Produktionsland: Spanien 1978
Regie: José Ramón Larraz
Darsteller: Lidia Zuazo, Patricia Granada, Rafael Machado
Abt. Vorglühen für Köln...
Eigentlich ist Triana als Hausmädchen bei einem wohlhabenden Ehepaar irgendwo im spanischen Hinterland angestellt. Als dieses aber in den Urlaub aufbringt, übergibt man die junge Frau der befreundeten Künstlerin Lorna, die nach dem Unfalltod ihres Mannes die Abgeschiedenheit sucht, um sich auf ihrem Anwesen ihren Gemälden zu widmen. Allein unter sich fassen die beiden Damen schnell ein Vertrauen zueinander, das über eine bloße Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung hinausgeht, und alsbald selbst die Bande der Freundschaft hinter sich lässt: Lorna, die Triana in die Schönheiten der lesbischen Liebe einführt, wird für das Waisenmädchen zur Vertrauten, zur Mutterfigur, zur Geliebten. Die Idylle stört einzig ein immer wiederkehrender, Triana Nacht für Nacht plagender Traum. Dort hat es ein nackter Jüngling auf sie abgesehen, hetzt sie durch Felder, steckt sie schließlich gar in ein goldenes Ross aus Metall, in dem sie ihm ihren entblößten Hintern darbieten muss. Triana staunt nicht schlecht, als genau dieser Jüngling plötzlich auch in der Realität auftaucht, und versucht die vermeintliche Phantasmagorie zunächst mit Gewehrschüssen zu vertreiben, kann dann aber nur hilflos zusehen, wie sich der Bursche, der sich als Chico vorstellt, sukzessive in ihr intimes Geflecht mit Lorna drängt. Mit Trianas Halskette, die er am Strand gefunden hat, steht er eines Abends vor der Tür, worauf Lorna ihn nicht nur ins Kaminzimmer, sondern kurze Zeit später ebenfalls unter ihre Bettdecke schlüpfen lässt. Die vor Eifersucht kochende, zutiefst verletzte und verzweifelte Triana greift zu rabiaten Mitteln, die Erweiterung ihrer Beziehung mit Lorna zu einer Triade zu verhindern…
Je mehr Filme von José Ramón Larraz ich sehe desto deutlicher wird mir ein idiosynkratischer Zug, der nahezu sein gesamtes mir bekanntes Werk durchzieht: Larraz ist ein ungemein ökonomischer Regisseur. Das meine ich nicht nur dahingehend, dass er trotz des Budgets eines Schnürsenkels ansehnliche Filme stemmen kann. Larrazs Ökonomie bezieht sich mehr noch auf seine Drehbücher. Er liebt es, eine überschaubare Anzahl von Figuren an einem überschaubaren Ort zu versammeln, und dort dann einer überschaubaren Kette von Ereignissen zu unterwerfen. Als kammerspielartig kann man viele seiner Filme bezeichnen – seien es nun die gotischen, zumeist in verlassenen Landhäusern spielenden Frühwerke wie SYMPTOMS oder DEVIATION, seien es die bodenständigen Ehedramen der mittleren 70er wie EL OCASIÓN oder EL MIRÓN, seien es Spätwerke wie die Horrorkomödie DESCANES EN PIEZA oder der prototypische Slasher DEADLY MANOR. Selten einmal werden die engumgrenzten Schauplätze verlassen, und Nebenfiguren treten im Grunde nur auf, um die im Fokus stehende Interaktion zwischen den Protagonisten zu verdeutlichen. Ökonomisch ist aber auch Larrazs Inszenierungsstil. Niemals jagt der Spanier einem schrillen Effekt hinterher. Ein Blick, eine Geste reicht meist aus, einen Plotpunkt zu machen. Es ist, als würde sich die Handlung oft jenseits dessen entfalten, was Larrazs Bilder uns zeigen. Understatement wäre ein Wort, von dem ich das Gefühl habe, es passt auf Larrazs Filme wie eine nackte Frau in ein goldenes Metallpferd. LA VISITA DEL VICIO ist, wie man meiner Inhaltsangabe entnehmen kann, darin keine Ausnahme. Auch hier: Drei Personen, ein Schauplatz, ein Konflikt. Außerdem: Keine wortreichen Erklärungen, sondern viele Ellipsen innerhalb der Handlung, die Dinge mehr erahnen lassen als dass sie sie deutlich aussprächen. Sowieso muss man, obwohl vorliegender Film nicht mit nackter Haut geizt, nach allzu expliziten Szenen – ob sie nun Gewalt oder Sex betreffen – bei Larraz keine Ausschau halten.
Singulär ist LA VISITA DEL VICIO vielleicht deshalb in seinem Oeuvre, weil Larraz, soweit ich das überblicke, sich niemals derart deutlich an der Ästhetik eines anderen Regisseurs orientiert hat. 1978 befindet sich Walerian Borowczyk zwar bei Kritik und Publikum schon auf dem absteigenden Ast, das tut dem europäischen Kino zwischen Trash und Arthouse jedoch, wie zahlreiche Beispiele belegen, keinen Abbruch darin, sich offensiv auf Filme wie CONTES IMMORAUX, INTERNO DI UN CONVENTO oder vor allem LA BÊTE zu beziehen. Mit seiner Weichzeichner-Optik, seiner elegischen Stimmung, seiner Verknüpfung von Malerei und Sexualität, seinem ikonischsten Bild, das Erinnerungen an den Pasiphae-Mythos wachruft, aber auch zum Prolog der Borowczyk'schen Bestie hinschielt, fühlt sich LA VISITA DEL VICIO für mich zwar streckenweise tatsächlich wie ein Borowczyk-Derivat an, (und sieht vor allem so aus!), trotzdem bringt Larraz es aber fertig, die eigenen Sensibilitäten glasklar in den Vordergrund zu schieben. Wo Borowczyk stets die maschinelle Komponente von Sexualität interessiert, die institutionalisierten Machtverhältnisse, die sich in ihr niederschlagen oder durch sie zum Ausdruck kommen, ihre Verbindung zur Objektwelt, da geht es Larraz mehr um die Psychen seiner Figuren, darum, sie wie auf einer Theaterbühne in Bezug zueinander zu setzen, und die Atmosphäre einzufangen, die ihre sich ändernden Positionierungen entstehen lassen. Wenn Borowczyks Filme überbordende Hohefeste der Sexualität sind, Zeremonielle und Riten, die mit einem Übermaß an Verschwendung zu Werke gehen, dann handelt es sich bei LA VISITA DEL VICIO um einen sowohl beschaulichen wie beklemmenden Abend zu dritt im Schein von nur ein paar zuckenden Kerzenflammen. Ich kann mir gut vorstellen, dass dem oder der einen oder anderem vorliegender Film deshalb zu langweilig sein wird, zu ereignislos, zu schauwertfrei - (vor allem, wenn man sich vom italienischen Verleihtitel SODOMIA und einem Poster, das den Sex zwischen Frau und Pferd suggeriert, auf eine völlig falsche Fährte gelockt worden ist) -, ich allerdings bin einmal mehr angetan von genau diesen Qualitäten. Gerade eben habe ich Larraz der Regierung in Madrid als heißen Kandidaten für den Ehrenorden des subtilsten Subversiven des europäischen Genre-Kinos der 70er vorgeschlagen.