Miele di donna
Italien/Spanien 1981
Regie: Gianfranco Angelucci
Domiziano Arcangeli, Donatella Damiani, Francisca Fernández, Clio Goldsmith, Luc Merenda, Nieves Navarro, Giuseppe Pennese, Fernando Rey, Adriana Russo, Catherine Spaak, Lino Troisi, Anja Engstrom
OFDB
Italo-Cinema.de
Eine Frau betritt das Haus eines Verlegers und hält ihm eine Waffe unter die Nase. Es ist August, die Temperaturen sind hoch, und sie lässt ihn alle Fenster schließen und die Klimaanlage ausschalten. In dieser schwül-warmen Atmosphäre zwingt sie ihn, das von ihr geschriebene Manuskript laut vorzulesen. Es ist die Geschichte der jungen und etwas naiven Anna, die in einer fremden Stadt ein Zimmer in der Pension Desiderio nimmt. Anna lernt die Besitzerin kennen, deren schlafwandlerisch-erotische Ausstrahlung sie auf rätselhafte Art und Weise gefangen nimmt. Sie lernt den väterlich-älteren Mann kennen, der mit dem gepeinigten Zimmermädchen Ines schläft. Den Tanzlehrer, der versucht mit seinen Schülerinnen zu schlafen, um sein Leben in den Griff zu bekommen („Er ist unten und wärmt sich auf.“ „Der ist doch schon warm.“). Und den geheimnisvollen Mann, der eingeölt meditiert und Kraftübungen macht, und dessen erotische Kraft nicht nur sie kirre macht.
Es ist 1981, und die italienische Filmwirtschaft ist am Rande des Abgrundes. Aber noch ist es möglich, dass große Schauspieler wie Fernando Rey oder Catherine Spaak in dem einzigen Film eines Regisseurs mitspielen, der außer der Zusammenarbeit mit Federico Fellini nichts vorzuweisen hat. Ein Film, der heutzutage schamvoll im Nachtprogramm versteckt werden würden, unterbrochen von tausenden von Werbeblöcken, einer dümmer als der andere, und damit jegliche Absicht oder Idee des Regisseurs vollständig und von vornherein zerstörend. Die wenigen Zuschauer wären, so sie nicht nach 10 Minuten sowieso einschlafen, komplett enttäuscht wegen der wenigen Schauwerte und würden zwischen den erheblich freizügigeren und eindeutigeren Werbeblöcken aufs Klo gehen, während diejenigen Zuschauer, die das Gesehene gerne in Worte fassen, dann Wertungen irgendwo zwischen 0 und 1 vergeben würden.
Denn sind wir mal ehrlich, kein normaler Mensch würde sich diesen Film als DVD in die Sammlung stellen! Auf dem Cover, je nach Ausgabe, eine junge Rothaarige oder Blondine (von denen keine mit dem Film etwas zu tun hat), hinten ein sehr unvorteilhaftes Bild von Clio Goldsmith welches vom Kauf mutmaßlich abhält, und eine Inhaltsangabe, die eher eine Ausstrahlung auf irgendeinem Privatsender nachts um halb drei nahelegt. Womit sich der Kreis schließt…
Ich bin aber kein normaler Mensch. Ich bin ein Maulwurf, und wühle mich gerne durch die vergessenen Filme der Jahrzehnte. Und mit HONIGMUND habe ich endlich mal wieder eine echte Kostbarkeit gefunden. Einen Schatz, der mit seinen Vorzügen nicht hausieren geht, und dessen persönliche Hebung umso erfreulicher ist.
Es beginnt damit, dass Anna im Taxi durch eine morgendlich-leere Stadt fährt, auf der Suche nach der Pension Desiderio (= Wunsch). Dort angekommen beobachtet sie zuerst heimlich die Besitzerin beim vorsichtigen Liebesspiel mit einem Unbekannten, bevor sie überhaupt erst mal willkommen geheißen wird. Da ihr Zimmer noch nicht frei ist darf sie ein Bad genießen. Und der Zuschauer beginnt an dieser Stelle, gemeinsam mit Anna, die Pension kennenzulernen. Unendlich scheinend verwinkelte Flure, ein Labyrinth wie ein langer Gedankengang, überall Türen die sich in Räume öffnen können, und jeder Raum birgt ein anderes Geheimnis. Eine andere … Phantasie? Der Raum des geheimnisvollen Mannes ist eingerichtet wie ein fernöstlicher Trainingsraum, in Bambus und Holz gehalten, mit Fellen und Teppich, beleuchtet durch Öllampen, und mittendrin dieser muskulöse, eingeölte Mann, der sich mit Yoga und Krafttraining fit hält. Der väterliche Mann wohnt in einem Zimmer im Stil der 20er-Jahre, rasiert sich nass, hört dazu Arien von Puccini und singt mit. Das Badezimmer der Pension erweckt Trugbilder der Besitzerin, während Annas Zimmer, dass sie dann irgendwann beziehen kann, dem Raum einer Klosterschule nachgebildet ist. Inklusive der gestrengen Sittenlehrerin mit Rohrstock! Nieves Navarro, die Zucht und Ordnung lehrt …
Gedanken. Phantasien. Wünsche. Vorstellungen. In der Pension Desiderio ist alles möglich. Und über allem schwebend, oder außenrum, je nachdem wie man das sehen möchte, die Rahmenhandlung mit der Schriftstellerin und dem Verleger, die selber wie aus einem Traum erscheint.
