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Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann.jpg (59.95 KiB) 419 mal betrachtet
Originaltitel: Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann
Herstellungsland: Deutschland / 2023
Regie: Regina Schilling
Grimme-Preisträgerin Regina Schilling legt mit "Diese Sendung ist kein Spiel – die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann" ihren zweiten Dokumentarfilm zur deutschen Fernsehgeschichte vor. Im Zentrum stehen die ersten Jahrzehnte der populären ZDF-Reihe "Aktenzeichen XY … ungelöst", die der 38-jährige Journalist Eduard Zimmermann 1967 aus der Taufe hob und bis 1997 produzierte und moderierte. Das weltweit erste True-Crime-Format war geboren und damit zugleich das interaktive Fernsehen.
Betrug, Raub, Mord und sogenannte Sittlichkeitsverbrechen
Regisseurin Regina Schilling hat reichhaltiges Material zu Kriminalfällen aus 300 Sendungen "Aktenzeichen XY … ungelöst", von der Adenauerzeit bis in die 90er-Jahre, im Archiv gehoben und aus ihrer persönlichen Perspektive eingeordnet: Vordergründig erzählt das TV-Material von Verbrechensaufklärung und Prävention, von den Menschen, die Opfer wurden. Aus dem zeithistorischen Abstand, den Schilling einnimmt, ergibt sich für die Regisseurin ein tieferer Befund: Eduard Zimmermanns Sendungen vermitteln filmisch normative Bilder gesellschaftlicher Ordnung. "Wer einmal begonnen hat, genauer hinzuschauen, wird sehen, wie nachhaltig Zimmermann Spuren bei uns hinterlassen hat", sagt Regina Schilling, die, selbst Teil der Generation der Babyboomer, ihre Erinnerungen an unheimliche TV-Abende einfließen lässt. "Wie viele der Ängste, die die Sendung damals ausgelöst hat, beschäftigen uns noch heute – insbesondere Frauen?"
Nach ihrem Film "Kulenkampffs Schuhe" (ARD, 2018), in dem sie das Unterhaltungsfernsehen der Nachkriegsära analysierte, lässt die Regisseurin ein weiteres Mal Bild- und Lebenswelten des TV von damals aufleben. In der Rückschau transportieren sie Werte und Weltbilder ihrer Zeit – über Kriminalistik und Technologie, Beruf und Familie, Frauen und Männer, Medien und Minderheiten, Täter und Opfer wie Homosexuelle, Mädchen, Prostituierte.
Historischer Hintergrund
1967 liegt die Adenauer-Ära in den letzten Zügen. Raub und Gewaltkriminalität wachsen. Bald wird die BRD von der SPD regiert, konservative Kräfte im Land kommen in Bedrängnis: Frauen wollen die Pille und die Scheidung, die RAF erschüttert die Gesellschaft, die 68er bestimmen den Diskurs. "30 Jahre wird Eduard Zimmermann Monat für Monat die Ängste der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft ansprechen. Zimmermanns klar umrissene Welt aus Gut und Böse, Tätern und Opfern führt uns direkt zu Fragen von Identität und Sexualität, die wir uns heute ganz neu stellen", so die Autorin.
Dokumentarfilmerin Regina Schilling war insbesondere mit ihrem Film „Kulenkampffs Schuhe“ aus dem Jahre 2018 positiv aufgefallen, als sie im Stile eines Essay-Films die Fernsehunterhaltungsshows des Nachkriegsdeutschlands aufgriff und mit den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs und ihrer eigenen Familie in Bezug setzte. 2022 folgte „Ivor Levit. No Fear“ über den Starpianisten Igor Levit, bevor sie sich 2023 mit einer weiteren deutschen Fernsehinstitution auseinandersetzte: „Aktenzeichen XY … ungelöst“, Eduard Zimmermanns „Baby“, das offenbar weltweit erste True-Crime-Format überhaupt.
