Der Bockerer - Franz Antel (1981)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3362
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Der Bockerer - Franz Antel (1981)

Beitrag von Maulwurf »

 
Der Bockerer
Österreich / Deutschland 1981
Regie: Franz Antel
Karl Merkatz, Alfred Böhm, Hans Holt, Marte Harell, Ida Krottendorf, Rolf Kutschera, Michael Schottenberg, Heinz Marecek, Marianne Nentwich, Dolores Schmidinger, Franz Stoss, Thaddäus Podgorski, Sieghardt Rupp, Regina Sattler, Georg Schuchter, Walter Schmidinger, Erni Mangold


Der Bockerer.jpg
Der Bockerer.jpg (79.39 KiB) 198 mal betrachtet
OFDB

Quasi als Vorbereitung auf die kommenden Zeiten in Österreich habe ich Anfang Jänner 2025 DER BOCKERER angeschaut. Die Geschichte von Karl Bockerer, von Beruf Fleischhauer (so nennt man in Österreich die Fleischer), der nach dem Anschluss an das Deutsche Reich im März 1938 versucht, in seiner Heimat Wien durchzukommen, ohne seine Würde und seinen Anstand zu verlieren. Aber in solchen Zeiten verliert jeder, und auch der Bockerer verliert. Das Vertrauen zu seiner Frau, die sich als begeisterte Nationalsozialistin entpuppt. Seinen Freund Rosenblatt, der es in letzter Minute noch schafft, das Land zu verlassen. Den Sohn Hans, der erst zur SA geht, und später dann in Stalingrad den Heldentod für Führer und Vaterland stirbt („Vaterland? Stalingrad liegt in Russland! Haben wir im Ural vielleicht einen Schrebergarten, der verteidigt werden muss?“). Den Freund Hermann, den er durch seine eigene Ignoranz nach Dachau bringt …

Nein, diese 1000 Jahre waren keine guten Jahre, und mit seinem Sturschädel nimmt der Bockerer alles mit, was andere immer versuchen zu vermeiden. Er legt sich mit dem örtlichen Polizisten an, mit den SA-Männern in der Kneipe, ja sogar bei der Gestapo landet er, und wie hoch der Preis ist, dass er dort wieder herauskommt, wird er gottseidank niemals erfahren. Sein Unwillen, sich an die neuen Zeiten anzupassen, bringt ihn ein ums andere Mal in die Bredouille, und es liegt wahrscheinlich nur an der Wiener Schnoddrigkeit, dass ihm nichts Schlimmeres passiert. Bockerer gleitet durch die Zeiten fast wie ein Simplicissimus, ein Schlemihl mit Wiener Charme, der sich einfach nicht vorstellen kann, dass ihm etwas Böses widerfährt. Weswegen er merkwürdigerweise auch völlig unbeschadet bleibt.

Dieser Wiener Charme und seine lautstarken, durchaus mit zynischem Humor getränkten, Kommentare zu den neuen Machthabern haben dem Film das Etikett einer Tragikomödie verpasst, und tatsächlich ist die ein oder andere Szene sehr wohl „lustig“, etwa wenn der Bockerer vor den Augen des Polizisten ein Schild vor sein Geschäft stellt: „Gebrauchte Hakenkreuzfahne billig zu verkaufen.“ So wie der Film seine Komik überhaupt in erster Linie aus den Dialogen bezieht, sowie aus grundlegenden Wahrheiten: „‘Mein Kampf‘ hat er gesagt. Aber hinhalten haben wir unseren Schädel müssen.“ Die dazu hinterlegten Dokumentarfilme mit dem Straßenkampf der einmarschierenden alliierten Armeen in Wien schmerzen, schmerzen sehr, und dem Zuschauer ist das Lachen sowieso schon lange vergangen, wenn der Polizist nach dem Untergang des 1000-jährigen Reichs sehr freundlich und zuvorkommend ist, und sich damit in einer 180-Grad-Wendung zu seinem bisherigen Verhalten präsentiert. Und wenn der miese SA-Offizier 1945 leutselig als Kontaktperson bei den Franzosen auftaucht, als ob ihn kein Wässerchen trüben könnte – Solches Pack schwimmt halt immer oben. Anders als die bedauernswerten Juden, die im Frühjahr 1938 im Schlachthaus das Schweineblut vom Boden lecken(!) müssen …

