Pulgasari - Shin Sang-ok (1985)

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Salvatore Baccaro
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Pulgasari - Shin Sang-ok (1985)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Pulgasari

Produktionsland: Nordkorea 1985

Regie: Shin Sang-ok

Darsteller: Son Hui Chang, Ham Gi Sop, Jong-uk Ri, Gwon Ri, Gyong-ae Yu, Hye chol-Ro, Yong-hok Pak, Pong-ilk Pak


Abt. Salvatores kleine Nordkorea-Reise


PULGASARI ist der einzige Film meiner kleinen kinematographischen Nordkorea-Fahrt, den ich bereits vor einigen Jahren erstmals gesehen habe. Damals hatte ich auch bereits eine Kurzkritik für die hiesigen heiligen Hallen verfasst, nur ist die seitdem unauffindbar und wahrscheinlich bei einem fehlerhaften Speichervorgang auf alle Ewigkeit von der Festplatte getilgt worden. Ich erinnere mich, dass ich meine damalige Review wie folgt angefangen hatte: Ich hatte beschrieben, wie Choin Eun-hee, die Ex-Frau des südkoreanischen Regisseurs Shin Sang-ok, 1978 auf Geheiß des filmbesessenen Kim Jong-il, Sohn des amtierenden Diktators Kim il-sung und damit Herrscher in spe, von nordkoreanischen Geheimagenten entführt wird, worauf ihr Ehemann, der sich zu ihrem letzten gesicherten Aufenthaltsort Hongkong begibt, um ihr spurloses Verschwinden aufzuklären, dasselbe Schicksal ereilt. Nach mehreren Fluchtversuchen und jahrelanger Internierung in Arbeitslagern wird Shin Sang-ok und Choin Eun-hee von Kim Jong-il bei einer Dinnerparty in Aussicht gestellt, fortan ein angenehmes Leben in der Volksrepublik führen zu können – sofern sie sich denn bereiterklären, Filme für ihn zu produzieren, die endlich dazu führen sollen, dass auch Nordkorea auf dem internationalen Bankett der Kinematographie endlich die gebührende Ehre zuteil wird. Sechsmal sitzt Shin Sang-ok in der Folge auf dem Regiestuhl, bevor Choin Eun-hee und ihm bei einem Auslandsaufenthalt in Wien die Flucht in die US-amerikanische Botschaft gelingt. Nein, hatte ich zum Ende meines Eröffnungsparagraphen klargestellt, das ist nicht der Plot eines Politthrillers, sondern tatsächlich das, was Shin Sang-ok zu seinen (Zwangs-)Jahren in Nordkorea selbst zu Protokoll gegeben hat, und somit quasi die Hintergrundgeschichte zu seinem bekanntesten Werk PULGASARI, einem Fantasy-Streifen im Stil der Godzilla-Filme, für den dann auch die japanischen Toho-Studios die Spezialeffekte beisteuerten, und der auf unnachahmliche Weise Männer, die in Ganzkörpermonsterkostüme wüten, mit aufrührerischem Revolutionspathos verbindet…

Korea im 14. Jahrhundert: Die geschundene Landbevölkerung ächzt unter einem brutalen Despoten, dessen rücksichtsloses Feudalsystem noch den letzten Blutstropfen aus dem verarmten Bauernstand herausquetscht. Als eines Tages die Truppen des Königs auch noch in die entlegensten Gebirgsdörfer einfallen, um den Menschen jedwede Alltagsgegenstände wegzunehmen, die aus Eisen gefertigt sind – denn man plant, all die Schüsseln, Hacken, Hämmer einzuschmelzen und daraus Kriegswerkzeug herzustellen -, regt sich endlich offener Widerstand im Proletariat, das mit den genannten Habseligkeiten seine Lebensgrundlage fortgetragen sieht, denn wie soll man beispielweise kochen oder Holz hacken, wenn einem die Töpfe oder Äxte dazu fehlen? Dass der König das Aufbegehren der Volksmassen mit noch härteren Bandagen beantwortet, verwundert nicht: Die Rebellenführer werden kurzerhand verhaftet und mit Aussicht auf eine öffentliche Hinrichtung ins nächste Gefängnis verbracht, darunter auch der Schmied Takse, der zusammen mit seinen Waffengefährten in den Hungerstreik tritt und sich sogar weigert, von dem Reis zu kosten, den ihm seine Tochter Ami durch die Zellenfenster zuwirft. Stattdessen formt er aus den Reiskörnern eine kleine echsenhafte Figur, die er Pulgasari tauft, und bittet die Götter, dass sie dem Wesen Leben einhauchen und es zum Beschützer seiner Tochter und seines Volkes machen sollen.