„Ging es ihm wirklich nur darum, Verbrechen aufzuklären?“
Erneut lässt Schilling die Schauspielerin Maria Schrader in die Rolle der Voice-over-Erzählerin schlüpfen, die dabei Schillings Identität annimmt. Die ersten Bilder sind Ausschnitte des „XY“-Debüts aus dem Jahre 1967, einer Zeit immens hoher Einschaltquoten für abendlich ausgestrahlte und auch nur halbwegs interessante oder unterhaltsame Sendungen – und somit einem entsprechenden Einfluss auf die Gesellschaft. Bei Schilling habe die Sendung im Kindheitsalter Angst ausgelöst. Schon zu Beginn fällt auf, wie akribisch die gewählten „XY“-Ausschnitte mit dem Erzähltext korrespondieren. In die Postproduktion floss viel Sorgfalt, sie arbeitet mit O-Ton-Überblendungen und collagenhaften Bildzusammenschnitten. Und Schilling lässt wissen, was 1967 neben dieser neuen Sendung sonst noch so alles in Deutschland los war, zeigt gar einen Ausschnitt aus einer Rede der Nazipartei NPD.
„Die Welt, die Eduard Zimmermann inszeniert, ist einfach.“
Zimmermann zeigte sich vor der Kamera besorgt über die zunehmend nationalistische bis faschistische Stimmung im Land, für die er die – von Schilling nicht angezweifelte und offenbar seinerzeit reale – gestiegene Kriminalität mitverantwortlich machte. Jedoch unterstellt sie ihm ein einfaches Gut/Böse-Schema und das Schüren von Angst. Sie wirft Fragen nach der Faszination, die von „XY“ ausging, auf und dröselt anschließend Zimmermanns Biographie auf – ein vor seiner Fernsehkarriere (vor „XY“ hatte er „Vorsicht Falle!“ moderiert) sehr bewegtes Leben inklusive Knast- und Gewalterfahrungen.
„Wir Kinder träumten nachts davon.“
Wie wir wissen, änderte sich relativ kurz nach dem „XY“-Sendestart der Zeitgeist und damit in größeren Teilen auch die Gesellschaft, mit ihr das Fernsehen. Willy Brandt wurde Kanzler und löste endlich den CDU-Mief ab. Schilling zeigt Ausschnitte aus einer „XY“-kritischen Sendung im Ersten, in denen Zimmermann sich gegen Vorwürfe des Denunziantentums verteidigen muss – und er aufgrund seiner Empörung darüber, dass ihm überhaupt kritische Fragen gestellt werden, kein besonders souveränes Bild abgibt. Aber „XY“ und Zimmermann überstanden auch die sozialliberale Ära, griffen die gesellschaftlichen Veränderungen in der Sendung auf. Die Weise, auf die Schilling dies dokumentiert, weist einen ablehnenden Unterton auf. Immer wieder hat sie fallenlassen, dass sie bereits im zarten Kindesalter die Sendung sah (obwohl diese sich, mit einer von Schilling dann auch aufgegriffenen Ausnahme, an ein erwachsenes Publikum richtete), und gibt nun unverblümt „XY“ die Schuld daran, im Fernsehen mit Gewalt gegen Kinder und Frauen konfrontiert worden zu sein. Spätestens ab diesem Punkt wird der Film irgendwie… schräg.
Schilling findet beim Durcharbeiten des „XY“-Archivmaterials zumindest eine Situation, in der Zimmermann offenbar nachweisbar Falsches erzählt. Damit stellt sie seine Glaubwürdigkeit infrage und schlussfolgert, Frauen habe Angst gemacht werden sollen, damit sie zu Hause bleiben, bei Ehemann, Heim und Herd. Auf etwaige Hintergründe zu Zimmermanns Falschmeldung geht sie jedoch nicht ein. Sie scheint damit den Beweis gefunden zu haben, den sie brauchte. Ob sich seither Zimmermanns nicht der Wahrheit entsprechende Aussagen häuften oder es bei einem Einzelfall blieb – und wenn letzteres, wie dieser zustande kam, ob also überhaupt eine böse Absicht zu unterstellen wäre –, scheint sie nicht mehr zu interessieren. Schillings Interpretation wirkt daher ein bisschen weit hergeholt. Ihr fällt auf, dass Sexualstraftäter fast ausschließlich männlich sind – so weit, so bekannt – und fragt: „Haben wir nicht ein grundsätzliches Problem?“ – Wollte sie darauf hinaus? Natürlich haben wir das. Aber wäre „XY“ der richtige Ort, das richtige Format gewesen, dies aufzuarbeiten? „Zu Hause sind wir auch nicht sicher“, stellt Schilling angesichts der Tatsache fest, dass der überwiegende Teil an Gewaltverbrechen gegen Frauen im persönlichen Umfeld zu Hause verübt wird, und rekapituliert den Fall Petra Kelly. Aber deshalb sollte nicht öffentlich nach Vergewaltigern, Totschlägern und Mördern gefahndet werden? Bei Taten in den eigenen vier Wänden steht der Täter ja (glücklicherweise) meist fest.