Traum ist das passende Stichwort. Auch ohne den inflationären Einsatz von Weichzeichner schafft Angelucci es mühelos, eine träumerische Atmosphäre zu erzeugen. Eine zauberische Stimmung, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Die Pension erweist sich als Labyrinth der Wünsche und der Lüste, ohne aber, und das ist das Entscheidende, diese Lüste zu zeigen oder allzu offensiv auszuleben. Clio Goldsmith ist die Einzige die sich auszieht, alle anderen deuten nur an. Selbst Luc Merenda, dessen Prachtkörper von der Kamera ausgiebig bestaunt wird, hat einen hocherotischen und spannenden Moment beim Ausziehen, gefolgt von einer umwerfenden Abblende. Oft bleibt die Kamera genau an dem stehen, was der Voyeur so dringend sehen will. Die Brüste sind meist knapp unterhalb der Kadrierung zu vermuten, wobei das beschnittene Format der deutschen DVD dem Rezensenten da auch einen Strich durch die Wunschvorstellung machen könnte. So oder so ist HONIGMUND kein Film für Freunde allzu nackter Tatsachen, der Film zeigt ohne wirklich zu zeigen. Er lässt vermuten, lässt Lust und Vorfreude erwachen, aber ohne dabei explizit zu werden. Einmal nur ist Ines kurz zu sehen. Das hässliche kleine Entchen, das so gern ein Schwan wäre, und das bei einem Liebesakt mit dem väterlichen Mann gezeigt wird, während Anna, einen Plüschschwan an sich pressend, unter ihrem Bett verborgen ist und die Szenerie im Spiegel beobachtet.
Erotik ist für die Stimmung, Pornographie für die Erektion. Ich glaube Tinto Brass hat das gesagt, und HONIGMUND ist eine Bestätigung dieser Weisheit. Wie Alice im Wunderland schlendert Anna durch ein erotisch aufgeladenes Haus, in dem nichts schmierig, gewalttätig oder böse ist. Alles ist gut und rein, es wird aber geschickt dieser betüttelnde David Hamilton-Touch vermieden. Stattdessen wechselt das Bild zwischen einem schönen und leichten Traum einerseits und einer nicht-geradlinigen Realität andererseits. So wie Träume halt nun mal sind. Und weil wir hier von Träumen reden, wechselt Anna auch des Öfteren mal die Kleidung. Mal ist sie als Rotkäppchen unterwegs, mal als Serviermädchen und mal als Klosterschülerin. Phantasien eben. Wünsche …
Die Rahmenhandlung um Fernando Rey als Verleger und Catherine Spaak als Revolverlady unterbricht diese Träume zwar gelegentlich, ohne sie aber in ihrer Entfaltung wirklich zu zerstören. Nicht nur, dass einige Szenen, die narrativ schwierig aufzulösen gewesen wären, so ein geschicktes Ende erfahren, sondern diese schlafwandlerische Stimmung pflanzt sich hier auch fort. Beide Szenarien sind in hohem Grade stil- und geschmackvoll, wobei gerade der Moment, wenn Catherine Spaak mit linken Hand Champagner aus der Flasche trinkt, während die andere Hand nach wie vor mit der Pistole den Verleger in Schach hält, geradezu formvollendet wirkt.
Nach dem Film möchte man mit Anna gemeinsam durch die Phantasien stromern. Seine eigenen Wünsche hinzufügen, Annas Gedanken erfahren, und sich einem Traum hingeben in der Hoffnung, dass er niemals enden möge. Die Verlorenheit Annas am Ende des Films ist jedenfalls fast körperlich zu spüren und überträgt sich ein wenig auf den Zuschauer, der so gerne mehr solcher seltenen Filme sehen würde …
7/10