Phantom der Oper - Joe D'Amato (1998)

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Salvatore Baccaro
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Phantom der Oper - Joe D'Amato (1998)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Il Fantasma

Produktionsland: Italien 1998

Regie: Joe D'Amato

Darsteller: Eva Henger, David Perry, Chris Charming, Remigio Zampa, Alighiera Olena, Nicol
Hätte sein 1910 erstmals erschienener Roman LE FANTÔME DE L’OPÉRA nicht eine schier unüberschaubare Menge an Leinwandadaptionen nach sich gezogen, wäre das Oeuvre des französischen Journalisten und Schriftstellers Gaston Leroux (1868-1927) möglicherweise längst der Vergessenheit anheimgefallen und höchstens noch für Literaturwissenschaftler von gesteigertem Interesse. LE FANTÔME DE L’OPÉRA, bis heute sein mit Abstand bekanntestes und erfolgreichstes Werk, kann man gut und gerne als weitgehend in der Tradition des sogenannten Schauerromans stehend betrachten, der seine Blütezeit allerdings bereits knapp einhundert Jahre vor Leroux‘ Buchveröffentlichung, in der Zeit um 1800, erlebt hat. Im Prinzip ist Leroux‘ Konzept so einfach wie brillant: er übernimmt die altbekannten Ingredienzien der Genre-Literatur wie Tapetentüren, geheime Folterkammern, vermeintliche Gespenstererscheinungen, Entführungen von hübschen, jungen Frauen sowie deren heroische Befreiungsaktionen durch ebenso hübsche, junge Männer, und verfrachtet sie lediglich in einen neuen Kontext. Während sich das Ganze im Schauerroman noch zumeist auf irgendwelchen angeblich verwunschenen Raubritterburgen und Festungsruinen abgespielt hat, wird bei Leroux das Pariser Opernhaus zu einem Füllhorn an Wunderlichkeiten. Die Motive mögen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in etwa dieselben sein wie Ende des siebzehnten, trotzdem hat die Moderne inzwischen Einzug in die Horrorliteratur gehalten: der Schrecken findet eben nicht mehr in einer pseudo-historischen Vergangenheit, in namenlosen Wäldern oder fiktiven Schlössern statt, sondern mitten unter uns, in einem Opernhaus, das täglich von hunderten Menschen besucht wird und inmitten einer pulsierenden Metropole liegt.

Alles in allem setzt Leroux‘ Roman sich aus folgenden drei Hauptplots zusammen. Etwa vierzig Prozent sind der schmachtenden und natürlich sehr komplizierten Dreiecksliebesbeziehung zwischen der aufstrebenden Opernsängerin Christine Daaé, ihrem Spielgefährten und Verehrer aus Jugendtagen, dem Vicomte de Chagny namens Raoul, und dem Phantom der Oper, das eigentlich auf den Namen Erik hört, verschrieben. Weitere vierzig Prozent widmen sich der spannungs- und abenteuerreichen Entführung Christines durch das Phantom in die Kellergewölbe des Opernhauses, wo dieses sein von unzähligen Fallen geschütztes Domizil hat, beziehungsweise ihrer Befreiung durch Raoul und den sogenannten Perser, einem alten Bekannten Eriks aus dem Orient. Die übrigen zwanzig Prozent befassen sich mit mehr oder minder humorvollen Schilderungen des Opernalltags und wie dieser durch die diversen Machenschaften Eriks auf albern-ulkige Weise aus den Fugen gerät. Anzumerken ist vielleicht noch, dass man bei LE FANTÔME DE L’OPÉRA, obwohl letzten Endes alle übernatürlichen Phänomene auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden, mit menschlicher Logik nicht weit kommt. Gerade das Finale, wenn Erik droht, das gesamte Opernhaus in die Luft zu jagen und Perser und Raoul völlig abstrusen Folterqualen ausgesetzt werden, muss ein Fest für die französischen Surrealisten gewesen sein.