Tatsächlich dauert es nicht lange und Ami, der die Figur nach dem Tod ihres Vaters ausgehändigt worden ist, sticht sich beim Stricken in den Fingern, worauf die perlenden Blutstropfen zufällig auf Pulgasari träufeln: Mit einem wahren Heißhunger auf Eisen ausgestattet wird das possierliche Tierchen alsbald zum treuen Freund von Ami und ihrem kleinen Bruder – und nicht nur das: Als sich die Bergbewohner unter Führung von Amis Verlobtem Inde dazu entschließen, die Demütigungen und Unterdrückungen der königlichen Beamten und Soldaten nicht länger hinzunehmen und sich in den Partisanenkampf zu verabschieden, mausert sich Pulgasari zu ihrem Glücksbringer, Maskottchen und tapfersten Krieger. Letzteres wird nicht zuletzt dadurch begünstigt, dass Pulgasaris ständig knurrender Magen ihn an vorderster Front marschieren lässt, um sich so viele Schwerter, Kanonen, Rüstungen einzuverleiben wie möglich. Der positive Nebeneffekt ist außerdem, dass Pulgasari immer größer und stärker wird je mehr Eisenware er verschlingt. Bald schon braucht er sich nicht mehr vor seinen japanischen Artgenossen wie Godzilla oder Gamera zu verstecken, wenn ihm ein Fußtritt ausreicht, um eine halbe Armee zu vernichten und er mit seinem bloßen Gebrüll ganze Paläste zum Einsturz bringt. Zwar schaffen seine Feinde es, Ami zu kidnappen und Pulgasari zu zwingen, in einen riesigen Käfig zu steigen, sollte er nicht wollen, dass man seine Freundin vor seinen Augen einen Kopf kürzer macht, - doch nicht mal die Flammen, die man anschließend unter dem Käfig entzündet, können dem Hünen etwas ausmachen, und seine Rache ist umso gewaltiger. Auch der Versuch, Pulgasari in einer gigantischen Grube zu versenken und lebendig zu begraben, scheitert daran, dass Ami sich verkleidet als Prostituierte Zutritt hinter die feindlichen Linien verschafft und das Monstrum mit ein paar ihrer Blutstropfen reaktiviert. Sieg um Sieg erringen die Bauern in ihrem Guerilla-Krieg bis es endlich dem König selbst an den Kragen geht. Doch auch im Frieden ist Pulgasaris Hungergefühl einfach nicht totzukriegen: Ami realisiert, dass Pulgasari ihr Volk zu immer neuen Feldzügen treiben wird, die nötig sind, um ihn mit regelmäßiger Eisenzufuhr zu versorgen, und sie fasst schweren Herzens den Plan, den Opfertod zu sterben, indem sie sich Pulgasari selbst versteckt in einer eisernen Glocke zum Fraß vorwirft…

