Mir hat er besser gefallen:karlAbundzu hat geschrieben: ↑Do 13. Okt 2022, 15:25 Tatort Göttingen: Rache an die Welt
Ein Serienvergewaltiger, genannt der Wikinger, treibt sich in Göttingen herum. Die Leiche einer Studentin wird gefunden. Fängt der Wikinger jetzt an zu morden oder ist der Täter im Migrantenumfeld des Opfers zu finden?
Die Lindholm-Folgen waren ja lange die einzigen, die ich auf keinen Fall ansah, mit dem Umzug nach Göttingen gab ich ihr eine neue Chance und in National Feminin gefiel mir das Duo Furtwängler Kasumba durchaus.
Doch was da richtig gemacht wurde, wird hier falsch gemacht. Der alltägliche Rassismus den Schmitz erleiden muss, wird zu einem beständigen Gimmick, der rausgeholt wird, um Standardszenen aufzupeppen. Die Figuren werden nicht vertieft dargestellt, kaum ernst genommen, der Fall ist ziemlich vorhersehbar und gefilmt ist das auch eher Konfektionsware. Handlungsstränge wurden nicht zu Ende gedacht, vieles nicht richtig motiviert.
Einzig die Szenen mit Eidin Jalali und Mala Emde hatten was.
Tatort: Die Rache an der Welt
„Wir sind hier eine Universitätsstadt!“
Mit Kommissarin Charlotte Lindholms (Maria Furtwängler) 30. Fall, dem fünften nach ihrer Versetzung nach Göttingen und an der Seite ihrer Kollegin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba), debütierte Regisseur Stefan Krohmer („Dutschke“) innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Er inszenierte ein Drehbuch Daniel Nockes. Seine Premiere feierte der „Tatort: Die Rache an der Welt“ am 15. September 2022 auf dem Internationalen Filmfest Oldenburg, die TV-Erstausstrahlung folgte am 9. Oktober 2022.
Seit einiger Zeit wird Göttingen von einem Triebtäter heimgesucht, der Frauen auflauert und sie sexuell missbraucht. Da er seine Opfer mit einem Wikingerdolch bedroht, wird er „der Wikinger“ genannt. Eines Tages wird die Leiche der jungen Studentin Mira, die sich in der Flüchtlingshilfe engagierte, gefunden. Ein Zeuge sah noch einen „fremdländisch“ anmutenden jungen Mann auf dem Fahrrad fliehen. Ist der „Wikinger“ nun auch zu Mord übergegangen? Oder hat der ausländerfeindliche Ressentiments offenbarende Zeuge recht und es handelt sich um einen Ausländer, möglicherweise gar einen der Flüchtlinge, die Mira betreute? Während Anaïs Schmitz den „Wikinger“ für dringend tatverdächtig hält, ermittelt Charlotte Lindholm zu Schmitz‘ Unverständnis auch unter den Flüchtlingen…
Inspiriert von der realen Ermordung einer Freiburger Studentin durch einen afghanischen Täter im Jahre 2016, versucht sich „Die Rache an der Welt“ am Themenkomplex Vorurteile, Rassismus und Frauenhass, ohne sich dabei zu verheben. Diffizile Fragen nach ethischer Verantwortbarkeit von auf einer möglichen Täterherkunft und zweifelhaften Zeugenaussagen basierenden Ermittlungsmethoden werden über weite Strecken verhandelt und die Figuren aus allen Spektren ambivalent und differenziert dargestellt. Die sich ebenfalls für Flüchtlinge einsetzende ehemalige Mitbewohnerin (Mala Emde, „Brecht“) Miras schimpft über die Frauenfeindlichkeit mancher von ihnen, während andere Flüchtlinge offenbar gerade gut genug für „Flüchtlingsfolklore“ in Form spannender Geschichten von Marginalisierung, Verfolgung, Entbehrung und noch Schlimmeren sind oder gar zu Love Interests avancieren, die von Helferinnen belästigt werden, während deren eigentliche Partner aus einem eigenartigen Verständnis von Anteilnahme und Offenheit heraus seltsam teilnahmslos zuschauen.
Hier tut sich manch Abgrund auf, wobei die leicht überzeichneten Figuren für Typen von Mitmenschen stehen, die sonst eher selten bis gar nicht im „Tatort“ (oder anderswo in Film und Fernsehen) stattfinden. Parallel zu den Kommissarinnen erzählt die Handlung von Jelena, dem gesuchten Munir Kerdagli (Eidin Jalali, „Futur Drei“) sowie dem Weltrekordversuch der Flüchtlingsheimbewohner im Dauerfußball, was lange Zeit statt zu einem wirklichen Wissensvorsprung fürs Publikum zu interessanten Einblicken in soziale Milieus und den dortigen Umgang miteinander führt. Die Täterjagd nimmt mehrere zu Unrecht Verdächtige ins Visier und gestaltet sich durchaus spannend, zumal darüber hinaus auch andere Figuren infragekommen, was zum Miträtseln anregt – wenngleich dieser „Tatort“ darauf gar nicht sein Hauptaugenmerk richtet. Vielmehr verkörpern die ohnehin stets sehr gegensätzlichen Lindholm und Schmitz zwei unterschiedliche Herangehensweisen, von denen die eine sich einem Rassismusverdacht ausgesetzt sieht und die andere Gefahr läuft, aus falsch verstandenem Antirassismus heraus wichtige Spuren zu übersehen. Dabei kracht’s dann naturgemäß auch mal untereinander.
Das sind Themen, Diskurse und Konflikte, die nicht nur im Kriminalitäts- und Polizeikosmos relevant sind, sondern sich mühelos auf die Gesellschaft übertragen lassen. Kombiniert werden sie sowohl mit klassischer Ermittlungsarbeit als auch klaren Grenzüberschreitungen durch Lindholm, für deren Verständnis die Handlung zeitweise zu werben versucht. Und das ist der Punkt, an dem ich wirklich Bauchschmerzen bekomme: Nein, mehr als fragwürdige Vorfahr- und damit Herkunftsanalysen auf DNA-Spurenbasis sollten kein Bestandteil von Polizeiarbeit sein, allein schon aufgrund ihrer extremen Ungenauigkeit. In diesem Punkt hat sich „Die Rache an der Welt“ dann tatsächlich verrannt.
Alles andere jedoch ist ein weitestgehend gut nachvollziehbarer, kluger Beitrag zu einem gesellschaftlichen Diskurs, der, in Krimiform gegossen, passabel unterhält, vor allem aber zum Nachdenken anregt. Die Welt und die Menschen sind nun einmal nicht nur schwarz oder weiß – trotz des Komissarinnenduos, dessen Gegensätzlichkeit die Kamera auf eine ästhetisierende Weise einfängt, die beiden Schauspielerinnen schmeichelt.