Es fällt schwer, Schilling zu folgen. Sie möchte auf eine Unverhältnismäßigkeit in der Darstellung hinaus, bemängelt, dass die Täter(innen) bei „XY“ meist eindimensionale Figuren ohne Hintergrundgeschichte bleiben (wie sollte das bei unbekannten Personen, nach denen die Polizei mithilfe der Sendung fahndet, aber auch anders möglich sein, ohne zu spekulieren oder hinzuzudichten?) und schließt mit einer offenen Frage zum pädagogischen Nutzen von Angst.
Angst ist Schillings Topos hier. Sie habe als Kind „XY“ gesehen und sei dadurch verängstigt worden, obwohl es sich, wie bereits angemerkt, um keine Kindersendung handelte. Auch ich habe sie dennoch im Kindesalter gesehen und kann nachempfinden, was sie meint. Auch mir haben die nachgespielten Verbrechen Angst gemacht, wenngleich sie mich nicht – wie möglicherweise Schilling – traumatisiert haben. Eine fundamentale Kritik am True-Crime-Format mit seinen dramaturgisch aufbereiteten Nachstellungen realer Taten geht im Versuch unter, Zimmermann mittels Suggestivfragen eine frauenfeindliche Agenda anzudichten. Ihre Empörung über Gewalttaten gegen Frauen und deren Ausschlachtung für dieses Fernsehformat ist in Teilen nachvollziehbar, jedoch stark verkürzt und scheint mir nicht richtig durchdacht. Dass diese Untaten geschahen (und geschehen) ist schrecklich, aber nicht Zimmermann anzulasten. Ebenso schrecklich ist es, dass so etwas nun mal sowohl zu Hause als auch in der Öffentlichkeit geschieht. Letzteres zu marginalisieren, um Frauen keine Angst zu machen, halte nicht nur ich für falsch, wie zahlreiche feministische Publikationen und Diskurse, die sich genau damit beschäftigen, belegen.
Es gab (und gibt) in der restaurierten BRD und ihren Repressionsorganen kritisch gegenüberstehenden, aus dem anarchistischen und linken Spektrum stammenden Kreisen eine allgemeine Abneigung gegen die Zusammenarbeit mit der Polizei, gegen öffentliche Fahndungen und Denunziantentum – und dafür viele gute Gründe, die hier zu erörtern den Rahmen sprengen würde. Auch dies ist aber spätestens dann ebenfalls nicht wirklich zu Ende gedacht, wenn es tatsächlich darum geht, Mörder und Vergewaltiger dingfest zu machen. Ob diese Haltung auch Schillings Perspektive auf das Phänomen „XY“ prägte und sie versuchte, dafür eine argumentativen Unterbau zu schaffen, ist Spekulation.
Auf die verschiedenen Möglichkeiten der Rezeption dieses Formats geht sie leider gar erst nicht ein: Sich verunsichern und für Law & Order begeistern zu lassen, ist derer nur eine. Andere Zuschauerinnen und Zuschauer genießen schlicht den Thrill der nachgespielten Szenen, wieder andere machen sich über das Laienschauspiel lustig und konsumieren „XY“ wie ein Trash-Format eines Privatsenders. Manch ältere Episode wirkt, gerade aus heutiger Sicht, sicherlich piefig, angestaubt oder unfreiwillig komisch. Die „XY“-Rezeption, so mein Eindruck, wurde auf unterschiedliche Weise im Laufe der Jahre Jahrzehnte kultiviert.
Ähnlich wie mit „Kulenkampffs Schuhe“ hätte Schilling eine von ihren Kindheitserfahrungen vorm heimischen Fernseher ausgehende, interessante Dokumentation gelingen können, die ihren persönlichen Werdegang mit der Entwicklung des Verbrechens, der Repression und des Fernsehens in der BRD in Bezug setzt. Und bestimmt hätten sich valide Kritikpunkte an „XY“ und Zimmermann gefunden, hätte man den Infotainment-Charakter eines solchen Formats kritisch diskutieren, sicherlich auch Fragen nach Kollateralschäden stellen und die Auswirkungen auf Zeitgeist und Gesellschaft untersuchen können. Mit „Diese Sendung ist kein Spiel – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ hat sich Schilling meines Erachtens aber verrannt bzw. ist sie übers Ziel hinausgeschossen, indem sie ein Symptom zu zerpflücken versucht und es dabei mit den Ursachen verwechselt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Well done, Bux!