Die Atmosphäre wird schnell immer düsterer und immer drückender, niemand ist mehr seines Lebens sicher, und sogar der Historiker, der nach einem Bombenangriff die zerstörten Häuser dokumentiert, wird von einem Gestapo-Mann, der, nur in einen Trenchcoat gekleidet, zusammen mit einer Hure aus einem Haus flüchtet, verhaftet. Dazu passt dann auch die Gesprächsrunde vom Beginn, wenn sich beim gepflegten Kartenspiel die gebildeten Menschen darüber unterhalten, dass der Herr Hitler ja jetzt die Arbeitslosen von der Straße bringt, und endlich mit den Roten aufräumt. Und dass das ja gar nicht so schlecht sei. Ein Dialog, den man auch heute immer noch und erst recht wieder hören kann. …
Es hat viele solcher kleinen und kleinsten Momente, die ineinander spielen, nebeneinander herlaufen und ein ausgesprochen lebendiges Bild dieser Zeit erzeugen: Die jüdische Familie, die ihre Wohnung mitsamt der Einrichtung günstig verkaufen darf, weil sie ja nach der Auswanderung die Sachen nicht mehr benötigt, oder das ärztliche Attest, das dem Bockerer bestätigt, dass er seinen rechten Arm aus gesundheitlichen Gründen nicht heben kann. Mal wird das aus familiärer Sicht und mal aus gesellschaftlicher Sicht gezeigt, aber grundlegend immer aus dem Blickwinkel eines kleinen Kaufmanns, der seine persönliche Komfortzone immer mehr schrumpfen sieht, und dies partout nicht akzeptieren mag. Entsprechend ist auch die Narration mal gemütlich, und mal ausgesprochen ungemütlich. Wie es im wirklichen Leben halt so ist. Und die letzten Worte des Films haben mir dann tatsächlich einen Kloß in den Hals gezaubert. Ob aus Trauer oder aus Freude möchte ich hier allerdings nicht spoilern …

DER BOCKERER ist nicht immer schön anzuschauen, und die Dialoge sind in geschrienem Wienerisch auch nicht immer leicht zu verstehen, aber als Warnung und als Ausblick auf das, was uns in Europa demnächst erwartet, ist der Film eine unbedingte Empfehlung.

8/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Dick Cockboner
Beiträge: 3153
Registriert: Sa 30. Mai 2015, 18:30
Wohnort: Downtown Uranus

Re: Der Bockerer - Franz Antel (1981)

Beitrag von Dick Cockboner »

@Maulwurf :thup: Sehr guter Text!
...aber
Maulwurf hat geschrieben: Fr 31. Jan 2025, 05:37 Dieser Wiener Charme und seine lautstarken, durchaus mit zynischem Humor getränkten, Kommentare zu den neuen Machthabern haben dem Film das Etikett einer Tragikomödie verpasst, und tatsächlich ist die ein oder andere Szene sehr wohl „lustig“, etwa wenn der Bockerer vor den Augen des Polizisten ein Schild vor sein Geschäft stellt: „Gebrauchte Hakenkreuzfahne billig zu verkaufen.“
Es ist schon länger her, das ich diesen wirklich sehr empfehlenswerten Film gesehen hatte, ich hoffe meine Erinnerung trügt mich jetzt nicht:
Besteht in diesem Fall der Witz nicht darin, das der Bockerer eine ungebrauchte Fahne verkaufen will, da er nicht vorhat ebenjene aufzuhängen?
:wink:
Ansonsten dreht der Merkatz Karli wieder schön auf, Witz und Tragik sind gut ausgewogen und ich habe jetzt richtig Lust alle 4 Teile mal wiederzusehen.
Bild
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3362
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Der Bockerer - Franz Antel (1981)

Beitrag von Maulwurf »

Dick Cockboner hat geschrieben: Fr 31. Jan 2025, 18:59 @Maulwurf :thup: Sehr guter Text!
...aber
Maulwurf hat geschrieben: Fr 31. Jan 2025, 05:37 Dieser Wiener Charme und seine lautstarken, durchaus mit zynischem Humor getränkten, Kommentare zu den neuen Machthabern haben dem Film das Etikett einer Tragikomödie verpasst, und tatsächlich ist die ein oder andere Szene sehr wohl „lustig“, etwa wenn der Bockerer vor den Augen des Polizisten ein Schild vor sein Geschäft stellt: „Gebrauchte Hakenkreuzfahne billig zu verkaufen.“
Es ist schon länger her, das ich diesen wirklich sehr empfehlenswerten Film gesehen hatte, ich hoffe meine Erinnerung trügt mich jetzt nicht:
Besteht in diesem Fall der Witz nicht darin, das der Bockerer eine ungebrauchte Fahne verkaufen will, da er nicht vorhat ebenjene aufzuhängen?
:wink:
Ansonsten dreht der Merkatz Karli wieder schön auf, Witz und Tragik sind gut ausgewogen und ich habe jetzt richtig Lust alle 4 Teile mal wiederzusehen.
Die Fahne war zu groß, und wenn sie in der vorgesehenen Halterung steckte, lag sie eigentlich mehr auf dem Boden als dass sie hing, was ebenfalls wieder den Unwillen der Autoritätspersonen hervorrief. Karl Valentin lässt grüßen ...

Auf jeden Fall ein schönes Kompliment, wenn ich Lust machen kann auf den Film. Schreib Du mal was zum zweiten Teil, weil der mich im Moment so gar nicht anmacht ...
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten