Baba Yaga - Corrado Farina (1973)

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Adalmar
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Re: Baba Yaga - Corrado Farina

Beitrag von Adalmar »

Ich finde ja, dass allein Ely Galleani in ihrer SM-Kleidung den Film sehenswert macht. Carroll Baker sehe ich ja auch generell sehr gerne in ihren Italo-Genrerollen. Ich meine allerdings, dass das Ende des Films ein wenig unpassend moralisch-konservativ daherkam, bin mir aber auch nicht mehr ganz sicher, wie das genau ablief :?
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Salvatore Baccaro
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Re: Baba Yaga - Corrado Farina (1973)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Ein polarisierender Film, offenkundig. Zwei unserer Italo-Redakteure sparen nicht mit Schelte und Schlummer-Modus; zwei andere tanzen euphorisch um die Statue des Heiligen Luigio Montefiori – was mich, der den Film nun endlich auch einmal vor die Augen bekommen hat, nun wirklich nicht verwundert, scheint mir Corrado Farina doch ganz bewusst mit Ambivalenzen und Paradoxien zu spielen, die auf den ersten Blick regelrecht widersprüchlich zueinanderstehen.

Meine These wäre, dass Farina durchaus eine Allegorie auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht in einem bestimmten Zeitfenster, nämlich der jungen italienischen Künstler- und Intellektuellenkaste Anfang bis Mitte der 70er, im Sinn gehabt hat – und ihm die „Valentina“-Comics nach meiner oberflächlichen Recherche hierbei offenbar nur lose Stichwortgeber gewesen sind, (wenn auch deren Autor Guido Crepax am Set umherwuselte, und eine Statisten-Rolle bekleidet). Weite Strecken des Films geht es dann ja auch nicht darum, Gothic-Horror-Stimmung aufkommen zu lassen oder in SM-Phantasien zu schwelgen, (bis auf die letzten zehn Minuten tut sich da bei beidem nicht viel, und selbst dann…), sondern uns unter die Nase zu reiben, wie zutiefst gespalten die Protagonisten sich verhalten: Da hängt in Valentinas Wohnung ein Zebrafell als Symbol des Kolonialismus an der Wand, und neben der Couch liegt pflichtschuldig eine Marx-Gesamtausgabe; da debattiert man über die künstlerischen Qualitäten von Godard, (der, laut Valentina, nur einen einzigen erfolgreichen Film mit PIERROT LE FOU gedreht hat; wohlgemerkt wirft die Gute da künstlerische Qualität und kommerziellen Erfolg wie selbstverständlich in einen Topf), und schaut sich im Arthouse-Kino die Mitternachtsvorstellung von Wegeners GOLEM an, (und zwar in einer wirklich intellektuell verbrämten Vorstellung komplett ohne Musik!), dreht aber selbst – im Falle Arnos – einen bereits von Bux ganz richtig als recht rassistisch gebrandmarkten Werbespot, in dem ein dunkelhäutiger Gangster mit Waschpulver regelrecht ausgeixt wird; da gibt man sich liberal, aufgeschlossen, revolutionär, verdient sein Geld aber – im Falle Valentinas - mit kitschigen, wenn nicht gar geradewegs plumpste Männerphantasien bedienenden Erotik-Photos, und wirft einem männlichen schwarzen Modell vor: Du verschwendest zu viel Zeit mit diesen Dritte-Welt-Debatten an der Uni!, um den jungen Mann danach im Knipslichtgewitter anzufeuern: Los, werde zum wilden Tier, das Du im afrikanischen Busch gewesen bist!; da tönt ein (Free-)Jazz-Score von Piero Umiliani, und im Hintergrund hängen solche unterschiedliche Artefakte wie ein Poster vom Kopf des (damals noch der Musik-Avantgarde zugehörigen) Franco Battiato, (der übrigens in der wirren Prologsequenz des sogenannten „Final Cut“ dann auch einen bleichgesichtigen Indianer spielt), oder ein Filmplakat von Murnaus (verschollenem) DER JANUSKOPF, wirklich progressiv ist aber letztendlich nur ein katholischer Priester (!), der in einer Straßenszene eine Hippie-Demo gegen Passanten verteidigt – und wenn Valentina dann auch noch ihre unterdrückten sexuellen Begierden freiwillig an den Nagel hängt, um mit Arno eine konventionelle heterosexuelle Beziehung einzugehen, dann mag das vielleicht auf den Mist der Produzenten gewachsen sein, mit denen Fareno laut eigenem Bekunden offenbar einige Schwierigkeiten hatte, andererseits passt es doch gut zu dem spröden Konzept, das ich in dem Film zu erkennen meine.

BABA YAGA ist ein Abgesang auf die Ideale der 68er, die vier, fünf Jahre nach ihrem Aufflammen längst auch in den kapitalistischen Warenzirkel eingespeist worden sind, (und da macht es auch nur Sinn, dass Fareno selbst sein Geld in den 70ern als Werbespot-Regisseur verdient hat, exakt wie sein alter ego Arno.) Besonders witzig letztlich auch der Kniff: Gängiger Stereotyp im Horror-Genre ist ja, dass am Ende die Vergangenheit, symbolisiert von alten Gemäuern oder Ungeheuern, in Flammen aufgeht, und unsere Helden selbstsicher in eine goldene Zukunft gucken. In BABA YAGA ist es genau andersrum: Der progressive Lebensstil, den der Film interessanterweise sowohl an eine bleiche Oma-Hexe wie auch eine vitale Kinderpuppe koppelt, so, als würden da Zukunft und Vergangenheit sich die Hand reichen, (weshalb zu den Symbolen dieses Lebensstil sowohl ein klassisches Spukhaus wie auch die Behexung moderner Technologie wie v.a. Valentinas Fotoapparat gehört), kriegt den Todesstoß ins Herz, und unser Pärchen Valentina und Arno wird bald vorm Traualtar stehen, um der Bourgeoise neue Kinder zu bescheren.

Weshalb die Hex‘ allerdings nun unbedingt Baba Yaga heißen muss, erschließt sich mir indes noch immer nicht: Ihr Haus hat ja nicht mal Hühnerfüße! Auch frage ich mich, was Farina mit den beiden Traumszenen bezweckte, in denen er höchstselbst einmal als Nazi-Scherge und als preußischer Offizier in Erscheinung tritt. Alles in allem ist Farinas erster (und bereits vorletzter) Spielfilm HANNO CAMBIATO FACCIA sicherlich das konsistentere, konzeptuell durchdachtere, „bessere“ Werk, (in dem in einer göttlichen Szene die Werbeindustrie dann auch ihr Fett wegkriegt.)

Eine baff machende Entdeckung zuletzt: Bei meinen Recherchen zu Farina bin ich auf den YouTube-Kanal seines Sohnes Alberto gestoßen, der offenbar das komplette Frühwerk des Vaters – etliche experimentelle Kurzfilme seit den späten 50ern bis in die 70er hinein; darunter auch so mancher Werbespot und dokumentarisches Material – in restaurierten Fassungen frei verfügbar onlinegestellt hat. Ich glaube, da gibt es bei Titeln wie IL FIGLIO DI DRACULA, SI CHIAMAVA TERRA oder FREUD A FUMETTI noch einiges zu entdecken…
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