The Challenge - Yuri Ancarani (2016)

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Salvatore Baccaro
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The Challenge - Yuri Ancarani (2016)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: The Challenge

Produktionsland: Italien/Frankreich 2016

Regie: Yuri Ancarani

Cast: Steinreiche Saudi-Scheichs, ihre Falken und die Täubchen, die diese bei der Beizjagd erlegen


Als ob Sergej Parajanov im Jahre 2016 einen Dokumentarfilm über das Falknerei-Hobby steinreicher Saudi-Scheichs drehen würde, die sich alljährlich irgendwo in der Arabischen Wüste treffen, um ihre Greifvögel gegeneinander ins Taubenjagd-Rennen zu schicken…

Ein Vorwurf, der dem Film des italienischen Regisseurs Yuri Ancarani in den von mir gesichteten Netzkritiken immer wieder gemacht wird, ist, dass er sein Publikum völlig allein mit seinem Sujet lassen würde. Es gibt keinen Off-Kommentar, keine Hintergrundinformationen zur Kulturgeschichte der Beizjagd in islamischen Ländern, wir erfahren nichts über die Lebenumstände der Männer, die mit Motorrädern, Luxuskarossen, Privatjets in die Wüste aufbrechen, um unter Beweis zu stellen, wie grazil und zielsicher ihre Falken Täubchen vom Himmel holen können. Gerade diese Verweigerungshaltung, uns mit irgendwelchen nüchternen Fakten zu versorgen, führt allerdings zu einer besonderen Qualität von THE CHALLENGE. Dieser gerade mal siebzigminütige Film ist ein nahezu surrealer Schlüssellochblick in ein exotisches Paralleluniversum: Männer, die sich um Geld keine Gedanken machen müssen, die einen puren Hedonismus und Materialismus ausleben, die ihre Falken auf vergoldeten Stangen schlafen lassen, und die nichtsdestotrotz fünfmal am Tag zwischen Sanddünnen ihre Gebetsteppiche ausbreiten, um sich ihrem Gott zu Füßen zu werfen; der gigantische Aufwand, der da betrieben wird, mitten in der Wüste eine Leinwand aufzubauen, eine Bühne, auf der die Kontrahenten den einzelnen Jagden zuschauen, und wie absurd es wirkt, dass ein enthusiastischer Sportkommentator die jeweilige Verfolgungssituation wortreich begleitet; diese schrankenlose Dekadenz, mit einem zahmen Gepard anzureisen, oder mit dem Privatflugzeug, dessen Inneres anmutet wie eine Luxushotelsuite, und wie man sich abends in den am Wüstenrand gelegenen tatsächlichen Luxushotelsuiten trifft, um einander gönnerhaft die Schultern zu klopfen und die Falken auf ihren vergoldeten Stangen anzuhimmeln.

Unterstrichen werden diese surrealen Qualitäten des Films noch durch die distanzierte, strenge Inszenierung: Kaum Kamerabewegungen; präzise Bildkompositionen; gezeigt wird oft nur das, was absolut relevant ist, und manchmal nicht mal das wirklich. Nur selten bricht Ancarani aus seinem selbstgewählten Asketismus aus: Dann, wenn wir das Treiben aus der Perspektive der Handykamera eines der Scheichs zu sehen bekommen, und die akkurate Schönheit der restlichen Einstellungen von chaotisch verwackelten Amateurbildern vertrieben wird; oder im erstaunlichen Finale, wenn Ancarani eine kleine Kamera an einem der Falken befestigt und wir seinen Flug aus wortwörtlicher Vogelperspektive erleben. Trotz (oder gerade wegen) der Zurückhaltung, die der Film an den Tag legt, wimmelt es nur so von unvergesslichen Szenen: Die Täubchen, die opferlammgleich in ihren Käfigen darauf warten, in die Lüfte entlassen und damit den Falkenkrallen ausgeliefert zu werden; die Falken, weniger Täter, sondern selbst bemitleidenswerte Insassen goldener Käfige, die im Flugzeug transportiert werden, und dabei wie manisch die Köpfe hin und her zucken lassen; der Gepard auf dem Beifahrersitz oder die Falkenhalle zu Beginn, wo es überall flattert und schnattert, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst hinsehen und hinhören soll – und, falls das nötig gewesen wäre, eröffnet THE CHALLENGE auch noch mit einer außerordentlich rätselhaften Reminiszenz an Kubricks 2001…

Zumindest meinen Nerven hat diese eigenartige Mixtur aus entschleunigtem Experimentalfilmkino und betont nüchternem Dokumentarfilmkino getroffen wie das Hämmerchen beim Arzt, das einem das Bein in die Höhe schnellen lässt. Dem Vernehmen nach hat Ancarani übrigens inzwischen seinen ersten Langspielfilm ATLANTIDE realisiert: Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen...
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