Mich haben ja immer die Fragen begeistert, die Ede ans Publikum richtete, wie z.B. "Wer hat am Soundsovielten vor 2 Jahren einen grauen Fiat 500 mit dem markanten Heckaufkleber der Firma Soundso in Tatortnähe bemerkt und kann Angaben machen zu den, mutmaßlich, 2 Insassen mit südländischem Aussehen und den am Tatort verbliebenen schwarzen Lederjacken der Firma Soundso?"
Ich fand das völlig bekloppt. Niemand meldet sich doch auf so eine Scheiß-Frage...
Ich habe offensichtlich keine Ahnung von echter Polizeiarbeit...
Ansonsten war Zimmermann immer ein menschgewordener Aktenordner und seine Kollegen aus Zürich und Wien, äääh... Ja, die war'n auch dabei!
Der bessere Titel der Doku sollte also lauten "Regina Schilling findet: Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann"
Dick Cockboner hat geschrieben: ↑Di 5. Dez 2023, 19:12
Well done, Bux!
Mich haben ja immer die Fragen begeistert, die Ede ans Publikum richtete, wie z.B. "Wer hat am Soundsovielten vor 2 Jahren einen grauen Fiat 500 mit dem markanten Heckaufkleber der Firma Soundso in Tatortnähe bemerkt und kann Angaben machen zu den, mutmaßlich, 2 Insassen mit südländischem Aussehen und den am Tatort verbliebenen schwarzen Lederjacken der Firma Soundso?"
Ich fand das völlig bekloppt. Niemand meldet sich doch auf so eine Scheiß-Frage...
Ich habe offensichtlich keine Ahnung von echter Polizeiarbeit...
Ansonsten war Zimmermann immer ein menschgewordener Aktenordner und seine Kollegen aus Zürich und Wien, äääh... Ja, die war'n auch dabei!
Der bessere Titel der Doku sollte also lauten "Regina Schilling findet: Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann"
Bizarrerweise melden sich doch immer wieder Leute auf solche Fragen und es ist manchmal schon wirklich schräg, was zur Auflösung eines Verbrechens geführt hat bzw. an was sich Leute erinnern…
Wie Bux schon richtig anmerkt: Es gibt sicherlich Kritikpunkte am True-Crime-Format im allgemeinen und XY im Besonderen (wer mich kennt, weiß dass ich diesem Format auch ziemlich verfallen bin und diese Kritikpunkte auch gerne mal übersehe), aber speziell bei dieser Doku waren die Gegenargumente auch meiner Meinung nach irgendwie ziemlich holprig und schlecht verargumentiert…
Dick Cockboner hat geschrieben: ↑Di 5. Dez 2023, 19:12
Well done, Bux!
Vielen Dank!
Dick Cockboner hat geschrieben: ↑Di 5. Dez 2023, 19:12Mich haben ja immer die Fragen begeistert, die Ede ans Publikum richtete, wie z.B. "Wer hat am Soundsovielten vor 2 Jahren einen grauen Fiat 500 mit dem markanten Heckaufkleber der Firma Soundso in Tatortnähe bemerkt und kann Angaben machen zu den, mutmaßlich, 2 Insassen mit südländischem Aussehen und den am Tatort verbliebenen schwarzen Lederjacken der Firma Soundso?"
Ich fand das völlig bekloppt. Niemand meldet sich doch auf so eine Scheiß-Frage...
Ich habe offensichtlich keine Ahnung von echter Polizeiarbeit...
Wie Reini bereits schrieb: Es ist erstaunlich, welch Verknüpfungen das menschliche Hirn zuweilen tätigt. Und diese können offenbar durch solche Fragen aus dem Unterbewussten hervorgeholt werden.
Ich persönlich bin da aber eher stumpf - mich überfordert bereits so ziemlich jedes Screenshot-Quiz hier
Dick Cockboner hat geschrieben: ↑Di 5. Dez 2023, 19:12Ansonsten war Zimmermann immer ein menschgewordener Aktenordner und seine Kollegen aus Zürich und Wien, äääh... Ja, die war'n auch dabei!