Hätte Sergej Eisenstein jemals einen Kaiju Eiga gedreht, hätte das Ergebnis möglicherweise ähnlich ausgeschaut wie PULGASARI: Statt dass der Fürst Alexander Newski sein von Deutschrittern unterjochtes Volk in die Freiheit führt, so wie er es in Eisensteins Historienfilm von 1939 tut, ist es im koreanischen Klassenkampfszenario eben ein auf magische Weise zum Leben erwecktes Echsenmonster, das Horden aufständischer Bauern voranschreitet, um die herrschende Klasse von ihren ungebührlich besetzten Thronen zu pusten. Die Szenen, in denen Pulgasari, zum eisenfressenden Ungetüm von der Größe eines Wolkenkratzers herangereift und untermalt von jubilierenden Synthie-Fanfaren, den ekstatisch ihre roten Banner schwenkenden Proto-Kommunisten ins Schlachtfeld führt, erinnern wohl nicht von ungefähr an das Francisco Goya zugeschriebene Gemälde „Der Koloss“ aus dem Jahre 1810 – mit dem wichtigen Unterschied allerdings, das dieses die Schrecken und Gräuel des Krieges in der Figur des faustschwingenden Giganten metaphorisch kondensieren soll, während Pulgasari wenig verhohlen als brustpanzerbewahrtes, reptilienschwänziges, widdergehörntes Revolutionssymbol fungiert: So wie Pulgasari von einem drolligen, kleinkindgroßen Kerlchen allmählich zur unbezwingbaren Kampfmaschine mutiert, bricht sich auch die revolutionäre Kraft des koreanischen Volkes Bahn, um endlich aufzuräumen mit der Kaste ihrer Ausbeuter und Unterdrücker. Ich kann nicht behaupten, dass das Pathos, das einem in den zentralen Momenten von PULGASARI entgegenschlägt, seine Wirkung verfehlen würde: Ähnlich wie bei den besten Filmen Eisensteins sitzt man fortwährend mit geballter Faust in seinem Heimkinosessel und wünscht sich, dass die Revolution an die eigene Tür klopft, damit man ebenfalls hinter dem Echserich in eine gerechtere Welt marschieren kann, ungeachtet der Strapazen und der Lebensgefahr, in die man sich damit begibt. Dass Pulgasari am Ende schließlich selbst zur Bedrohung seiner eigenen Anhänger wird, verhindert übrigens, dass die relativ episodisch erzählte Geschichte ins allzu Formelhafte kippt: Die Revolution frisst ihre Kinder – oder, in unserem Fall, zentnerweise Eisen -, weswegen es der Aufopferungsbereitschaft einer jungen Frau, die zuvor ohne mit der Wimper zu zucken ihren Liebsten zu Grabe getragen hat, bedarf, um die freigesetzte Revolutionsenergie zu bändigen und ihren Landsleuten eine friedvolle, ruhige Zukunft zu sichern. Gewissermaßen erzählt PULGASARI in seinem Finale nichts anderes, als dass die meisten Revolutionen, sind sie erfolgreich, in Terror und Grauen enden: So geschehen in Frankreich, in Russland, und nicht zuletzt in Nordkorea, wo die Diktatorensöhne in den späten 70ern ungestraft südkoreanische Regisseure entführen und in Internierungslager stecken dürfen, wenn sie sich weigern, die Kurbel für Propagandafilme zu drehen. Dass sich PULGASARI im Schlussakt quasi selbst den Spiegel vorhält, scheint den Verantwortlichen entgangen zu sein – es sei denn, Shin Sang-ok hat bewusst ein paar regimekritische Pointen in sein Werk hineingeschmuggeln wollen. Die dadurch gegebene Offenheit der Interpretation verleiht PULGASARI seinen ganz eigenen Reiz: Ich kann ihn als launiges Monster-Entertainment rezipieren, genauso gut aber subversive Seitenhiebe gegen die nordkoreanische Volksrepublik wittern, oder ihn als unreflektiertes Abfeiern des Märchensreichs Kim il-sungs umarmen...

