„Auf mich wirkt er... müde.“
Bereits mit seinem Regiedebüt gelang Wigbert Wicker („Der Bulle von Tölz“) 1973 der ganz große Wurf: Kaiser Franz Beckenbauer, damals Kapitän und Libero des Rekordmeisters FC Bayern München, gewährte dem ambitionierten, aufstrebenden Filmemacher eine Privataudienz, um ihre Hoheit nicht nur angemessen in all ihrer Bescheidenheit zu porträtieren, sondern darüber hinaus den Finger in die Wunden des Leistungssports zu legen und mahnend auf Missstände und Gefahren hinzuweisen, denen sich nicht nur Lichtgestalten wie Kaiser Franz ausgesetzt sahen:
Nudelsuppenfabrikant Saller (Walter Born, „Fettaugen“) will Beckenbauer als Werbeträger verpflichten und schreckt dafür auch vor unlauteren Methoden nicht zurück. Als sich ein Mannschaftskamerad schwer verletzt, ist Franz der einzige, der ihn regelmäßig im Krankenhaus besucht und ein offenes Ohr für ihn hat. Doch der Leistungsdruck des Profifußballs stimmt Beckenbauer nachdenklich. Was, wenn auch ihn einmal eine Verletzung ereilt? Für wen reibt er sich eigentlich so auf? Fürs undankbare Fußvolk, das ihn sogar an seinem Anwesen nachstellt und seinen Rauswurf aus dem FC Bayern fordert? Frustriert schmeißt er hin und will gegen keinen Ball mehr treten. Stattdessen verbringt er nun viel Zeit mit seinem Schauspielkumpel Harald Leipnitz („Großstadtprärie“), der ihm mit den Sorgen und Nöten eines Theaterschauspielers in den Ohren liegt. Wird Kaiser Franz davor auf den Rasen fliehen und wieder seinen Thron besteigen? Wird es Nachwuchstalent Thomas (Volker Schrader) sein, der von zu Hause ausreißt, um den Blaublütigen aufzusuchen, der ihn umzustimmen vermag? Fragen über Fragen, doch die DVD ist rund und der Film dauert 80 Minuten…
„Ein halber Beckenbauer ist mir immer noch lieber als drei andere Spieler!“ (Und fast ein Viertel Schauspieler!)
Fußball ist Krieg, das weiß jeder – heutzutage zumindest. 1973 war das anders; da bedurfte es Wickers, um dies eindrucksvoll mittels eines mit dokumentarischem Material gespickten Spielfilms zu veranschaulichen: Ruhe vor dem Sturm, Anspannung liegt in der Luft. Dann endlich: Das Spiel beginnt! Der Fokus liegt, ganz wie im echten Leben, auf Beckenbauer, ohne den seine Mannschaft ein klägliches Nichts wäre. Doch statt ihn in Ruhe seiner Passion nachgehen zu lassen – dem eleganten Rasensport, wie ihn Wicker später noch in minutenlangen Zeitlupenszenen illustriert und mit Musik unterlegt, die aus des Kaisers Spiel fast eine Art Rasenballett machen –, wird er vom Nudelsuppenkönig Saller und dessen ergebenem Vasall, dem zwielichtigen Jo (Klaus Löwitsch, „Mädchen: Mit Gewalt“), belästigt und genötigt, die ihn zur Werbeikone für ihre Produkte hochjazzen wollen.
Und dann noch dieser Leistungsdruck! Sogar der Arzt, der Franz‘ verletzten Mannschaftskameraden behandelt, äußert sich kritisch, während der Verletzte mit seiner Situation hadert. In Rückblenden montiert Wicker Foul- und Verletzungsszenen aus Fußballspielen und unterlegt dieser mit der passenden dramatischen Musik. Selbst der Kaiser höchstpersönlich erlaubt sich auf dem Platz den einen oder anderen Fauxpas, wie ein weiterer Zusammenschnitt zeigt, doch dafür spielt er sogar mit blutiger Nase weiter. Die undankbaren Fans wissen das indes nicht zu würdigen, skandieren
„Beckenbauer raus!“ und belagern ihn an seinem bescheidenen Hofe – wo er sich ein Herz fasst, vors Volk tritt, sich mit den Vorwürfen auseinandersetzt und dadurch die Fans
sofort zur Einsicht bewegt. Ein guter Kaiser ist immer auch ein guter Diplomat!
Dabei verbirgt er vor der Öffentlichkeit nur beschämt, wie sehr ihn all das mitnimmt, wie es an ihm nagt und ihn, den schüchternen, zurückhaltenden und sensiblen Libero, frustriert. Besuch bekommt er von vom jungen Thomas, der ihn unbedingt einmal kennenlernen wollte – vielleicht sein einziger echter Freund neben Harald Leipnitz. Die garstige Pressekampagne gegen Beckenbauer können indes auch sie nicht verhindern, auf seinem Rücken probt man die Auflagensteigerung fragwürdiger Gazetten. Was hilft da am besten? Na klar, Urlaub! Im Kreise seiner Familie überdenkt er seine Entscheidung, die Schlappen an den Nagel zu hängen, noch einmal.
Wicker hat hier alles richtig gemacht: Statt jeden einzelnen Handlungsstrang bis ins letzte Detail aufzudröseln, belässt er es bei Anrissen und Andeutungen, schließlich wollen wir ja nicht zu intim in des Kaisers Privatleben vordringen – das wäre indiskret –, außerdem hätte das wertvolle Filmmeter gekostet, auf denen man unser aller Libero im Bayerndress oder beim Training in seiner ganzen Grazie beobachten kann – was Majestätsbeleidigung gleichgekommen wäre. Irrelevante Dialoge aus fremdem Munde lässt Wicker in Dialekten vernuscheln, um nicht von den einzig bedeutsamen Äußerungen – denen Beckenbauers – abzulenken, was ungemein bei der Orientierung hilft. Was auf den ersten Blick unbeholfen wirken könnte – nämlich der ganze Film –, regt dazu an, sich seine eigenen Gedanken zum Leiden des jungen B. zu machen. Ok, und vielleicht zum deutschen Sportfilm der 1970er, zu Beckenbauers schauspielerischem und zu Wickers filmischem Talent, zu Drehbuch, Dramaturgie, Schnitt und Spielerfrisuren – und vielleicht, weshalb uns „Libero II – Der Auftrag“ (über die Befreiung Günter Netzers aus einem Sklavenlager in Katar), „Libero III – Ab jetzt wird hart zurückgegrätscht“ und „Libero IV – Die Rache des letzten Kaisers“ bis heute vorenthalten wurden.
Nach Videobeweis: 3,5 von 10 Koteletten.
P.S.: Danke an Onkel Joe