Quando l'amore è oscenità - Renato Polselli (1980)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Quando l'amore è oscenità - Renato Polselli (1980)
Regie: Renato Polselli
Herstellungsland: Italien 1980
Darsteller: Isarco Ravaioli, Mirella Rossi, Dino Strano, Brad Euston, Franca Grey, Antonio Maronese, Marcello Bonini Olas, Ivana Giordan, Anna Ardizzone
Wenn die Liebe Obszönität ist, tja, was geschieht dann? Auf jeden Fall verabreicht Renato Polselli seinen sieben, acht, neun Sinnen, von denen ich ihm in meiner Kurzkritik zu DELIRIO CALDO noch bescheinigt habe, sie einigermaßen unter Kontrolle zu haben, die unaussprechlichsten Drogen, deren Wirkung es ist, dass sie in besinnungsloser Geilheit übereinander herfallen, während der Maestro seine Kamera zückt, um nicht Gefahr zu laufen, auch nur ein perverses Detail nicht für die Nachwelt festzuhalten.
Wenn die Liebe Obszönität ist, dann bekommen selbst die italienischen Zensoren rote Ohren. Denen war QUANDO L’AMORE È OSCENITÀ zum Entstehungszeitpunkt dann doch einen Tick zu obszön, weswegen er erst im Jahre 1980 veröffentlicht werden konnte. Ursprünglich gedreht worden ist er, so will es die Meisterzählung, bereits 1973, zu einem Zeitpunkt also, als Polselli gerade an RIVELAZIONI DI UNO PSICHIATRA SUL MONDO PERVERSO DEL SESSO arbeitete. Das wiederum ist ein Werk, das einiges mit OSCENITÁ verbindet. Der Titel deutet es schon an: ein angeblicher Psychiater hat einige ausgewählte Studenten in seiner Privatwohnung versammelt, um mit denen einfach mal ganz ungezwungen über Sex und seine Abarten zu plaudern. Lose montiert, ohne rechten roten Faden, reihen sich da Sexszenen unterschiedlichster Stoßrichtung, mal deftiger Hardcore, mal alberner Softcore, aneinander, allesamt eingeleitet von natürlich dem wahren, prallen Leben entnommenen Zeitungsmeldungen diverser sexuell motivierter Straftaten. Die Bezeichnung Sex-Mondo trifft es wohl am besten, stellt man sich darunter so etwas wie das Mattei- und D’Amato-Gemeinschaftsepos LIBIDOMANIA vor, das heißt: ein wirres Sammelsurium von Blödeleien, Fummeleien und echt Abstoßendem. Die Bezeichnung Experimental-Porno wäre vielleicht auch nicht schlecht, da RIVELAZINOI zumindest im ersten Drittel eine äußerst, nicht nur die Länge betreffend, ausschweifende Hardcore-Sequenz beinhaltet, bei der zu psychedelischen Farbspielen und Rockklängen in einer Disco gegangbangt wird. Dass der ganze Rest, das Wichsen eines Hundepenis, klamaukhaftes Geplänkel mit irren Typen, die sich einen darauf herunterholen, eine nackte Frau mit einem Bügeleisen zu streicheln, sowie sattsam aus SCHULMÄDCHEN-REPORTEN bekannte gestellte Interviewszenen und das obligatorische Lüften des Jungfernhöschens und –häutchens, von einem pseudo-wissenschaftlichen Deckmäntelchen immerhin so weit verhüllt ist, dass einzig die primären Geschlechtsteile noch darunter hervorblitzen, mag mit ein Grund sein, weshalb RIVELAZIONI nicht das Schicksal von OSCENITÁ erlitten hat. Dessen ursprüngliche, wohl für immer verlorene Fassung soll nämlich hauptsächlich von chauvinistischen und misogynen Motiven geprägt gewesen sein. Ganz anders tönt da schon die Tonspur der 1980 in die Bahnhofskinos gekreuchten Version. Polselli, der den Film schlicht neu hat synchronisieren lassen, hat inzwischen eine fadenscheinige Metamorphose durchlaufen. Beinahe feministisch poltert OSCENITÁ auf einmal daher, wenn seine Protagonisten, erneut eine illustre Runde