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Abb.1 + 2: Drohung, Ankündigung, Traditionslinie in einem: D'Amato lässt - im wahrsten Sinne des Wortes - die Bilder sprechen

Im Jahre 1998 nun wagt sich nicht nur Dario Argento an eine eigene Verfilmung des spätestens durch Andrew Lloyd Webbers Musical weltberühmt gewordenen Stoffes. Zu gleicher Zeit drängt es Joe D’Amato dazu, der Geschichte seinen persönlichen Stempel aufzudrücken – und der besteht in der Schlussphase seiner Karriere bekanntlich hauptsächlich aus zum Sexgebrauch gedachten Körperflüssigkeiten, sprich: ein bisschen Vaginalsekret, vor allem aber Unmengen an Sperma. Besonders verwundert hat es mich indes nicht, in D’Amatos Oeuvre kurz vor seinem Tod im Januar 1999 eine Leroux-Adaption zu finden, hat der umtriebige Regisseur seine rein quantitativ schier unüberschaubaren Hardcore-Werke doch immer wieder gerne notdürftig mit klassischen Stoffen bekleidet: sei es nun unter Bezugnahme auf die antike Mythologie wie in LE FATICHE EROTICHE DI HERCULES (1997), in Form einer Künstlerbiographie wie in GOYA, LA MAJA DESNUDA (1997) oder indem man gleich Shakespeare bemüht wie in ROMEO E GIULETTA (1996).

IL FANTASMA – übrigens nur einer von insgesamt zweiundzwanzig (!) pornographischen Filmen, die unter Joe D’Amatos Namen im Jahre 1998 veröffentlicht worden sind – beweist schon mit seiner Eröffnungssequenz, dass die Verantwortlichen nicht sklavisch an der literarischen Vorlage kleben werden, sondern sich ihr eigenes Süppchen gekocht haben, ist diese doch augenscheinlich nicht in Paris, sondern in Venedig gedreht worden, wo, wie sie im Vorspann vorgestellt wird, „l’incantevole Eva Henger“ einen ausgiebigen Gondelausflug unternimmt. Eva Henger scheint in den späten 90ern so etwas wie ein Star in der horizontalen Filmbranche gewesen zu sein, und ist in dieser Funktion von Joe D’Amato gleich mehrmals als Hauptdarstellerin verwendet worden. In IL FANTASMA führt die Verehrung soweit, dass Eva Henger sich quasi selbst spielt - immerhin hört ihre Rolle auf den gleichen Namen wie sie im richtigen Leben -, und darüber hinaus eine gefeierte Operndiva ist, die es nach Venedig verschlagen hat, um dort in einer Aufführung von Verdis LA TRAVIATA die Violetta Valéry zu geben. Zunächst aber stößt sie bei ihrer Gondelfahrt auf einen mysteriösen Zeitungsartikel. Berichtet wird von einem gewissen Alan Miller, einem großen Violinisten, der vor geraumer Zeit bei einem Brand im Teatro Odeon – genau dem Opernhaus, in dem Eva am Abend ihren Auftritt absolvieren wird – ums Leben gekommen sein soll. Aus noch nicht weiter durchschaubaren Gründen scheint Eva diese Zeitungsnotiz ziemlich nahe zu gehen, vor allem auf dem abgedruckten Photo des Verbrannten ruhen ihre Blicke lange.

