Originaltitel: Córki dancingu
Alternativtitel: The Lure
Produktionsland: Polen 2015
Regie: Agnieszka Smoczynska
Darsteller: Marta Mazurek, Michalina Olszanska, Kinga Preis, Jakub Gierszal, Andrzej Konopka
Was Frau Smoczynska für ihr Langfilm-Debut an scheinbar widersprüchlichen, heterogenen Elementen zusammengerührt hat, kann man wohl mit Fug und Recht als außergewöhnlich bezeichnen. Während man CÓRKI DANCINGU in den ersten Minuten, gerade angesichts des animierten Vorspanns mit Illustrationen, die jeder Neuausgabe von Andersens LILLE HAVFRUE gut zu Gesicht stehen würden, noch für eine zeitgenössische Adaption klassischer Sirenenmythen halten könnte, deren Fokus vor allem auf die horrorlastigen Komponenten der Mär gelten soll, reißt ein harter Schnitt auf Bild- und Ton-Ebene uns jäh vom nächtlichen Strand, über dem die Lockrufe der fischbeschwanzten Schwestern wie ein ätherisches Echo längst vergessenen Seemannsgarns tanzen, mitten hinein in das Tanzlokal, wo der Großteil des Films spielen wird und uns ein lauter Disco-Beat auf eine Weise begrüßt, die kaum noch Platz für verträumte Märchenanfänge lässt. Wirklich handelt CÓRKI DANCINGU in seinen Clubszenen dann hauptsächlich davon, wie ein Mythos unter ökonomischem Druck seine Demontage erfährt. Geblendet vom Licht der Show-Bühne werden Srebrna und Zlota in immer bizarrere Kostüme gesteckt, mausern sich zu veritablen Striptease-Tänzerinnen und trällern harmlose Pop-Liedchen über Liebe, Lust und Leiden. Parallel dazu verläuft ihre Integration in die Familie ihrer Ziehmutter Krysia nicht ganz so bonbonbunt, denn zum einen hängt die Ehe zwischen Hausherr und Gattin nicht zuletzt aufgrund vieler zerplatzter Träume und in Alkohol ertränkten Hoffnungen in einer desolaten Schieflage, und außerdem entwickeln sich Srerbna und Zlota bald schon sukzessive voneinander weg, sprich: während es die eine mehr zu einem bürgerlichen Leben hinzieht, lässt sich die andere im Schutz der Dunkelheit Reißwolfzähne wachsen und entseelt Männer, die an ihren Reizen wie an Fliegenpapier kleben. Bei alldem scheint sich CÓRKI DANCINGU jedoch nie wirklich entscheiden zu können, auf welche Partien der wirren Geschichte genau er seine Akzente setzen möchte. Parodistisches Persiflieren des Show-Business steht hier gleichberechtigt neben wüsten Splatter-Szenen, seifenopernhafte Liebesbeteuerungen kreuzen sich mit behutsamen coming-of-age-Momenten, surreale Traumsequenzen häufen sich neben ausgewalzten Kabarett-Nummern, und es kann auch schon einmal sein, dass eine Figur plötzlich vollkommen unmotiviert zu tanzen und zu singen anfängt, denn: CÓRKI DANCINGU versteht sich, zu allem Überfluss, auch noch als ein Musical-Film, sodass gefühlte alle fünf Minuten die nun wirklich alles andere als stringente, nachvollziehbare Handlung ins Stocken gerät, und einer unserer Protagonisten seine innersten Nöte durch Strapazieren der Stimmbänder Ausdruck verleiht.
Dabei beschränkt sich Smoczynska nicht darauf, einfach die an sich schon absonderlichen Bühnenshows der Schwestern abzu-filmen, vielmehr lässt sie harmlose Disco-Pop-Songs und Klavier-Balladen den kompletten narrativen Raum durchdringen. Mie-rek und Srebrna offerieren sich gegenseitig ihre Herzen in einem Duett, das vor keiner verliebten Phrase zurückschreckt, und wenn Zlota nachts schweren Gedanken nachhängt, dann erstarrt die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes, und unsere Heldin wandelt zwischen ihren eingefrorenen Mitmenschen umher, um sich mit uns über ihre Sorgen und Ängste auszutauschen, und als Krysia die Mädchen durch Warschau führt, wird gleich ein ganzes Einkaufszentrum zur Weltbühne, auf der zahllose Statisten eine bis in Details ausgefeilte Choreographie zwischen Supermarktkassen, Rolltreppen und Warenregalen hinlegen. Obwohl die musikalischen Kompositionen selbst in mir keinen Nerv getroffen haben, der mehr als müde gezuckt hätte, sind gerade die Szenen, in denen die gesamte Diegese plötzlich im Dienst eines Rhythmus steht, ziemlich beeindruckend, spritzig und witzig. Auf ein Problem, das den Film wie ein roter Faden durchzieht, stößt man aber auch hier, die Frage nämlich, was genau denn nun all die Musical-Elemente der Geschichte an Mehrwert geben. Wie gesagt, Srebrna und Zlota singen die meiste Zeit über typische Themen, die junge Leute in der westlichen Welt beschäftigen – Weltschmerz, erste Drogenerfahrungen, die erste große Liebe -, und im Grunde jedes dieser Liedchen könnte, vom Film losgelöst, als eigenständiger, weil universeller Popsong funktionieren, scheint mir mit der Meerjungfrauen-Motivik jedoch in überhaupt keiner Korrespondenz zu stehen. Überhaupt ist es verblüffend, wie viel in CÓRKI DACINGU an Ideen angehäuft wurde, und wie wenig all diese Einfälle sich zu einem schlüssigen Ganzen zusammenfügen. Es gibt da einige großartige Momente – ich mochte beispielweise das Duell der Schwestern, als sie sich mit Krallen und Fangzähnen wie zwei Raubtier gegenüberstehen, dann aber plötzlich zu singen beginnen, und sich in die beiden unschuldigen Mädchen zurückverwandeln, die sie eigentlich sind, und sowieso ist das Schauspiel der Hauptdarstellerinnen Michalina Olszanska und Marta Mazurek ein wahres Filetstück, wenn es mich auch etwas irritiert hat, dass die Damen in jeder zweiten Szenen ihre Brüste in die Kamera halten müssen -, jedoch stehen diese vereinzelt, zusammenhanglos, separiert, so, als hätten wir es gar nicht mit einem ausgereiften Spielfilm zu tun, sondern einem ersten Entwurf, in dem die Verantwortlich grob das Feld abgesteckt haben, das sie inhaltlich und motivisch bearbeiten wollen. Dabei stolpert CÓRKI DANCINGU andauernd über die eigene überbordende Kreativität: Neuauflage romantischer Meerfrauenmythen von Andersen oder Fouqué, champagnerperliges Musical mit vielen farbenfrohen Kostümen und hübschen Set-Designs, irgendwie aber auch Nymphen-Horror, Jugenddrama und Theater der absurderen Sorte – dieser Film möchte alles und zwar auf einmal, und verfehlt jegliche Kohärenz weit genug, dass es nicht so wirkt, als steckte da Kalkül dahinter. Für Freunde eher abseitigerer Filmware, zu denen ich mich einmal zählen würde, dürfte ein Blick auf dieses eigenartige Potpourri an Stilen und Stilbrüchen nichtsdestotrotz riskierbar sein, zumal dann, wenn es einem bei der Vorstellung, sich ein herzlich unorthodoxes Remake von LA LA LAND mit Meerjungfrauen in den Hauptrollen anschauen zu müssen, nicht kalt wie Fischflossen den Rücken runterläuft.