Messalina - Enrico Guazzoni (1923)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Messalina - Enrico Guazzoni (1923)
Originaltitel: Messalina
Produktionsland: Italien 1923
Regie: Enrico Guazzoni
Darsteller: Rina De Liguoro, Augusto Mastripietri, Gino Talamo, Gianna Terribili-Gonzales, Lucia Zanussi, Gildo Bocci, Aristide Garbini
Nach D'Amatos Sperma-Schmuddel-MESSALINA von 1996 und Umberto Lenzis Pulp-Pelum-Messalina in L'ULTIMO GLADIATORE von 1964 nun also die Stummfilmvariante aus der Feder und Kamera Enrico Guazzonis...
1923 sind die Jahre schon ein Weilchen her, in denen die italienische Filmindustrie mit Kolossalfilmen à la Giovanni Pastrones CABIRIA (1914) sowohl künstlerische wie kommerzielle internationale Erfolge feiern konnte. Längst hat der stiefelländischen Kinematographie das sich formierende Hollywood-System sämtliches Wasser abgegraben. Zwar sterben noch immer Diven melodramatische Tode oder saugen ihren Liebhabern genauso melodramatisch das Blut aus, und zwar lässt noch immer Bartolomeo Pagano als Muskelmann Maciste Bizeps und Trizeps spielen. Gerade in ihrer Formelhaftigkeit, ihrer Saftlosigkeit, ihrer weder ästhetisch noch technisch nennenswerten Innovationen kreisen all diese Genre-Filme jedoch um sich selbst wie die Katze, die dem eigenen Schwanz hinterherjagt – eine Katze wohlgemerkt, die im Ausland kaum jemand auf seiner Leinwand wissen will, weshalb die italienische Kinos seit Ende des Ersten Weltkriegs hauptsächlich mit Exporten bespielt werden, und sich die heimische Produktion durchschnittlich bei gerade mal zwanzig Werken pro Jahr einpendelt. In dieser desaströsen Situationen versuchen die seit 1922 die Staatsmacht stellenden Mussolini-Faschisten aus längst eingetrockneten Weinschläuchen neues Leben sprudeln zu lassen: Weshalb nicht ein Revival der Monumentalepen initiieren, die Italien einst zu einer der führendsten Filmnationen gemacht haben, - zumal Imperium-Romanum-Pomp den frischgebackenen Machthabern sowieso äußerst zupass kommt, sieht Mussolini sich doch dezidiert in der Nachfolge antiker Caesaren und träumt davon, die Glorie des römischen Weltreiches wieder aufleben zu lassen. Als Regisseur, Drehbuchautor, Produzent sogleich zur Stelle ist Enrico Guazzoni, der beispielweise bereits 1912 eine frühe Verfilmung von Henryk Sienkiewiczs QUO VADIS? auf den Weg brachte, und 1914 das politische Leben des CAJUS JULIUS CAESAR verfilmt hat; als Stoff soll jedoch weniger eine plakative Heldenverehrung dienen und auch nicht das Schiksal verfolgter Christen im Vordergrund stehen, sondern sich die Fabel stattdessen ganz auf die berühmt-berüchtigte Ehefrau des Kaiser Claudius, Messalina, konzentrieren, die in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung eines Tacitus oder Cassius Dio noch gut wegkommt, wenn man sie einzig als Nymphomanin bezeichnet; die Hauptrolle vertraut man Rina De Liguoro an, die bislang zwar auf eine eher überschaubare Leinwandlaufbahn in Nebenrollen zurückblickt, jedoch angesichts der Art und Weise, wie vorliegender Film sie auf ein Podest mit Fug und Recht den Titel trägt, eine der letzten Diven des italienischen Stummfilms zu sein.