Für mich eigentlich auch, das änderte sich aber etwas durch diese Doku mit ihren alten Ausschnitten - Zimmermann als Jungspund ohne Brille wirkte beinahe heißblütig
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Einige Gedankenfetzen zum Thema von mir:
Gute und treffende Besprechung, bux, ich denke, du hast alles wesentliche erwähnt. Ich wäre mit der Autorin aber wohl noch härter ins Gericht gegangen als du. Meiner Ansicht nach wird der Film dem Format „Dokumentation“ nicht annähernd gerecht. Stattdessen versucht Schilling, ihre vorgefertigte Meinung, anhand mit von ihr als solche empfundenen „Beweisen“, dem Zuschauer aufzudrücken. Das ist extrem schlechter journalistischer Stil, sondern wirkt gar belehrend und bevormundend. Erstaunlicherweise fällt sie dabei auf ähnliche Mechanismen herein wie die, die sie Zimmermann und seiner Sendung ankreidet.
Als Deutschlehrer würde ich dieses Werk mit dem Kommentar „Thema verfehlt, 6!“ bewerten.
Meine eigene Kindheit wurde nicht durch XY geprägt, denn meine Eltern haben die Sendung nach meiner Erinnerung nie geschaut. Das Format lief ja Freitags um 20:15 Uhr im Wechsel mit den Krimiserien, und da kann ich mich durchaus an einige Begegnungen mit „Der Kommissar“ oder „Der Alte“ erinnern, „Derrick“ mochte mein Papa nicht. Dafür teilten wir beide die liebe zu US-Serien, vor allem „Die Straßen von San Francisco“ und „Petrocelli“. Meine Mutter hat nie Kriminalfilme geschaut und auch keinen trivialen Schmonz, sondern nur Kulturfernsehen. War echt so!
Als ich alt genug war, um mein Abendprogramm selbst zu gestalten, hatte ich auch kein wirkliches Interesse mehr an XY, denn ich war inzwischen sehr staats- und systemkritisch und kann von daher den Vorwurf „Denunziantentum“ ausgesprochen gut verstehen. Aber auch dabei gibt es eben kein schwarzweiß, und ich würde für mich persönlich von Delikt zu Delikt unterscheiden, ob ich einen Täter schütze oder eben nicht.
Viel mehr genervt hat mich jedoch das Oberlehrerhafte und Missionarische von Eduard Zimmermann, mit dem er versuchte, die Zuschauer vor irgendwelchen Delikten zu beschützen. Bei der Thematik „Trampen“ wuchs sich das ja direkt zu einer fixen Idee und Besessenheit aus. Selbstverständlich bin ich per Anhalter gefahren, wenn es „nötig“ war und alle anderen Jugendlichen, die ich näher kannte, auch. Ebenso selbstverständlich fanden die meisten Eltern das nicht gut, aber wir hätten uns im Traum nicht durch eine besserwisserische Fernsehsendung davon abbringen lassen.
Auch das ist natürlich ambivalent, denn wenn wie bei mir eine Siebzehnjährige aus dem Bekanntenkreis beim Trampen vergewaltigt und ermordet wird, ist das eine verdammt heftige Erschütterung, die du nicht so leicht wegsteckst. Dennoch glaube ich nicht, das sowas durch unpersönliche kluge Ratschläge von einem Fernsehmoderator hätte verhindert werden können. Vielmehr ist es eine Verkettung von unglücklichen Umständen gewesen, unter anderem schon, wie es überhaupt zu dieser Tramp-Aktion kam. Aber näher werde ich mich zum dem Fall nicht auslassen, alleine schon, damit niemand anhand von Informationen aus meinem Beitrag das Opfer googeln kann.
In einem wiederum bin ich tatsächlich mit der Autorin einig, Angstmache, wie von Ede betrieben, ist kein gutes Mittel, stattdessen eher die Ausbildung eines gesunden Selbstbewusstseins. Und klar gesagt werden muss auch immer wieder, denn das kann man gar nicht oft genug betonen, es gibt nur einen Schuldigen, den Täter, niemanden sonst!