aus Frauen und Männern, die nichts Besseres zu tun haben als über sexuelle Normverletzungen zu philosophieren, darunter einige Gesichter und Brüste, die man zur Genüge bereits aus RIVELAZIONI kennt, solche Sätze im Mund führen wie, dass die Frau über die Jahrtausende hinweg stets das Opfer maskuliner Gewalt gewesen sei, womit sich die Männer indes, metaphorisch gesprochen, selbst kastriert hätten, oder aber der Film in dem versöhnlichen Finale ausklingt, dass jede Perversion letztlich doch nur eine Form von Liebe sei, und damit fast zu einer neoliberalen Toleranzpredigt gerät. Aber, man bedenke, wer hier auf dem Regiestuhl sitzt. Polselli kann Feministinnen und Frauenrechtlerinnen täuschen, mich nicht. Immerhin kann ich mir zusammenreimen, dass beispielweise die Actrice, die sich von einem Esel ficken lässt – allerdings interessant, das mal zu sehen, ist ihre Technik doch recht eigenwillig: sie krallt sich unter den Bauch des Tieres, das ruhig, fast stoisch, in seinem Stall steht und rammelt das erigierte Eselsglied, während sie an ihm hängt wie ein Faultier an seinem Schlafast -, das wohl eher kaum aus weltanschaulicher Überzeugung tut, und die vielen vorexerzierten Grausamkeiten, wie man denn nun Frauen am effektivsten und qualvollsten den Garaus macht – tolle Idee: einfach in die volle Badewanne schupsen und ihr eine Glasplatte auf den Körper drücken -, tragen ebenso nicht dazu bei, mich mit der Vorstellung anfreunden lassen zu können, wie Polselli mit geballter Faust und erhobenem Transparent durch die römischen Gassen marschiert, um die Herrschaft der Vulva über das gemeine Gemächt zu fordern. Die Zensoren indes mögen ihm da auf den Leim gegangen sein. Ihr Verdienst: OSCENITÁ ist nicht im Sumpf der unveröffentlichten Meisterwerke ersoffen.
Wenn die Liebe Obszönität ist, dann, ich deutete es schon an, lässt sich Polselli nicht von irgendwelchen etymologischen Spielerein beirren, nein, die Kamera muss standhaft sein wie ein Eselpenis, und draufhalten, was das Zeug hält. Obszön, das kommt ja eigentlich von ob scenum, und bezeichnet damit im Theater der Antike das, was außerhalb der Szene liegt. Da liegt es nun nicht, weil es nicht auf die Szene will, sondern weil, umgekehrt, die Szene es nicht wollen darf. Manche Dinge mutet man seinem Publikum eben einfach nicht zu. Man nennt das Moral, ein Begriff, den Polselli wohl entschieden verwerfen würde. Wenn beispielweise Ödipus, nachdem er begriffen hat, mit wem er geschlafen und wen er am Kreuzweg erschlagt hat, sich die Augen aussticht, dann ist das, man befrage unter anderem mal Dr. Freud, eine symbolische Handlung, eingesetzt für die Kastration, die eigentlich gemeint ist. Die darf jedoch nicht auf die Bühne, denn eine Selbstentmannung ist, wie man weiß, eine Obszönität. Wäre Polselli ein Regisseur in der griechischen Polis gewesen, hätte er der Kulturgeschichte womöglich schon vor Jahrtausenden die ersten subversiven Sex-Spektakel geschenkt. Zugute halten muss man ihm: er belügt uns nicht. Die Männer, die Frauen, selbst die Tiere in OSCENITÁ sind wie Gott sie schuf. Nicht wunderschön, sondern recht hässlich. Das ist kein Hochglanzporno, das ist die ungeschminkte Wirklichkeit. Unansehnliche Frauen lassen sich von bierbäuchigen Rockern nehmen, delirierende Vergewaltiger prügeln sich mit anderen delirierenden Vergewaltigern darum, wer die Frau, die schreiend daneben steht, zuerst vergewaltigen darf, und das Eselchen hab ich