Pesthauch des Dschungels
La mort en ce jardin
Frankreich/Mexiko 1956
Regie: Luis Buñuel
Simone Signoret, Charles Vanel, Georges Marchal, Michel Piccoli, Tito Junco, Raúl Ramírez, Luis Aceves Castañeda,
Jorge Martínez de Hoyos, Alberto Pedret, Marc Lambert, Francisco Reiguera, José Muñoz
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OFDB
Die Diamantensucher im Dschungel werden vom Hauptmann des nahegelegenen Ortes mal eben enteignet. Als sie sich wehren, klassifiziert man sie seitens der Obrigkeit als Rebellen und schießt sie nieder. Der Herumtreiber Shark, der mit dieser Rebellion eigentlich nichts am Hut hat, sucht ein Bett und landet bei der Hure Djin, die zwar mit ihm schläft, ihn aber anschließend an die Soldaten verrät und sich mit dem Hauptmann das Geld Sharks teilt. Dieser Hauptmann hat noch einen Sidekick, nämlich den Fährenbetreiber Chenko, der die Huren in den Ort bringt, und dafür reichlich abkassiert. Und dann ist da noch Pater Lizardi, der einen auf guter Pfarrer und lieber Gott macht, aber wenn es ums Geld geht ist er hinter der Sore her wie der Teufel hinter der Seele.
Als Shark aus dem Gefängnis flüchten kann nimmt er die ganze Sippschaft in Geiselhaft, um aus dem Ort lebend herauszukommen. Ein gefährliches Unterfangen, mit Chenko im Schlepptau, der nichts unversucht lassen wird alle an die Soldaten zu verraten. Und mit dem Dschungel außenrum, der die dünne Schicht Zivilisation in Nullkommanichts abschält und die blanke Bestie zum Vorschein kommen lässt.
Was für eine verkommene Gesellschaft hier beschrieben wird! Bunuel malt das Bild einer herabgekommenen und materialistischen Menschheit, deren Mitglieder sich gegenseitig zerfleischen um an die Besitztümer der jeweils anderen zu kommen. Keinem kann vertraut werden, alle sind zutiefst korrumpiert und verdorben, und der einzige aufrechte Charakter, der alte Castin, dessen Traum es ist ein Restaurant in Marseille zu eröffnen, verliert ob dieser Schäbigkeit irgendwann folgerichtig den Verstand. Nur seine Tochter schwebt unberührbar und scheinbar fleckenlos über dem Morast. Sie ist taub und heißt (natürlich) Maria, und sie ist der einzige aufrechte Mensch in dieser miesen Welt. Alle anderen sind durch die Bank opportunistische Schweine.
Wobei es sehr spannend ist zuzusehen, wie Buñuel die Charakterisierungen der Figuren dreht und wendet wie es ihm gerade passt, und am Ende dabei ein realistisches Bild des menschlichen Mikrokosmos entsteht. Shark beginnt als Unsympath, der seine Finger am Maria legt, sich um die Nöte der Diamantensucher einen Dreck schert, mit dem Sympathieträger Castin fast eine Schlägerei beginnt, und bei einer Hure übernachtet. Sein Schicksal vom Hurenbett über das Gefängnis bis hin zur Flucht ist ein bitteres, aber der Zuschauer hat keinerlei Mitleid mit dem überzeugten Egoisten. Erst auf dem Schiff wandelt Shark sich langsam zum „Helden“, und auf der Flucht im Dschungel fliegen ihm die Herzen der Zuschauer nur so zu, ist er doch derjenige, die Gruppe retten kann und deswegen von uns geliebt wird. Nur zu schnell vergessen wir, dass Shark eigentlich ein eiskalter Hund ist, der nur seinen eigenen Vorteil sieht. Was im Dschungel bedeutet nicht alleine zu sein, um die Strapazen und die Arbeit besser verteilen zu können.
