestermusik, in loser Reihenfolge Bilder aneinanderreihen, die im streng-katholischen Sinne mehr als nur an Blasphemie grenzen. Konsequent unterzieht Mingozzi in diesen paar Minuten die christliche Ikonographie einer ikonoklastischen Demontage. Das letzte Abendmahl: Männer und Frauen, insgesamt zwölf, sitzen um einen Tisch herum, auf dem eine nackte Frau liegt. Kannibalisch machen sie sich über ihre Mahlzeit her. Dazu: ein nackter, weiblicher Christus am Kreuz. Blut, das aus Heiligengemälden und Wänden sprudelt. Nackte Novizinnen greifen in Großaufnahme nach einer Phalluskerze, von der für jede ein Stück abgehackt wird. Aber das Bizarrste: eine weitere nackte Frau verkriecht sich im ausgenommenen Innenraum eines kopfüber im Klostergang aufgehängten Rinderkadavers, verbringt dort eine Zeit, indem sie irre Blicke in die Kamera wirft bis zwei Männer sie zum Liebesspiel aus ihr herausholen. Gerade in diesen Szenen kann ich Mingozzi wenig bis gar nichts vorwerfen. Rein assoziativ vermengt er in seinem Bilderreigen altbekannte christliche Muster, die uns längst in Fleisch und Blut übergingen, mit grotesken Einlagen, für die es schlicht keine Erklärung geben kann, und offensiven Attacken feministischer Natur. Manches Symbol lässt sich deuten, manches versagt sich jeder Deutung. Dazu ist das Ganze zwar virtuos geschnitten und voller hübscher Kameraschwenks und superb ausgeleuchteter Szenerien, doch übertreibt es Mingozzi auch nie so sehr damit, dass der Film auf letzter Etappe unter der Last seiner aufwieglerischen Bilder zusammenbrechen würde. Wahrscheinlich ist die Traumsequenz wohl das, was am meisten für mich von FLAVIA bleiben wird. Gerade im Zusammenhang mit den dann doch eher konventionell inszenierten Szenen, die sie umlagern, fühlt sie sich an wie ein Riss in einer kohärenten, durchaus sinnerfüllten Welt – ein Riss, durch den etwas Unfassbares einbricht, das man entweder für Gott halten kann, oder für den Teufel.