Einmal abgesehen vom politischen Sub- und Kontext habe ich PULGASARI auch bei der Zweitsichtung als ziemlich unterhaltsame Angelegenheit empfunden: Die Story ist wenig komplex und hangelt sich zyklisch von Höhepunkt zu Höhepunkt; die Monster-Effekte der Toho-Schmiede müssen sich nicht vor der Konkurrenz verstecken (Miniatur-Häuschen und -Landschaften; campige Body-Suits; inflationäre Rückprojektionen); der junge Pulgasari ist süß genug, dass ich ihn mir als Stofftier wünsche, der ausgewachsene Pulgasari ein Pfundskerl, von dem ich mir Actionfiguren vorstellen könnte, (bestimmt gibt es die auch schon längst!); neben all dem Schlachtenlärm und den großen Theatergesten und den Explosionen und zusammenstürzenden Palästen und kullernden Pappmachefelsen gibt es zur Auflockerung ein paar Slapstick-Einsprengsel und etwas Herzschmerz; natürlich ertrinkt der Film geradezu in seiner unreflektierten Schwarzweißmalerei, seiner aufrührerischen Umsturzstimmung und der vollmundige Absage an Monarchie, Kapitalismus, Feudalismus, doch ist der Streifen kompetent genug inszeniert, dramaturgisch rund genug und, was seine Verbindung von Propaganda und Phantastik anbelangt, kurios genug, um mir erneut angenehme einhundert Minuten beschert zu haben. Aus meinem nächsten Reisgericht forme ich mir auch einen Pulgasari, schneide mir aber erst über ihm in den Fingern, wenn ich dem Altmetallhändler seine komplette Schubkarre leergekauft habe – und dann, liebe Leute, ja, dann werden ganz andere Saiten aufgezogen…

P.S.: PULGASARI beruht übrigens auf einer Legende, die in Korea scheinbar jedes Schulkind kennt: In der sogenannten Goryeo-Epoche (918-1392 in unserer Zeitrechnung) soll das Praktizieren der buddhistischen Religion in Korea verboten worden zu sein, was die Verfolgung und Inhaftierung sämtlicher Mönche zur Folge hatte, denen die Regierung habhaft werden konnte. Ein Mönche sei angeblich den Massenverhaftungen entkommen und habe aus Reiskörnern eine kleine Bestie geformt, sie mit Nadeln ernährt und auf den Namen Pulgasari getauft - (wörtlich übersetzt etwa: "Unmöglich-zu-töten"). Nachdem das Monstrum immer größer und immer mächter geworden ist und der Regierung eine schwere Zeit bereitet hat, muss Pulgasari letztendlich vernichtet werden, bevor er das gesamte Land verheert - in manchen Varianten per Feuer, in anderen durch just den Mönch, der ihn erschaffen hat. Bereits 1961 entsteht in Südkorea mit BULGASARI eine Verfilmung des Stoffes, - nur leider hat von diesem Streifen scheinbar keine einzige Kopie dem Mahlen der Zeit widerstanden. Mit seiner Geschichte eines magischen Wesens, das einer unterjochten Gruppe zunächst bei seiner Emanzipation tatkräftig zur Seite steht, sich dann aber in destruktiver Energie gegen dasselbe wendet, könnte ich mir PULGASARI übrigens auch als prächtiges Doppelprogramm mit Paul Wegeners DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM vorstellen.

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Salvatore Baccaro
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Re: Pulgasari - Shin Sang-ok (1985)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Soooo süüüüüß... :knutsch:

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McBrewer
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Re: Pulgasari - Shin Sang-ok (1985)

Beitrag von McBrewer »

@Sal: danke für die tolle & interessante Filmvorstellung dieses obskuren Werkes, das hier auch schon lange - leider bisher ungesehen - vorliegt

Passend dazu empfehle ich auch das Hörspiel von Jörg Buttgereit : "Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang" aus dem Jahre 2014, das noch in der WDR mediathek zu finden ist :prost:
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Salvatore Baccaro
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Re: Pulgasari - Shin Sang-ok (1985)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

McBrewer hat geschrieben: Sa 13. Feb 2021, 12:42 Passend dazu empfehle ich auch das Hörspiel von Jörg Buttgereit : "Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang" aus dem Jahre 2014, das noch in der WDR mediathek zu finden ist :prost:
Ach! Nie davon gehört. Das tönt ja famos... :D
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