Doch nicht nur Photos, d.h. leblose Bilder, sind es, die ihre Augen entzücken, eine Szene später können sie sich zudem an bewegten ergötzen – um genau zu sein an denen des Finales der wohl nach wie vor populärsten Opernphantom-Adaption, nämlich THE PHANTOM OF THE OPERA von 1925, entstanden unter der Regie von Rupert Julian, aber unter maßgeblicher, auch künstlerischer, Einflussnahme des Titelrollendarstellers Lon Chaney. Während im Hintergrund Szenen aus besagter Verfilmung ablaufen, angeordnet wie eine Pop-Art-Wandvertäfelung und in beißendes Blau getüncht, hat man eine Großaufnahme von Evas interessiert umherguckenden Gesicht in den Vordergrund kopiert, womit wohl der Eindruck erweckt werden soll, sie würde sich in einem Raum voller Leinwände befinden, die alle das Gleiche zeigen. Weder wird diese Szene narrativ noch räumlich oder zeitlich irgendwie verortet, es scheint mehr so zu sein, dass D’Amato eine Metaebene höher so etwas wie eine gewisse Kontinuität zwischen der Lon-Chaney-Adaption und seiner eigenen hat herstellen wollen. Hierfür spricht vor allem ein weiterer ins Spiel gebrachter Zeitungsartikel, diesmal einer, der als Zwischentitel in der 1925er Version vorkommt. Le Matin, eine französische Zeitung, berichtet dort von den rätselhaften Vorkommnissen in der Pariser Oper. In der italienischen Fassung des Lon-Chaney-Films, die D’Amato für IL FANTASMA verwendet hat, lautet die Schlagzeile: Il Fantasma Ritorna!, eine Drohung, die problemlos auch auf vorliegenden Film angewendet werden kann. Um sein Publikum auf das Folgende vorzubereiten, nutzt D’Amato demnach keine großartigen erzählerischen Kunstgriffe. Völlig dem Kino verschrieben muss es das Kino selbst sein, das mit Zeichen und Signalen um sich wirft, die der jeweilige Rezipient dann für sich selbst sinnstiftend zusammenzusuchen und zusammenzusetzen hat.

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Abb.3 + 4: Die Filmgeschichte als Mythenarchiv: ein Porno-Starlett hebt die Schätze der Vergangenheit

Kurz darauf weist der Film dann schon unmissverständlich auf das hin, worauf sein eigentlicher Fokus liegt. Ein Mann, den ich spontan für den Opernhausdirektor gehalten hätte – einen Namen scheint er nicht zu haben, und sowieso wird keiner der Charaktere in IL FANTASMA nennenswert eingeführt, zumindest nicht im dramaturgischen Sinne – läuft mit seiner Assistentin in einem Treppenhaus umher. Nachdem sie die eine Treppe erfolgreich bis zur letzten Stufe hinabgestiegen sind, wirkt es, als würden sie, nach einem Schnitt, der das kaschieren soll, einfach noch einmal die gleiche Treppe hinuntergehen, die im Universum des Films allerdings freilich eine andere Treppe ist. Dabei unterhalten sie sich in der von mir gesichteten VHS-Version auf Italienisch, während Eva Henger in einem Englisch, das derart akzentreich ist, dass ich Mühe habe, auch nur einen Satz davon zu verstehen, aus dem Off nicht etwa ihre Dialoge zusammenfasst, sondern Auskunft darüber gibt, wie sexuell erregend der mutmaßliche Direktor seine wesentlich jüngere und wesentlich knackigere Sekretärin findet. Es kommt wie es kommen muss: zum Samenerguss, nachdem die Sekretärin zunächst von ihrem Chef geleckt worden ist beziehungsweise ihm einen ordentlichen Blow Job hat angedeihen lassen, man es danach kurz mit „herkömmlichem“ Geschlechtsverkehr versucht, schließlich aber viel mehr Gefallen an Analsex gefunden hat. Diese erste Hardcore-Szene dauert knapp elf Minuten und steht paradigmatisch für alle, die noch folgen werden. Tatsächlich sind sämtlich sexuellen Übereinkünfte in IL FANTASMA nach demselben Schema aufgebaut: erst wird einer der Herren mit den stattlichen Gliedern ausgiebig oral verwöhnt, danach findet man sich zu vaginalem und/oder analem Verkehr zusammen, und jeder Koitus endet damit, dass die jeweilige Dame die Samenlast ihres Partners in Zeitlupe, sodass das Sperma wie eine Fontäne aus dem Penis zu spritzen scheint, mitten ins Gesicht bekommt. Da weder die oben skizzierte Szene für die eigentliche Handlung von irgendwelchem weiterführendem Interesse ist noch die, die gleich darauf folgt, und in der Eva sich auf ihren abendlichen Auftritt vorbereitet, indem sie mit einem Hünen, den ich für ihren Manager halte, in der Garderobe kopuliert, überspringe ich das alles hastig und setze erst in dem Moment wieder ein, als Eva endlich auf der Bühne steht und das Mäulchen nicht für Männerergüsse, sondern eine Verdi-Arie öffnet.