Nachdem der zunehmend in Wahnsinn versunkene Caligula durch die eigene Prätorianergarde ausgeschaltet worden ist, erbt die römische Kaiserkrone sein Onkel Claudius. Was dieser nicht ahnt: Seine Ehefrau Messalina sieht seinen Karriereaufstieg vor allem als Chance, zum einen noch mehr Macht zu gewinnen, und zum andern diese Macht zu nutzen, um sich noch leichter als bisher von einem erotischen Abenteuer ins nächste stürzen zu können. Des Nachts, wenn im kaiserlichen Palast die Lichter ausgegangen sind, entschlüpft sie in die Finsternis, um aus den Schenken der übelbeleumdeteren Stadtviertel flüchtige Bekanntschaften in ihren Schoß zu ziehen. Als sie von einigen Rabauken überfallen wird, ist es der persische Sklave Ennio, der ihr das Leben rettet, und für den die sonst so wankelhafte Frau ad hoc tieferschürfende Gefühle entwickelt. Dem Glück Messalinas in den Armen Ennios steht jedoch zweierlei im Wege: Zum einen ist Ennio bereits in die Sklavin Egle verliebt, und erwidert die Liebe Messalinas mit keinem Pochen seines Herzens; zum andern hat auch die Isis-Priesterin Mirit ein Auge auf Ennio geworfen, und möchte Messalina als unliebsame Konkurrentin nunmehr mit ihrem Arsenal an Zaubersprüchen aus der altägyptischen Mystik außer Gefecht setzen…
Die Lüsternheit, die mir aus Guazzonis MESSALINA entgegenschlägt wie der schwüle Atem der Pontinischen Sümpfe, hat mich ähnlich überrascht wie die atemberaubende Inszenierung eines Wagenrennens, an dem Ennio teilnimmt, als er erfährt, dass dem Sieger von Claudius höchstselbst die Freiheit geschenkt werden soll. Eine Szene, in der Egle von ihrem zutiefst moralisch verkommenen Besitzer, einem feisten Lustgreis aus dem Bilderbuch, wider ihren Willen ins Schlafgemach gezerrt wird, wo er wildbrünstig über sie herzufallen gedenkt, und ihn nur ein Fausthieb des rechtzeitig herbeieilenden Ennio von seinem Plan Abstand nehmen lässt, erwies sich mir als ähnlich aufgeladen mit frivolen Funken wie die exotisch-erotischen Rituale, denen Mirit sich hingibt, um zwischen Rauchwolken und transparenten Kleidern ihre Liebeszauber zu entfachen. All diese Schauwerte in den Schatten stellt indes das Herz- und Filetstück des Films, das erwähnte Wagenrennen, das nicht ohne Grund von Fred Niblo für seinen Hollywood-BEN-HUR zwei Jahre später nahezu 1:1 kopiert worden ist: Da überstürzen sich die niederbrechende Pferde, als habe man noch nie von Tierschutz gehört; da leisten sich Stuntmänner Aktionen, bei denen man um ihren Hals fürchtet; da toben die Publikumsmassen in der Arena, ganz gemäß Guazzonis Ansatz, vor allem dann auf den Putz zu hauen, wenn es darum geht, Triumphzüge oder Volksansammlungen auf überwältigende Weise ins Bild zu fassen. MESSALINA ist sicher kein Film, der Gefangene macht, deshalb aber auch ein Film, dem die feinen Töne eher fernliegen: Die Liebesgeschichte zwischen Ennio und Egle bleibt schablonenhaft; die Analyse der Machtstrukturen im frühen Kaiserreich bleibt an Oberflächlichkeiten kleben; selbst Rina De Liguro wirkt, obwohl sie gefühlt die Hälfte ihrer Screentime in Großaufnahmen zu sehen ist, verglichen mit Konkurrentinnen wie Francesca Bertini oder Lyda Borelli seltsam blass. Aber das Anliegen Guazzonis ist es sicher nicht gewesen, eine komplexe Geschichte zu erzählen und seine Figuren psychologisch zu durchdringen. Und dafür, dass das frühe italienische Monumentalkino im Jahre 1923 eigentlich längst zu Grabe getragen worden war und letztlich auch während des Faschismus keinen zweiten Boom erfahren sollte, beeindruckt MESSALINA letztlich doch durch seinen konsequenten Willen, sich mit seiner attraktionsgeilen Megalomanie bis zur Erschöpfung zu verausgaben.