ja schon erwähnt. So ist die Welt, scheint Polselli mir mit auf den Weg zu geben und mich dadurch zu der Frage zu führen: sehe ich selbst denn wirklich auch so eklig aus, wenn ich Sex habe? Ja, ruft Polselli mir hinterher, und bewirft mich mit einer weiteren Ladung schmuddeliger, schmieriger Ferkeleien. Hatte RIVELAZIONI immerhin noch eine Szene, die den einen oder anderen möglicherweise stimulieren könnte, fehlt das in OSCENITÁ völlig. Das ist ein Film, in dessen Mittelpunkt Sex steht, und zwar in großen, öligen Lettern, und der wohl trotzdem kaum jemandem dazu animieren wird, seinem Beispiel zu folgen und selbst sexuell tätigt zu werden. Danach hat man erstmal genug. Wie viele Mönche und Nonnen mögen aus OSCENITÁ resultiert sein? Nein, im Ernst: ich erspare mir einen langen Spaziergang in die rot- und zwielichtigen Gegend dieser Stadt. Nie war der Geschmack von Sperma bitterer und nie haben die Lustschreie williger bzw. willenloser Mädchen mehr dem Schreien von Vögeln geähnelt, die in ihrer fortwährenden Pein den Dschungel zum akustischen Folterkeller werden lassen.
Wenn die Liebe Obszönität ist, dann ist sowieso alles erlaubt, oder? Na gut, das hab ich von Dostojewskij. Der schreibt in einem Brief: wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt. Polselli erlaubt sich rein filmisch ebenso, wenn nicht alles, so doch zumindest ziemlich viel. Offen gebe ich zu: ich habe OSCENITÁ nicht verstanden. Damit meine ich nicht: ich könnte nicht irgendetwas Hochtrabendes in ihn hineininterpretieren. Nein, ich glaube, mittlerweile bin ich so trainiert, dass mir das noch beim miesesten Hinterhofporno gelingt. Vielmehr: ich habe nicht begriffen, worum es in ihm eigentlich geht. Na gut, das Anfangsszenario ist halbwegs klar: Männer, Frauen, Dialoge, Sex, genauso wie in RIVELAZIONI. Und sonst? Wilde Schnitte, Rückblenden, Traumsequenzen. Plötzlich: Schwarze Messen im achtzehnten Jahrhundert, unverständliche Monologe aus dem Off, während Männer und Frauen sich an Sonnenstränden haschen, dann eine Reise ins Paradies von Adam und Eva, wo nackte Frauenleiber mit Blättern beworfen werden. Zwischendurch: Motorradwettrennen zwischen Bikern, bei denen der, der als Erster am Ziel, natürlich eine Frau, ist, diese begatten darf, unansehnliches Gebumse, und, ach ja, habe ich schon erwähnt, dass da eine menschliche Vagina einen animalischen Eselpenis verschlingt? Am Ende schließlich platzt der Sinn aus allen Nähten und fließt wie grobkörniger Zervixschleim aus dem Zelluloid heraus, wenn sämtliche Protagonisten den Verstand, den sie sowieso nie hatten, verlieren und mit Peitschen aufeinander losgehen, dass es eine wahre Lust ist – oder eben eine Obszönität. Polselli bleibt sich treu. Genauso wenig wir mir bislang jemand die nackte Story von RITI, MAGIE NERE E SEGRETO ORGE NEL TRECENTO hat erklären können, genauso muss man wohl an OSCENITÀ scheitern. Die dumpfe Ahnung beschleicht mich: würde ich jemals Halluzinogene einwerfen und in die erbärmlichsten Gegenden der Stadt spazieren, könnte ich am nächsten Morgen, ausgenommen, zerbeult im Straßengraben liegend, auf Erinnerungen zurückgreifen, die so ähnlich aussehen wie das, was Polselli hier auf die Menschheit loslässt, um ihr einen Spiegel vorzuhalten, dessen Glas mit Smegma, Erbrochenem und ein, zwei Zettelchen ihres Kontexts entrissener Zitate berühmter Philosophen und Psychologen gesprenkelt ist.
Ach ja: Den Esel hab ich schon erwähnt, oder?!