In dieser Szene verschlägt es einem fast die Sprache wie sehr D’Amato noch in den Iden seiner Karriere das Talent besitzt, aus Mitteln, die dermaßen reduziert sind, dass man sie unter einer Lupe kaum erkennen könnte, etwas herauszuholen, von dem man zumindest behaupten kann, dass es ungewöhnlich genug ist, im Gedächtnis zu bleiben. Eva steht offenbar erneut vor ihrem Greenscreen, nur dass dort diesmal nicht Lon Chaney wütet, sondern eine stilisierte Opernkulisse eingefügt worden ist. Unsere Heldin selbst steckt in angemessener Divenkostümierung und schafft es manchmal sogar, ihre Lippen fast synchron zu der Konservenaufnahme zu bewegen, die man dazu einspielt. Um die Illusion zu schüren, Eva Henger sei tatsächlich zur Opernsängerin mutiert, und stünde vor einem ausgekauften Haus voller kostspieliger Anzüge und Kleider, schneidet D’Amato Archivaufnahmen von einer wirklichen Opernaufführung dazwischen, darunter ein klatschender Saal sowie das Orchester, dem dieser Applaus gilt. Zugleich entführt er uns hinter die Kulissen, wo bei einer anderen Sängerin Neid und Eifersucht wachsen, wie Eva aus dem Off stammelt. Besagte rothaarige Dame scheint einen Komplott gegen Eva zu planen, um an ihrer Stelle die begehrte LA-TRAVIATA-Hauptrolle zu erlangen, wird dann aber von dem Direktor, der dort ebenfalls herumschleicht, abgelenkt, indem er sie kurzerhand zu einem erotischen Stelldichein überredet. Seltsamerweise verliert IL FANTASMA diesen Plotpunkt, dass nämlich Eva ihr Erfolg geneidet wird und man versucht, sie aus dem Weg zu räumen, später vollkommen aus den Augen, was aber womöglich auch daran liegt, dass die rothaarige Intrigantin bereits eine Szene später noch beschäftigter darin ist, gleich zwei Männer, erneut den vermeintlichen Direktor und dann kurioserweise auch noch Evas Manager, befriedigen zu müssen.

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Abb.5 + 6: Illusionstheater / Methoden der Illusionsbildung