Mit der Thematik „True Crime“ habe ich mich, wie bei vielen in diesem Forum wohl, durch das Schauen von Filmen, die auf angeblich wahren Begebenheiten beruhen, selbstverständlich beschäftigt. Wer hat z.B. nach „Texas Chainsaw Massacre“ nicht mit Interesse Informationen zu Ed Gein gelesen? Trotzdem bin ich kein großer Fan der Angelegenheit, allein schon aus persönlichen Gründen (s.o.), und stehe der inflationären Ausbreitung von entsprechenden Formaten in Form von Podcasts, Dokumentationen und Internetseiten einigermaßen erstaunt gegenüber. Nicht immer ist es da um den Respekt den Opfern gegenüber gut bestellt und im schlimmsten Fall landet man beim „Victim Blaming“, wie in irgendwelchen Posts in Diskussionsforen.
Klar kann ich die Faszination bis zu einem Grad nachvollziehen, aber ich schaue mir lieber einen rein fiktiven Spielfilm an, denn das Wissen um reale Ereignisse löst bei mir immer einem bitteren Geschmack aus.
So reicht …
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Mord und minderwertige Melkmaschinen Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann
Diese-Sendung-ist-kein-Spiel-Frontpage-750x400.jpg (46.03 KiB) 181 mal betrachtet
Wie auch schon in Kulenkampffs Schuhe übernimmt hier Maria Schrader den Part der Erzählerin und fungiert mit eben diesen Texten erneut auch irgendwie als Alter Ego der Regisseurin Regina Schilling. Einer der ersten Sätze ist, dass sie Mitte / Ende der 1960er Jahre zur ersten Generation von Kinder gehörte, die mit einem Fernseher im Wohnzimmer aufwuchsen. Ich persönlich gehöre daher wohl zur zweiten Generation, aber ich erinnere mich, dass ich Ende der 1970er ebenfalls einmal als Kind einen Blick auf eine Sendung "XY" erhaschen konnte, als dies meine Großmutter schaute. Und ja. Auch ich hatte Angst. Große Angst. Es kann gut sein, dass ich deswegen True Crime Formate nicht besonders mag. Wer weiß. Auch Regina Schilling beschreibt diese Angst. Allerdings war und ist "XY" sowieso nichts für Kinder. Und hier ist schon mal der erste Widerspruch in dieser Dokumentation. Die Regisseurin stellt Fragen und macht selten Feststellungen. Ein üblicher Kniff. Wem wollte Herr Zimmermann jetzt Angst machen? Wobei sich hier dann auf eine bestimmte Folge bezogen wird, als Kinder mal 20 Minuten mit schauen sollten, als es um Kindesentführung ging. Diese "Angst" zieht sich dann durch den ganzen Film. Später bezieht sich dieser Sachverhalt dann auf Frauen, die besser zu Hause geblieben wären. Bei ihren drei Ks. Küche, Kinder, Kabelfernsehen. Immer bezieht Schilling dies auf Zimmermann selbst und nicht auf den jeweiligen Zeitgeist der Jahrzehnte. Niemals oder selten geht es um die Fahndungserfolge. Es geht auch nicht um den Zustand der BRD von 1960 bis Ende er 1990er. Zimmermann so scheint es, hatte einen Masterplan zur Angstmache 30 Jahre lang durchgezogen. Dies ist natürlich zumindest fragwürdig und zwiespältig. Einige Ungereimtheiten werden benannt, aber nicht weiter verfolgt. Falsche Polizeiberichte und Aussagen. Auch in Bezug auf die RAF. Es wird dann noch der Fall Petra Kelly, der nichts mit "XY" zu tun hatte, als Klammer von 1982 bis 1992 gesetzt. Für mich nicht nachvollziehbar.
Aber genug gemeckert.
Was wirklich eindrucksvoll ist, diese Sendung im Wandel der Zeit zu sehen inkl. der alten Ausschnitte.
Dabei wäre es auch einmal interessant zu sehen, wer alles dort mitgearbeitet hat.
Nur am Anfang wird Kurt Grimm genannt, der sogar einen Film Noir Anspruch hatte und später geht es auch um die redaktionelle Arbeit, allerdings wieder im Kontext der Panikmache.
Konrad Töns übernehmen Sie. Don't go out of the house!
"Das ist nicht möglich!"
"Aber notwendig!"
(Interstellar)
"J&B straight and a Corona!" (Patrick Bateman, American Psycho)