Bei Djin ist es noch schwieriger. Sie sieht gut aus, und sie hat die zarte Seele einer Metzgerin. Sie verkauft ihre Bettgenossen um an deren Geld zu kommen, und sie spielt mit dem armen Castin, der sich irgendetwas rund um den Begriff Liebe einbildet, nur um auch an dessen Geld zu kommen. Djin wird im Laufe der Flucht ebenfalls sympathischer, aber gegen Ende zeigt sie ihr wahres Gesicht, wenn sie in schicker Kleidung und mit Schmuck behängt tanzt. Das ist das was sie interessiert, kein verschissenes Fischrestaurant und keine Liebesromanze. Gutes Aussehen, Schmuck und Geld, das ist es was Djin im Herzen(?) ausmacht. Was zur Frage nach dem Menschenbild eines Luis Buñuel führt.
Spätestens der zutiefst materialistische Pater Lizardi untermalt den Verdacht, dass Buñuel seine menschliche Umwelt verachtet hat. Das salbadernde Geschwätz dieses Halunken, seine vordergründig soziale und mitfühlende Art, die sich in jedem Augenblick umdrehen kann in einen Menschen, der nichts anderes im Sinn hat als seinen eigenen Reichtum zu mehren und dafür bereit ist über Leichen zu gehen, diese Charakterisierung ist kein Schlag ins Gesicht der katholischen Kirche, sondern vielmehr eine stinkende Ausdünstung der hinteren Körperseite. Was muss Buñuel wohl für Erfahrungen mit Priestern gemacht haben …?
Und so streifen wir als Zuschauer mit einer Gruppe Ausgestoßener durch einen lebensfeindlichen Dschungel, verfolgt von Soldaten die sich durch ihr Schießgewehr definieren. Wir sehen zu wie das kostbare Abendessen, eine tote Riesenschlange, in Sekundenschnelle von Ameisen gefressen wird, und wie das Menschliche in der Kreatur durch solche Erfahrungen immer mehr verschwindet. Ins Hintertreffen gerät zugunsten eines grundlegenden Darwinismus, und sogar der verschwindet im Elend irgendwann. Nur der Selbsterhaltungstrieb ist noch da. Das, was als Strudelwurm ganz tief im Menschen schlummert. Doch wehe man lässt diesen rudimentär-menschlichen Kreaturen Essen, Kleidung und Schmuck zukommen, dann kann man staunen wie sich diese geknechtete und relativ solidarische Schicksalsgemeinschaft im Handumdrehen zu einer Bande sich selbst zerfleischender Halbirrer wird …
Von PESTHAUCH DES DSCHUNGELS ließe sich eine direkte Linie ziehen zu einem Film wie, sagen wir, MENSCHENFEIND. Die misanthropischen und zutiefst pessimistischen Menschenbilder der jeweiligen Regisseure sind gar nicht weit voneinander entfernt, und deprimieren den nicht-cinephilen Zuschauer auf intensive Art und Weise. Trotzdem funktioniert PESTHAUCH DES DSCHUNGELS als fast reiner Abenteuerfilm genauso gut wie als bittere Karikatur des menschlichen Lebens. Der Abenteurer, die Hure mit Herz, der alte Mann mit der tauben Tochter, der genügend Geld gespart hat um nach Hause zu kommen, die gemeinen Soldaten – Die Menagerie eines klassischen Abenteuerfilms ist komplett vorhanden, und die Erzählung mit Rebellion, Gefängnis und Flucht funktioniert auch nach den überkommenen Handlungsmustern. Nur dass immer dieser Hang zu B. Traven durchschimmert, dessen Schilderung rudimentären Lebens im Dschungel sehr sehr ähnlich klingt. Somit ist PESTHAUCH als extremer Glücksfall eines Films anzusehen: Ein spannender Abenteuerfilm mit böse-kritischem Blick, erstklassiger Umsetzung und starken Schauspielern.
7/10