Inzwischen befinden wir uns eine halbe Stunde im Film. Davon sind knapp dreiundzwanzig Minuten reiner Sex gewesen, die restlichen sieben hat man entweder für die Exposition aufgebraucht oder für Evas fulminanten Erfolgsauftritt. Von einem Phantom fehlt bis jetzt jede Spur. Das ändert sich, als Eva, eigentlich auf dem Weg zur großen Sause nach dem Galaabend, eine betörende Geigenmelodie zu Ohren kommt. Beinahe wie unter Hypnose folgt sie der Musik, läuft ihr in den verwinkelten Gassen Venedigs hinterher. Genau erkennen kann sie nicht, wer die ferne Gestalt ist, der sie hinterherstellt. Als sie ihr nahe genug kommt, ist sie außerdem auf einmal spurlos verschwunden. Der Zuschauer befindet sich ihr gegenüber in der angenehmen Lage, das Phantom in seiner ganzen Pracht bestaunen zu können. Es ist eine Figur in schwarzem Mantel und weißer Maske. Letztere wurde offenbar mehr von Webbers bereits erwähntem Musical aus den späten 80ern inspiriert als von der seidenen Maske, die das Phantom in der Romanvorlage, aber auch noch in der Lon-Chaney-Verfilmung getragen hat. Worin D’Amato jedoch ziemlich nahe bei Leroux ist, das ist die Tatsache, dass das Phantom Christina Daaé anfangs ausschließlich mittels seiner ungewöhnlichen künstlerischen Begabung becirct, sodass sie ihm, das sie in der literarischen Vorlage für einen Engel der Musik hält, regelrecht hörig wird und beinahe so weit geht, für den Unbekannten ihren geliebten Raoul in den Wind zu schießen. Gerade die Geige, die D’Amatos Phantom mit sich herumschleppt und mit ihr Evas Herz erweicht, scheint direkt aus dem Roman entnommen, wo eine der vergleichsweise schaurigsten Szene auf einem entlegenen Friedhof spielt, der der Schauplatz einer weiteren musikalischen Zusammenkunft zwischen Phantom und Christine wird, wobei ersteres einer Geige Töne entlockt, die, heißt es, geradewegs aus dem Himmel stammen müssen, so wenig irdisch klingen sie. Das kann man von denen in IL FANTASMA allerdings nun nicht behaupten. Was von der Tonspur fiedelt, ist nicht mal eine echte Geige, sondern ein Keyboard, das eine Geige imitiert, und dass es dies quasi in Endlosschleife, über mehrere Minuten und Sexszenen hinweg, tut, ist der beabsichtigten Wirkung wohl eher abträglich – trotzdem: als selbstverständlich kann man es wohl nicht erachten, in einer Hardcore-Produktion tatsächlich Motive der Literaturvorlage zu finden, die nur jemand kennen kann, der diese gelesen hat (denn in der Lon-Chaney-Verfilmung kommt die Geige beispielweise überhaupt nicht vor.)

Nun, wo Eva einmal von dem engelsgleichen Geigenspiel angefixt worden ist, bekommt sie dieses nicht mehr aus den Gehörgängen. Ebenso ergeht es ihr mit der vermummten Gestalt, die sie nur undeutlich in der nächtlichen Finsternis erspäht hat. Es liegt nahe, dass ihr aufgewühltes Inneres diese Eindrücke in Sexträumen verarbeiten muss. Dort imaginiert sie sich nicht nur hinter der Phantommaske den eingangs erwähnten Alan Miller, der sowohl sie verführt als auch ihre rothaarige Intimfeindin (mit der Eva allerdings in keiner einzigen Szene zusammen zu sehen ist), sondern steigert sich im jugendlichen Übermut gar in eine regelrechte Orgie hinein, bei der fünf Phantome ihr ihre fünf erigierten Glieder hinstrecken, um sie von ihr massiert zu bekommen. Hätte, ebenfalls 1998, nicht Stanley Kubrick Arthur Schnitzlers TRAUMNOVELLE verfilmt, sondern Joe D’Amato, hätte das Ergebnis wohl so ähnlich ausgesehen. Spätestens ab diesem wollüstigen Fiebertraum ist es für mich nicht mehr klar ersichtlich gewesen, wo in IL FANTASMA denn nun eigentlich die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verlaufen, und vermutlich ist das auch gar nicht so wichtig, denn als Eva in der mittlerweile zehnten und letzten Sexszene ihrem Phantom endlich die Maske vom Antlitz reißt, taucht darunter zwar als mäßiger CGI-Effekt, scheint es, die Fratze Lon Chaneys auf, verpufft dann aber genauso abrupt und entblößt das wesentlich heißere Gesicht Alan Millers, für den Eva daraufhin die Schenkel spreizt. Dennoch verwehrt D’Amato dem Film ein beglückendes Ende. Erneut wird Eva vor den Greenscreen gestellt und darf neugierig umherschauen, während hinter ihr Lon Chaney mit seiner Kutsche versucht, vor dem aufgepeitschten Mob, der ihm ans Leder will, zu fliehen. Dann, zurück auf ihrer Gondel und scheinbar im Begriff, Venedig zu verlassen, erklärt sie aus dem Off etwas, das sich mir vielleicht nur deshalb nicht erschlossen hat, weil ihr Englisch für mich noch nach eineinhalb Stunden eine wahre Herausforderung darstellt. In meinen Notizen jedenfalls lautet besagter Satz, in dem Eva, wie den kompletten Film über, von ihrer Rolle in der dritten Person spricht, wie folgt: „She’s really sad because she knows very well that it’s impossible to love him again.“ Soll das bedeuten, dass es sich bei all dem Phantomspuk um eine bloße Phantasterei gehandelt hat, die daher naturgemäß nicht in die sogenannte Realität übersetzt werden kann? Oder ist ihre Liebe zu dem Phantom erloschen, weil sie von ihm bekommen hat, was sie wollte, nämlich handfesten Sex? Oder hat ihre Wehmut einfach damit zu tun, dass sie Venedig verlassen muss, und es deshalb unwahrscheinlich findet, ihren Angebeteten so bald wieder zu sehen? Fragen über Fragen, auf die der Film keine Antwort kennt, und sein Ende möglicherweise gerade deshalb so reizvoll macht.

