Paranoia
Paranoia
Frankreich/Italien/Spanien 1970
Regie: Umberto Lenzi
Carroll Baker, Jean Sorel, Luis Dávila, Alberto Dalbés, Marina Coffa, Anna Proclemer, Hugo Blanco, Lisa Halvorsen, Tino Carraro, Lou Castel
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OFDB
Italo-Cinema (André Schneider)
Gediegenes Luxus-Ambiente in Gestalt einer Villa auf Mallorca, immer gutes Wetter, in der Einfahrt stehen ein Ferrari NART für die kurvige Strecke zum Meer und irgendein Ami-Schlitten für die mehr biederen Fahrten (Anwalt? Supermarkt?), der Butler heißt Miguel, das Essen ist deliziös, und jede Sekunde in diesem Leben trieft vor Nichtstun, Dekadenz und Verschwendung. Die Menschen sind schön und böse, und wollen eigentlich nichts anderes als sich gegenseitig ans Leder, und man muss nicht einmal ab und zu ins Büro um nach dem Rechten bei den Sklaven zu sehen – Das Geld ist einfach da, und es ist reichlich da. Die Schönen und Reichen haben also genug Muße, sich Pläne auszudenken, wie sie sich gegenseitig abmurksen könnten.
Solch ein Ambiente kann schief gehen, wenn nämlich die Charaktere genau so unwichtig geschildert werden wie sie es in Wirklichkeit auch wären (Mario Bavas RED WEDDING NIGHT fällt mir da ein, der mich persönlich vollkommen kalt gelassen hat ob seiner Atmosphäre aus Überfluss und Luxusproblemen). Sowas kann aber auch gut gehen, wenn man als Zuschauer nämlich mit den Charakteren mitfiebert, sie sympathisch oder unsympathisch findet, sie einen jedenfalls nicht kalt lassen. PARANOIA kann als Paradebeispiel dafür laufen, wie man unausstehliche und in der Realität außerhalb eines Films uninteressante Menschen dergestalt in Szene setzt, dass man als Zuschauer Interesse an ihrem Schicksal verspürt. Großes Kompliment für Umberto Lenzi!
Worum geht es? Nachdem die Autorennfahrerin Helen einen sündhaft teuren Boliden geschrottet hat, und dabei selber nur mit Mühe dem Flammenmeer entkommen ist, nimmt sie, nervlich ziemlich am Ende, gerne das Angebot ihres Ex-Mannes Maurice an, für ein paar Tage nach Mallorca zu kommen. Dort trifft sie auf die neue Frau von Maurice, Constance, und erfährt, dass in Wirklichkeit diese die Einladung geschickt hat. Maurice ist, euphemistisch ausgedrückt, ein Playboy, tatsächlich aber eher ein Schwein, welches ganz klar hinter zwei Dingen her ist: Geld und Sex. In dieser Reihenfolge. Constance ist reich, sehr reich, und der Luxus in der mallorquinischen Villa wäre für jeden von uns Zuschauern ein einziger Traum vom Dolce Vita. Hier aber macht Maurice den beiden Frauen das Leben nach und nach zur Hölle, weswegen der Plan heranreift, Maurice zu beseitigen. Es soll wie ein Unfall aussehen, und am Ende wird nur die Sonne Zeuge gewesen sein. Aber es kommt anders, und Maurice weilt noch länger unter den Lebenden. Und für den tatsächlich begangenen Mord gibt es Zeugen. Ein Wettrennen um die besseren Nerven beginnt …
Carroll Baker als Helen ist also nach ihrem Unfall ziemlich am Ende und will sich mal ordentlich Urlaubswind um die Nase wehen lassen will. Ob das eine gute Idee ist zum Ex-Mann zu fahren, den sie vor ein paar Jahren sogar schon mal erschießen wollte, sei jetzt einfach mal dahingestellt. Aber das Wissen, dass Helen im Sommer 1970 mit einem offenen Ferrari NART von Mailand nach Mallorca fährt, dass lässt schon mal den Gedanken hochkommen, dass man selber im Leben so einiges falsch gemacht hat.
Szenenwechsel. Helen kommt in der Villa am Meer an. Pool, Bedienstete, Wagenpark, entspannte Atmosphäre. Die Vermutungen um die eigenen falschen Abzweigungen im Leben verhärten sich. Der schöne Playboy Maurice (Jean Sorel) mit einem Glas in der Hand, in Badehose (ohne ein einziges dieser fiesen Fettpölsterchen), im Sakko, im sportlichen Pullover … Immer eine gute Figur machend, immer auf der Jagd nach den Weibern, und dabei immer ein ziemliches Arschloch, das keinen Hehl daraus macht, dass er von seiner Ex Helen den Sex will, und von seiner jetzigen Constance (Anna Proclemer) die Kohle. Wenn ich damals, vor vielen Jahren, mich vielleicht doch anders entschieden hätte …?
Constance, zweite Frau von Maurice. Unermesslich reich, braucht niemals wieder arbeiten, hat aus ihrer ersten Ehe eine Tochter auf einem Internat in Zürich, und ist eigentlich viel zu intelligent, um auf Maurice reinzufallen. Eigentlich. Tatsächlich ist sie ihm mit Haut und Haaren verfallen, stellt aber im Lauf der Handlung fest, dass sie a) sich mit Helen ausnahmslos gut versteht, und b) Maurice es einfach übertreibt und damit weg muss. Und da er freiwillig eh nicht gehen wird …
Die Freunde: Ein Untersuchungsrichter (Luis Dávila), ein Doktor (Alberto Dalbés), alles intellektuell herausragende Menschen mit hohem praktischen Wert in einem Giallo. Oder wenn man einen Mord ausführen möchte. Der Doktor filmt auch noch gerne mit Super-8, was dummerweise zu dem Umstand führt, dass der stattgefundene Mord möglicherweise(!) auf Film gebannt ist. Und die Überlebenden dieses Anschlags nun hochgradig nervös sind ob dieses Films. Der natürlich, immerhin reden wir hier von einem kompliziert konstruierten Krimi, in London entwickelt werden muss, und damit ein paar Tage braucht bis er gesichtet werden kann. Fehlt eigentlich nur noch das Hobby, das diese eloquenten Menschen alle gemeinsam ausüben um Stress abzubauen, nämlich Taubenschießen. Und weil Tontauben offensichtlich gerade aus waren, wird auf lebende Tauben geschossen …
Trotzdem fiebert man mit diesem Pack mit – Drehbuch und Regie ist in dieser Hinsicht ein wahres Meisterwerk gelungen. Allein schon die Idee, den Vorspann mit einer Wärmebildkamera zu filmen, wesentliche Szenen des Films in dieser Verfremdung vorwegzunehmen, und die Figuren damit in all ihrer Kälte und Gefühllosigkeit zu zeigen …
PARANOIA ist also nicht nur eine erstklassige Fingerübung im Näherbringen unsympathischer Menschen, sondern auch eine tolle Studie darüber, wie man sich das Leben gegenseitig so richtig sauer machen kann. Oder umgekehrt. Die Stimmung auf dieser Seite des Fernsehers ist dabei hervorragend, ist doch alles geboten was man als Giallo-Fan gerne mag: Tolle Schauspieler, angenehme Umgebung, ohrenschmeichelnde Musik von Riz Ortolani, und ein Plot, den man zwar relativ bald erahnen kann, dessen liebevolle Ausarbeitungen aber viel Spaß machen und die ein oder andere kleine Überraschung bieten. Dazu Carroll Baker so schön wie Gott sie schuf, und fertig ist ein Giallo wie man ihn liebt. Passt ganz ausgezeichnet!
8/10