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Abb.7 + 8: Portrait des Phantoms als junger Voyeur

Zum Schluss muss ich jedoch noch einmal darauf hinweisen, dass sich keiner von mir auf eine falsche Fährte locken lassen soll. IL FANTASMA mag sich auf dem Papier wie eine interessante, originelle Variante der schon viel zu oft gesehenen, gelesenen und gehörten Phantom-Geschichte anhören, darüber sollte aber niemand vergessen, dass der Fokus des Films sowas von eindeutig und sowas von kompromisslos auf purem, ordinärem Sex liegt, dass demgegenüber alles andere schon freiwillig in den Hintergrund tritt. Insgesamt zehn Sexszenen sind es, die IL FANTASMA seinem Publikum anbietet, und die etwa achtzig Prozent seiner Laufzeit ausmachen. An Sexualpraktiken stellt das anale Vergnügen noch die außergewöhnlichste dar, irgendwelche sonstigen kreativen Impulse sollte man getrost woanders suchen. Immerhin eine der Hardcore-Szenen konnte mich, wenn schon nicht aufgeilen, so doch zumindest zu einem ziemlich langen und ziemlich heftigen Lachen reizen. Des Direktors Sekretärin und eine weitere Rothaarige, von der ich keine Ahnung habe, was ihre Rolle in dem Film nun eigentlich gewesen ist, tummeln sich auf einem Sofa, beginnen, sich auszuziehen, beißen aneinander rum. Neben ihnen sitzt Evas Manager und liest in einem schweren Folianten. Immer mal wieder hebt er die Blicke, schaut den beiden Damen ausdruckslos dabei zu wie sie sich gegenseitig mehr und mehr anheizen. Schließlich nimmt ihm eine von ihnen das Buch aus der Hand. Achselzuckend, so, als würde er sich sagen, dass er nun sowieso nichts mehr daran ändern können, lässt der Herr sich auf die Verführung ein, und treibt es anschließend mit den beiden Damen, während sein Wälzer als stummer Zeuge auf dem Tisch liegen bleibt.
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Reinifilm
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Re: Phantom der Oper - Joe D'Amato (1998)

Beitrag von Reinifilm »

Eva HENGER ist ja als Name für 'ne Pornodarstellerin irgendwie nicht so gut gewählt. :kicher:
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Salvatore Baccaro
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Re: Phantom der Oper - Joe D'Amato (1998)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Irgendeine barmherzige Seele hat sich die Mühe gemacht, die paar wenigen Szenen dieses Films, in denen kein Geschlechtsteil ins Bild ragt, zusammenzufassen und bei youtube hochzuladen:
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jogiwan
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Re: Phantom der Oper - Joe D'Amato (1998)

Beitrag von jogiwan »

die andere Zusammenfassung würde wohl mehr Sinn ergeben... ;)
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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